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Ausgabe:

1950

Spalte:

749-750

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Fischer, Pius

Titel/Untertitel:

Nimm mich mit nach Lourdes 1950

Rezensent:

Siebeck, Richard

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Seite 1

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750

Das wird nun in dem überwiegenden Raum der Arbeit
nachgewiesen an dem Antipoden Heideggers, dem zugleich
führenden Vertreter der rein rationalen Erkenntnistheorie,
Nikolai Hartmann. Die Grundprobleme seiner Ontologie (in
hier begründeter Auswahl und Folge) werden analysiert
und bei jedem wird aufgewiesen, wie es erst in der psychologischen
Vertiefung seine eigentliche Bedeutung und Position
gewinnt. Besonders eindrücklich scheint mir der
Nachweis, wie unmittelbar und zwangsläufig die Theorie der
Seinsschichten erst durch ihre Ausdehnung auf die Tiefenpsychologie
lebendig und fruchtbar wird und die über das
Symbol, das erst in der Tiefenpsychologie zu seiner eigentlichen
Lebendigkeit und Bedeutung kommt. „Die eigentliche
Wirklichkeit des Stufenbaues der Kategorien ist eine seelische
Wirklichkeit. Sie leuchtet auf im lebendigen Symbol" (78),
.,das bei emer unermüdlichen Wanderung durch die Erlcbuis-
sphären des Kosmischen, des Biologischen, des Seelischen, des
Sexuellen, der geistigen Formen, immer neue Gestalten annimmt
" (nach Jung, 85). Der Nachweis des Zusammenspiels
der Seelenkräfte als primäre Tat ist der Höhepunkt der Ausweitung
des rein denkerischen Ansatzes zum ganzheitlichen
Ansatz des Erkenntnisproblems. Weiträumige Erörterung der
grundlegenden Antinomie des Erkenntnisproblems und abgewogene
Wertung der ontologischen und psychologischen
Betrachtung folgen.

Eine kurze Besprechung kann von dem Reichtum der
Durchführung und der Fülle der Beziehungen keinen Eindruck
vermitteln. Der eigentliche Nachweis ist ja seiner Natur nach
nicht eine logische Schlußfolgerung, sondern eine Erhärtung
der These durch psychologisch erwiesene Tatsachen. Diese
darf als eindrücklich gelungen angesprochen werden. Die
Arbeit ist von philosophischer Besinnung her eine bedeutsame
Stütze der Werke, die in der Psychotherapie mit Recht die
Ganzheit der Schau und die Universalität der Arbeit fordern
(Speer, der Arzt der Persönlichkeit, Frankl, Ärztliche Seelsorge
u. a.). Für die Theologie bedeutet sie als Nachbarin eine
Warnung vor theoretischem Dogmatismus und eine auch theologisch
wichtige Emordnung der Psychotherapie in den Gesamtkomplex
der Wissenschaft. Ferner ist sie gewichtig durch
die zwingenden Ausblicke au der Grenze: „das Cartesische
Ideal hindert uns, auch nur in die Nähe wichtiger Probleme
vorzudringen (96) . . . das Eindringen der uralten menschlichen
Kategorien Glaube, Schau, Entscheidung, Tat in den
Bezirk, worin bisher das Cartesische „clare et distiuete" der
isolierten ratio die Alleinherrschaft führte, ist nicht mehr aufzuhalten
" (97).

Hinsichtlich der theologischen Fragen ist der Autor zurückhaltend
. Immerhin kann der Hinweis zu heilsamem Nachdenken
führen, daß, wenn schon nur der Glaube den gordischen
Knoten der uns verborgenen letzten metaphysischen
Zusammenhänge durchhauen könnte, doch „auch der Glaube
der anthropologischen Dialektik nicht entzogen" ist (91). Der
Glaube erscheint am Rande, aber in positiver Wertung. „Die
Anschauung, daß der . . . Sinn (des Daseins) von einer transzendenten
Stelle (Gott) getragen und garantiert werde, wäre
•in sich wohl am befriedigendsten" ((99). „Die Tiefenpsychologie
wird . . . freilich gut tun, auf metaphysische Lösungsversuche
zu verzichten (ohne den Versuchen auf einer anderen
Ebene, der des Glaubens, die Berechtigung abzustreiten).
Aber ihre eigenen Probleme sind von den gleichen Säften
durchströmt, wie die oft stammelnden Fragen der Metaphysik
" (123); vgl. auch S. 57 Mitte über Hartmann.

