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Ausgabe:

1950 Nr. 11

Spalte:

680

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Pantschowski, Iwan G.

Titel/Untertitel:

Der Widerspruch zwischen Religion und Ethik 1950

Rezensent:

Noack, Herbert

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 11

680

und den Autor gewissermaßen noch im Gespräch mit sich
selber zeigen, eine ausgezeichnete Grundlage für die Arbeit
im systematischen Seminar abgeben könnten. — Vor allem
sähe ich das Buch gern in den Händen recht vieler Kandidaten
und junger Pfarrer, derer also, für deren Zurüstung B. ein besonderes
Charisma besaß. Es wäre schlimm, wenn diese Ethik,
wie es mir manchmal scheinen möchte, ohne tiefere Wirkung
gerade auch auf sie an unserer Kirchenzeit vorüberginge. Wie
viel ist hier — indirekt, an der Art, wie B. redet und an die
Dinge herangeht — für die Aufgabe einer weltoffenen, unklerikalen
, wirklich fröhlichen Ausrichtung der frohen Botschaft
zu lernen, wie viel für die Herausbildung einer zeit- und
evangeliumsnahen „Kirchensprache", wie viel für eine wirklich
keusche Form der Seelsorge! — Darf man hoffen, daß
auch die, die einmal mit B. zusammen fast noch jung gewesen
sind und gekämpft haben und die heut auf der Höhe ihres
Lebens und ihrer kirchlichen ,,Macht" stehen, diese Ethik
lesen und sich von der „Weltlichkeit" und „Freiheit" dieses
gerechtfertigten Sünders erschüttern lassen werden ?

An den Herausgeber habe ich zwei Bitten: Es begegnen
eine ganze Anzahl Textfehler, die offenbar auf den Zustand
der B.sehen Manuskripte zurückgehen und zum Teil
den Sinn schwer entstellen; in einer zweiten Auflage sollten
sie ausgemerzt werden. — Und wäre nicht zu erwägen,
die am meisten in sich geschlossenen Abschnitte, namentlich
den kulturpolitisch so wichtigen ersten, für sich als Traktate
herauszugeben ? Viele, die bestimmt keine Ethik kaufen und
lesen, würden für solch ein Heft zugänglich seüi, und B.s Gedanken
kämen so zu jener Weite ihres Dienstes, die wir ihnen
um der Sache willen wünschen müssen.

Mainz W. Jannasch

Stückelberger, Hans Martin, Pfarrer Dr.: Christliches Handeln. Die

biblische Antwort auf die Frage nach dem rechten Tun. St. Gallen: Verlag
d. Evang. Buchh. 1946. 241 S. 8°.

