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Ausgabe:

1950

Spalte:

674

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Jelke, Robert

Titel/Untertitel:

Die Religion 1950

Rezensent:

Redeker, Martin

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Seite 1

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673

Theologische Literaturzeituiig 1950 Nr. 11

674

tungen zu bringen, die überzeugen und uns Picassos Werk als
eine Folge ,,gigantischer Konfessionen" eines Menschen darzustellen
, der „den Riß, der die Erde durchzieht", noch
weiter aufreißt und ein Leben aufweist, das nicht wie ein Dasein
aus göttlicher Gnade, sondern wie ein Getriebensein durch
der Erscheinungen Flucht anmutet. In Picassos Soledades ist
..kein Raum für eine metaphysische Gottperson". So bleibt
schließlich das Vcrzweifeltsein, der Mensen, der weint. Für
Seelsorger unter modernen Menschen, die von Sehwermut beschattet
leben, ist die Lesung dieses Buches sehr aufschlußreich
.

Uelzen Ernst Strasse!

IWlLOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Dessauer, Friedrich: Mensch und Kosmos. Ein Versuch. Frankfurt/M:
Verlag Josef Knecht, Carolusdruckerei (1949). 234 S. 8°. Lw. DM 7.80.
In vier große historische Komplexe der geistigen Natur-Eroberung führt
der Verf. im ersten Teil seines Werkes ein: 1. die Vorsokratiker. Man könnte
es einen „Windelband für den Handgebrauch" nennen, was Verf. hier in An-
ICbnung an Olof Gigon bietet. 2. Galilei als „Induktiver Forscher", gefolgt von
3. Newton als ,, Infinitesimal-Rechner", die beide der 4. neuen Forschung die
Bahn gewiesen. Hier wird die astronomische Makrokosmos-Berechnung bis zu
den Galaxien einerseits, sowie die Bausteine des Mikrokosmos in den Copuskulen
der Atomforschung andererseits vorgeführt.

Der zweite Teil ist eine denkerischc Aufarbeitung von vorurteilsbelasteten
Worten und Werten: Wirtschaft — Technik — Religion. Solch
Priesterlicher Dienst am Altar der Natur mündet in einen prophetischen Ruf
an die suchenden Menschen, in der Zukunft dem göttlichen Walten gläubig
welter zu folgen. Auch Erfindung ist nicht schöpferisch, sondern das Finden der
vom Schöpfer dargereichten Möglichkeiten.

Wer so eindeutig (wie Verf. es S. 203 tut) auf den gekreuzigten Heiland
auch in einem solchen Buche verweist und daraus resultiert: „Das Christentum
steht am Anfang seiner Wirkung", wird zu einer unüberhörbaren Stimme
'm Ringen der Geister, einer Stimme, die den Einzel-Nachweis erbringt, daß,
w'e wohl begründet, Glaube und Natur-Forscnung geschwisterlich Hand In
Hand arbeiten können, ja daß die höhere Einheit in der Ordnung Gottes
zu finden Ist und nicht erst herangetragen zu werden braucht

Dem Verdacht des zu kleinen Zuschnittes der persönlichen christlichen
Religionsübung einer solchen schier Unübersehbarkeit makrokosmischer
Sternenwelten wie der Intensität mikrokosmischer Energien gegenüber entnimmt
dieser Geistesbau künftig die Berechtigung. Er konnte nur aus
einer Summe von voraufgegangen Teilarbeiten, ja einer ganzen Lebensarbeit
zu diesem geschlossenen „Versuch" heranwachsen. Verf. verweist anmerkungsweise
auf frühere Arbeiten wie: „Technische Kultur", Kempten: Kösel 1908;
■ .Philosophie der Technik", Bonn 1935; „Der Fall Galilei und wir", Luzern
'943; „Weltfahrt der Erkenntnis, Leben und Werk Isaac Newtons", Zürich
1945; „Wilhelm Röntgen, die Offenbarung einer Nacht", Frankfurt; „Atomenergie
und Atombombe", Frankfurt u. a. Die vorliegende Arbeit ist aber
licht eine Aufreihung oder artistische Zurschaustellung von Fachwissen, sondern
von so echt pädagogischem Eros gestaltet und durchformt, daß
dieses Buch ein für viele hilfreicher Dienst genannt werden muß. Für viele?
So für Techniker, die ihren Fachsektor geistig in eine Qesamtweltanschauung
einbezogen sehen wollen; für bildungshungrige Arbeiter, denen sich in diesem
Buch so etwas wie eine häusliche Volkshochschule anbietet; und vor allem
der nach innerer Ausrichtung hungernden Schar junger Menschen, die der
Naturwissenschaft als Beruf zuströmt, aber mit ihrer Sehnsucht dem Reich
des Geistes verbunden bleiben möchte. In klarem, präzisem, durchaus verständlichen
Sprachstil führt es jeden an die Forschungsergebnisse heran, läßt
ihn aber nicht Im Laboratorium der Einzelforschung hilflos zurück, sondern
weist ihn aus seinen liebevoll aufgenommenen Problemen (wie etwa der Verwechselung
von „Wirtschaft und Technik") in den Dom seines christlichen
Glaubens einen gangbaren Weg (so nicht nur im Schlußkapitel „Schicksal und
religio", sondern durchgehends im Gange der Erörterungen).

