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Ausgabe:

1950 Nr. 12

Spalte:

751

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Weiss, Karl

Titel/Untertitel:

Der Geist ist's der lebendig macht 1950

Rezensent:

Fichtner, Horst

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751 Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 12 752

Lechler, Alfred, Dr. med.: Der Christ und sein Temperament. Stuttgart:

Quell-Verlag d. Ev. Gesellschaft [1948]. 95 S. kl. 8°. Kart. DM2.—.

Die gewichtige wissenschaftliche Erkenntnis, daß die charakterologische
Substanz des Menschen, seine typologische Eigenart, seinen Glauben tiefgehend
prägt, so daß Haltung und Wertungen bei gleicher Echtheit und Bekenntnis-
treue doch sehr verschieden sind und dadurch Spannungen und Mißverständnisse
entstellen können, ist hier durch einen Arzt, der tief und unmittelbar in
der Frömmigkeit des schwäbischen Pietismus lebt und seine Sprache spricht,
in anspruchsloser und volkstümlicher Form illustriert. Der Autor greift bewußt
auf die einfache alte Vorstellung von den vier Temperamenten zurück,
„da sie für unsere Zwecke wesentlich einfacher und leichter verständlich erscheint
" (3). So werden im Neuen Testament Petrus, der Sanguiniker, Thomas,
der Melancholiker, Paulus der Choleriker und Jakobus der Phlegmatiker gezeichnet
, zum Teil Züge in die Texte hineinexegesierend, aber Im Ganzen
treffend und lebendig. Danach eine ganze Reihe von Männern der Kirchengeschichte
, zumal des Pietismus. Daß bei Luther alle vier Temperamente nahezu
gleich stark vertreten seien, kann man bejahen, ob am deutlichsten das
melancholische hervortritt (58), vielleicht bezweifeln. Immerhin: im ganzen
dürfte die hübsche kleine Schrift tatsächlich ein Beitrag sein, der zum gegenseitigen
Verstehen und einander Gerechtwerden helfen kann. Durch den Hinweis
auf die Schattenseiten der Temperamente (A. H. Franke cholerisch rechthaberisch
und unduldsam (69), wie bedeutsam für unsere innerkirchliche Lage!)
und durch den ermutigenden Hinweis auf ihre Lichtseiten, die zur Dankbarkeit
und zur Glaubenskraft helfen, und vor allem durch die gläubig durchgeführte
, positiv die Temperamente wertende These, daß die geschilderten Persönlichkeiten
„ihre Bedeutung im Reiche Gottes zu einem erheblichen Teil
dem aus ihrer seelischen Veranlagung hervorgehenden Temperament verdanken
", entsteht ein lebendiges Bild von der Mannigfaltigkeit des Glaubenslebens
.

Greifswald Otto Haendler

Weiß, Karl, Dr.: Der Geist ist's, der lebendig macht. Eine Biologie für
den Christen. Münster/W.: Regensberg 1947. 160 S. 8°. DM5.—.

Das vorliegende Buch, das in erster Linie für die Hand des Schülers der
Oberstufe gedacht ist, möchte In die neuesten Ergebnisse aus allen Gebieten
der Biologie einführen. Christlich orientiert und nicht im Dienste irgendeiner
politischen Ideologie stehend, fälscht es nicht Hypothesen in wissenschaftlich
erwiesene Tatbestände um und verschweigt auch nicht etwaige unbequeme
gegnerische Ansichten. Im einzelnen wird vom Leben in der Gemeinschaft,
von der Fortpflanzung und der Vererbung und insonderheit von der Herkunft
der heutigen Lebewesen gesprochen. Besonders interessieren dürfte das Kapitel
über die Herkunft des Menschen, das U. a. auch über die Deutung der Ergebnisse
nach Dacque und Gehlen referiert. Der evangelische Leser hätte allerdings
zum Besten der Arbeit eine breitere Darlegung der international anerkannten
Wissenschaftsergebnisse von Otto Kleinschmidt gewünscht, die in
der genannten,.Formenkreislehre" und vor allem noch in seinen Werken
„Naturwissenschaftliche Glaubenserkenntnis", Berlin 1930, und „Der Urmensch
", Leipzig 1931, unschwer hätten nachgelesen werden können.
Berlin Horst Fichtner

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Bülck, Walter, Prof. D.: Praktische Theologie. Eine Einführung. 2., verb.
Aufl. Heidelberg Quelle <& Meyer 1949. 160 S. 8° = Hochschulwissen in
Einzeldarstellungen. Geb. DM 6.—.

