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Ausgabe:

1950 Nr. 2

Spalte:

109-110

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Märtens, Ilse

Titel/Untertitel:

Shakespeare und die christliche Botschaft 1950

Rezensent:

Knevels, Wilhelm

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109

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 2

110

Verständnis findet für Kant, besonders für dessen „Kritik der
Urteilkraft". In seiner Zurückhaltung gegenüber aller bloßen
Spekulation setzt er sich deutlich von Fichte ab, kommt Schel-
ling näher und der Identität, d. h. der differenzierten Einheit
von Realem und Idealem bei Hegel. — Nach diesen Feststellungen
schildert Verf. in einem Schlul3abschnitt noch
Goethes Kritik an der damaligen idealistischen Philosophie
von der eigenen Fassung seines Begriffs der Wahrheit her.
Letztlich gilt eben f ürGoethes Philosophie, was m.M.n. auch sein
persönliches Fromm-Sein bekundet: in seiner schöpferischen
Wesensart findet Goethe seine eigene kritische und fruchtbare
Stellungnahme von seiner dynamisch-ganzheitlicheu
Weltansicht her.

Der Vortrag G.s ist eine gute, einführende Orientierung.

Jena Herbert Preisker

Martens, Ilse: Shakespeare und die christliche Botschaft. Lüneburg:

Heliand-Verlag [1947]. 56 S. 8°. Kart. DM 2.—.

Der umfangreichste und wertvollste Teil dieses Büchleins
ist die Darstellung und Deutung des Shakespeareschen ,,Macbeth
" aus christlicher Schau. Dabei trägt I.M. jedoch diechrist-
liche Botschaft mehr an das Drama heran oder in es ein, als
daß sie sie aus ihm herausentwickelte oder nachzuweisen vermöchte
, daß es von ihr getragen sei. Die Auffassung von Sünde
und Sühne, Verbrechen und Strafe, Bosheit und Vergeltung,
von der Verführung zum Bösen und von der Stimme des Gewissens
entstammt wohl der christlichen Ethik — oder dem
alttestamentlichen Gesetz, und die Anschauung vom Menschen
als einem Schauplatz der Kämpfe zwischen himmlischen und
höllischen Mächten ist wohl tief christlich gegründet. Aber von
der zentralen christlichen Botschaft, vom Evangelium und dem
Evangeliumsverständnis Luthers, von dem Glauben an die
Gnaden-Allmacht Gottes, von Erlösung und Versöhnung, von
der Beziehung zu Christus ist „Macbeth" nicht im mindesten
getragen und erfüllt. Die das Ganze beherrschende Lehre „Die
Sünde ist der Leute Verderben", die Darstellung des Immer-
tiefer-Hineingetragenwerdens in die Sünde und der Selbstver-
nichtung des Bösen ist nicht die christliche Botschaft. In dem
Leben von Macbeth und in seinem Tode („in tapferer Verzweiflung
fechtend") gibt es keine Erlösung; Banquo, Duncan
und Lady Macduffe sind gleich den anderen guten Königs- und
Frauengestalteu in Shakespeares Dramen edle, tapfere, gütige,
„adelige" Menschen, aber keineswegs, wie I. M. meint, Verkörperungen
der göttlichen Gnade; der Bericht von der Reue
des Than von Cawdor und die christlichen Worte des alten
Mannes zu Lord Rosse stehen ganz am Rande und sind in
dem Ganzen des Dramas bestimmt weniger wichtig als die
Totenklage Macbeths um seine Frau, in der man, m. E. auch
zu Unrecht, den Ausdruck einer diesseitigen Weltanschauung
Shakespeares selbst gesehen hat.

