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Ausgabe:

1950

Spalte:

81-86

Autor/Hrsg.:

Kuhn, Karl Georg

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1950

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81

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 2

S2

eine auch für uns lehrreiche Erörterung. Das Wort von der
Kirche als dem anderen Christus oder vom Vollchristus, der
die Kirche mitumfaßt, darf nicht zu den Gedanken einer
stetigen leiblichen Gegenwart Christi in der Kirche oder der
Seele verleiten. Das würde zu einem falschen Mystizismus, zur
Vorstellung einer Seinsverschmelzung mit Christus führen.
Christi Einwohnen ist nur mittelbarer Art, es ist durch den in
den Herzen wirksamen Heiligen Geist vermittelt, was gerade
die innigste Verbindung Christi mit den Seinen bedeutet. Eben
der lebendigen Gegenwart des Heiligen Geistes verdankt es
die Kirche, daß sie ein Abbild Christi und ein zweiter Christus
sein darf. Hier erhebt sich freilich ein Problem, das zu theologischen
Meinungsverschiedenheiten Anlaß gegeben hat, dessen
weitere Klärung der Papst den Gottesgelehrten noch überläßt,
das sich aus der Spannung zwischen der traditionellen Lehre
von der Ungeschiedenheit der Trinität in ihren Äußerungen
nach außen und der biblischen Rede von der Gegenwart allein
und gerade des Heiligen Geistes in den Seelen ergibt, das gerade
heute beim erhöhten Interesse an der Heiligen Schrift
und den ältesten Vätern stärker empfunden wird. So wird von
mancher Seite ein dialektischer Ausgleich unternommen werden
, bis eine endgültige päpstliche Entscheidung zustande
kommt; das ist die Weise, wie das Dogma wächst. Wir freilich
werden unbefangener und unmittelbarer auf den biblischen
Aussagen aufbauen, um der Wahrheit näher zu kommen; sie
haben für uns den Vorrang, sollen es haben.

In anderer Hinsicht fällt die Enzyklika eigentlich ein abschließendes
Urteil: in der Frage des Verhältnisses von
Papst und Bischöfen, die in Trient, selbst auf dem vatikanischen
Konzil noch keine eindeutige Beantwortung gefunden
hat. Empfängt der Bischof seine Regierungsgewalt unmittelbar
von Christus selbst oder nur mittelbar von Christus durch
die Vermittlung des römischen Papstes ? An sich bleiben die
Bischöfe Nachfolger der Apostel und leiten ihren Sprengel im
Namen Christi. Sie sind also keineswegs bloße Stellvertreter
des Papstes. Und doch sind sie „nicht völlig eigenen Rechtes",
sondern dem Papst als dem Herren des Gesamtepiskopates
unterstellt. Ihnen wird die ordentliche Jurisdiktionsgewalt
..unmittelbar gleichfalls vom Papste erteilt". Das ist noch, bemerkt
der Verf., keine letzte unfehlbare autoritative Entscheidung
, da Rom eine solche nicht in einem Nebensatze auszudrücken
pflegt, wenngleich daran das ganze Gewicht eines die
Welt belehrenden Papstes hängt. Konsequent ist jedoch diese
Zentralisierung, diese stärkste Geltendmachung der Machtherrlichkeit
des Papsttums, die der Verf. als Gegengewicht
gegen den neu zu Ehren gekommenen Begriff des mystischen
Herrenleibes und die Möglichkeit seiner schwärmerischen Ausdeutung
begreift und verteidigt.

Noch sei erwähnt, daß uns ein Nachwort der Enzyklika
einen Einblick in das Werden und die Ausgestaltung des
mariologischen Dogmas gewährt. Die Miterlöserschaft
Mariens, immer schon von den Theologen umkreist, wird nun
schon konkreter gefaßt und behauptet. Maria erscheint nicht
als bloße Privatperson, nämlich als mitfühlende und mitleidende
Mutter Jesu, sondern als Amtsperson, als die neue
Eva, die ihren Sohn auf Golgatha dem ewigen Vater darbringt
, demnach beim Vollzug der Erlösung selbst mitwirkt,
was den Verf. zu weiter vortastender Erörterung veranlaßt, —
wir sehen, daß alles dahin drängt, das Recht der wahren ge-
samtmütterlichen Gnadenausteilung auf diese verdienstvolle
Mitwirkung der Maria von ihrem ersten Ja zur Verheißung
des Engels bis zum Leiden ihres Herzens unter dem Kreuz,
also auf ihr Mitopfern zu gründen, wie nur sie, wie wir hören,
dem mystischen Leibe des Herrn zu stetem Wachstum verhelfen
kann, — der Heilige Geist muß nun bezeichnend genug
zurücktreten. Uns freilich ist schon die Verwendung des Verdienstbegriffes
fremd; wir können das Handeln Christi nicht in
der Richtung auf Gott, dem etwas abzugewinnen wäre, sondern
nur in der Richtung von Gott her, als zuvorkommendes
Handeln Gottes an uns verstehen, so will es das Neue Testament
.