Ich verweise auf meine Besprechung der i. Auflage dieses
Werkes (1934) m der ThLZ 1935, s- 448- Das dort Gesagte gilt
im wesentlichen auch für die neue Auflage. Sie ist in manchem
verbessert, doch ist eine Durcharbeitung hinsichtlich der damals
offen gelassenen und der neu aufgebrochenen Probleme
der praktischen Theologie nicht erfolgt, vielleicht auch der
Anlage des Büchleins nach nicht nötig. Seine Mission mag es
doch erfüllen und bietet mit seinem glaubenswarmen und
weitherzigen Standpunkt und seinen wolilabgewogenen, maßvollen
Urteilen und Ratschlägen eine gute Ergänzung sowohl
zu den Veröffentlichungen, in deneu die praktische Theologie
nichttheologischen „Zeit- und Modeströmungen" unterworfen
wird, als auch zu manchen übertheologischen, dialektisch verkrampften
, lebensfernen praktisch-theologischen Werken der
jüngsten Zeit, obwohl keinerlei Atiseinandersetzung mit
beidem gegeben ist. Die Literaturangaben enthalten hauptsächlich
alte, zum Teil längst überholte praktisch-theologische
Literatur, was sich z. B. für das (überhaupt zu kurz gekommene
) Kapitel „Seelsorge" verhängnisvoll auswirkt, vor
allem hinsichtlich deren Beziehung zur Tiefenpsychologie. Es
wird nur eine Zusammenfassung dessen gegeben, was vor der
Zeit der Hitlerei da war. Von etwa 170 angegebenen
Werken sind nur zwei aus der Nachkriegszeit nach 1945, und
zwar zwei kleine Schriften von Bülck selbst!

Im einzelnen wünschte man etwas tiefere Begründung der
Urteile. Vgl. etwa S. 22f.: „Der ,Weltbund für Freundschaftsarbeit
der Kirchen', der beim Ausbruch des ersten Weltkrieges
1914 in Konstanz begründet wurde, war nach dem Weltkrieg
sehr rührig (auf deutscher Seite führend Friedrich Siegmund-
Schultze), ohne aber den zweiten Weltkrieg verhindern zu
können".

Halle/Berlin Wilhelm Knevels

Konrad, Joachim: Apokalyptische Messe. Choralsätze von Helmuth Altmann
. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht o. J. 51 S. gr. 8°. Kart.
DM 3.80.

Ein Versuch evangelischer Neugestaltung eines Gottesdienstes
, beachtlich, weil er, unter der innersten Erfahrung
der Aufgerissenheit und Erschütterung unserer Zeit entstanden
(1938) und bewährt (u. a. 1946), eine zeitgemäße Sprache
spricht, vielmehr eine Sprache, die aus der Zeit (aber wirklich
aus dieser) über die Zeit erhebt, beachtlich besonders deshalb,
weil hier ein Gottesdienst eine einheitliche eschatologische
Ausrichtung bekommt und sein Aufbau, mau kann wohl sagen:
seine Auftürmung ein Geschehen zum Ausdruck bringt, das
zu einem Ziele hinführt (welch beides unseren evangelischen
Gottesdienstorduungen fehlt).