Eine ökumenische Randnotiz, die hieraus resultiert, möge hier ihren
Platz finden: man könnte für die „Evangelischen Akademien"-Arbeit kaum
ein zweites so geeignetes Buch empfehlen, als dieses Werk eines offensichtlich
katholischen Forschers. Auf dem wirklichen Großkampffeld der Moderne,
dem Gebiet der Naturforschung, erweist sich die Gemeinsamkeit christlichen
Geistesgutes als vielfach verbindlicher als alle noch so sorgsam gehüteten
Schutzzäune um konfessionelle Schonungen; sind diese zu einem Hochwald
herangewachsen, so haben sich solche überflüssig gemacht, ja bieten auch keine
Deckung mehr.

Erleichternd für seine Arbeit ist dem Forscher wohl die uneingeschränkte
Anerkennung seiner Kirche in dem Lehransatz der theologla naturalis
(z. B. S. 158 und oftmals), die aber in einer „geoffenbarten Antwort" (z. B.
S. 148) auf den „Ruf" „nach Gnade" (ibid.) erst ihre Präzision erhält, ja in
einer persönlichen Glaubensentschcldung, die bis an die unio mystica (mehrfach
) wie vor „die Geheimnisse der Pracdestination" (S. 160) heranführt, auch
ihre Entsprechung bei dem einzelnen Naturforschenden findet.

Die Lebenshaltung seiner Helden Galllei und Newton (auf dessen christliche
Bekenntnisse in seiner Korrespondenz mit dem protestantischen Pfarrer

Bentley Verf. mehrfach verweist, so S. 64/65), legt einem so fundamentalen
Denker und Naturwissenschaftler, wie der Verf. sich hier ausweist, eine solche
Haltung als auch für unsere Zeit empfehlenswert nahe. Dankbar sind wir für
den christlichen Realismus, in dem sich Verf. bewegt und auch dem „Existen-
zialismus" seine Einseitigkeit nachweist. S. 220 streift er die Bahn einer
Utopia redivlva und S. 91 wäre wohl der historische Sprung von der Antike
zu den beiden nachreformatorischen Naturforschern durch die grundlegende
Wandlung zu skizzieren, die in der Individuum-Neuwertung durch Jesus
Christus selbst für die Welt angehoben hat.

Neubukow Günter Gloede

Jelke, Robert, Prof. D. Dr.: Die Religion. Ihr Kernproblem und dessen
Lösung. Heldelberg: Jedermann-Verlag 1947. 40 S. 8°. DM 1.36.

R. Jelke versucht die religionsphilosophischen Gedanken,
die er bereits in früheren Schriften, besonders in seiner Religionsphilosophie
ausführlich entwickelt hat, in knapper Form
erneut darzustellen. Sem Hauptanliegen ist es, die Apriorität
der religiösen Funktion nachzuweisen. Das von ihm behauptete
gegenüber dem logischen, ästhetischen und ethischen
eigenständige religiöse Apriori ist ein die anderen Seinsrichtungen
des menschlichen Geistes übergreifendes und gestaltendes
Prinzip, das dadurch das wichtigste und tragende Glied im
Kosmos des Geistes wird. Die Religion ist dann erkenntnistheoretisch
dadurch gerechtfertigt, daß sich in ihr ein „Gesetz
unserer Vernunft" (12) auswirkt; sie ist also nicht zufällige
psychologische oder historische Tatsache, sondern enthält
ewige Wahrheit.

