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Ausgabe:

1950 Nr. 2

Spalte:

79-82

Autor/Hrsg.:

Wehrung, Georg

Titel/Untertitel:

Die Kirche als Herrenleib 1950

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 2

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das biblische Material so darbietet, daß er dabei den Ton auf
persönliche Verantwortung und Entscheidung legt, wird häufig
das Urteil hervorrufen, dies sei Barthianismus oder NeoOrthodoxie
und habe keinen Platz innerhalb der Wissenschaft,
wo reine Objektivität herrschen müsse. Die jüngeren Bibelforscher
haben in höherem Maße anerkannt, daß für persönliche
Auslegung Raum sein müsse, doch das Neutralitätsideal
hat immer noch zahllose und entschlossene Verteidiger.

4. Die ausgedehnte Zusammenarbeit zwischen Christen
und Juden tendiert dazu, den nicht theologisch trennenden
Studien mehr Raum zu gewähren und im besonderen ein Studium
des Alten Testamentes zu fördern, an dem Christen und
Juden teilhaben können, ohne daß letztere in Verlegenheit versetzt
würden. (Dies gilt genau genommen nur für das Verhältnis
von Protestanten und Juden, da die römischen Katholiken
, die jetzt wie nie zuvor sich aktiv an biblischen Studien
und Veröffentlichungen beteiligen, ihre eigene Katholische
Biblische Gesellschaft und ihre Katholische biblische Viertel-
jahrsschrift (Catholic Biblical Quarterly) haben und, seltene
Fälle ausgenommen, an den allgemeinen Vereinigungen für
biblisches Studium nicht teilnehmen). Die Freundschaft zwischen
christlichen und jüdischen Gelehrten ist eine glänzende
Sache, doch hat sie nicht immer die letzten Fragen ins Auge
gefaßt.

5. Theologen wie biblische Forscher müssen sich in die
Schuld an der zögernden Haltung gegenüber der Biblischen
Theologie teilen. Es hat in den Vereinigten Staaten ein gewisses
theologisches Lehren und Schreiben gegeben, und es gibt
es noch, das es unterläßt, der Bibel eine grundlegende Bedeutung
einzuräumen. Manchmal verkleinert man die Bibel, weil sie

einem vorwissenschaftlichen Zeitalter entstamme. Man hat soziologische
, psychologische, philosophische Gesichtspunkte mit
Einschluß des Pragmatismus und des Naturalismus benutzt, um
alle alten Dokumente, Daten oder Personen auf einen zweiten
Platz zu verweisen, und die vergleichende Religionswissenschaft
hat manche dazu verleitet, die Bedeutung der Bibel im
besten Fall auf eine sekundäre Rolle zu beschränken. Diese
Tendenz ist keineswegs allgemein oder vorherrschend; doch
sie ist da. Jedoch scheint sie Boden zu verlieren. Im ganzen
genommen machen sich die Theologen viel ernsthaftere Mühe,
eine christliche Theologie im Licht der biblischen Botschaft
zu entwickeln.

Wenn dieser Bericht den Eindruck vermittelt hat, daß es
in den Vereinigten Staaten eine beträchtliche Unsicherheit
über die Aufgabe und Natur biblischer Theologie gibt, dann
hat er seine Absicht erfüllt. Fraglos ist aber das Interesse an
biblischer Theologie viel aktiver, als es eine Generation früher
war. Zu jener Zeit war die Religion (oder wie einige gesagt
haben würden: waren die Religionen) der Bibel Objekt des
Studiums, und die religionsgeschichtliche Methode beherrschte
das Feld. Eine wachsende Zahl unter der gegenwärtigen Generation
sucht Einheit in der Bibel, ist bemüht um die Erfassung
der zentralen Aussagen betreffs Gottes und Seines Erlösungswerkes
. Sie versucht, auf dem Grunde echter Wissenschaftlichkeit
die biblische Botschaft konstruktiv wiederzugeben. Es ist
noch keine zufriedenstellende Biblische Theologie geschrieben
worden, doch trotz beträchtlicher Gegnerschaft gegen den Gedanken
einer Biblischen Theologie selbst wird die wertvolle
Arbeit solcher Männer wie Minear und Burrows zweifellos zu
Versuchen führen, den biblischen Glauben noch besser darzustellen
.

Die Kirche als Herrenleib

Bemerkungen zu einem Kommentar zur Enzyklika Mystici Corporis Christi1

Von Georg Wehrung, Tübingen

In diesem Buche haben wir nicht nur einen fortlaufenden
Kommentar zu der wichtigen Enzyklika Mystici Corporis
Christi vom Jahre 1943 vor uns, es wird uns im Anhang diese
selbst in guter deutscher Ubersetzung geboten, so daß zu jeder
Zeit ein Vergleich möglich ist. Verf. hat sich eingehend und
liebevoll in das päpstliche Lehrschreiben versenkt und ist geschickt
, seinen Sinn, seine Bedeutung, seine Stellung in der
katholischen Lehrentwicklung den gebildeten Gläubigen, an
die er denkt, doch auch uns Protestanten einleuchtend darzulegen
. Es fällt ihm nicht schwer, sich den Lehrentscheidungen
zu beugen, wenngleich er weiß, daß der exklusive päpstliche
Standpunkt selbst frommen Katholiken, geschweige den
Nichtkatholiken schroff erscheint. Wie das Lehrschreiben die
folgerichtige Durchführung der vorausgesetzten Prinzipien
einer complexio oppositorum ist, so wollen die Erläuterungen
deren Recht, deren Wahrheit vor den Gliedern der Kirche,
vor uns allen nachweisen.

