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Ausgabe:

1950 Nr. 2

Spalte:

102-104

Kategorie:

Katholische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fries, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die katholische Religionsphilosophie der Gegenwart 1950

Rezensent:

Hessen, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 2

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Erkenntnis in sich selbst. Hier kommt zunächst der christlich-
katholische Glaube zur Darstellung, dann wird in einem
zweiten Abschnitt das Verständnis (intellectus) des Glaubens
und das theologische Wissen behandelt.

Selbstverständlich ist es überall die spezifisch katholische
Grundeinstellung, der wir hier in einer in keiner Hinsicht
zu beanstandenden Weise begegnen. Und wo es etwa in
einer der spezifisch katholischen Einstellung irgendwie nicht
ganz entsprechenden Weise zu geschehen scheint, so etwa bei
der Voranstellung des schriftlichen Depositums als der primären
Quelle des Glaubens gegenüber dem mündlichen apostolischen
Depositum oder der apostolischeu Überlieferung im
engeren Sinne, da sind es zuletzt doch eigentlich katholische
Motive, die sich dabei auswirken, wie in unserem Falle das
Hinzielen des Ganzen auf die Geltendmachung des Wortes
Gottes durch den Lehrapostolat, oder die kirchliche Regelung
des Glaubens und der theologischen Erkenntnis. Man wird deshalb
auf protestantischer Seite nicht allzu schnell hoffen
dürfen, für sich selbst positiv zu lernen. Ist immerhin das
nicht gerade unmöglich, so möchte ich das, was Scheeben über
den Begriff und das Wesen des theologischen Glaubens im
allgemeinen sagt, nicht ohne weiteres ablehnen. Nur wird man
bei der Autorität des Redenden, d. h. bei der Größe, der gegenüber
die vom Willen im Verstände aus Achtung und Vertrauen
hervorgehende Zustimmung zu dem Inhalte der Rede als das
eigentliche Wesen des Glaubens sich vollzieht, nicht so speziell
und so exklusiv wie Scheeben an die katholische Kirche und
deren von Gott eingesetzten Lehrapostolat zu denken haben.
Aber das ist jedenfalls eine nicht zu verkennende Wahrheit,
daß für den entstehenden Glauben autoritative Momente
schon eine Rolle spielen. Irgendwie kann so auch der Protestant
von Scheebens Arbeit und speziell von seiner theologischen
Erkenntnislehre lernen. Nach dem Urteil M. Grabmanns
hat Scheeben sehr mit Achtung von den Theologen,
die unmittelbar vor ihm gewirkt haben, gesprochen, aber das
Große an Scheebens wissenschaftlichem Lebenswerke und eben
auch an seiner theologischen Erkenntnislehre liegt weniger in
der Verwertung der zeitgenössischen und somit unmittelbar
vorhergehenden Literatur als in seiner einzigartigen Vertrautheit
mit der ganzen theologischen Tradition, mit der Theologie
der Patristik, mit der mittelalterlichen Tradition und auch mit
der nachtridentinischen Theologie. Gerade die Kenntnisse der
letzteren gibt ihm die Möglichkeit, alle modernen Probleme mit
größter Gründlichkeit zu behandeln. Aber noch größer als in
der Verarbeitung des ungeheuren Materiales der theologischen
Vergangenheit zeigt sicli Scheebens dogmatische Fähigkeit in
der spekulativen Durchdringung auch der schwierigsten Fragen
, sowie in der Originalität der theologischen Gedankenführung
. Dabei liefert Scheeben den besten Beweis, daß die
größte Selbständigkeit des theologischen Denkens sich mit
streng kirchlicher Gesinnung und Einstellung wohl zu vertragen
vermag, und die spekulative Theologie nicht etwas
Kaltes zu sehi braucht, sondern sich mit mystischer Gottesliebe
und kindlicher Frömmigkeit wohl zu vereinen vermag.