„Bleibt die Frage, was wir denn nun ganz praktisch zu
tun haben, nicht dennoch unbeantwortet?" (35). Und wenn
wir auf die Imperative der Schrift schauen, so führen sie „vorerst
zu nichts anderem als zu der höchst unerwünschten Einsicht
, daß ihnen nicht mit dem besten Willen entsprochen
werden kann" (39). Mit diesen Gedanken führt uns der Verf.
an die ethische Fragestellung heran. Dieser so uotvollen Erkenntnis
menschlicher Ohnmacht in Ansehung der Imperative
tritt Stückelberger mit der Feststellung entgegen, daß allen
biblischen Imperativen ein Indikativ vorangeht. Dem „Du
sollst" geht ein „Du bist" voraus. Und dieses „Du bist" bedeutet
, daß der Mensch bereits gerechtfertigt ist. So fließt
denn alles menschliche Handeln aus dem Dank und der
Freude, was Gott bereits an dem Menschen getan hat. „Denn
gut handeln heißt: sich Gottes Beschluß unterwerfen, annehmen
, was er getan hat, heißt: sich an seiner Barmherzigkeit
erquicken und aus Dank und Freude die ganze Botschaft
des Evangeliums in sein Herz einströmen lassen, um selber zu
tun, was nur getan werden kann, weil Gott auch alles getan
hat, was getan werden muß" (45/46). Christliches Handeln ist
die Dankbarkeitsantwort des Menschen auf Gottes Gnadentat
. Nachdem Stückelberger diesen urreformatorischen Tatbestand
herausgearbeitet hat, geht er zu einer Wesensdeutuug
solchen christlichen Handelns über. „Der Mensch sieht, was
vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an." Mit diesem Satz
leitet der Verf. seine Betrachtung über „Wesen und Eigenart
der christlichen Tat ein". Das Handeln des Christen liegt im
Verborgenen und ist vor der Welt weder als gut noch als edle
Tat greifbar; denn „unser Leben ist verborgen mit Christo in
Gott" (76). Dies ist gewiß eines der anregendsten und interessantesten
Kapitel des Buches, zumal es mit recht praktischen
historischen Belegen geschrieben wurde. Dann wendet sich der
Verf. den praktischen Lebensfragen zu: Beruf, Ehe, Staat,
Krieg usw. Die Stimmung, die sich in der gesamten Darstellung
spürbar macht, spricht sich etwa in folgenden Gedanken
aus: An Gottes Geboten wird die Verdorbenheit der
Welt sichtbar. „Wir werden uns deshalb in der Welt nie behaglich
fühlen . . . Wir verwerfen die Meinung, daß sich die
echte Christlichkeit in dieser und jener Absonderung bekunden
müsse und verschließen uns den Genüssen des Daseins nicht,
sofern die Verankerung unseres geistigen Menschen in einer
anderen Heimat dadurch nicht gefährdet wird" (166). Es ist
also eine echte Konfliktsethik, die den Menschen dort anspricht
, wo er im praktischen Leben steht, die ihm kein
falsches christliches Pathos anpreist und die darum so echt
wirklichkeitsnahe und natürlich ist. Das ist die starke Seite der
Stückelbergerschen Ethik. Ein Stück reformierten Weltverständnisses
und reformierter Lebensgestaltung begegnet uns
hier.

Eine kritische Frage bleibt zu stellen. Hat der Verf. eine
echte biblische Beziehung zwischen den Indikativen und Imperativen
der neutestamentlichen Texte geschaffen ? Der Verf.
hat dieses Verhältnis als Dankbarkeit gedeutet: Durch unser
Handeln danken wir Gott für die empfangene Gnade. Das ist
ein Stück reformatorischer Dogmatik und der aus ihr gefolgerten
Ethik. Trifft dies aber wirklich zu, d. h so zu, wie
wir heute die Dinge im Lichte der exegetischen Forschung der
letzten 50 Jahre sehen gelernt haben ? Das scheint mir die
Kernfrage der Stückelbergerschen Konzeption zu sein. Daß
Stückelberger seine Ethik auf dieses Verhältnis von Indikativ
und Imperativ abstellt und sie darin begründet, ist seine
Stärke. Weil er aber seine exegetische Uberprüfung dieser Beziehung
verabsäumt und überlieferte Anschauungen überträgt,
bleibt er uns an dieser Stelle gerade die Antwort schuldig, um
die es uns heute geht.

Berlin Otto A. Dilschneider

Pantschowski, Iwan o.,Dr.phii :Der „Widerspruch" zwischen Religion
und Ethik. Sofia 1949. 38 S. gr. 8° = Sonderabdruck aus: Annuaire
de I'universite de Sofia. Faculte theologique, Tome XXVI, 1948—1949.
Der junge bulgarische Wissenschaftler, der dem Protestantismus nicht
unkritisch gegenübersteht, legt uns in dieser in bulgarischer Sprache abgefaßten
Abhandlung eine Arbeit aus seinem Lieblingsgebiet, der Ethik, vor.
Anhangsweise ist dem Heft eine gedrängte Zusammenfassung des Inhalts in
deutscher Sprache beigefügt, die wir in gebotener Kürze so wiedergeben, daß
der Gedankengang der Arbeit deutlich wird.