Die Verkündigung, das Kerygma erfolgt hier In einer
sprachlich gebundenen, der Liturgie enger als eine Predigt
eingegliederten dichterischen Form; neben den Kündem sind
Sprechchöre und Einzelstimmen eingesetzt, alles, wie auch
die (ebenfalls von Konrad neu geschaffenen) Gemeindelieder
thematisch um die Schriftlesungen kreisend, die jeweils den
Fortgang oder das Höherschreiten der Liturgie verkörpern
(1. Mose 11, 1—9; Off.Joh. 17, 1—6 und 18, 21; Jer. 51, 6—9;
Dan. 5, 1—6; Off.Joh. 12, 7—12; t. Joh. 2, 18—19 u. Matth.
7, 15—16a; Joh. 15, 18—19; Hes. 33, n: Off.Joh. 6, 1—8 in
Form eines Gedichtes; Joh. 16, 33 und 11, 25; Off.Joh. 19,
11—16; Off.Joh. 19,6—9: Off.Joh. 21, 1—8). In der Erkenntnis
der ausschlaggebenden Bedeutung der biblischen Apoka-
lyptik für die Verkündigung in unserer Zeit bin ich mit dem
Verf. einig (W. Knevels: Die Offenbarung des Johannes für
die Gegenwart erklärt, Frankfurt a. M. 1935). Die Musik
paßt sich dem Wort, das allem das tragende Moment ist, gut
an. Doch wird der, der den Entwurf übernimmt, besser
einiges sprechen als singen lassen. Eine große Intensität und
Inbrunst ist in dem Ganzen, ohne daß es ins Subjektive oder
Gefühlige abgleitet.

Die dichterische Sprache, deren durchgehender Verwendung
in einem Gottesdienst prinzipiell nicht das Geringste
im Wege steht, ist von großer Wucht und zum Teil von hoher
Schönheit (wenn man diesen Begriff hier anwenden will).

Für einen Gottesdienst ist sie etwas schwerflüssig, manchmal kompliziert
und gewunden. (Etwa: „Du, Gott, bist Bindung in der Fuge und Mörtel,
der die Mauer hält", S. 11; „Deiner Schöpfung Ursprung weisen Erdenlauf
und Sternenbalm", S. 7; „Du Gott der Schöpfung und des Heils, allmächtiger
Herr des Gegenteils", S. 14; „Laß mich nicht einen Augenblick besinnend
sein", S. 29.) Eindeutig ist die widerchristliche „Religions"-Verkündigung entlarvt
, S. 25ff., und ebenso eindeutig das Flehen der Kreuzgemeinde, S. 29t.,
geformt. Ein echtes Kirchenlied ist der Choral, S. 33f.:

„Nimm hin mein armes Leben aus dieses Elends Pein. Nimm hin, was
du gegeben. Heb aus der Zeiten Schein, was dir an mir gehöret und was kein
Tod zerstöret. Herr, laß mich bei dir sein . .."

Desgleichen S. 34f.:

„Gott von Gott, Herr der Äonen, der du kamst, im Fleisch zu wohnen,
Trost in unterm Weltenleid. Reiß durch aller Sinne Schranken unsre zagenden
Gedanken, Siegesbild der Ewigkeit . . .".

Der Eingangschoral befriedigt nicht ganz, da er das Trinitarische auseinanderreißt
und die erste Strophe, mit der der Gottesdienst beginnt (im Unterschied
zu den Trinitatisliedern der Kirche) nichts spezifisch Christliches sagt.

Das „Brautlied der Kirche", S. 37ff., gibt der Abendmahlsfeier, die danach
nicht nur stattfinden „kann" (S. 39), sondern unbedingt, im Gottesdienst
, stattfinden sollte, ihren — in unserer gegenwärtigen Gemeinde fast
verlorengegangenen — Charakter als eschatologisches Freudenmahl.

Der Ausdruck „Messe" führt irre und dürfte zur Folge
haben, daß viele evangelische Pfarrer den Entwurf Konrads
von vornherein ablehnen. In einer Zeit bloßer Represtination
liturgischer Formen und deren Erhebung ins Gesetzliche wünschen
wir sehr, daß Konrads Wagnis weithin Beachtung finde,
gebraucht werde und zu liturgischen Neuschöpfungen anrege.

Halle/Berlin Wilhelm Knevels