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Ausgabe:

1950 Nr. 1

Spalte:

52-53

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Bach, Kurt

Titel/Untertitel:

Auferstehung des Ich 1950

Rezensent:

Wolf, Hans-Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 1

52

Micklem, Nathaniel, M. A., D. D., LL. D.: Religion. London: Oxford Uni-
versity Press 1948. 224 S. kl. 8» = The Home University'Library of Modern
Knowledge 201. Lw. 5 s.

Gegenstand dieses Bandes der Home University Library
ist, was man sonst unter dem Titel „Vergleichende Religionsgeschichte
" antrifft. Micklem will die museale Art der Behandlung
vermeiden und Religion als organisches Element in
der allgemeinen menschlichen Erfahrung und diese selbst als
Einheit behandeln. Die Verwirrung, die das Bild der Religions-
geschichte auf den ersten Blick bietet, ist nach Micklem weniger
groß, wenn man erkennt, daß bestimmte Momente immer
wiederkehren und das Grundschema der Religion verhältnismäßig
einfach ist. Im ganzen folgt M. der evolutionistischen
Rehgionsauffassung, wie sie seit Spencer üblich ist wenngleich
er den Begriff der „primitiven Religion" durch den der
„elementaren" ersetzt wissen will. Animismus Ahnenverehrung
und Naturdienst führen zur Religion des unpersönlichen
Heiligen (Hinduismus, Buddhismus, Epikur) über der
Naturreligion, wie sie in China, der Stoa, der Astrologie und
dem Neuplatomsmus vertreten ist, erhebt sich die Religion des
höchsten Gottes (Zoroaster, Echnaton, und als christlicher
Vertreter wird St. Bonaventura genannt). An dieser Stelle
schlägt das Herz des Autors höher, wenn er sich zu diesem
Typus einer ethischen, vernünftigen, nüchternen, wenig um
Spekulation, Zeremonien oder Mythen bekümmerten „natürlichen
Religion" bekennt, die die Religion der Weisheitsliteratur
der alten Welt ist, die Voraussetzung für den Humanismus
Shakespeares und der klassischen Tradition Europas. Für den
Weg der persönlichen Frömmigkeit wählt M. den indischen
Begriff des Bhakti, neben dem die Religionen des Willens
(Islam, Mazdaismus, Mosaismus), die prophetische Religion
(Sokrates, Jeremia) und die Mystik in ihren verschiedenen
Formen stehen. Von Interesse ist Micklems Auffassung des
Mythus: dieser ist ihm nicht eine antiquierte Form religiöser
Ausdrucksweise, sondern ein notweniges Gefährt der Sprache,
wenn der Mensch von der bloßen Beschreibung eines Tatbestands
zur Deutung übergeht. Man darf Mythen nicht nach
dem Maßstab des tatsächlichen Geschehens in ihrem Wahrheitsgehalt
bemessen, sondern als Ausdruck einer tieferen Einsicht
in das Wesen des Göttlichen. Auch das Christentum beruht
auf einem Mythus, der sich aber von anderen antiken
Mythen dadurch unterscheidet, daß er sich auf eine historische
Person bezieht. M. schließt sich Harnack an, wenn er
sagt, das Christentum sei nicht so sehr ein Mythus unter
anderen, als vielmehr der erfüllte Mythus. Das Verhältnis des
Christentums zur Welt der Religionen faßt M. folgendermaßen
zusammen: „Von allen empirischen Religionen ist das Christentum
von höchster Bedeutung, erstens weil es auf der Grundlage
des klassischen Humanismus eine .natürliche Theologie'
oder die philosophia perennis, die Religion der Vernunft systematischer
und kritischer als jede andere Religion entwickelt
hat, und zweitens weil alle anderen Mythen hinfällig werden,
wenn der .Mythos' von Jesus Christus, dem Sohne Gottes, der
in der Geschichte wurzelt, nicht ernst genommen wird"(2o'5/6).
In typisch englischer Weise verbinden sich bei Micklem der
Evolutionismus, der klassische Humanismus mit seiner Frucht
einer natürlichen Theologie mit der Inkarnationstheologie. So
wenig es dem deutschen Kritiker ansteht, diese Synthese in
ihrer Echtheit zu bezweifeln, so sehr bleibt doch die Frage
offen, ob ein solches synthetisches Denken in unserer Situation
zunehmender Desintegration vollziehbar ist.

Tübingen H. H. Schrey

Lee, Otis: Existence and Inquiry. How Philosophy came to be where it
is today and Suggestions for its Future Advancement. Chicago: The University
of Chicago Press 1949. 323 S. Geb. S 4.—.

Dieses Werk eines bald nach dessen Vollendung verstorbenen
amerikanischen Philosophen (zuletzt Prof. der
Philosophie am Vassar College) bezeichnet den Versuch einer
Neuorientierung und Weiterbildung des Pragmatismus, hinaus
nicht nur über Charles Pierce und William James, sondern
auch über John Dewey, den gegenwärtig namhaftesten Vertreter
dieser Richtung.

Otis Lee möchte die letzten Schlacken eines spröden Onto-
logismus, die bis zur Stunde eine klare Begriffsbildung verhindern
, ausschalten zugunsten eines radikalen Empirismus.
Hatte nun aber schon James seinen Standpunkt als radikalen
Empirismus bezeichnet, den er jedoch später bei semer Wendung
zu dem metaphysischen Pluralismus erweichte, so handelt es
sich unserem Verf. um ganz reinliche Grenzscheidung. Zu
diesem Zwecke rollt er seine Unterscheidung von (historisch
angesehen) drei Perioden und (methodisch angesehen) drei
kombinierten Arten der Untersuchung in den drei großen Abschnitten
seines Buches auf: die analytische, dialektische und

pragmatische Periode. Indem er dieselben nacheinander behandelt
, legt er die Phasen des pragmatischen Schulstreites
dar, ohne jedoch die einzelnen abgewiesenen Positionen, vor
allem diejenige von James immer namhaft zu machen.

