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Ausgabe:

1950 Nr. 2

Spalte:

104-105

Kategorie:

Katholische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kolping, Adolf

Titel/Untertitel:

Neuschöpfung und Gnadenstand 1950

Rezensent:

Gloede, Günter

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 2

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auf mein religiöses Leben und Erleben sowie durch jahrelange
Beschäftigung mit der augustinischen Ideenwelt und Geistesrichtung
. Schelers Werk war für mich weithin eine Bestätigung
und Festigung meiner Anschauungen, nicht ihre Fundgrube,
wie Fries anzunehmen scheint.) Zur Stützung seiner These
zieht Fries eine Reüie von Autoren heran, die überhaupt nicht
dahin gehören. O. Gründler ist Protestant, O. Bauhofor hat
sein Werk „Das Metareligiöse", in dem jede Religionsphilo-
sophie abgelehnt wird, ebenfalls als Protestant geschrieben.
(Der Verf. weiß das übrigens sehr wohl, unterläßt es aber,
daraus die Konsequenzen zu ziehen.) B. Roseumöller, der dreimal
behandelt wird, ist weniger von Scheler als vom Augustinismus
(Bonaventura) bestimmt; zudem ist seine kleine „Reli-
gionsphilosophie" keine Religionsphilosophie im strengen
Sinne, was er durch Änderung des Titels in der Neuauflage
(„Metaphysik der Seele") selber zugibt. Bei Wust, Guardini
und Rahner S. J. von einer „Weiterbildung der religionsphilosophischen
Ideen Schelers" zu sprechen, dürfte doch wo hl abwegig
sein. Noch unverständlicher ist es, wie der Verf. in dem
Teil, der überschrieben ist: „Die Weiterbildung der religionsphilosophischen
Gedanken Max Schelers in der katholischen
Religionsphilosophie" auch die in einem völlig gegensätzlichen
Verhältnis zu Scheler stehenden katholischen Religionsphilo-
sophen (Wunderle, Straubinger, Steffes) behandeln kann. Hier
ist auch in formal-logischer Hinsicht seine Arbeit nicht in
Ordnung.

Ein Drittel dieser Arbeit ist der Darstellung Schelers gewidmet
. Sie beginnt mit einem fast überschwänglichen Lobpreis
. Auf die Darstellung folgt eine kritische Würdigung.
Sic bedeutet für den sachkundigen Leser keine geringe Überraschung
. War Scheler vorher als „Entdecker des religiösen
Phänomens" gefeiert worden, so werden sehie Ideen jetzt
einer Kritik unterzogen, die im wesentlichen auf eine Destruktion
hinausläuft. Gerade die neuen und grundlegenden Erkenntnisse
Schelers, die eine Uberwindung der sich in den
Bahnen der Scholastik bewegenden Wert- und Religionsphilosophie
bedeuten, werden vom Verf. abgelehnt. Es sind das vor
allem folgende:

1. Gegenüber der scholastischen Konfundierung von Wert
und Sein setzt Scheler in Übereinstimmung mit der gesamten
modernen Wertphilosophie diejiWertsphäre von der Seinssphäre
deutlich ab. Die Wertordnung ist eine Ordnung sui
generis. Wie es deshalb'unmöglich ist, aus dem'Sein sittliche
Werte und Normen herzuleiten, wie es die neuscholastische
Ethik tut, so geht es auch nicht an, die Gottesidee durch eine
bloße Seinsbetrachtung auf dem Wege metaphysischer Spekulationen
gewinnen bzw. sicherstellen zu wollen.

2. Wie das Gute, so kommt^auch das Göttliche dem Menschen
in bestimmten Akten des Geistes zur Gegebenheit. Die
sittliche Werterfahrung hat ihr Gegenstück in der religiösen.
Damit statuiert Scheler einen zweiten fundamentalen Gegensatz
zur Scholastik, insbesondere zu Thomas v. Aquin, der in
der Nachfolge des Stagiriten die Gotteserkenutnis ganz und
gar intellektualistisch deutet, mdem er üir eine rational-diskursive
und kausale Struktur zuschreibt: die Gotteserkenntnis
ist ein Akt des schlußfolgernden Denkens, das aus dem
Dasein und Sosein der Welt die Existenz Gottes herleitet. Mit
Recht sieht Scheler darin eine totale Verkennung des religiösen
Erkennens.

