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Ausgabe:

1950 Nr. 3

Spalte:

137-146

Autor/Hrsg.:

Gloege, Gerhard

Titel/Untertitel:

Der Dämon und sein Bild 1950

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137 Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 3 138

Der Dämon und sein Bild

Kritik einer modernen Dämonologie

Von Gerhard Gloege, Jena

Das Buch, das uns der Berliner Religionsphilosoph Erwin
Reisner unter dem vielverhüllenden Titel1 in die Hand legt,
gehört zu den wenigen Werken der Nachkriegszeit, an denen
der heutige Mensch, der nach sich selbst fragt, nicht vorübergehen
kann. In gewissem Sinne stellt es einen Gradmesser dafür
dar, wie intensiv wir Heutigen zu denken, zu fragen, zu
widersprechen — kurzum: zu existieren vermögen. An der
Kraft oder Schwäche einer wie immer gearteten Resonanz
würde sich die innere Lebendigkeit oder Erschöpftheit unserer
Zeit bekunden.

Es liegt in der Eigenart des eigenwilligen Entwurfes beschlossen
, daß man ihm nur in begrenzter Weise gerecht werden
kann. Denn es handelt sich inhaltlich um ein Bekenntnisbuch
und formal um ein sich expressionistisch gebendes, ins
Große greifendes Apercu: um ein Zeugnis einer zwar gedämpften
, zuinnerst aber glühenden Subjektivität. Man wird
ihm daher nur in subjektiv bedingtem Gespräch, das Zustimmung
lind Widerspruch systematisch ordnet, begegnen
können. Und man wird darum ringen müssen, die Aussagen
(I), Fragen (II) und Aufgaben (III), die es andeutet,
in ein zunehmend klareres Bewußtsein zu erheben.

I. Aussagen

R. macht es diesmal seinem Leser nicht leicht, ihn in
seiner letzten Intention zu verstehen. Schwerlich findet die
naheliegende Frage: „Was will das Buch?" schon bei erster
Lektüre eine zureichende Antwort. Eine verwirrende Fülle
von Gesichten aus Vergangenheit und Ferne taucht auf, stellt
sich und verschwindet, um bei anderer Gelegenheit wiederzukehren
. Kulturen, Religionen, Philosophien ziehen in buntem
Wechsel vorbei. Zeiten: Antike und Moderne — Räume:
Indien, Ostasien, Mexiko — Horizonte: Zivilisation und
Primitivismus — Welt- und Selbstverständnisse: Buddhisten
und Stoiker — lösen einander ab, werden miteinander
konfrontiert, um nach Analogie oder Antithetik befragt zu
werden. Wir hören von Adam und Odipus, von Hexen und
Ketzern, von Heidentum und Satanismus, von Magie und
Technik, von Spiritismus und Okkultismus, von Erotik und
Psychoanalyse. Ein Kaleidoskop von Bildern und Blickpunkten
, das deswegen doppelt bedrückt, weil der Sinn des
Einzelnen sich zunächst keinem übergreifendem Zusammenhang
zu fügen scheint. R. verfährt zudem ganz und gar nicht
sensationell — obwohl gerade er es sich angesichts dieses
Materials „leisten" könnte — und ganz und gar nicht aufdringlich
. Er doziert nicht, „predigt" nicht, überredet nicht, ruft
nicht zur Entscheidung. Er zeigt Realitäten, die so seltsam,
so vielfältig, so bunt sind wie das Leben selbst. Nur das Aller-
nötigste wird gedeutet: der Leser muß selbst den Sinn finden.
Er muß selbst aus dem Indikativ den Imperativ des Notwendigen
heraushören. R. will ihm weder das Urteil abnehmen
noch die Entscheidung ersparen. Die Methode einer höchst
raffinierten, produktiven Sokratik!