Der Papst nimmt in dieser Enzyklika die mannigfachen
Äußerungen der neuesten katholischen Gottesgelehrsamkeit,
die wieder einer religiösen Verinnerlichung im Kirchenvolk
entsprechen, auf, um sie autoritativ zur Anerkennung zu bringen
und zugleich in das Ganze der katholischen Schau von der
Kirche richtig einzuordnen, dabei neuerdings aufgetauchten
Irrtümern und Ubersteigerungen vorzubeugen. Verf. spricht
von einem Wandel im Kirchenerlebnis, der sich in
unseren Tagen wie schon mehrmals in der Geschichte der
Kirche zugetragen hat. Es ist in gewissem Sinn die Rückkehr
zum urchristlichen Selbstverständnis, nach dem sich die
Kirche wie als das neue Gottesvolk, so als den mystischen
Herrenleib begriff, dies allerdings erweitert durch die späterhin
hervortretenden Seiten im Wesen der Kirche, die nicht
preisgegeben werden dürfen, obwohl sie der Urzeit noch nicht
bekannt und geläufig waren: es ist die Wahrheit der mittelalterlichen
civitas Dei terrena, in der die kirchlichen Gewalten
einen viel stärkeren rechtlichen, obrigkeitlichen, ja politischen
Charakter annahmen, also der Macht- und Hoheitskirche, sodann
in der Zeit der Gegenreformation die Wahrheit der lehrenden
, zurechtweisenden, unfehlbar entscheidenden Kirche,
also der Kirche als Lehrautorität, im Zusammenhang damit
der Kirche als der möglichst zentral ausgerichteten Papstkirche
. Verf. verbirgt sich die Gefahren dieser Entwicklung

') Feckes.Carl, Dr.: Die Kirche als Herrenleib. Darlegungen und
Erläuterungen zur Enzyklika Papst Plus XII. „Mystici Corporis Christi"
(29. Juni 1943). Köln: Bachern 1949. 246 S. 8". Kart. DM6.60.

nicht; er sagt selbst, daß der Abstand zwischen den amtlich
Führenden und dem geführten Kirchenvolk allzu groß wurde
und die meisten Katholiken sich unter ihrer Kirche nur mehr
die Autoritäten und Ämter vorstellen konnten, aber sich nicht
mehr selbst als Kirche erfuhren, wie durch die stetige Bevormundung
die selbständige Laiengläubigkeit gelähmt wurde.
Um so mehr begrüßt er die Eingliederung aller dieser
Seiten in den urchristlichen Begriff des mystischen
Herrenleibes, also die grundsätzliche Uberordnung dieses
Begriffs, auf den in Zukunft der Hauptakzent fallen muß,
überhaupt diese Wende zu neuer allumspannender vertiefter
Universalität, die zugleich den Anschluß an die älteste Zeit
vollzieht. Jene Züge, die der antiken Christenheit noch verborgen
geblieben sind, werden nicht verleugnet, sie haben im
göttlichen Gründerwillen und -auftrag ihre volle Berechtigung,
aber sie nehmen nicht die einzige Geltung in Anspruch, sollen
auch nicht überwiegen, sondern eben nur wichtige Züge der
Kirche als des Herrenleibs sein wollen. Das ist die katholische
Deutung der Tradition. Hier ist kein Absinken, kein Bruch,
nur ein verschiedenes Hervortreten der einzelnen Gruud-
kräfte, ein vom heiligen Geist gesteuerter Wechsel, also Ergänzung
, ein großes Sowohl-als-auch, eine reiche Harmonie.
Was wirklich ist, ist vernünftig, was vernünftig, wirklich im
Dasein der Kirche, hier gilt der Hegeische Grundsatz in der
Tat. Was wir als zerreißende Spannung empfinden, Rechtskirche
und Liebeskirche, reicht sich die Hand; das alles hat
seine Einheit in Christus selbst, der nach dem Tridentinum
ebenso sehr als Gesetzgeber, wie als Heilbringer anzusehen ist,
wie das Lehrschreiben oft von den Geboten Christi spricht.
Wir wundern uns nicht, wenn die Rechts- und Ämterkirchc
ihr Wesen im Bilde Christi wiedererkennt; sie muß es tun,
will sie sich vor sich und vor der Welt behaupten. Doch bleibt
die absolute Gleichsetzung der römisch-katholischen Ämterkirche
mit dem Corpus Christi mysticum für uns etwas Ungeheuerliches
, — auch der Verf. verhehlt sich nicht, daß dieser
Anspruch einer kommenden Una sancta keineswegs die Wege
ebnen wird, — und dies selbst, wenn die anglikanische Staatskirche
infolge eines Niederganges des englischen Weltreiches,
was doch nur mit einem solchen der gesamten westlichen, auch
der romanischen Welt Hand in Hand ginge, an üirer selbstmächtigen
Haltung irre würde.

Für das nähere Verständnis des mystischen Herrenleibs
wichtig ist die mehrfache Bezugnahme des Lehrschreibens auf
den Heiligen Geist als Wirkungsform des himmlischen
Christus, worauf Verf. gebührend eingeht. Es ist