Den Stoff dieses seines zweiten Buches der Dogmatik teilt
Scheeben in zwei Teile, die sich voll und ganz entsprechen, und
mit deren Nebeneinanderstellung Scheeben dem Gedanken der
bekannten theologischen Stockwerkstheologie Rechnung trägt.
Der erste Teil redet von Gott in der Einheit der Substanz. Gewiß
wird in diesem Teile der durch die übernatürliche Offenbarung
gegebene Inhalt der Offenbarung Gottes im Gegensatz
zur natürlichen Offenbarung bereits angedeutet; um was es
aber hier recht eigentlich geht, ist der Inhalt und sind die
Grenzen der natürlichen Erkenntnis Gottes in der Beschränkung
derselben auf die göttliche Wesenheit und Natur im
Gegensatz zur trinitarischeu Subsistenz. In dem Vorwort von
Josef Höfer erfahren wir, welche Schwierigkeit dieser Teil unserem
Autor gemacht hat. Was ihm solche Mühe gemacht hat, liegt
in der Lehre von Gott, dem Einen in der theologischen, der Off en-
barungfolgendenDarstellungderWechselwirkung, Wirkung und
der Wesenseinheiten der Eigenschaften im inneren Leben und
äußeren Wirken Gottes, vor allem in den Ausführungen über
das Verhältnis der göttlichen Gerechtigkeit zur Güte Gottes.
Scheeben bezeichnet, vielleicht angeregt durch den Kölner
Dombau, der sich unter seinen Augen vollzog, den eigentümlichen
Charakter der göttlichen Gerechtigkeit als architektonische
Gerechtigkeit. Damit ist ausgedrückt, daß sie in ihrem
objektiven Maßstabe, ähnlich wie die Kunstgerechtigkeit des
menschlichen Künstlers, nicht in einem Rechte des Gegenstandes
, welches Befriedigung erheischt, sondern in der Ubereinstimmung
einer bestimmten Handlungsweise Gottes mit
der den Regeln seiner Weisheit entsprechenden Schönheit und
Vollkommenheit seiner Werke im einzelnen und im ganzen zu
sehen ist.

Der zweite Teil bringt die Darstellung der göttlichen Tri-
nität, d. h. der inneren substanziellen Offenbarung und Mitteilung
des göttlichen Lebens und der dadurch bedingten
Existenz der göttlichen Wesenheit und Natur in drei Hypostasen
oder Personen, oder der dreifaltigen Subsistenz der
einen göttlichen Substanz. Damit kommt Scheeben zu den
Stücken der Dogmatik, die er in den „Mysterien des Christentums
" als derjenigen seiner Schriften, die allem das ganze Gebiet
der Glaubenslehre umspannt, bereits vor der Dogmatik
bearbeitet hatte. Gerade in der Behandlung der Trinitätslehre
zeigt sich die Eigenart der Systematik Schechens am deutlichsten
. Vom abstrakt-rationalen Deuksystem drängt Scheebens
System fort zur Darstellung eines dem Denken vorgegebenen
organischen Lebensganzen, wobei aber die Grenze
ontologisch-metaphysischer Erörterung nicht mit kontrollierendem
Bewußtsein überschritten wird. Dem Erbgut wendet
Scheeben sich zu im Vertrauen auf dessen eigene Zeitgemäßheit
, um der inneren Nötigung zum Nachdenken und Neudenken
des Glaubensschatzes zu folgen. Zuerst war man allgemein
der Ansicht, daß das Hauptproblem der Theologie
Scheebens in der Lehre von der Einwohnung des Heiligen
Geistes in der Seele des Christen zu suchen sei. Heute mehren
sich die Stimmen, die wie die Väter, so auch Scheeben aus
dem Ganzen der Trinitätslehre verstehen zu sollen meinen und
dem entscheidenden Grundgedanken zuneigen: Im iunergött-
lichen Leben besitzt der Vater als ,,fons et origo" einen Primat
eigener Art. Im gemeinsamen Wirken der Triuität nach außen
hat jedoch die Person der Liebe den Primat des Wirkens inne.
Sie führen Vater und Sohn zur Welt hin, die erlöst und innerlich
mit dem Dreifaltigen verbunden werden soll. Die Einheit
des Wesens und des Wirkens wird dadurch nicht gebrochen,
sie wird auch durch den Rang des Vaters im inuergöttlichen
Leben nicht beeinflußt. Die göttliche Selbstliebe ist Wesensmotiv
jeder göttlichen Handlung. Daher ist der Heilige Geist
die Person der Liebe, Führer dieses Wirkens.

