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Ausgabe:

1950 Nr. 11

Spalte:

672-673

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Erben, Walter

Titel/Untertitel:

Picasso und die Schwermut 1950

Rezensent:

Strasser, Ernst

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671

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 11

672

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

Gerke, Friedrich: Der Trierer AgriciUS-SarkOphag. Ein Beitrag zur Geschichte
der altchristlichen Kunst in den Rheinlanden. Trier: Paulinus-Verlag
[1949]. 46 S., 4 Tab., 6 Tat. 4°. Pp. DM 4.80.

Der Verf. will mit Obigem einen Beitrag zu der bis jetzt
von der Forschung vernachlässigten Geschichte der provinziellen
frühchristlichen Steinplastik leisten, indem er Trier als
Zentrum frühchristlicher Kunst in den Rheinlanden nachzuweisen
versucht. Die Grundlage dafür ist, wie er selber zugesteht
, noch außerordenlich schmal: ein nur in Zeichnung
erhaltener Sarkophagdeckel, der Noesarkophag aus St. Matthias
, sowie der Unterteil eines weiteren Sarkophags, der 1936
in St. Maximin gefunden wurde und sicher rekonstruierbar ist.
Auf der allein geschmückten Vorderseite sieht man den Guten
Hirten, rechts von ihm Adam und Eva, links die Jünglinge im
Feuerofen. Das Stück wild, unter Einbeziehung gallischer und
oberitalienischer Parallelen, auf Grund der eigentümlichen
ikonographischen Thematik einleuchtend dem frühen 4. Jahrhundert
zugeschrieben. Zeit und Fundort legen die Vermutung
nahe, daß wir hier den Sarg des Bischofs Agricius vor uns
haben, der 314 auf dem Konzil von Arles anwesend war und
angeblich um 330 starb. (E. Winheller, Lebensbeschreibungen
der vorkarolingischen Bischöfe von Trier, Rhein. Arch. 27, 1935,
123 ff. Die neuerdings zutage gekommene große Basilika
scheint 343 noch nicht fertig gewesen zu sein; vgl. Athanasius,
Apol. ad Constantium 4; 15. War die Trierer Gemeinde im
3. Jahrhundert wirklich schon bedeutend ?) Ob freilich die
Folgerungen zutreffen, die Gerke S. 44t. aus seinen weitausholenden
ikonographischen und geistesgeschichtlichen Untersuchungen
zieht, vor allem, ob Trier wirklich als Ausgangspunkt
der altchristlichen Kunst der Rheinlande anzusehen
ist, werden zukünftige Funde zu bestätigen haben. Dazu würden
aber ausgedehntere Grabungen und Forschungen auf
breiter Grundlage nötig sein und man möchte wünschen, daß
der diesbezügliche Aufruf des Verf.s bei den zuständigen
Stellen Widerhall findet: die Angelegenheit ist auf alle Fälle
wichtig, denn die dunkle Frühgeschichte des Christentums
auf germanischem Boden kann nur durch Grabungen zuverlässig
aufgehellt werden.