„Alle unsere Bemühungen richten sich auf das eine Problem
: die angemessene Erfassung seelischen Seins" (117); hier
taucht nun freilich die Frage auf, ob es überhaupt möglich ist,
vom Sein adäquat und vollständig zu reden, wenn dabei die
Metaphysik und erst recht die Theologie trotz positiver Wertung
so am Rande stehen bleibt, wie auch in dieser verdienst-
. vollen Untersuchung. Nicht als ob sie in die gewählte Problembegrenzung
hineiugehöre, sondern ob man das Problem des
Seins so begrenzen kann, wenn man es „angemessen" erfassen
will: die Konfrontierung der Tiefenpsychologie mit der Philosophie
drängt auf ihre grundsätzliche und gründliche Konfrontierung
mit der Theologie.

Greifswald Otto Haendler

Schleyer, Franz L., Dr. med.: Die Heilungen von Lourdes. Eine kritische
Untersuchung. Bonn: Bouvier 1949. X, 202 S. gr. 8°. Kart. DM 11.— ;
Hlw. DM 13.50.

Fischer, Pius, P. Dr., OSB.: Nimm mich mit nach Lourdes. Führer für
Pax-Christi-Pilger. Augsburg: J. W. Naumann [1949J. 84 S. m. 1 Kte. 8°.
Kart. DM 2.80.

Während in dem Heftchen von Fischer nur praktische
Ratschläge und Empfehlungen gegeben werden, — ein ausführlicher
Baedeker für Lourdes —, bemüht sich Schleyer
ganz sachlich und rein medizinisch kritisch um ein Verständnis
der Heilungen, über die von dort berichtet wird. Altere
Mitteilungen, die den Ruhm von Lourdes begründeten, sind
kaum verwertbar, viel zu dürftig sind die Mitteilungen. Aber
auch die neueren Veröffentlichungen enthalten viel mehr
Diagnosen als Befun.de und über den Verlauf vor und nach
der Heilung erfährt man viel zu wenig. Auffallend ist die große
Zahl tuberkulöser Erkrankungen, die ja an sich schubweise
und sehr wechselvoll verlaufen, so daß das Eintreten einer
Latenz leicht für Heilung gehalten werden kann, zumal bei der
in Lourdes üblichen nur oberflächlichen Kontrolle. Bedauerlich
ist, daß die Lourdesärzte mit der neueren Medizin
wenig vertraut sind. Frauen werden etwa viermal so häufig
erwähnt wie Männer. Daß bei den Erkrankungen und Heilungen
die Psychogenese eine ganz überragende Rolle spielt,
ist nicht zu bezweifeln. Ob und wieviele Fälle eine „übernatürliche
Heilung" erkennen lassen, läßt Verf. offen; Beweise dafür
sind vorerst nicht zu erbringen. Das religiöse Problem wird in
der Schrift nicht berührt.

Heidelberg R. Siebeck

Ziermann, Bernhard, c.ss.R.: Nervöse Seelenleiden und ihre seelsorgliche
Behandlung bei Alfons von Liguori. Heidelberg: Kerle 1947.

