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Ausgabe:

1950 Nr. 2

Spalte:

100-102

Kategorie:

Katholische Theologie

Autor/Hrsg.:

Scheeben, Matthias Joseph

Titel/Untertitel:

Handbuch der katholischen Dogmatik : 2. Buch, Gotteslehre oder die Theologie im engeren Sinne 1950

Rezensent:

Jelke, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 2

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logie dem philosophischen Denken kritisch gegenüber. Aber
sie bricht das Gespräch mit ihnen nicht von vornherein ab,
indem sie sie in den Bereich des Atheismus verweist. Sie versucht
sie stärker in ihrer eigenen Dialektik zu verstehen und
billigt auch ihnen eine echte Berührung mit dem Wesenhaften
— Transzendenten zu. Sie zieht scharf die Grenzlinien. Aber
sie bleibt im Gespräch. Ob diese Methodik nicht weiterführt ?
Ob sie nicht vielleicht auch „christlicher" ist?

Aber woher kommt diese auffallende Enge den außerchristlichen
geistigen Erscheinungsweisen gegenüber, trotz der
ursprünglich aufgezeigten weiten Ralimenspaunung der theologischen
Grundhaltung ? Die Antwort auf diese Frage kann
nur in der Begründung und Rechtfertigung dieser Grundhaltung
selbst gesucht werden. Und hier kommt nun die genuin
katholische Haltung des Verf.s am deutlichsten zum Ausdruck
und wird zugleich' am schärfsten die Grenzlinie sichtbar
, die uns von dieser Haltung scheidet. Urquelle und Norm
der positiven Theologie ist nicht die Heilige Schrift, sondern
die kirchliche Lehrverkündigung. Die jeweilige gegenwärtige
kirchliche Lehrverkündigung ist eines Beweises durch Schrift
und Überlieferung weder fähig noch bedürftig. Vielmehr ist
es umgekehrt das kirchliche Lehramt, welches die Zeugnisse
der Vergangenheit maßgebend interpretiert (42). Die Kirche
gewährleistet den Sinngehalt und den Bestand der Heiligen
Schrift und gibt auch die Norm für die Interpretation der
Väter. Für den Theologen wie für den Wissenschaftler ist daher
die Unterwerfung unter das kirchliche Lehramt die sachgemäße
Haltung. Die Kirche ist die Wahrheit. Und die
Dogmen wie die „katholischen Wahrheiten" sind zwar von
Gott unmittelbar geoffenbarte Wahrheiten, aber sie werden
vom kirchlichen Lehramt „klar und ausdrücklich als verbindliche
Offenbarungswahrheiten festgestellt und verkündet"
(67). Ausdrücklich wird bemerkt, daß Dogma nicht dann
Wahrheit ist, wenn es in der Heiligen Schrift stellt, aber von
der Kirche nicht als Offenbarungswahrheit gekennzeichnet ist,
obgleich das katholische Lehramt, wie später ausgeführt wird,
alle Schriften der Bibel als inspiriert dokumentiert. Aber entscheidend
gilt eben: „Das kirchliche Lehramt ist . . . die Stelle,
an welcher der Theologe das göttliche Wort zuverlässig feststellen
kann" (83). Und in ihrer lehramtlichen Tätigkeit ist
die Kirche unfehlbar. An erster Stelle das kirchliche Lehramt,
dann die Schrift und neben ihr als gleichwertige Glaubensquelle
die Tradition.