Dem christlichen Herzen des Verf.s macht es alle Ehre,

daß er sich gelegentlich fragt, ob nicht durch die scharfe Abgrenzung
der Kirchenzugehörigkeit alle „getrennten Brüder
" verdammt erscheinen, trotzdem sie doch mit ganzer
Seele Christus anzugehören sich bestreben. Er zeigt, daß die
katholische Kirche um sog. außerordentliche Heilswege für die
Ungläubigen weiß, daß die getrennten Brüder mittelbar im
Zusammenhang mit der wahren (römischen) Kirche geblieben
sind, indem sie die Bibel behalten haben, daß überhaupt nach
katholischer Lehre für wirklich ausgeschlossen nur gilt, wer
bewußt und aus eigener schwerer Schuld entgegen besserer
Erkenntnis Häretiker geworden ist, — „wer aber", sagt er,
„möchte den meisten unserer getrennten Brüder schwere
Schuld oder gar Verstocktheit dafür andichten, daß sie in der
Trennung leben?" Für diese stehen also immer die Türen
offen, ihre Rückkehr wird sehnlich erwartet, sie sollen nach
dem Worte des Papstes nicht als Fremde, sondern als in ihr
eigenes Vaterhaus Heimkehrende angesehen werden. Wir glauben
das gern, möchten aber darauf aufmerksam machen, daß
hier die Heilswirksamkeit und -gegenwart Christi allzu sehr auf
eine irdische kirchliche Institution eingeengt wird. Der lebendige
Herr schafft sich den Zugang zu den Herzen, wo immer
sein Wort lebendig wird und Glauben weckt.

Der ganze Gegensatz kommt doch in der Frage der
Sichtbarkeit der Kirche zum Ausdruck. „Echte" Sichtbarkeit
und Greifbarkeit, wie sie bei einer vollkommenen Gesellschaft
zu erwarten ist, heißt der katholische Anspruch. Wie
denn: ist das eine Sichtbarkeit für den Glauben oder für jedes
profane Auge? Die Ehre der Kirche Christi besteht wohl
darin, daß sie dem Glauben spürbar, wahrnehmbar, sichtbar
wird, sich aber ebenso sehr jedem profanen Auge verbirgt, —
darin beweist sie ihre Uberweltlichkeit. Diese Sichtbarkeit für
den Glauben hat die Reformation behauptet, jene Allerwelts-
sichtbarkeit aber als unecht bestritten. Wo das Glaubenswort
erschallt, wo Gläubige Sakrament empfangen, tritt die Kirche
in die Sichtbarkeit, was aber immer nur vom Glauben verstanden
wird. Nach der Reformation ist nicht ein „inneres
Moment", etwa die Heiligkeit oder die wahre Gläubigkeit oder
das Prädestiniertsein, entscheidend für die Frage, wo sich die
wahre Kirche Christi befindet. Das katholische Denken macht
sich die Sache viel zu leicht, wenn es das Entweder-Oder der
handfesten Sichtbarkeit einer hierarchischen Organisation
hier, eines im Herzen verborgenen Subjektivismus dort aufrichtet
. Man könnte doch endlich sehen, daß es der Reformation
um das wahre Objektive zu tun war, wie der evangelische
Glaube am Objektiven hängt.

Verf. freut sich, daß das Lehrschreiben offen von den in
der Kirche wahrnehmbaren Schwächen der menschlichen
Natur spricht, die man nicht ihrer Verfassung, sondern
nur der beklagenswerten Neigung der Einzelnen zum
Bösen („auch in den höheren Gliedern seines mystischen
Leibes") zur Last legen dürfe. Das ist ein achtungswertes Eingeständnis
, doch zugleich das Äußerste, was der katholische
Standpunkt erlaubt. Bereits Schleiermacher hat wahrgenommen
(in der Christlichen Sitte), daß nach katholischer
Lehre alle Mißbräuche und Mängel in der Kirche bloß in den
Einzelnen seien und lediglich durch die organische Repräsentation
des Ganzen rektifiziert werden müßten. Hier trage alles,
was die Kirche als Kirche tue und rede, den Charakter der
absoluten Vollkommenheit an sich; die erscheinende Kirche
werde als absolut vollendet angesehen, während sie uns als
werdend und in keinem Moment der Idee völlig entsprechend,
also immer noch der Verbesserung fähig und einer Reinigung
bedürftig gelte. Diese Wahrheit trennt uns leider von der
Herrschaft des Papstes. Nicht Annäherung an die katholische
Kirchlichkeit, sondern ein tieferes und freieres Eindringen in
das Schriftwort und eine stetige Verwandlung in das Wesen
Christi ist die wirkliche Aufgabe, der Weg der Kirche.

Das Buch von Feckes stellt eine vorzügliche Erläuterung
der hochbedeutsamen päpstlichen Enzyklika Mystici Corporis
Christi dar und kann auch protestantischen Theologen wichtige
Dienste in ihrer Bemühung um das Verständnis der
katholischen Kirchenidee leisten.

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

9. Zur Bedeutung der neuen palästinischen Handschriftenfunde für die neutestamentliche Wissenschaft

Von Karl Georg Kuhn, Göttingen

Bei den neuaufgefundenen palästinischen Handschriften
konzentriert sich verständlicherweise zunächst das Interesse
auf die Jesaja-Rolle. Ebenso bedeutsam aber, vermutlich sogar
wichtiger, werden — jedenfalls für die neutestamentliche
Wissenschaft — die andern Schriften werden, von deren Existenz
wir bis jetzt noch nichts wußten: Die „Sektenrolle", der
Habakuk-Midrasch, das „Buch des Kampfes der Kinder des
Lichts mit den Kindern der Finsternis" und das „Buch der
Danklieder", abgesehen von den Rollen, über deren Inhalt
noch gar nichts bekannt bzw. mitgeteilt ist, darunter vielleicht