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Ausgabe:

1950 Nr. 2

Spalte:

105-106

Kategorie:

Katholische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hengstenberg, Hans-Eduard

Titel/Untertitel:

Der Mensch auf dem Wege 1950

Rezensent:

Gloede, Günter

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105

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 2

106

Stauffer in seiner „Theologie des NT" geboten werden, geht der Verf. zu der
ihm eigentlich erfüllenden Aufgabe einer Konfrontation reformatorischer und
tridentinischer Auffassung von „Neuschöpfung" und „Gnadenstand" des
Menschen über.

Es geht um die große Alternative: wie und ist überhaupt im „neuen
Menschen" eine Seins-Veränderung vor sich gegangen? Dadurch, daß Verf.
sich an die im Tridentinum festgelegte Diktion und Teilantworten hält, also
von dem „habitus infusus" als „Formalursache" spricht und diesen wiederum
als „hyperphysisch" dazugekommen annimmt, wird er der reformatorischen
Sicht der neuschaffenden Gnade Gottes doch wohl nicht voll gerecht. Es gehe
hier bei Luther und Calvin „nicht" „um eine Tilgung der Sünden" (S. 11);
die „Schuld" sei „bloß fiktiv", „bloß durch Übersehen oder Nichtanrechnen"
nicht mehr, während dem katholischen Menschen an einer „Mitteilung übernatürlicher
Fähigkeiten, die zu dem physischen Sein hinzukommen", gelegen
sei. „Die gratia habitualis", in vulgär-katholischer Sprache: „die heiligmachende
Gnade" bestimme den „Gnadenstand". Die „Nominalisten" als
die „philosophischen Väter der Reformatoren" hätten zwar „all diese spekulativen
Gründe für die seinshafte Erhöhung des Begnadigten als nicht beweiskräftig
abgelehnt". „Die Reformatoren gingen dann noch einen Schritt
weiter" und leugneten auch die seinsmäßige Erhöhung selbst und verlegten
die Begnadigung allein in das Wohlwollen Gottes gegenüber dem Begnadigten
. . ."

Sollte nun nicht die Befragung der Heiligen Schrift in dieser Kontroverse
der Konfessionen ausschlaggebend sein? Bei aller zuvor gezeigten Bereitwilligkeit
, einzeine Momente der protestantischen Bibelforschung aufzunehmen
(so das „dynamische" Element gegenüber einer zu sehr „statischen"
Anschammng vom Gnadenstand (S. 16), also mehr von „Gerichtetheiten" auf
göttliche Ziele der „pneumatischen" Existenz des Menschen zu denken), so
ist man doch einigermaßen erstaunt, gegen Schluß der Vorlesung zu hören,
mit welcher Begründung der Tradition zu ihrem Recht neben, ja eigentlich
über der nachgerade doch ein bißchen veralteten Heiligen Schrift gegeben
wird: Es sei doch erwiesen, daß Kontroversen der Konfessionen „meist durch
Fragestellungen entstehen, die eben dem Neuen Testament noch nicht bekannt
waren, die sich aus der Entwicklung des menschlichen Geisteslebens ergeben
und genau so wenig ignoriert werden können, wie man heute etwa nicht
die entwickelte Technik in der Ordnung des Wirtschaftslebens übergehen

könnte I"

Auch abgesehen von einer durch ein Hintertürchen gegen
Ende noch kurz vorgestellten „Berechtigung der Ratio theo-
logica und dessen, was oben hieß, die Autorität der Kirche
und der Heiligen", dürfte somit die Unschädlichkeit der Benutzung
des Kitteischen Wörterbuches zum NT für gute Katholiken
erwiesen sein. Eine versachlichte — „habituelle" —
Gnade befindet sich weiter in guten Händen einer sie ehrlich
verwaltenden Priesterkirchc, während der evangelische Christ
auf Gottes Alleinwirksamkeit und dessen — aktuelle —
Gnade angewiesen sein und bleiben wird.

Neubukow Günter Gloede

Hengstenberg, Hans Eduard, Dr.: Der Mensch auf dem Wege. Betrachtungen
über Sterblichkeit und Unsterblichkeit des Menschen. Münster:
Aschendorff 1947. 63 S. 8°. Kart. DM 1.50.