In dem vorangehenden Teil ihrer Untersuchung versucht
I. M. festzustellen, „daß die wesentliche Eigenschaft der
Shakespeareschen Dramatik darin besteht, daß sie die schlechthin
gültige künstlerische Verdichtung ist der christlichen Botschaft
von Sünde und Gericht, aber auch von Gnade und Versöhnung
" (S. 9), bleibt aber den Beweis dafür schuldig. Sie
sieht selbst, daß die Erlösungs- und Versöhnungsmacht in
Shakespeares Dramen nur wie am Rande auftaucht und die
eigentliche Christusbotschaft nicht erldingt. Sie meint aber,
daß Shakespeare die christliche Welt so in Fleisch und Blut
hineingewachsen, so selbstverständlich Atem seines Lebens
und Wirkens sei wie allen Menschen früherer Jahrhunderte
und seine Dramen also vom Christlichen her zu verstehen
seien. Wir dagegen finden, daß Shakespeare, ähnlich wie einst
Dante, und mehr als dieser, im Herauswachsen aus der
christlichen Glaubenswelt und in der Entwicklung zur „Moderne
" begriffen war, so daß das (seltene) Vorkommen spezifisch
christlicher Vorstellungen und Gedanken bei ihm gerade
kein entscheidendes Gewicht hat und wir eher darauf achten
müssen, inwiefern zentral christliche Stellen bei Shakespeare
entweder als traditionell und daher belanglos zu betrachten
sind oder bereits mit einem anderen Inhalt als dem christlichen
gefüllt sind. Seine Anschauung von Sünde und Schuld zeigt
jedoch, daß er an einem wesentlichen Punkt nicht zur Renaissance
, zum Humanismus und zur „Moderne" übergegangen ist.

Die Auseinandersetzung „mit einer neu heraufkommenden
Shakespeare-Renaissance", die „ihren Ursprung in grober oder
subliinierter Konjunktur haben" möchte, „in existentiellem
Ernst" (S. 7) im Rahmen der Erfüllung der deutschen Aufgabe
für Europa, „in diese existentielle Sachlichkeit heimgeholt
und in diese Ulusionslosigkeit gebunden" (S. 6), wie es
die Einleitung in geschwollenem und sprachlich gräßlichem
neu-theologischen Stil ankündigt, ist durch Ilse Martens nicht
gegeben. Die Worte ihres Themas „umschließen" nicht, wie
sie meint, „eine gültig vollzogene und geschehene Synthese"
(S. 8.), Shakespeares Verkündigung fällt mit der christlichen
Botschaft nicht zusammen, „Shakespeare hören und verstehen
" heißt nicht: „die christliche Botschaft hören" (S. 56).
Und die „existentielle", weltanschauliche Aufgabe der Christen
in der „Shakespeare-Renaissance" kann nur die sein, die religiös
-ethische Verkündigung aus den Dramen Shakespeares
herauszuhören, zu deuten und mit der christlichen Botschaft,
wie sie uns heute hörbar wird, zu vergleichen. Diese Aufgabe
ist noch nicht ernstlich in Angriff genommen, und es ist in
dieser Hinsicht berechtigt, daß Ilse Martens keinerlei Literatur
angibt. Bevor hier gründliche, umfassende Untersuchungen
angestellt sind, sollten populäre Veröffentlichungen und Ausführungen
über „Shakespeare als Christ" u. dgl. unterbleiben.

Berlin Wilhelm Knevels

BERICHTE UND MITTEILUNGEN

Eine offizielle Stellungnahme der russischen orthodoxen
Kirche zur ökumenischen Bewegung

In der „Monatsschrift des Moskauer Patriarchats" Nr. 5, 1949, veröffentlicht
Protohieros O. Rasumowskij einen umfangreichen, 24 Seiten langen
Artikel über die Frage: „Amsterdam und die Orthodoxie". Dieser Artikel soll
— nach den Worten des Verfassers — als offizielle Stellungnahme der russischorthodoxen
Kirche zur ökumenischen Frage gewertet werden. „Keine der
orthodoxen autokephalen Kirchen, die früher an der ökumenischen Arbeit beteiligt
waren, haben offiziell ihre prinzipiellen Ansichten über die Ökumene
zum Ausdruck gebracht. Die Arbeiten einzelner Männer der Kirche oder
wissenschaftlicher Mitarbeiter dieser oder jener Kirche können lediglich als der
Ausdruck ihrer persönlichen Meinung und als ihr persönliches Echo angesehen
werden. Sowohl im Referat über das Moskauer Konzil als auch in
diesem Aufsatz geht es darum, die Ansichten über die ökumenische Bewegung
vom Standpunkt der russisch-orthodoxes Kirche darzustellen" (S. 64).