Einige Vorbehalte hätte ich aber doch noch zu machen,
und diese betreffen die geistesgeschichtliche Ausdeutung. Der
Verf. spricht S. 30 geradezu vom existenziellen Ernst der
christlichen Kunst des 3. Jahrhunderts und er findet in Darstellungen
wie der Orans, den Jünglingen im Feuerofen und
so fort nichts als den Ausdruck des Notgebets, das am Anfang
des christlichen Seins stehe. Allein das frühe Christentum, wie
auch das pagane Mysterienwesen, verdankt doch gerade dem
Umstand seine ungeheuere Anziehungskraft, daß es seine Anhänger
der Verlorenheit der übrigen Welt und dem Zwang der
Heimarmene entreißt: bezeichnenderweise ist ja das auch dem
altchristlichen Gebetbuch angehörende Canticum trium puero-
rum kein Not-, sondern ein freudiges Dank- und Preisgebet!
Mit dieser und ähnlichen Darstellungen will man doch nur der
fröhlichen Gewißheit der Soteria Ausdruck verleihen, zu der
man durch Taufe und heiliges Mahl Zugang gewonnen hat.
Die Orans kann darum auch sehr wohl die Seele vorstellen,
die im Paradies der Schau Gottes teilhaft geworden ist. (So
auch A. Grabar, Martyrium Band 2. Paris 1946, 24.) Keinerlei
Quelle berichtet übrigens, daß man diese Bilder als Notgebet
aufgefaßt hätte: die Totengebete, auf die man sich immer beruft
, gehören einer viel späteren Zeit an, ebenso wie die S. 18
genannten Gebete zum guten Hirten im Euchologion und im
Gelasianum, die bestimmt frühmittelalterlich sind. Auch
Cyprian sagt de mortalitate kein Wort vom Guten Hirten,
wie man überhaupt diesen Brief, der aus einer einmaligen
Katastrophensituation heraus geschrieben ist, nicht als Zeugnis
für die allgemeine Geisteshaltung der alten Christenheit
werten kann. Die älteste Sammlung der „Not"-Symbole findet
sich m. W. in den Apostolischen Konstitutionen 5, 7 — aber
da werden sie als Zeugnisse der Allmacht Gottes vorgebracht
und sollen die Gewißheit der leiblichen Auferstehung verbürgen
, wobei eingangs besonders betont wird, daß auch die
auferstehen würden, die im Meere umkamen oder deren Gebeine
von wilden Tieren zerstreut wurden. Nicht bestattet
oder in der Grabesruhe gestört zu werden, war eben für den
antiken Menschen ein unerträglicher Gedanke: daher der Hinweis
auf Gottes Allmacht, die auch dieser Fälle Herr wird.
(Diehl, Inscr. lat. Christ, vet. Nr. 3863 [= CIL 5, 5415] verrät
den Grund, weshalb man usque ad finem saeculi im Grab
nicht gestört sein will: ut pos(s)im sine impedimento in vita(m)
redire!)

Die von Herzog interpretierte Trierer Agnesinschrift
(S. 12) kann man nicht als Beweis für römische Beziehungen
verwerten, denn Herzogs historisches Phantasiegebilde löst
sich in Nichts auf, sobald man, was das Nächstliegende ist,
Ayvij nicht als Eigenname, sondern als Adjektiv nimmt. Noah
heißt übrigens im Lateinischen Noe (S. 22 arca Noae) und ist
indeklinabel.

Oöttingen A.M.Schneider

Bosch, Hieronymus. [Werke.] Text von Jean Leymarie. (Übertr. d. Textes
a. d. Franz. v. Curt Schweicher.) Stuttgart, Konstanz: Asmus Verl. [1949].
XXV S., 102 Taf. 8°= Ars mundi. Pp. DM 6.80.

Das Bändchen will weitesten Kreisen das Werk des faiseur de dlables
zugänglich machen. Es will in erster Linie die Arbelten selbst vor Augen führen,
der einführende Text soll nur zum Verständnis des Werkes dienen. So muß diese
kleine Publikation zuerst als Bildband gewertet werden. Leider erfüllt er nicht
ganz, was die vordere Umschlagklappe verspricht: Er bringt nicht das gesamte
überlieferte Werk des Künstlers. So fehlen z. B. alle Zeichnungen — bei
deren geringer Zahl hätten 6ie doch vielleicht noch Platz finden können. So
fehlt z. B. auch die „Andacht zum Kinde" des Wallraf-Richartz-Museums und
der „Zwölfjährige Jesus im Tempel" des Louvre. Gerade das erstgenannte
Werk vermißt man seiner stillen Andacht wegen nur sehr ungern, ist doch so
das Bild, das von Bosch gegeben wird, um einen wesentlichen Zug verkürzt.
Die Kupfertiefdrucke der Tafeln machen einen recht zwiespältigen Eindruck.
Die Wiedergaben großer Tafeln oder Tondi sind fast durchweg zu flau, so daß
kein auch nur annähernder Eindruck von der darstellerischen Kraft und Fülle
der Arbeiten Boschs vermittelt werden kann. Um nur ein Beispiel herauszugreifen
: Die Reproduktion der „Hochzeit zu Kana" Ist derart unscharf, daß
gerade das Wesentliche auch nicht geahnt werden kann. Dagegen sind die
Detailwiedergaben fast durchweg sehr gut und zeigen besonders die porträ-
tistische und karikaturistische Fähigkeit des Meisters. Diese Zwiespältigkeit
ist sehr zu bedauern, sie hätte vielleicht bei einer anderen Reproduktionstechnik
vermieden oder doch wenigstens wesentlich vermindert werden können.
Vergleicht man etwa die Wiedergaben in Fraengers jüngstem Bosch-Buch, so
wird der große Qualitätsabstand besonders augenscheinlich.

