Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1950 Nr. 3

Spalte:

145-152

Autor/Hrsg.:

Eissfeldt, Otto

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1950

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4

Download Scan:

PDF

145

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 3

146

unvereinbare Exegese von Gen. 2, 21 ff. (32ff.: „die Traumsünde
Adams"), die den Skopus, daß sich Gottes schöpferisches
Handeln der Beobachtung des Menschen entzieht, spekulativ
und traumpsychologisch auflöst. Der biblische Skopus
muß ja auch dem Geschiehtsphilosophen ein Skandalon sein.
Denn noch immer ging es in der Geschichtsphilosophie um
Schau und Beobachtung („eidos" und „paratheresis")l. Nicht
umsonst stehen die Schauenden in diesem Buche an bevorzugter
Stelle: die Weisen des Ostens, das Tao-Te-King (285),
die Romantiker: der alte Sendling (68, 206—211), Görres (61,
142) und unter den Modernen: Siegmund Freud (53), C. G.
Jung (32, 48, 54, 199) und Leo Frobenius (88, i99f)- Bachofen
, Klages und Dacque' aber warten schweigend im Hintergrunde
dieser ebenso genialen wie gefährlichen Mythosophie.

III. Aufgaben

Trotz aller Vorbehalte hat R.s Buch gerade heute seine
besondere Sendung. Es könnte dem heutigen Menschen die
Augen öffnen für Aspekte des Daseins, die ihm bisher verschlossen
blieben. Es könnte eine Religionswissenschaft; die
hinsichtlich ihrer zentralsten Fragestellungen von der Gefahr
des Problemschwundes bedroht ist, aus ihrer Sicherheit aufscheuchen
. Es könnte vor allem der Theologie insgesamt dazu
verhelfen, überlieferte Vorurteile als solche zu erkennen und
eine ganze Reihe bisher noch unerledigter Aufgaben anzugreifen
. Zu ihnen rechne ich auf dem von R. betretenen Sektor
in erster Linie:

r. Die Grundlegung eines neuen GeschichtsVerständnisses
. Sehr elementare Fragen bedürfen hier einer
neuen Fassung, Bearbeitung, Beantwortung. Seit Troeltsch
sind die von ihm noch gesehenen und markierten Fragen nach
dem Wesen der Geschichte, den Methoden der historischen
Forschung und nach dem Historismus als solchen liegen geblieben
. Wir stecken weithin noch in einem historischen Naturalismus
und Positivismus, der uns auf Grund eines falschen
Existenzverständnisses, die Wirklichkeit der lebendigen Geschichte
in ihrer grundsätzlichen Unabgeschlossenheit und
Offenheit gegenüber der Transzendenz verdeckt. Wir bedürfen
einer radikalen Entnaturalisierung des modernen
Geschichtsbegriffs und seiner produktiven Verknüpfung
mit einer neu zu erarbeitenden Theologie der Schöpfung. R.
hat hier Fragen aufgeworfen, die voraussichtlich anders zu beantworten
sind, die aber zum mindesten gehört werden müssen.
Der 4. Abschnitt über die „Kausalität des Lebens und des
Todes" zeigt hier eine Reihe beachtlicher und gesunder Ansätze
. Freilich wird das Verhältnis von „Zeit" und „Ewigkeit"
— im Bilde der „geschichtlichen" Horizontalen und der „über-
geschichtlichen" Vertikalen (ioof.) gedeutet — nicht exklusiv
zu verstehen sein (ganz gewiß auch nicht „inklusiv-synthe-
tisch"!), aber doch im Sinne einer Zuordnung zweier inkommensurabler
, qualitativ verschiedener, sozusagen „senkrecht"
aufeinander stoßender „Dimensionen".

2. Die Grundlegung eines neuen Verständnisses des
Dä monischen. Thielicke hat recht: „Wer Geschichte ver-

') Vgl. dazu meine Antrittsvorlesung: „Der Heilsplan Gottes als ge-
schichtstheologisches Problem" in „Ev.-iuth.K.Ztg.", 2. Jg. (1948), S. 115 ff.

stehen will, muß die Kategorie des Dämonischen haben"1. Die
Religiousgeschichte hat hier eine Fülle an Material beigebracht
; aber die Theologie hat es systematisch fast kaum gesichtet
, geschweige denn ausgewertet. Uber einen gewissen
Feuilletonismus sind wir immer noch nicht hinaus. Was vordringlich
not tut, ist kritische Klärung. Die grundlegenden
Kategorien müssen überhaupt erst methodisch scharf umrissen
werden. So sind z. B. Begriffe wie „Apokalyptik" und
„Eschatologie" in ihrer dimensionalen Verschiedenheit zunächst
einmal gegeneinander abzugrenzen. Das würde u. a.
auch der Neufassung des Verständnisses des Dämonischen zugute
kommen. Was sich heute weithin als „Dämonologie" anbietet
, wird seiner erschlichenen Thematik — die es auch bei
R. besitzt — entkleidet werden müssen, einfach deswegen,
weil vom biblischen Kerygma her die Dämonen von vornherein
entmächtigte „Mächte" sind. Wenn diese Aufgabe auch zentral
allein von der Christologie her angefaßt und in ständiger
Konfrontierung mit der Pneumatologie vollzogen werden
kann, so liegen doch bereits in der recht verstandenen Schöpfungslehre
— also im AT — alle notwendigen Korrektive bereit
. Das Zeugnis vom Schöpfer hat ja den bereits über die
Dämonen errungenen Sieg jeweils zur Voraussetzung. Von hier
aus wäre übrigens auch dem Gespräch über das Recht und
die Grenzen der von R. (131) offensichtlich mißverstandenen
„Entmythologisierung" eine neue, fruchtbare Wendung zu
geben.