Gleich zu Anfang fällt der Verf. ein summarisches Urteil über Amsterdam
und die ganzen ökumenischen Bestrebungen. Er schreibt: „Mit nichts läßt
sich die Bitterkeit vergleichen, die man empfindet, wenn man feststellen muß,
w'e die Ideale entehrt werden. Wie erhaben ist die Idee der Einigkeit der
Christen! Es schien beinah so, daß man sich schon in Edinburgh 1937 darüber
einigen würde, mit der Verwirklichung der Einigung wenigstens einen Anfang zu
machen. Aber nein! Den Strategen der Ökumene geht es ja nicht um die
wirkliche und wahre Einigkeit der Christen im Sohne Gottes". Der Beschluß,
einen „Welt-Kirchen-Rat" zu bilden, weil eine wahre Einigung der Kirchen
vorläufig unmöglich sei, sei nur ein Manöver: „Ein Surrogat der christlichen
Einigkeit ist nun erfunden worden, und über der Idee der wahren Einigkeit
■n Christus hat Amsterdam ein Grabdenkmal gesetzt!"

Die ökumenische Bewegung im gegenwärtigen Stadium habe den ideologischen
Weg, auf dem allein die wahre — geistliche und religiöse — Einigung
der Christen erzielt werden könne, aufgegeben. Diese Frage sei im gegenwärtigen
Stand der Dinge nicht mehr aktuell und stehe daher nicht mehr zur
Debatte: „Das ist das traurige Ende der Illusionen. Die Männer der Kirche
verraten die wahre .Kirche' und sind bereit ihre Herde anzuleiten, nicht mehr
das Reich Gottes zu suchen, sondern dreist das vorwegzunehmen, was dem
Reiche Gottes zufallen soll". Die Männer der Kirche, denen es nur um eine
Scheineinigkeit zu tun sei, versuchten diese eingebildete Einigkeit in Gotteshäusern
und an öffentlichen Plätzen in Massenkundgebungen zu manifestieren.
„Wenn die Einigkeit faktisch fehlt, dann muß man sie ausdenken, dann muß
man ein Organ der Einigkeit mechanisch organisieren und so tun und handeln,
als ob alle in einem Werke einig wären, als ob alle ein gemeinsames Ziel haben
und gemeinsam einem Herrn dienen." Die von der Ökumene veranstalteten
Manifestationen, die man ökumenische Gottesdienste zu nennen pflegte, seien
nur ein Spiel mit dem Gottesdienst, ein Betrug. Diesen Weltbetrug habe man
besonders offenkundig in Oslo 1947 während der Jugendkonferenz betrieben;
denn hier sollte in Form einer Generalprobe das Amsterdamer Programm
durchexerziert werden. Aber — so fährt der Verf. fort — die Jugend, dank
ihrer kindlichen Intuition, der Reinheit ihres Herzens, habe sich von diesem
Betrug nicht täuschen lassen. Ihre religiöse Aufmerksamkeit wäre dem Versuch
der Hypnose nicht erlegen: „Oslo — ökumenisch, international und
christlich — erschien als ein leuchtender Tempel, als der Höhepunkt der chris:-
lichen Einigung. Aber hier wurde die Jugend außerordentlich enttäuscht . . .
Die Jugend erfuhr gerade in Oslo über die bestehende Uneinigkeit zwischen
den Kirchen. Die gemeinsame Abendmahlsfeier im Anschluß an den lutht-
rischen Gottesdienst wurde abgelehnt. .. Der Separatismus trat — wider alle
Erwartungen der Organisatoren — gerade dort zutage, wo die Lösung der
Widersprüche erfolgen sollte"!