Zum Text ist nicht viel zu sagen. Er ist aus dem Französischen übertragen
. Dazu eine Frage: Muß ein solcher einführender Text, der für „weiteste
Kreise" bestimmt Ist, eine solche Orgie von Fachausdrücken und Fremdwörtern
bis hin zu luzid, Phrenesie, Phantasmorgie und partielle Deformation sein?
Glaubt man wirklich, mit diesem übertriebenen Fachjargon kunstliebenden
Nlchtfachleuten das Werk eines Künstlers näher zu bringen ? Eine zweckentsprechende
Übertragung des Textes hätte das durchaus, ohne dem deutenden
Wort Jean Leymaries Gewalt anzutun, vermeiden können und müssenI Im
übrigen geben die acht Seiten einführenden Textes weder Neues noch Befriedigendes
. Von der dämonischen Hintergründigkeit einer Reihe Bosch'
scher Schöpfungen wird nichts angedeutet. Man wird Bosch mit den Kategorien
„foppend", „satirische Beobachtung", „phantastisches Universum",
„Formkonkretisierungen von Traumbildern des Unterbewußtseins", „Spielraum
köstlicher Phantasie und Faszination des Doppelsinnes" kaum gerecht.
Man mag im Einzelnen zu Fraengers Deutungen stehen, wie man wolle, eines
hat er unausweichlich gezeigt: Mit ästhetisierender und psychologisierender
Betrachtung versperrt man sich selbst den Zugang zum letzten Sinn seiner
geheimnisumwobenen Malereien. Die Warnung, „den Geheimnissen nicht zu
viel Gewalt anzutun", ist gewiß nur zu berechtigt. Man darf aber auch nicht
über sie einfach hinweggehen! Man muß schon hinein in den Pfuhl abstoßender
Irr-Religiosität. Dann erst wird deutlich, wie scharf sich die großartigen
Passions- und Anbetungsbilder von den ketzerischen Arbeiten abheben. Selbstverständlich
werden bei der Grundeinstellung des Autors auch Fraengers Um-
benennungen ignoriert.

Beim Verzeichnis der Abbildungen fällt noch auf, daß zu dem Ausschnitt
aus dem „Heuwagen" auf Taf. 31 geschrieben wird: „Bischof, Kaiser, König".
Warum das? Die Tiara kennzeichnet den „Bischof" eindeutig als Papst.
Berlin Klaus Wessel

Erben, Walter: PicaSSO Und die Schwermut. Versuch einer Deutung.
Heldelberg: Lambert Schneider [1947J. 47 S. m. 15 Taf. 4°. DM4.50.

Ein wertvolles Buch, das uns an Hand charakteristischer
Beispiele die Entwicklung des spanischen Malers Pablo Picasso
nahebringt. Hierbei ist freilich zu bedenken, daß auch eliese
„Nähe" für viele Betrachter noch eine große Ferne bedeuten
wird. Während ein liebevoller Kritiker die Schöpfungen Pi-
cassos als aus „den tiefsten Dimensionen des Traumes" kom-
menel bezeichnete, protestierte eine englische Kritik gegen
diese „Bilder aus der Werkstatt des Teufels". Man wird daher
gern den Deutungen des Verf.s folgen, der den m. E. geglückten
Versuch macht, die Werke Picassos als Ausfluß seiner
spanisch-baskisch-italieuischen Blutmischung und der spanischen
Landschaft („die Unerbittlichkeit und das Atmosphärelose
der spanischen Landschaft"... „die Einöde") zusehen.
„Der spanische Mensch schafft sich Einsamkeiten und Einöden
— trifft er auf Ordnungen, so muß er diese zerstören, um
seine Soledades wiederzugewinnen". So gelingt es dem Verf.,
den Zugang zu der Kunst dieses exaltierten Malers zu gewinnen
. In innner neuen Wendungen versteht es Erben, Deu-