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Ausgabe:

1950

Spalte:

71-80

Autor/Hrsg.:

Filson, Floyd Vivian

Titel/Untertitel:

Biblische Theologie in Amerika 1950

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 2

ferenz wird vergebens gewesen sein, solange ein offener ökumenischer
Meinungsaustausch stattgefunden hat. Und es ist eine
alte Erfahrung der ökumenischen Bewegung, daß wohl noch
nie jemand an einem solchen Gespräch teilgenommen hat, ohne
zu einer Korrektur wenigstens einer seiner eigenen Ansichten
gezwungen worden zu sein.

Was erwarten wir hier?

Einige Erwartungen und Ziele dieser Arbeit wurden im
vorigen Abschnitt bereits genannt. Manchmal mag es so aussehen
, als ob die Schwierigkeiten so zahlreich sind, daß brauchbare
Ergebnisse nicht erwartet werden können. Und doch
können wir jene Fragen nicht überspringen mit dem Hinweis,
daß wir „nur" auf Gottes Wort zu hören haben. Es scheint, daß
es doch gerade zur Erniedrigung, zurFleischwerdung eben des
Wortes Gottes gehört, daß jene andern Möglichkeiten daneben
eine Rolle spielen. Unsere Aufgabe ist es dann doch offenbar,
es auch in diesem Inkognito, in dieser ihm fremden Umgebung
(die ja in Wahrheit doch in seinen Dienst zu stellen ist) zu hören
und ihm zu gehorchen.

Weil Gottes Wort im Inkognito unter uns weilt, werden
wir es freilich nie völlig durchschauen (vgl. 1. Kor. 13, 12).

Wir werden hier nie „endgültige" Resultate vorlegen können,
weil das ja bedeuten würde, daß Gott „endgültig" aufgehört
hätte, durch die Bibel heute zu uns zu reden. Wir werden uns
also keine Illusionen über unsere Möglichkeiten machen dürfen
. Unsere Auslegung des Wortes Gottes wird nie in der Vollmacht
geschehen, in der Christus, der Herr selber allein zu
seiner Kirche redet.

Aber daß Er zu seiner Kirche in seinem Wort redet, das
haben wir nun allerdings ernst zu nehmen. Es geht in dieser
„Studie" ja letztlich nicht um akademische Spitzfindigkeiten
über die richtige Auslegung eines Buches, sondern es geht
darum, daß wir dem lebendigen Herrn der Kirche zu gehorchen
haben. Diese Pflicht zum Gehorsam ist der entscheidende Antrieb
bei diesen Untersuchungen. Da es dabei um den Gehorsam
gegen den lebendigen Herrn der Kirche geht, hat diese
Arbeit auch Verheißung. In diesem Sinne muß es allerdings
dabeibleiben, daß es von unserer Seite „nur" darauf ankommt,
daß wir auf Sein Wort hören. Ihm müssen wir es zutrauen,
daß Er selbst es uns öffnet, so daß wir dann wissen, was wir
der Welt zu verkündigen haben. Ihm müssen wir es zutrauen,
daß Er unsere gegenseitigen Mißverständnisse und Trennungen
selbst durchbricht und uns zu einem gemeinsamen Zeugnis
vor der Welt verhilft.

Biblische Theo!

Von Floyd V.

Es herrscht in den Vereinigten Staaten betreffs der Möglichkeit
und des Wesens biblischer Theologie beträchtliche
Verwirrung. Einen Beweis für diese Verwirrung und für den
Versuch, üirer Herr zu werden, findet man in den zwei letzten
Kapiteln des Buches „Das Studium der Bibel Heute und
Morgen" (1947). Diesen 24 Aufsätze enthaltenden Band gab
Harold R. Willoughby von der Universität Chicago im Auftrage
der Chicagoer Gesellschaft für Biblische Forschung heraus
, die sich seit 57 Jahren mit wissenschaftlichem Bibelstudium
befaßt hat.

Die Arbeit des am Garrett-Bibel-Institut tätigen Otto
J. Baab trägt den Titel: „Alttestamentliche Theologie: ihre
Möglichkeit und Methodologie", jene von Arnos N. Wilder
heißt: „Neutestamentliche Theologie im Ubergang". Prof.
Baab bemerkt, gewisse Forscher lehnten die Möglichkeit biblischer
Theologie überhaupt ab, schließt aber mit dem Satz,
daß „der Schlüssel zum Verständnis der biblischen Religion
und Geschichte der biblische Glaube ist, aus dem die Menschen
der Bibel lebten" (S. 414). Er ist der Ansicht, daß man „auf
der Grundlage einer streng kritischen Behandlung des Alten
Testamentes, bei der die Literatur, ihr Rahmen, ihre Geschichte
und der Text genau untersucht, und seinem Wissen
um eine übernatürliche Ordnung ebensoviel Gewicht zugemessen
wird wie seinen soziologischen und historischen Tatsachenberichten
, eine echte alttestamentliche Theologie formulieren
könne. Diese Theologie will beides sein: einmal die
Beschreibung einer eigentümlichen Kultur, und die Norm
eines alle Kulturen transzendierenden religiösen Glaubens"
(S. 418). Die Mitglieder der Chicagoer Gesellschaft für Biblische
Forschung würden diesen Schlußbemerkungen keineswegs
geschlossen zustimmen. Wir erlauben uns die Beobachtung
zuzufügen, daß Baab in Beachtung der Grenzen seines
Auftrages keinen Versuch macht, das Alte mit dem Neuen
Testament zu verbinden.