In dem schmalen Bande wird mit großer Dichte und katholisch
-scholastischer Begrifflichkeit gedankliches Bemühen verwandt
auf Fragen nach der Idee menschlicher Existenz und
ihre notwendige oder wie geartete Verbindung mit dem Tode.
Wenn auch Verf. auf einen Briefwechsel im Kriege (Frankreich
1943) hinsichtlich der Entstellung dieser Schrift verweist, so
ist sie doch Typ eines völlig überzeitlichen (metatemporalen —
könnte der Verf. sagen!) Spekulierens, dessen Sauberkeit und
Ausforniung Respekt abfordert. Die Schrift fußt auf einigen
größeren Studien, die im Jahrzehnt zuvor vom Verf. herauskamen
, zumeist dem Todes-Problem gewidmet: „Christliche
Askese" 1936, „Einsamkeit und Tod" 1938, „Das Band zwischen
Gott und Schöpfung" 1940 und: „Tod und Vollendung".

Es wird nicht nach biblischen Erkenntnissen gestrebt, es
wird auch nicht aus rationaler Erfahrung gestaltet, sondern es
wird mit den in scholastischer Begrifflichkeit gegebenen Denkergebnissen
sofort weiter konstruiert; es ist ein Gespräcli
zwischen Eingeweihten. Es geht darum, ob der Tod in der
Idee des Menschen (der zudem von der „Integrität" noch
„transphysikalisch" separiert gehalten wird) angelegt oder als
nicht in ihr enthalten denknotwendig erscheine.

Die „Kontingenz" scheidet als zureichender Grund der
Todesverfallenheit des Menschen aus. „Eine einfache Probe
aufs Exempel: die reinen Geister sind auch koutingent, sterben
aber bekanntlich nicht!" (S. 10). Die Struktur des Menschen
als „Kompositum" von „Leib und Seele" führt zu sehr schönen
Begriffsbestimmungen über die „Und-Verbin düngen" einerseits
, wie die Struktur-Einheiten andererseits, deren auf Ganzheit
angelegte Geistdurchformung zur „Konstitution" über zufällige
, heterogen bestimmte „Komposition" weiterführe
(S. 17). Ob allerdings die Reinheit der Idee, die in einem Prozeß
sich mehr und mehr durchsetzender geistiger Uberformung
und des Einbeziehens „gegenwärtiger" Aufgaben — durch
einen sozusagen autonomen Mikro-Kosmos — einen „Garant"
für eine Unsterblichkeit des Menschen aus solcher Natur heraus
bildet, muß zweifelhaft bleiben!

Verf. argumentiert: „Wo aber nichts eintreten kann, was
gegen das Sinngesetz des eigenen Existierens streitet, da muß
Unzerstörbarkeit = Unsterblichkeit bestehen" (S. 19). Es ist
das Ganze wohl nicht mehr als „das Gedaukenexperimeut
einer reinen Naturordnung" (S. 25 unten) und es bleibt ebenfalls
zweifelhaft, ob der Mensch es auch „nur nach verdienstlichem
Mühen erreicht". Der Rekurs auf die „Wesens-Idee",
die „ja nicht aufhört" (S. 28), ist eben von der Realität zu sehr
abstrahiert, als daß er uns noch beweiskräftig erscheinen kann.
Und Verf. bekennt selbst: „Es handelt sich ja hier nicht um
die Ist-Erscheinung, sondern um das Ziel des Existenz-Entwurfes
, das letzte Seins-Soll (von der Schöpfungs-Idee her gesehen
)" (S. 34). Dazu werden aber Denkprämissen eingeschaltet
und benötigt, die im biblischen Schöpfungsglauben nicht
enthalten sind. Z. B.:S. 8: „Denn es ist em Grundgesetz, daß
die Übernatur nichts beseitigen kann und darf, was der Natur
wesensgemäß zugehört . . .", oder: S. 16: „Der Beweger und
Garant für diesen Weg der Vollendung ist der Geist . . .",
oder: S. 34: „Wenn der menschliche Geist von Natur unsterblich
ist . . . Die biblischen Einwände brauchen wohl nicht aufgeführt
zu werden zu diesen Sätzen; das Ganze führt auf die
in sich existenzfähige autonome, alles bewältigende und sich
assimilierende — und somit unsterbliche — Monade (cf. Anm. 5
S- 59)-