Obwohl dies Buch keine eigentlichen „Kapitel" besitzt,
verrät die lockere Aneinanderreihung einzelner „Szenen" eine
verborgene Architektonik. Wir folgen daher zunächst dem
Gang der „Handlung" im Ablauf der ersten fünf „Szenen"
und lassen, um ihrer eigentümlichen Atmosphäre willen, den
Verf. selbst möglichst ausgiebig zu Worte kommen:

1. Szene: Die Unsichtbaren. Der normale Abendländer sieht keine
Dämonen, er kennt sie nicht aus der Erfahrung, sondern nur vom Hörensagen
(7), als museale Kuriositäten. Er meint die Dämonen überwunden, d.h. ihr Nichtvorhandensein
erkannt zu haben. Die „Heilung" wurde — bereits in der antiken
Aufklärung — erreicht „durch chirurgische Exstirpation des magischenOrgans".
..Mitdem klaren Licht von Hellas kam gleichzeitig die metaphysische Finsternis
über dieVelt"(8).,, Wir sehen die Dämonen nicht,weil wir uns selbst nicht sehen".
..Es ist, als ob zwischen die obere und untere Hälfte unseres Wesens eine Wand
eingeschoben wäre, die zwar nicht das Wirken von unten nach oben, wohl aber
die Erkenntnis von oben nach unten unmöglich macht" (9). Als ödipus
..das Rätsel der Sphinx gelöst und das Ungeheuer sich in den Abgrund gestürzt
hatte, meinte der Mensch, die Herrschaft der Dämonen gebrochen zu
haben". In der Antwort des Ödipus stellt sich das menschliche Bewußtsein
auf sich selbst. Bis dahin den Mächten verbunden, „stand ihnen nun der
Mensch gegenüber als der Andere, an dessen kristallklarem Geist der Ansturm
der Dämonen kraftlos abprallte" (10). Aber mit der Sphinx stürzte auch die
„Nachtseite" des ödipus hinab in den Abgrund. Der vermeintlich triumphie-

') Reisner, Erwin [Prof. Dr.]: Der Dämon und sein Bild. Berlin:

Suhrkamp 1947. 301 S. 8°. DM 13.—

rende Heros bleibt allein zurück. Der wachgewordene Geist „trägt nur noch
in sich selbst einen Sinn", während die Welt für ihn sinnlos geworden ist.
Er „erkennt weder Vater noch Mutter, den Vater erschlägt er, mit der Mutter
zeugt er in blutschänderischer Ehe zwei Söhne und zwei Töchter" (11). Wenn
er sich am Ende „mit eigener Hand die Augen aussticht, so legt er damit
eigentlich nur ein Bekenntnis zu seiner Blindheit ab, die schon damals bestanden
hat, als er, im Glauben ein Sehender zu sein, die Sphinx zu ihrem
Sprung in den Abgrund zwang. Der geblendete ödipus ist der Mensch, der
erkannt hat, daß er die Dämonen nicht sieht, nicht weil sie nicht mehr da
wären, sondern weil er mit seinen Organen ihrem Reich nicht mehr nahekommt
" (12). Die Dämonen, an sich immer die gleichen, zeigen sich in der
Frühzeit als Mächte mit Bewußtsein und Willen, in der Spätzeit als leblose
Kräfte, die nach den Gesetzen physikalischer Notwendigkeit wirken, d. h. sie
verhüllen sich hinter der Anonymität des Naturgeschehens (15). Dem Magier
dort entspricht der Techniker hier. Jener verfällt schließlich dem Teufel, dieser
den Naturgewalten, die er bändigen wollte. „Nur ein sehr naives Zeitalter
konnte wähnen, daß des Feuers Macht Segen bringt, solange es der Mensch bezähmt
und bewacht. Der Teufel Ist ein gewiegter Falschspieler, er läßt den
Partner zunächst einmal gewinnen, um ihn dann hinterher um so müheloser
ausplündern zu können. Mit dem Feuer, dem Element der Dämonen, läßt sich
kein dauerhafter Bund schließen. Die Errungenschaften der Technik, an denen
man sich oft übermütig freut, zeigen erst später, etwa in der Gestalt von
furchtbaren Kriegsmaschinen, ihr wahres, endgültiges Gesicht" (16). Der
Teufel gibt nichts umsonst. Er läßt sich den bescheidensten Anfangserfolg
sehr teuer bezahlen. Er will Seelen. Die Magier der Frühzeit warfen ihren
Dämonen Menschenopfer in den offenen Rachen. Aber die Dämonen des Abends
sind die allergefräßigsten. „Nur wissen die modernen Magier freilich nicht
mehr, daß sie es mit dem Teufel zu tun haben und sprechen darum auch nicht
von Menschenopfern, sondern von Betriebsunfällen" (17). Schon die Mächte
selbst aber und nicht erst die wesenlosen Kräfte „verdanken ihre Existenz
einer Art Selbstblendung des Menschen für Gott; denn sie sind ursprünglich
gar nichts weiter als die verkehrte und verzerrte, im Vexierspiegel der
menschlichen Selbstherrlichkeit gebrochene Macht Gottes" (18). Zu den
grandiosesten Selbsttäuschungen gehört die „scheinbare Überwindung des
Teufels- und Hexenglaubens durch die Aufklärung im 18. Jahrhundert". Die
aufklärerische Verengerung des Gesichtsfeldes kann nur der Christ überwinden
. Er ruft als der echte Exorzist den Namen Gottes an. „Christus
hat Gewalt über alle Dämonen, weil er in ständiger Anrufung des Gottesnamens
lebt" (20 f.). — Hat der autonome Mensch in Gott sein eigentliches
Gegenüber verloren und findet er sich in der unendlichen Leere der Welt vor,
so gebiert „die Angst vor dem bodenlosen Nichts, vor dem leeren Rätselblick
der Dämonen" das Bild: ein neues wirkliches Gegenüber. „Der Bild gewordene
Dämon aber stellt mich nicht nur in Frage, sondern bestreitet mir
radikal mein Daseinsrecht. Er hebt mich auf und bleibt allein auf dem Plan.
Wie also das Menschenbild um sich herum das leere Nichts schafft, so wird vor
dem Dämonenbild umgekehrt der Mensch zum Nichts" (23). „Auch wir bilden
ständig als Gegenbilder zu unseren eigenen Bildern die Teufel ab, allerdings
ohne zu wissen, daß es Teufelsbilder sind, die wir da schaffen in unseren rationalwissenschaftlichen
Systemen oder in unseren Maschinen. Die Maschine verdankt
ihr Dasein dem gleichen Urtrieb wie das Dämonenbild irgendeines
,Primitiven', sie ist der Fetisch des weißen Mannes. Hier wie dort sollen an sich
feindliche Naturmächte in den Dienst des Herrn der Schöpfung gezwungen,
aus gefährlichen Gegnern ,zu Fronsklaven gemacht werden. In der Frühzeit
baute man nicht nur den uranischen, sondern auch den chthonischen Gottheiten
Bilder und Altäre, und heute haben wir neben der Kunst die Wissenschaft
und die Technik, neben dem Museum, dem Theater und dem Konzertsaal
die Fabrik. In jenen ist der Mensch bei sich selbst zu Hause, in dieser
bekämpft und bändigt er die ihm fremden Gewalten. Die Fabrik ist der
moderne Tempel des chthonischen Gottes, der als Maschine abgebildet und
unter ihrer Gestalt verehrt wird". Aber: „Im Notfall betet der Mensch auch
dieMaschine als seinen Gott an, und an dieser apokalyptischen Grenze desMög-
lichen artet die Idolatrie in Wahnsinn aus" (24 f.).

2. Szene: Wille und Trieb. Die Frage nach dem Dämon und seinem
Bild bedarf unfraglich der anthropologischen Interpretation. R. versucht
sie durch die Dialektik vom „Wille undTrieb"'zu verdeutlichen. Gott hat
den Menschen „als freies Wesen geschaffen". Dieser fundamentale Satz enthält
einen Widerspruch. „Als Geschöpf bin ich nichts weiter als „Natur', d. h. eine
Wirklichkeit, in der nicht meine eigene Kraft, sondern ausschließlich die des
Schöpfers wirkt. Als freies Wesen hingegen bin ich Person, trage ich das Gesetz
meines Seins und Wirkens in mir selbst." „Aus dem ursprünglichen unentschiedenen
Nebeneinander von teilweiser Freiheit und teilweiser Unfreiheit
wird der Gegensatz von Wille und Trieb." „Bewußtsein, Wille, Person, Leben,
das alles hat seinen Ursprung in dem Geist, den Gott dem ersten Menschen
eingehaucht hatte; Unbewußtheit, Trieb, Natur und Tod aber sind die Merkmale
des ungeformten Stoffes, der Materie" (35). Wie dem Geist das Oben,
so entspricht dem Ungeist das Unten. Der Trieb selbst aber „ist zuletzt nichts
anderes als der degenerierte Wille in seiner Eigentlichkeit. Wille, der nicht
Gott will, verkehrt sich in Trieb und vermag auch den Willen Gottes nur noch
als Trieb, d. h. als blinde unpersönliche Naturmacht zu verstehen" (36). Die