3. Die Grundlegung eines neuen „Natur"-Verständ-
nisses. Diese Aufgabe greift stark hinein in die „Theologie"
im engeren Sinne. Sie birgt in sich die Nötigung, den Begriff
des Schöpfers erkenntnistheoretisch von allen Denkinhalten
zu reinigen, die ihm letztlich doch als Weltgrund, als
Weltursache oder als Weltbaumeister aussagen. Friedrich
Karl Schumann2 hat hier wichtige Vorarbeit geleistet. Aber
auch hier steht die systematische Fortführung und Ausbeutung
seiner Erkenntnisse noch aus. Vom AT und NT,
nicht zuletzt in der Interpretation Luthers, wäre weiterhin die
Wirklichkeit der „Schöpfung" — im Gegensatz zur „Natur"
— wiederzugewinnen und im ständigen Gespräch mit dem
neuen Selbstverständnis der heutigen Naturwissenschaft zu
prädizieren. Man wird hier wesentlich vorsichtiger zu Werke
gehen müssen als R. Aber man wird ihm auch hier zu danken
haben, daß er uns die radikale Ent-Ideologisierung
unseres modernen Naturbegriffes als Aufgabe sichtbar
gemacht hat.

Jedenfalls fordert uns R. auf der ganzen Linie auf, auch
scheinbar Peripheres zu einer Mitte in Beziehung zu setzen,
die für die Theologie keine andere sein kann als der Gott des
ersten Gebotes. Nur in seinem Bannkreis wird das Reden
von den „Göttern" und den „Dämonen" sinnvoll. Denn nur
von der An-Ordnung dieses Herrn her kann das Leben der
Welt und das es erschließende Verstehen des Menschen zurechtkommen
. Was kann sich aber ein Theologe mehr wünschen
als dies: sich von einem Nicht-Theologen einmal so ernst
und so buchstäblich „zur Ordnung" rufen zu lassen?

') Fragen des Christentums an die moderne Welt, Tübingen (1947),
S. 175.

2) Der Gottesgedanke und der Zerfall der Moderne, Tübingen (1929).

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in P£

10. Hauptmann Philippe Uppens' Bericht

Von Otto

In Nr. 10 ihres 74. Jahrganges, 1949, hat die ThLZ auf
Sp. 595—597 „Neue Nachrichten über die im Frühjahr 1949
vorgenommene Untersuchung der Fundhöhle" bringen und
dabei mitteilen können, daß ein auf der Universität Louvain
ausgebildeter junger belgischer Offizier, Philippe Lippens,
an der Wiederentdeekung der Fundhöhle entscheidend beteiligt
gewesen sei, nebenbei auch auf einige Unstimmigkeiten
aufmerksam gemacht, die sich im übrigen in die Berichterstattung
über die Vorgänge bei der Wiederauffindung der
Höhle eingeschlichen haben. Inzwischen hat R. P. G. Lambert
, S. J., Professor an den Facultes S. J. St.-Albert de
Louvain, der schon vorher in der Nouvelle Revue Theolo-
gique mehrere sehr bedeutsame Beiträge zu dem Hand-
schriftenfund gebracht hatte, in der Revue Generale Beige,
No. 51, Janvier 1950 einen 20 Seiten starken aufschlußreichen
Aufsatz über „La grotte aux manuscrits du desert de Juda"
veröffentlicht und darin einen von Hauptmann Philippe Lippens
selbst verfaßten Bericht über seinen Anteil an der Wie-

lästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

iber die Wiederentdeekung der Fundhöhle

Eißfeldt

derentdeckung der Höhle abgedruckt, der ein klares Bild von
den ihm vorangegangenen Verhandlungen und von dem Identifizierungshergang
selbst gibt und zugleich auf die gegenwärtig
in Jerusalem und in Palästina einschließlich Transjordaniens
herrschenden Zustände ein überraschend helles Licht fallen
läßt. Da er zudem außerordentlich spannend geschrieben ist,
verdient er weiteste Verbreitung, und so werden mit dem Verf.
auch die Leser der ThLZ Hauptmann Philippe Lippens, R. P.
G. Lambert und Le comte Louis de Lichtervelde, Direc-
teur de la „Revue Generale Beige", dafür dankbar sein, daß
sie der ThLZ die Veröffentlichung einer deutschen Übersetzung
des Berichtes gestattet haben. Einer Erläuterung oder
eines Schlußwortes bedarf er nicht. Es genügt vielmehr die
Beigabe zweier Kartenskizzen, von denen die erste auf Grund
eines Ausschnittes aus Blatt 20 „Das heutige Palästina" in
Hermann Guthe, Bibelatlas, 2. Aufl. 1926, die zweite nach
Plate XVII D „Jerusalem today" in The Westminster Histori-
cal Atlas to the Bible, edited by G. E. Wright and Fl. V.