Dieser ontologische Versuch des Gesprächs mit Existenzphilosophie
und Atom-Physik enthält manch funkelnde Wahrheit
, manch treffendes Gleichnis. „Wir müssen uns vor einer
Herabwertung der Materie, einer alteingefahrenen, verkappt
gnostischen Denktendenz unseres abendländischen Denkens
hüten" (S. 39). Erst zum Schluß klingen auch biblische Grundtöne
an: „Das Sterben ist der große Ordnungsruf Gottes. Der
Mensch antwortet im Tode mit der Totalhingabe alles Seins
an den Vater" (S. 50). Viel Schönes ist in Anm. 9 zusammengetragen
und in Anm. 10 christlich begründet. Das Novum der
Gnade ist voll anerkannt (S. 47: „Gnade ist kein Lückenbüßer
für das, was der Natur fehlt"), auch keine eigentliche spezielle
„natürliche Theologie" gegeben (Anm. 6, S. 60: „Wir leugnen
strikt, daß es überhaupt solche subjektive Potenz in der Seinswelt
gibt . . .", cf. S. 42), aber in Summa sind hier in Askese
gereinigte, weit ausholende Abstraktionen eines mönchischen
Gedanken-Ornamentikers vor uns aufgebaut. Wieviel wirk-
lichkeitsgesättigter nimmt sich dagegen schon der vorreforma-
torische Erstling eines Calvin über „Seelenschlaf" aus!

Neubukow Günter Gloede

Guardini, Romano: Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und

Politik. Eine theologisch-politische Besinnung. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt
11946]. 48 S. 8°= Der Deutschenspiegel. Schriften zur Erkenntnis
und Erneuerung Bd. 7. Kart. DM 1.80.

Der Verf. geht den Zusammenhängen zwischen den
Mythen des Altertums, dem Christentum und den modernen
politischen Ideologien nach. Die Arbeit gliedert sich demnach
in drei Hauptteile und legt den Akzent auf die soteriologische
Problematik. Der Mythos vom Heilbringer ist Ausdruck des
Natur-Rhythmus, „dieses immer neu sich vollziehenden
Durchganges des einen Lebens, der einen Natur durch Geburt,
Blühen, Fruchttrageu und Welken, Gefahr und Rettung, Entbehrung
und Reichtum", also eines ewigen Kreislaufes, dessen
letzte Sinnlosigkeit das Persönliche mit seinen Werten nicht
aufkommen läßt. Auf die Frage: Wer ist aber nun Christus
im Verhältnis zu den mythischen Erlösergestalten ? antwortet
Guardini: „ Jener, der gerade von dem erlöst, was sich in den
Heilbringern ausdrückt. Er befreit den Menschen aus der Unentrinnbarkeit
des Wechsels von Leben und Tod, von Licht
und Finsternis, von Aufstieg und Niedersinken". Er setzt an
die Stelle der trostlosen Eintönigkeit ständiger Wiederholungen
des Gleichen die einmalige Heilsgeschichte. Wenn
aber der abendländische Mensch, der von Gott zum Träger
dieser Heilsgeschichte ausersehen wurde, von Christus abfällt,
dann sinkt er abermals in einen Mythos zurück, dem aber nun
die immerhin verheißungsvolle Unmittelbarkeit, sowie die
metaphysische Ehrlichkeit des ursprünglichen Mythos fehlt.
Er dichtet seinen Mythos in die Politik hinein und setzt zufälligen
Menschen die Krone des Welterlösers auf. So weit das
auf so wenigen Seiten überhaupt möglich ist, hat Guardini
diese Beziehungen in klarer und leicht faßlicher Form dargestellt
. Den protestantischen Leser wird freilich die allzu enge
Verknüpfung*von antikem Heidentum und Christentum etwas
befremden, ebenso die geschichtsimmanente Ausdeutung des