Nun braucht man nicht im einzelnen darzutun, wie sich
von diesem Grundgedanken aus Fäden zu allen Stücken der
Dogmatik ziehen lassen. Daß Scheeben in dieser Hinsicht nach
allen Seiten hin Abschließendes gesagt hat, wird man gewiß
nicht sagen können. Er selbst ist auch nicht dieser Meinung gewesen
. Er hat wohl gewußt, daß seine Arbeit wichtige Fragen
offen läßt. Aber er hat es selbst erleben dürfen, daß sein spekulatives
Sichabmühen die Sehnsucht nach Erkenntnis, nacli
Vertiefung des göttlichen Lebens in uns Menschen weckt, und
daß es Pflicht und Freude erweckt, von dem Reiche Gottes
auf Erden zu künden. Hier dürfte denn auch der letzte Grund
der heutigen Scheebenrenaissance liegen, die verhältnismäßig
lange hat auf sich warten lassen, die aber doch von einem Ausmaß
und einer Bedeutung sein dürfte, daß auch der Protestant
sie beachten und sie verstehen möchte.

Heidelberg Robert Jelke

Fries, Heinrich, Dr. theoi.: Die katholische Religionsphilosophie der

Gegenwart. Der Einfluß Max Schelers auf ihre Formen und Gestalten.
Eine problenigeschichtlichc Studie. Heidelberg: F. H. Kerle [1949]. 398 S.
8°. Hlw. DM9.80.

Unter sorgfältiger Verarbeitung der gesamten einschlägigen
Literatur gibt Fries eine detaillierte Darstellung der verschiedenen
Gestalten und Richtungen heutiger katholischer
Religionsphilosophie. Der erste Hauptteil ist überschrieben:
„Der Ausgangspunkt der modernen katholischen Religionsphilosophie
: die Religionsphilosophie Max Schelers". Der
zweite: „Die Weiterbildung der religionsphilosophischen Gedanken
Max Schelers in der katholischen Religionsphilosophie
". Wenn man die Reaktion der offiziellen katholischen
Theologie und Philosophie auf Schelers Religionsphilosophie,
wie er sie in seinem Werk „Vom Ewigen im Menschen" (1921)
niedergelegt, miterlebt hat und sich erinnert, wie damals auf
katholischer Seite eine Schrift nach der andern erschien, um
Scheler zu widerlegen (ich nenne die einschlägigen Arbeiten
von Geyser, Wittmann, Lenuerz S. J., Przywara S. J.), ist
man versucht, sich angesichts der Charakterisierung der katholischen
Religionsphilosophie der Gegenwart als einer „Weiterbildung
der religionsphilosophischen Gedanken Schelers" an
den Kopf zu greifen. Wie ich im ersten Band meiner „Religionsphilosophie
" (1948), der eine Darstellung der verschiedenen
Richtungen heutiger Religionsphilosophie bietet, festgestellt
habe, waren es außer mir eigentlich nur zwei katholische
Religionsphilosophen, die sich den Gedanken Schelers
öffneten, sie aufnahmen und verarbeiteten: K. Adam und
A. Rademacher. (Was mich betrifft, so hatte ich mich, als
Schelers religiousphilosophisches Werk erschien, bereits ein
Jahrzehnt lang mit diesen Fragen beschäftigt und bestimmte
I Anschauungen gewonnen, und zwar vor allem durch Reflexion