Der Schauplatz des Buchs zeigt uns ein hartes Ringen
um die rechte Form des reinen Empirismus. Was Verf. vor
allem bekämpfen will, ist die bei James seit 1904 bemerkbare
Neigung zu einem entschlossenen Realismus, der ihn zur Anerkennung
auch der inneren „unmittelbaren Erfahrung" trieb,
welch letztere ihm ermöglichte, der Religion ihren Platz im
System eines erkenntnistlieoretischen Realismus anzuweisen.
Dem Verf., der diese letzte Jamessche Phase absolut ablehnt,
kommt es darauf an, die Benützung der „immediate expe-
rience" völlig zu überwinden. Wenn schon von unmittelbarer
Gegebenheit der Objekte geredet werden könne, so sei dieselbe
doch immer nur ein Pol im Erfahrungsprozeß, während
der andere Pol die nackte, mit den Dingen selber zu machende
Erfahrung sei. Hier ist es interessant, daß Lee feststellt, daß
der Erkenntnisprozeß nicht durch eine Einwirkung der Dinge
auf den Verstand erklärt werden kann. Statt James' unmittelbarer
Erfahrung bietet er die produktive Aktivität unseres
Geistes.

Wie nah oder fern sind wir hiermit dem Kantschen
Apriori? Folgende Stelle möge die Antwort geben: „Es ist in
einem tautologischen Sinne wahr, daß Begriffe a priori sind.
Es ist ebenso tautologisch wahr, daß Erkenntnis eine logische
Konstruktion aus Sinnengegebenheiten ist. Erkennen ist eine
Tätigkeit, und solche Sätze wie diese erklären, daß die Geistestätigkeit
zu dem Erkenntnisprozeß gehört. Aber sie leiten irre,
wenn sie als empirische Beschreibungen des Erkenntnisprozesses
gemeint sind. Denn sie machen nicht klar, daß die Erkenntnis
nicht ohne bloße Erschaffung eines Produkts aus
passivem Stoff ist. Sie beschreiben nicht das Erkennen, sondern
deuten einen Aspekt davon an unter Absehen von den
übrigen. Erkenntnis ist begriffliche Interpretation, eine Tätigkeit
, in der die Prinzipien der Interpretation ihre Ergänzung
durch den Geist erfahren."

Chicago Karl Beth

Bach, Kurt, Dr.: Auferstehung des Ich. Düsseldorf: Merkur-Verlag 1948.
X, 245 S. 8°. Hlw. DM 7.80.

Dem Verf., dem als Retter der Särge Goethes und Schillers
Emil Ludwig eiu empfehlendes Vorwort geschrieben hat, geht
es darum, mit diesem Buch von der „Sucht zur Bewertung"
des Menschen „nach Schablonen" wieder zur „Grundlage des
wahren Menschentums" zurückzuführen, „auf der das lebenspendende
Wirken unsrer abendländischen Kultur beruht"
(IX). Es soll mit diesem Buch der Wille zum Ich, zum verlorenen
„Zuhause von Geist, Seele und Herz" der Weg gebahnt
werden.

Dazu wird zunächst eine Begriffserklärung vorgenommen,
vor allem des Begriffes Kultur, die als „Inbegriff gewachsener
und gepflegter Lebensbedingungen und. der sie auf eine bestimmte
Art sittlich veredelnden Daseinspotenzen" verstanden
, des Begriffes „Kultursubstanz", die als der „vitale
Grundbestand an Wirkungskräften und Bedingungen einer
Kultur" definiert wird (S. 8).

Nachdem daran anschließend eine „Kultursubstanzlehre"
entfaltet wird, indem der Verf. auf die Kulturkreislehre Spenglers
zurückgreift, kommt er nach einer Analyse der abendländischen
Hochkultur, nach einer kritischen Darstellung der
„Kultur des Kollektiv" zu dem Ergebnis, daß es die Schicksalsforderung
des Abendlandes an uns ist, „dem gemeinsamen
Schicksal zu leben und dem Ich zur Freiheit zu verhelfen"
(S. 116).

Wie ist diese Forderung zu erfüllen ? Darüber wird in dem
weiteren Kapitel „Zur Gegenwartssituation der Kultursubstanz
" im Hinblick auf Technik, Wirtschaft, Kunst usw. eine
Antwort versucht.

Wer erkennt, daß z. B. die Technik weder göttlich noch
teuflisch ist, daß ihr keine magische Kraft anhaftet, für den
entsteht damit ein lebendiges Uberlegenheitsgefühl, die Entpersönlichung
des Menschen wandelt sich in das Bewußtsein
vom Wert der schöpferischen Einzelmenschen. Es vollzieht
sich die Befreiung vom Es zum Ich. Zu dieser Befreiung findet
das Abendland nur in der Konzeption des „abendländischen
Sozialismus", in dem das „Ethos von der Autonomie der freien
Persönlichkeit in fruchtbarem Wechsel zum Sozialen" steht
(S. 197)-

Das Pathos, mit dem uns diese Konzeption vorgelegt wird,
wird viele Leser von heute kaum über das Verschwommene,
Visionäre der Gedanken hinwegtäuschen. Vielleicht ist es sehr
bezeichnend, daß das Buch mit einer reichlich pathetischen