Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1950 Nr. 10

Spalte:

621

Kategorie:

Naturwissenschaft und Theologie

Autor/Hrsg.:

Gruber, Georg B.

Titel/Untertitel:

Arzt und Ethik 1950

Rezensent:

Fichtner, Horst

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 10

622

Gruber, Georg B.: Arzt und Ethik. Berlin: de Gruyter 1948. 82 S. 8°.
Kart. DM3.—.

■Die Schrift, die auf Vorlesungen beruht, die der Verf.
au der Universität Göttingen gehalten hat, führt nach einem
Fliegenden Kapitel über Arzt und Ethik in allein neun
arzthche Pflichtenkreise ein, von denen hier nur die Bereit-
scnaftspflidit, die Sorgfaltspflicht, die Bewahrungspflicht, die
Schweigepflicht, die Fortbildungspflicht und die Pflicht zur
^-aineradschaft genannt seien. Das Ganze wird mit einer Darlegung
über das Asklepische Ziel abgeschlossen, das unter dem
iitel des der Schrift vorangesetzten „Hippokratischen Eides"
den hohen ethischen Gehalt der griechischen Ärzteschulen von
•m>8 und Knidos wiedergibt und neben der ärztlichen Hilfe
t- Pr^ennen und Heilen auf das in der Gegenwart wieder
stärker betonte Vorbeugen nachdrücklich hinweist, überraschend
in diesem Zusammenhang wirkt nur der Satz, daß
<Jer Gegenwartsarzt vermeiden soll, in die religiösen Bindungen
der Patienten einzugreifen. Die jüngere Ärzteschaft
von heute denkt in diesem Punkte weithingehend anders, indem
sie in der persönlichen Lebensführung „lauter und
ironim" (nicht „hehr und rein", wie Gruber den einschlägigen
^assus jln hippokratischen Eid übersetzt), um der totalen
■Hufe am Menschen willen, sich dem priesterärztlichen Gedanken
der Asklepiaden besonders verbunden weiß. Die aufrichtige
Frömmigkeit, deren sich auch der gebildete Grieche keineswegs
, und erst recht nicht auf dem Krankenbett schämte, und
die Erkenntnis der Grenzen, die der ärztlichen Heilkuust gesteckt
sind, ließen den „alten" Arzt dort, wo er nicht mehr
heiter konnte, willig Gott eintreten.

Uni aber im Zuge dieser seiner Hilfe den dazu nötigen
Mechanismus gleichsam in Gang zu bringen, mußte sich der
Patient nicht nur somatisch und psychisch, sondern entscheidend
auch pneumatisch angesprochen fühlen. Sollte das
aber dem „neuen" Arzt von heute um seiner ebenfalls größtenteils
metaphysich eingestellten Patienten willen nicht auch
wieder möglich sein ?

Berlin Horst Fichtner

Rauch, Wendelin, Erzbischof Dr.: Probleme der Eugenik im Lichte der

Christlichen Ethik. Freiburg: Herder [1948]. 44 S. 8°= Das christliche
Deutschland 1933—1945. Kath. Reihe H. 9. Kart. DM2.—.

Als das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
drohte, hat Dr. Wendelin Rauch, später Erzbischof von Frei-
hurg, in der Universität Freiburg seine warnende Stimme erhoben
. Die Verbreitung des Vortrages wurde damals verhindert
. Rauch geht aus von dem Naturrecht, wie es die
Kirche versteht, und wie es in ihren Verlautbarungen klar
gegeben ist. Was gegen das Gesetz der Natur ist, ist gegen
das Gesetz Gottes, widerstreitet dem „Einklang menschlichen
Tuns mit göttlichem Denken und Wollen". Von hier aus kann
die sexuelle Tätigkeit ausschließlich als Zeugungshandlung
..naturgerecht" und damit ethisch erlaubt sein. Ausschaltung
der Fruchtbarkeit beim Sexualakt verstößt gegen die christliche
Etliik und zugleich gegen die Natur, gegen die „unverändert
gegebenen Wesenheiten der Dinge", gegen die Quellkraft
der etliischcn Forderung. — Jede positive Eugenik durch
Erziehung zur Ehe, zur richtigen Gatteuwahl, durch vernünftige
Wirtschafts- und Sozialpolitik ist zu fördern, aber die
absolute Herrschaft über den eigenen Körper und damit die
Sterilisation als Vernichtungshandlung ist gegen die Natur und
damit ethisch unrichtig. Nur im „Sinne der Heilbehandlung"
ist der Eingriff unter besonderen Umständen erlaubt; dem
niuß der Arzt gewiß zustimmen. Aber aus seiner Erfahrung
über das Menschenleben wird er auf die Schwierigkeiten und
großen Nöte aufmerksam machen müssen, die aus dem
strengen Verbot jeder Schwangerschaftsverhütung entstehen.
Daß mit der von der Kirche mancherorts empfohlenen Beschränkung
des Sexualaktes auf die Tage unwahrscheinlicher
Empfängnis (Knaus'sche Regel) keine echte Lösung des Problems
gegeben ist, muß offen ausgesprochen werden. Hier
wird die Problematik der starren Bindung der Ethik an die
katholische Lehre des Naturrechtes deutlich.

Heidelberg R.Siebeck

Weizsäcker, Viktor von: „Euthanasie" und Menschen versuche.

Heidelberg: Lambert Schneider [1947]. 39 S. gr. 8°= SA. a. „Psyche"
1947, 1. DM 1.25.