3. Weil es ein spezifisch religiöses Erkennen, eine religiöse
Erfahrung gibt, in der Gott unmittelbar erfaßt wird, begründet
die Religion sich selber. Für den Erweis ihrer Wahrheit ist
sie nicht auf die Philosophie angewiesen; sie trägt ihn in sich
selbst. Und zwar liegt er in der Eigenevidenz des religiösenJBe-
wußtseins. „Kann denn, so fragt Scheler, die Religion — auch
subjektiv die wurzeltiefste aller Anlagen und Potenzen des
menschlichen Geistes — auf einer festeren Basis stehen als —
auf sich selbst, auf ihrem Wesen ? . . . Wie sonderbar ist
doch das Mißtrauen in die Eigenmacht, die Eigenevidenz des
religiösen Bewußtseins, das sich darin bekundet, daß seine
ersten und evidentesten Aussagen auf etwas anderes .gestellt'
werden sollen als auf den Wesensgehalt der Gegenstände eben
dieses Bewußtseins selbst ? Soll das Fundamentalste auf ein
weniger Fundamentales gestellt werden ?'' (Vom Ewigen im
Menschen, Leipzig 1921, S. 582.)

4. Die Selbstbegründung der Religion schließt nach Scheler
eine Fremdbegründung im strengen Sinne, d. h. eine Begründung
mittels rationaler Demonstrationen wesensmäßig
aus. Eine Betrachtung der augeblich streng rationalen Gottcs-
beweise zeigt ihm, daß sie die Religion, die sie begründen
wollen, in Wirklichkeit schon voraussetzen, insofern sie zutiefst
aus einer religiösen Einstellung zur Welt geboren sind.
Sie müssen daher ihren Anspruch, die Wahrheit der Religion
zu beweisen, aufgeben und sich mit der bescheideneren Funktion
einer nachträglichen Rechtfertigung und Bestätigung
dieser Wahrheit begnügen.

5. Aus dem zuletzt Gesagten ergibt sich, daß die Religion
von der Philosophie prinzipiell unabhängig, ihr gegenüber selbständig
ist. Jede Verquickung der beiden Größen muß daher
nach Scheler abgelehnt werden. Insbesondere ist auch das
scholastische „partielle Identitätssystem" abzulehnen, nach
welchem Religion und Philosophie sich teilweise decken, insofern
es religiöse Wahrheiten (über Gottes Dasein und Wesen)
gibt, die sich mit philosophischen Mitteln sicherstellen lassen,
wie es die theologia naturalis versucht.

Alle diese fundamentalen Erkenntnisse Schelers werden
vom Verf. abgelehnt. Diese Ablehnung ist freilich manchmal
etwas verklausuliert. Daß er sie aber prinzipiell ablehnt, beweist
er dadurch, daß er sich grundsätzlich auf den Boden der
traditionellen Gottesbeweise und damit auf den Standpunkt
der von Scheler am leidenschaftlichsten bekämpften Verhältnisbestimmung
von Religion und Philosophie stellt. Die
Grundposition der Schelerschen Religionsphilosophie ist damit
verlassen, und es ist schwer verständlich, wie der Verf.
seine Kritik an Scheler ausklingen lassen kann in dem Satz:
„Es verbleibt bei dem zu Beginn der Kritik schon ausgesprochenen
Urteil: des Positiven, Unvergänglichen, Wahren
an Schelers Religionsphilosophie ist es ungleich mehr als des
Negativen, Vergänglichen, Falschen". Nein, wenn Verf. mit
seiner Kritik recht hat, dann hat Scheler in allen entscheidenden
Punkten unrecht, und dann sind seine „genialen Ideen"
in Wirklichkeit nichts als grandes passus extra viam.