Darüber hinaus soll der Begriff des Apriori das Verhältnis
von Offenbarung und Glaube erhellen. Das Apriori ist die
formale Struktur des menschlichen Geistes, die „das Aufsteigen
vom Endlichen zum Unendlichen ermöglicht" (32). Die
Offenbarung ist dann gleichsam das religiöse Erfahrungsmaterial
, das vermöge des formalen apriorischen Vennmftprinzips
zu gestalten ist, das sich die religiöse Vernunft aneignet, um
die Gottesidee zu bilden.

Diese Gedanken, die Jelke bereits früher in Auseinandersetzung
mit den Religionsphilosophien von E. Troeltsch und
von R. Otto entwickelte, sind in dieser Wiederholung ein Hinweis
darauf, daß die gegenwärtige Theologie das Verhältnis von
christlicher Offenbarung und menschlichem Geistesleben neu
zu untersuchen und zu prüfen hat, nachdem dieser Fragenkreis
in der theologischen Diskussion der letzten zwei Jahrzehnte
vernachlässigt wurde. Aber Jelkes Ausführungen können
in dieser Gestalt wohl nicht die schweren Bedenken entkräften
, die überhaupt der Verwendung der Kategorie des
Apriorischen bei der Deutung der Religion, msbesondere der
christlichen Religion entgegenstehen. Die Kategorie des
Apriori ist nun einmal nicht von ihrem Ursprung in der Erkenntnistheorie
des kritischen Idealismus und ihren metaphysischen
Voraussetzungen zu lösen und ihre Übertragung auf
das ihr heterogene Gebiet des christlichen Glaubens führt zu
falschen Verzerrungen, so daß wohl lieber auf diese Kategorie
zu verzichten ist, wie das F. K. Schumann u. a. bereits einleuchtend
nachwiesen.

Kiel M. Redekcr

Müller-Gangloff, Erich: Vorläufer des Antichrist. Berlin: Wedding-

Verlag [1948]. 344 S. 8°= Buchreihe der Berliner Hefte. DM 10.—; Hlw.
DM 12.—.

Das vorliegende Buch verspricht in seinem Vorwort „wesentliche Aussagen
" zum Thema. Man nimmt es mit um so größeren Erwartungen zur
Hand, um es dann — leider — enttäuscht beiseite zu legen. Eine Frage an den
Verf. zuvor: wozu die seltsam in Wort und Schreibweise antiquierte Übersetzung
des dem Ganzen mit einem gewissen Recht vorgestellten 13. Kapitels
der O. J.? Dem besseren Verständnis dieses gewaltigen Schriftabschnittes ist
damit jedenfalls schlecht gedient. — Die Einleitung läßt jeden wissenschaftlichen
Einschlag vermissen und setzt den ernsthaften Leser einigermaßen in
Verlegenheit — nicht zum wenigsten durch superlativische Ausdrücke, die
besser unterblieben wären. Gleichzeitig verrät sie eine sehr einseitige Einstellung
des Verf.s. Auch ist es in sich widerspruchsvoll, wenn man vom gesunden
Menschenverstand erwartet, er müsse den Charakter eines bestimmten
Menschen als satanisch bewerten — wo doch gerade der gesunde Menschenverstand
die Kategorie des Satanischen a limine ablehnt. Im weiteren will der
Verf. Bausteine liefern zu einer „Philosophie des Bösen". Leider wird nicht
klar, ob damit das Böse oder der Böse gemeint ist. Über ersteres ist genug
philosophiert worden, wenn wohl auch im großen ganzen mit wenig Erfolg.
Letzterer hingegen ist philosophisch nie auch nur annähernd zu erfassen; ja,
es grenzt an Naivität, eine Philosophie des (maskulinischen) Bösen bieten zu
wollen.es sei denn, man verwechselt den genetivus objectivus mit dem genetivus
subjectivus, und leiht ahnungslos sein Ohr dem, von dem P. Schütz einmal
bemerkt: „Man hat niemals einen tiefsinnigeren und überzeugenderen Philosophen
gehört, wenn er (der Böse) doziert". — Wozu dann also auf dreieinhalb
Seiten den Anschein erwecken wollen, als könnte da nun wirklich etwas
Wesentliches „zur Philosophie des Bösen" gesagt werden? Oder wozu der noch