Weizsäcker sieht in seiner bedeutenden und tiefgründigen
Abhandlung über die Nürnberger Ärzteprozesse den „Geist der
Medizin auf der Anklagebank", der Medizin, für die der

Mensch nur ein „Naturobjekt", kein „Wertobjekt" ist. Eine
Berufsethik könnte nur aus dem Prinzip der Gegenseitigkeit
und Solidarität des Arztes mit dem Kranken, der Menschen
untereinander gewonnen werden. Er weist darauf hin, daß
der Arzt auch krankes Gewebe zerstören muß, daß Versuche
am Menschen schließlich bei jeder Therapie oft unvermeidbar
sind, daß aber die Legalität nur aus der Übereinstimmung
aller Beteiligten folgt. Ein Urteil über Wert und Unwert des
Lebens stellt dem Arzt (auch bei unheilbaren Geisteskranken)
nicht zu, denn das Leben transzendiert das Biologische. Der
ärztliche Gedanke muß sein, kranken Menschen zu helfen und
die Unantastbarkeit des Menschen unter Menschen zu achten,
denn auch vom ärztlichen Standpunkt aus ist die sittliche
Geschichte des Menschen wichtiger als die biologische. — Was
erlaubt ist, kann nur von Kompetenten entschieden werden,
nicht von einer außerhalb stehenden Instanz, auch nicht vom
Staat; deshalb kann auch der Rückgriff auf diesen nicht von
der Schuld entlasten. Im Widerstreit von Gehorsamspflicht
(etwa im Kriege) und ärztlichem Gewissen wird vom Arzt
eine sittliche Entscheidung in der Verantwortung verlangt.
Dabei muß auf die warnende Stimme des auf Schuld weisenden
Gewissens gehört werden. Vom Gericht wird nicht nur
erwartet, daß die Strafe zur Tat in Proportion stehe, sondern
darüber hinaus, daß das Urteil zu einer besseren Ausrichtung
der Medizin beitrage. — Es ist gewiß wahr, daß die rein
materialistische Medizin zu den schlimmen Verirrungeu und
Verfehlungen führen konnte, aber es muß auch betont werden,
daß die großen Ärzte, die diese Richtung vertraten, — ich
denke etwa an Bernhard Nauuyii —, niemals sich in dieser
Weise vergangen hätten, viel zu ernst und gewissenhaft verstanden
sie ihre Aufgabe am kranken Menschen. Es ist nicht
nur der Geist dieser Medizin, es ist der Geist dieser Zeit, der
Geist, vielmehr der Ungeist des Ubermutes, der Eutseelung
und Vermassung, der auf der Anklagebank sitzt.

Heidelberg R. Siebeck

Engisch, Karl, Prof. Dr.: Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten
Lebens in strafrechtlicher Beleuchtung. Stuttgart: Kreuz-Verlag
11948]. 40 S. gr. 8°= Lebendige Wissenschaft, hrsg. v. Prof. D. Hans
Frhr. v. Campenhausen H.7. DM1.50.

In sehr ernsten Ausführungen nimmt Engisch Stellung
zum Problem der Euthanasie. Er geht dabei von allgemeinen
Rechtsgrundsätzen und von dem geltenden Rechte aus und
bespricht kritisch, was Juristen dafür und dagegen geäußert
haben. Verschiedenes muß unterschieden werden: 1. Euthanasie
als Schmerzlinderung bei Todkranken ist erlaubt; der Arzt
muß aber sehr gewissenhaft prüfen, wie weit er dabei gehen
darf, wenn mit der Hilfe das Leben verkürzt wird. 2. Bedenklich
ist es, wenn es sich nicht mehr um Hilfe beim Sterben, sondern
um Hilfe zum Sterben handelt. Man kann wohl das Mitleid
mit dem Kranken als Triebfeder anerkennen, wird aber nur
in der konkreten Lage ein Urteil fällen können. 3. Ganz anders
steht es, wenn an die Stelle des Mitleides mit dem Kranken das
Mitleid mit sich selbst, mit den Angehörigen, mit irgendwelchen
weiteren Kreisen tritt. Das führt hin zur „sozialen
Indikation" der Vernichtung lebensunwerten Lebens, besonders
zur Tötung unheilbarer Geisteskranker. Engisch lehnt
einen Rechtsgrund dafür entschieden ab. Vor allem gilt „die
Heiligkeit des Lebens"; der Lebenswille der Kranken ist zu
achten. Es droht auch die Gefahr, daß die Grenzen immer
weiter gezogen werden, und schließlich bedeutet ohne Schuld
töten, immer eine Herabwürdigung und Zersetzung des Rechtsgedankens
. Auch ein „Notstand" kann nicht anerkannt werden
. Wenngleich es keine unwandelbare ärztliche Sittenlehre
gibt, so steht doch unveränderlich fest, daß der Arzt Hüter
und Helfer der Kranken sein soll; nur darauf kann das Vertrauen
zum Arzt beruhen. Es gibt zu denken, wenn die Arzte
vom Juristen hören müssen: „die Verzweiflung am Heile des
Patienten ist ein schlechter Motor für die psychiatrische
Wissenschaft und öffnet nicht das Tor ins Innere des Geisteskranken
". Auch müssen wir Engisch voll zustimmen, wenn er
schreibt: „Die Gesundheit ist nicht der einzige Maßstab für
dis Bestimmung der Rangordnung unter den Menschen", „Der
Rechtsgedanke sperrt sich gegen die Diskriminierung dieser
Art". Sehr wesentlich sind die ausgezeichneten Bemerkungen,
mit denen Engisch schließt: „Die Zweckmäßigkeit muß sich
in den Grenzen des Rechtes und Gerechten halten. Keinesfalls
darf die Gerechtigkeit vor der staatlichen Zweckmäßigkeit
kapitulieren. Denn nicht das Recht, sondern der Staat hat
Grenzen".

Heidelberg R. Siebeck