Das ist katholische Theologie, die den Satz Luthers auf
den Kopf stellt: verbum dei est fundamentum ecclesiae. Wer
sich im Sinne dieser Theologie entscheidet, ist natürlich unangreifbar
, sowohl von der Wissenschaft als auch vom Glauben
her. Mit ihm ist aber auch ein Gespräch nicht mehr möglich.
Hier gibt es nur das Entweder — Oder, entweder Unterwerfung
unter die vom kirchlichen Lehramt festgestellten Wahrheiten
oder Atheismus. Die Glaubenshaltung der Frommen kann
dann nur noch in einem Führwahrhalten jener Wahrheiten
bestehen. Er gewinnt dadurch eine in mancher Beziehung beneidenswerte
Sicherheit. Aber opfert er damit nicht seine persönliche
Freiheit ? Und dann besonders, wenn sich das kirchliche
Lehramt, wie die Geschichte der katholischen Kirche
immer wieder zeigt, mit Macht verbündet ? Taucht denn nicht
die tiefe Problematik wieder auf, die Dostojewski in seiner
Legende vom Großinquisitor meisterhaft gestaltet hat? Und
wenn dann auch sogar die Wissenschaft dein kirchlichen Lehramt
unterstellt wird, wird dann nicht ihr eigentliches Anliegen
: das Suchen nach Wahrheit um der Wahrheit willen,
die Hinwendung zur reinen Sachlichkeit unmöglich gemacht ?
Vielleicht auch zum Schaden für die Kirche ? Wird sich der
Fromme auf die Dauer mit den Sätzen der kirchlichen Lehrverkündigung
begnügen ? Will er nicht mehr ? Zurück zu dem
Urwort, zu „der Sache" selbst ? War das nicht das eigentliche
Anliegen der Reformation ?

Man verstellt jetzt die Enge den erwähnten Phänomenen
gegenüber trotz der ursprünglichen weiten Rahmenfassung.
Der Systematiker Schmaus möchte wohl. Aber da ist die kirchliche
Lehrverkündigung . . ., Und man versteht jetzt, warum
der „dreipersönliche Gott" im Sinne der kirchlichen Trinitäts-
lehre so außerordentlich stark in das Zentrum der Betrachtung
gestellt und bis in seine letzten Teile analysiert wird, obgleich
anfänglich — mit Recht — die Unbegreiflichkeit dieses
Gottes hervorgehoben wird, der sich auch dann noch verhüllt,
wenn er sich offenbart. Biblisch gesehen läßt sich diese Zentralisierung
doch nicht rechtfertigen. Von da aus gesehen hätte
der heilige und gütige Gott, der von dem Verf. nur peripher
gewertet wird, die zentrale Stellung einnehmen müssen. Aber
die kirchliche Lehrverkündigung rangiert vor der Schrift und
ihren Entscheidungen muß sich auch die Schrift fügen. Man
fragt sich dann: wozu die umfangreichen Interpretationen

der Schrift, die bei jedem Abschnitt der Dogmatik gegeben
werden und sehr sachlich gegeben werden, wozu die ergiebige
Benutzung des Kitteischen Wörterbuches, wenn über der
Sache der Schrift doch die kirchliche Lehrverkündigung steht ?
Und wozu die vom Verf. geforderte Dogmengeschichte, wenn
die Geschichte sich nur auf die äußere Gestalt der Dogmen
bezieht, nicht aber auf ihren Kern, ihren Inhalt ? Wir Protestanten
können der Frage nicht ausweichen, ob die, welche die
kirchliche Lehrverkündigung geben, nicht auch Menschen sind,
die von ihrer subjektiven, geschichtlichen Bedingtheit nie ganz
loskommen. Wir können die Ausschießlichkeit des Anspruchs
solcher Verkündigung, wir können ihre Unfehlbarkeit nicht
bejahen. Vor uns steht dauernd die Forderung der Ausrichtung
auf „die letzte Sache", und diese Sache ist Christus.

Doch genug der Fragen und Grenzsetzungen. Sie zeigen,
daß für den Protestanten ein Gespräch mit der katholischen
Dogmatik doch möglich ist. Daneben gibt es Vieles, was uns
mit dem Verf. des vorliegenden Werkes eint. Es eint uns vor
allem mit ihm die tiefe, echte Frömmigkeit, von der das
Ganze seiner Darstellung getragen ist. Es eint uns mit ihm
die trotz der Bindung an seine kirchliche Lehrverkündigung
doch unverkennbare Tendenz des Hindrängens zum genuin
Christlichen und seine Aufgeschlossenheit für die Probleme
und Nöte, die den gegenwärtigen Menschen bewegen. Man erkennt
deutlich, daß auch die katholische Lehrautorität sich
in kluger und geschickter Weise — trotz Inspirationsdogma
und Antimodeniisteneid — den Ergebnissen und Forderungen
der modernen theologischen Wissenschaft anzupassen weiß.
Sie ist keineswegs starr und unbeweglich. Besonders zu begrüßen
ist die — in wohltuendem Unterschied zu mancher
protestantischen Dogmatik — klare und übersichtliche Form
der Darstellung. Wir sehen 'daher mit Interesse dem Erscheinen
der weiteren Bände des Werkes entgegen, um das Gespräch
fortzuführen, das im Sinne der una saneta sich für
beide Partner fruchtbar und klärend auswirken möge.