219 S. 8°. Hlw. DM7.80.

Obwohl Alfons von Liguori nicht der erste war, der über
die Frage der kirchlichen Seelsorge an Geisteskranken schrieb,
kommt ihm doch das besondere Verdienst zu, dieses Problem
weithingehend gefördert zu haben. Eine exakte Phänomenologie
der psychischen Störungen stand ihm freilich noch nicht
zur Verfügung; weil er aber eine erstaunliche Beobachtungsgabe
besaß und aus Liebe zu den Kranken auch bereit war,
sie ganz ernst zu nehmen, gelang ihm die Aufstellung einer
Fülle seelsorgerlicher Normen, die den Vorzug hat, in der
Praxis auf ihre Wirksamkeit hin erhärtet worden zu sein. Erstaunlich
ist im einzelnen, was Liguori da an Sachlichem zu
sagen hat, so, wenn er die Forderung der geistlichen Führung
aufstellt, die Krauken, modern ausgedrückt, einer Arbeitstherapie
unterwirft, auf regelmäßige, notfalls auch schriftliche
Aussprache Bedacht nimmt und gegebenenfalls sogar vom
Besuche des Gottesdienstes abrät, wenn dem Patienten dadurch
nur Anlaß zu neuem Grübeln gegeben wird. Jedem Kranken
sucht er in seiner Art gerecht zu werden, wenn er ihn
freundlich anhört und ihn erst nach einem kräftigen Zuspruch
wieder entläßt. Bei depressiven Kranken ist es sein besonderes
Anliegen, ihnen entgegen allen Beteuerungen klarzumachen,
daß Gott sie trotz ihrer Unsicherheit und Angst gerade besonders
lieb hat.

Diese seelsorgerlichen Tatbestände werden vom Autor mit
großer Klarheit vorgetragen und quellenmäßig exakt belegt.
Ich bin geneigt, dem Anhang, der eine Fülle seclsorgerlicher
Briefe des Alfons von Liguori vermittelt, besondere Bedeutung
zuzuerkennen und kann nur wünschen, daß das Buch
auch in evangelischen Seelsorgerkreisen ernsthaft und in
letzter Verantwortung für den seelisch gestörten Menschen
studiert wird.

Berlin Horst Fichtner

Meyer, Hans-Arnold: Die Bedeutung der Krankheit für das Werden

des christlichen Menschen. Hamburg: Reich & Heidrich 11947]. 16 S. 8°
= Schriftenreihe des Landeskirchlichen Amtes für Volksmission. DM —.80.
In der verdienstvollen Schrift wird das Problem nach dem Sinn der
Krankheit gestellt. Folgerichtig wird nachgewiesen, daß die zeitgemäße, naturwissenschaftlich
fundierte Heilkunde, weil ihr das Bild des Menschen schlechthin
verloren ging, diese Frage gar nicht beantworten kann. Das gilt in gleicher
Weise von der Psychotherapie, die in der Krankheit bestenfalls nur eine verwandelte
Sünde sieht. Sinnvoll allein wird die Frage im einzelnen in Joh. 9,
1—3 beantwortet, wenn es im Hinblick auf den Blindgeborenen heißt: „Es hat
weder dieser gesündigt, noch seine Eltern, sondern, daß die Werke Gottes
offenbar würden an ihm". Damit wird deutlich, daß nur der Mensch nach
seiner Krankheit „wie neugeboren" ist, dem zugleich mit der Heilung die
Gnade und Liebe Gottes offenbar wurde. Der Sinn der Krankheit enthüllt sich
also nur von innen heraus, indem der Kranke aus der krankheitsbedingten
Verwandlung den Weg vom Tode zum Leben und vom Leben zum ewigen
Leben erkennt und anerkennt. Dringt der Patient nicht zum Offenbarungsgehalt
der Krankheit vor, als einer zweiten Geburt zum Leben, müssen die
Krankheitstage als verpaßte Gelegenheit gelten. Die Krankheit war für ihn
dann keine „Chance" oder die letzte Krankheit nicht die „höchste Chance",
um zur absoluten Heilung vorzustoßen, die ihm die Liebe und Gnade Gottes
zur hingebenden Verpflichtung werden läßt.

Berlin Horst Fichtner