Einführend bemerkt Verf., daß vorliegende Schrift nur die Grundlegung
für eine geplante kritische Auseinandersetzung mit der „Ethik" Nicolai Hartmanns
sein soll.

Der erste Abschnitt untersucht den Emanzipierungsprozeß der Ethik
von der Religion. Alle rationale Beleuchtung und Begründung sittlicher Phänomene
hindere weder die Religion daran, Trägerin sittlicher Werte zu sein,
noch die Theologie, ethische Probleme vom Standpunkt der Vernunft und auch
der Offenbarung aus zu erforschen (Frontstellung gegen K. Barth und
E. Brunner).

Der zweite Abschnitt handelt von der Antinomienlehre und ihrer Anwendung
zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen Religion und Ethik und
ist im wesentlichen eine Auseinandersetzung mit N. Hartmann, dessen Antinomien
zwischen Ethik und Religion nach Ansicht des Verf.s bloße Widersprüche
sind, die gegen das formal-logische prineipium contradictionis verstoßen
und die letztlich ,,zu einem auf ethischer Grundlage aufgebauten postu-
latorischen Atheismus" führen müssen.

Der dritte Abschnitt gruppiert sich um die Frage: Sind Religion und
Ethik grundsätzlich antinomisch? Sowohl vom sittlichen wie auch vom religiösen
Bewußtsein aus ist die These von einem antinomischen Verhältnis
zwischen Ethik und Religion abzulehnen. Verf. erläutert diesen Standpunkt
von seinem orthodox-christlichen Dogma aus, nach welchem kein realer Widerspruch
zwischen Offenbarung und objektiver Vernunft besteht, weil beide
aus Gott stammen (Augustin: Wo ich Wahrheit fand, da fand ich Gott, die
Wahrheit). Nach orthodoxer Dogmatik gilt die Vernunft trotz der Sünde
weiterhin als göttlicher Teil im Menschen. Erneut wird Brunner (diesmal mit
seinem Satz: Vom Menschen aus führt kein Weg zu Gott) abgelehnt und durch
Belegstellen aus AT, NT und Kirchenvätern die Stellung der menschlichen
Vernunft und Weisheit gekennzeichnet. Dieser Abschnitt gipfelt in der Behauptung
, daß die natürliche Sittlichkeit auf demselben metaphysischen
Grunde — dem heiligen Willen Gottes — basiere wie die christliche Sittlichkeit
.

Im Schlußwort erbietet sich der Verf., in einem geplanten Werk auf
Grund der in unserer Arbeit gemachten Feststellungen die von N. Hartmann
aufgestellten Antithesen zwischen Religion und Ethik als nur scheinbare Antinomien
zu beweisen und darzulegen, daß eine Einheit und Harmonie zwischen
Ethik und Religion besteht — vom orthodox-christlichen Standpunkt aus.

Eine kritische Würdigung dieser erfreulichen und zugleich beachtlichen
Untersuchung wird erst die wünschenswerte vollständige Übersetzung ins
Deutsche zulassen; wir sind gespannt, was P. uns im einzelnen noch zu
sagen hat.

Fünfeichen-Fürstenberg/Oder Herbert Noack

GEGENWARTSFRAGEN

Hermelink, Heinrich: Katholizismus und Protestantismus im Gespräch
zwischen den Konfessionen um die Una Sancta. Stuttgart:
Ehrenfried Klotz 1949. 64 S. 8°. Kart. DM 2.40.

Beinahe allgemein ist die Behauptung, das Verhältnis
zwischen Katholizismus und Protestantismus sei in eüi neues
Stadium getreten. Dieser Behauptung steht indes die alltägliche
Beobachtung gegenüber, welche die ungebrochene Fortdauer
der „konfessionellen" Spaltung feststellt. Ja in der
Praxis der Gemeinden kann man da und dort sogar eine Verschärfung
des Auseinander und Gegeneinander antreffen. Wie
muß jene Behauptung und diese Beobachtung aufeinander