Wie wenig empfänglich der Verf. für die neue Sicht des
religiösen Phänomens, die neue Schau der religiösen Wertwelt
ist, wie sehr er hier noch im Banne der Scholastik stellt, zeigt
auch seine Würdigung meines Buches „Die Werte des Heiligen
" (1938). Ich gehe darauf nicht näher ein, weil ich hoffe,
daß der Verf. nach dem Studium meiner inzwischen erschienenen
, oben bereits erwähnten zweibändigen „Religionsphilosophie
" (1948) selber einsehen wird, wie töricht sein Versuch
ist, meine Verhältnisbestimmung von Sein und Wert, meine
Auffassung von Autonomie und Theonomie sowie meine Stellung
zu den Gottesbeweisen als widerspruchsvoll zu erweisen.
Es zeigt sich hier (wie auch bei der Kritik an den religionsphilosophischen
Ideen von Aloys Müller) das typische Unvermögen
eines traditionsgebundenen Denkens, neue, von der
scholastischen Tradition abweichende Ideen richtig zu erfassen
und vor allem gerecht zu würdigen.

Köln Johannes Hessen

Kolping, Adolf, Dozent: Neuschöpfung und Gnadenstand. Bonn:

Schwippert 1946. 29 S. 8°.

Diese fein ziselierte und mit dem Imprimatur des Kölner
Bistums versehene Antritts-Vorlesung des Dozenten für Dog-
matik an der Bonner katholischen Fakultät trägt anfangs fast
ökumenischen Charakter (man beachte die Jahreszahl!). Sie
zeigt, welche Beachtung und Würdigung die Gemeinschaftsleistung
protestantischer Bibelforschung, das Theologische
Wörterbuch zum Neuen Testament ed. Gerhard Kittel, in
katholischen Kreisen findet. Eingangs stellt Verf. an diesem
Werk fest, es habe „über das Interesse an einem sinnvoll geführten
dogmatischen Schriftbeweis hinaus noch ein ganz besonders
aktuelles Interesse für das gegenseitige Verständnis
der beiden großen Konfessionen unseres Vaterlandes. Es hat
eine Unionsaufgabe. Ich weiß nicht, ob alle so denken, aber
mir scheint, als sei hier nach den Tagen gemeinsamen Martyriums
eine Plattform gegeben, auf der in Gebet und ehrlichem
Forschen zusammen überlegt werden kann, ob sich
nicht doch gemeinsame Grundlagen sichtbar machen lassen,
auf denen katholische und evangelische Christen in gemeinsam
ertragenem Martyrium gestanden haben". Es ist gut und wir
sind dankbar, daß in einer Zeit neuen und hastigen Sich-
Festsetzeus und-Einrichtens in alten Fronten und Lagern eine
solche Intension junger'Forscher wenigstens eingangs kurz dokumentiert
ist. Auch der Verf. greift dankbar nach solchen
Anzeichen des Bewußtseins gesamtchristlicher Zusammengehörigkeit
: „Ich erinnere nur an die Äußerungen von Karl
Heim und noch deutlicher von Emil Brunner, die den Lieferungen
des vierten Bandes beigegeben waren ..."

Es geht dem Verf. um die rechte Inhaltsbestimmung des paulinischen
,,Neue Kreatur"-Seins (2. Kor. 5, 17). Auch wenn das Theol. Wörterbuch zum
NT noch nicht den vollen „Pneuma"-Artikcl in seinen bisherigen Lieferungen
biete, sucht Verf. sich solchen als Teil-Artikel etwa bei „agape" oder prüft auch,
was zu den Präpositionen ,,en" und „eis" für das „In Christus"-Scin abzulesen
, da er von der Kongruenz der wissenschaftlichen Mitarbeiter am Wörterbuch
tief beeindruckt ist: „Aber die Einheitlichkeit, so ich glaube, ist durchschlagend
!" Nach einer sachlichen Auswertung der Stichwortc, wie sie etwa
von Bultmann, Oepke, Schrenk und Büchsei und dann auch von Ethelbert