Prof. Wilder vom Chicagoer Theologischen Seminar
spricht von dem „Anachronismus, eine .Theologie' in der Bibel
zu suchen" oder den Inhalt der Schrift von seinem nicht-
biblischen Hintergrund zu isolieren (S. 419). Er geht dem Entstehen
der biblischen Theologie in der Periode nach, die auch
durch das Aufkommen des Rationalismus und des Historismus
gekennzeichnet sei; er zeigt, wie die Kritik des Historismus
nunmehr zu einer Rückkehr zur biblischen Theologie geführt
habe. Er vermag diese Rückkehr nicht bloß als eine
Reaktion gegen den Historismus zu deuten. Das brennende
religiöse Interesse der jüngsten, von der Kriegsfurie durchpeitschten
Jahre, der Wunsch, die Ergebnisse wissenschaftlicher
Forschung zur Anwendung zu bringen, samt den neuen
Einsichten, die der kritischen Untersuchung selbst zu verdanken
sind: all das muß erwähnt werden. Wilder weiß sehr
wohl um die „scharfen Variationen und Dissonanzen" im
Neuen Testament, doch kann nach ihm „die Einheit des Kanons
aufrechterhalten werden", und es findet sich „die befriedigendste
Darstellung dieser Einheit in der heilsgeschicht-
lichen Betrachtungsweise" (S. 4321.). Er meint, daß, obwohl

ogie in Amerika

Filson, Chicago

„eine sachliche Darstellung unter Anlegung der strengsten
Maßstäbe wissenschaftlicher Methode möglich sei", man doch
zum vollen Verständnis „ein vernünftiges Maß" von „Deutung
und Synthese" nötig habe. In der Tat werde „ein Rekurs
auf symbolische und mytho-poetische Darstellung gewisser
Seiten der Sache wesentlich, wenn ihre ganze Wirklichkeit vermittelt
werden solle" (S. 434).

In diesen zwei Aufsätzen spiegelt sich die allgemeine
Neigung wieder, jedes Testament für sich zu behandeln. Ihre
Verfasser sind sich dessen klar bewußt, daß eine Reihe von
Forschern die Schlußfolgerung ihrer Arbeiten ablehnen.

Um diesen letzten Punkt deutlicher zu machen, nehmen
wir Bezug auf zwei Artikel in der Zeitschrift für biblische
Literatur (Journal of Biblical Literature), die von der Gesellschaft
für biblische Literatur und Exegese herausgegeben
wird. In der Märznummer 1946 dieser Zeitschrift findet sich
die Ansprache, mit der Morton S. Enslin vom Theologischen
Crozer-Seminar die Sitzung jener Gesellschaft eröffnete. Ihr
Titel ist: „Die Zukunft der biblischen Forschungen". Enslin
ist pessimistisch. Er ist das nicht allein um der Verluste willen,
welche der zweite Weltkrieg der europäischen Gelehrtenschaft
zugefügt hat, und weil es in Amerika so wenig junge Leute
mit dem für kompetente wissenschaftliche Arbeit nötigen
sprachlichen und geschichtlichen Wissensfond gibt; er ist es
auch deshalb, weil „das Praktische so gefragt ist", was er „für
gründlich falsch und verderblich" hält (S. 6ff.). Er fährt fort:
„Heute lassen ermüdete Pseudoliberale ebenso leere wie
heftige Reden über die Notwendigkeit hören, über den Liberalismus
hinauszukommen; sie reden von dem Bedürfnis nach
einer neuen Orthodoxie" (S. 8). Diese Tendenz bezeichnet er
als „verderblich". Er verlangt, man solle Wissenschaftlichkeit
auf der einen und kirchliche Interessen wie religiösen Eifer
auf der anderen Seite streng auseinanderhalten.

Die Märznummer 1947 der Zeitschrift für biblische Literatur
enthält die Eröffnungsansprache von Leroy Water-
man von der Michigan-Universität, gerichtet an dieselbe Gesellschaft
. Sie heißt „Biblische Studien im neuen Rahmen".
Daß die Arbeit an der Bibel keinen gelehrten, wissenschaftlichen
Standard aufrechtzuerhalten vermochte, das ist hier
das immer wiederkehrende Thema. Dies bedeutet im besonderen
, daß beide, Israel und die ersten Christen, an der
Idee des „erwählten Volkes" festhielten. Diese Idee aber war
eine „vorwissenschaftliche", und sie führte zu einem „falschen
Stammesbewußtsein" und zu einem „Geist herablassender
Selbstgerechtigkeit", die sich weder geschichtlich noch sittlich
rechtfertigen ließen (S. 9). Die Juden ließen die ritualistisch-
legalistische Denk- und Handlungsweise über das sittliche
Element herrschen, und obgleich Jesus das ritualistische Prinzip
in den Kreis einer universalen Sittlichkeit einordnete,
folgten doch die Führer der ersten Christenheit eher jüdischen
Vorgängern als der Lehre Jesu. Die Lehre vom Kreuz bedeutet
nichts weniger als die Verdunkelung und praktische
Verleugnung der ethischen Forderungen der Lehre Jesu und
ihrer Kraft (S. 10). Was Waterman sagt, ist, daß die herr-