Kiel Werner Schultz

Scheeben, Matthias Joseph: Handbuch der katholischen Dogmatik.

Erstes Buch: Theologische Erkcnntnislehre. 2. Aufl. hrsg. u. eingcl.
v. Martin Grabmann. Vorwort Josef Höfer. Zweites Buch: Gotteslehre
oder die Theologie im engeren Sinne. 3. Aufl. hrsg. v. Michael
Schmaus. Mit einem Bericht von Josef Höfer. Freiburg: Herder 1948.
511 u.479 S. gr. 8°= M. J. Scheeben: Gesammelte Schriften Bd. III u. IV.
HIw. je DM 23.—.

Schon im Jahre 1941 begann der Verlag Herder in Freiburg
mit einer Neuherausgabe der Gesammelten Werke des
früheren Professors am Kölner Priesterseminar M. J. Scheeben.
Bereits im Jahre 1944 habe ich bei der Anzeige des ersten
dieser auf acht berechneten Bände der Neuherausgabe des
Schrifttums Scheebens hier in der Literaturzeitung (68. Jahrgang
S. 218) angedeutet, was zu dieser Neuherausgabe geführt
hat. Die Scheebeurenaissance, die nach dem ersten Weltkriege
eingesetzt hatte, ist seitdem nicht abgeflaut, sondern
im Gegenteil stärker geworden. Nun mußte der Verlag freilich
nach Fertigstellung der ersten beiden Bände im Jahre 1941
die Neuherausgabe unter den allgemeinen Zeitverhältnissen
unterbrechen. So lagen zunächst nur die beiden Werke, die
Scheeben vor seinem Hauptwerke, d. h. vor dem „Handbuch
der katholischen Dogmatik" hatte erscheinen lassen, die Bücher
„Natur und Gnade" und „Die Mysterien des Christentums"
von dem Gesamtabdruck seiner Werke vor. Immerhin war dieser
Neudruck schon beachtlich, denn beide Bücher, insbesondere
das zweite, hatten einst den Ruhm Scheebens begründet.
Aber das Ganze wäre doch ein Torso geblieben, wenn der Verlag
im Jahre 1948 nicht hätte beginnen können auch das genannte
Hauptwerk Scheebens neu herauszubringen. Jetzt
liegen der dritte und vierte Band der Gesamtausgabe vor.

Der dritte Band bringt das erste Buch des Handbuches
der „katholischen Dogmatik" und behandelt die theologische
Erkenntnislehre.

Als ersten Teil dieser Erkenntnislehre schildert Scheeben
die objektiven Prinzipien der theologischen Erkenntnis. Das
Urprinzip der theologischen Erkenntnis ist ihm die göttliche
Offenbarung, deren objektive Übermittlung und Geltendmachung
oder Wesen und Organismus der apostolischen Lehrverkündigung
. Im einzelnen spricht Scheeben dann zunächst
von dem schriftlichen Depositum oder der urkundlichen Quelle
des Glaubens, sodann von dem mündlichen apostolischen Depositum
, oder der apostolischen Überlieferung im engeren
Sinne, um dann die Geltendmachung des Wortes Gottes (furch
den Lehrapostolat, oder die kirchliche Regelung des Wortes
Gottes durch den Lehrapostolat, oder die kirchliche Regelung
des Glaubens und der theologischen Erkenntnis zu beschreiben.
Der zweite Teil des Buches betrachtet dann die theologische