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Ausgabe:

1950 Nr. 1

Spalte:

614-615

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Plinval, Georges de

Titel/Untertitel:

Pélage 1950

Rezensent:

Dörries, Hermann

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___ Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 10 gj^

Die dogmengeschichtlich so wichtigen Arbeiten, die um
die Entstehung und das langsame Werden dieses Glaubensbekenntnisses
kreisen, läßt der kenntnisreiche und gewissenhafte
Verf. in ihrer Bedeutung und unter Herausstellung der
Ergebnisse an unserem geistigen Auge vorüberziehen. In vier
Abschnitten, denen ein einleitendes Kapitel vorausgeht und
ein resümierendes folgt, breitet de Gh. den manchmal durch
dramatische Zwischenfälle belebten Verlauf der Forschung
SP0115- Jahrhundert bis zur Gegenwart vor uns aus. Im ersten
Kapitel (S. 18—40) erhalten wir einen Überblick über die Zeit
Von Laurentius Valla bis 1860. Das zweite Kapitel (S. 41—116)
schildert die mit dem Eingreifen P. Caspari einsetzende Periode
, die bis 1914 reicht. Kapitel 3 behandelt die folgende Zeit
bis zur Gegenwart (S. 117—238). Nicht nur alle selbständigen
Schriften, sondern alle auch die kleinsten in Fachschriften erschienenen
Beiträge und die dazugehörenden wichtigen Rezensionen
werden herangezogen und in ihren Ergebnissen sorg-
lältig ausgewertet und zur bequemen Orientierung dem Be-
nützervorgelegt. Auch einem Spezialisten der Symbolforschuug
wird es schwer fallen nachzuweisen, daß beachtliche Publikationen
nicht berücksichtigt wurden. Meines Wissens sind der
Verlauf der Forschung und deren Ergebnisse keines anderen
Problems der altchristlichen Dogmengeschichte so ausführlich
und gründlich wie im vorliegenden Werk erörtert worden.

Würzburg Berthold Altaner

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Stirnimann, J. K.: Die praescrlptio Terfullians im Lichte des römischen
Rechts und der Theologie. Freiburg (Schweiz): Paulusverlag 1949.
X, 180 S.= Paradosis Beiträge zur Geschichte der altchristlichen Literatur
und Theologie III.

Wer die ungewöhnlich große Zahl von Monographien und
Abhandlungen, die sich mit Tertulliau und seinem Gedankengut
beschäftigen, überblickt, muß sich wundern, daß die in der
vorliegenden von O. Perler angeregten Dissertation behandelte
Frage noch niemals expresse und genauer untersucht wurde.
Im ersten juristischen Teil (S. 11—36) wird festgestellt, daß
im 2. Jahrhundert n. Chr. im römischen Prozeßverfahren eine
dreifache praescriptio unterschieden wurde. Dabei wird der
Nachweis erbracht, daß eine dieser drei Arten, die praescriptio
im Cognitionsprozeß der Kaiserzeit für Tertulliau die Anregung
für seine theologische Argumentation abgegeben hat.
Unter dieser praescriptio verstand man die Geltendmachung
oder Berufung des Beklagten auf eine juristische Vorschrift,
die den Kläger a limine abwies, so daß ein Prozeßverfahren
gar nicht zustande kam.

Im zweiten theologischen Teil (S. .99—172) wird zunächst
eine Analyse des Hauptabschnitts der Schrift (c. 15—37) gegeben
. Im Mittelpunkt steht die Herausarbeitung der zwei in
c 21 formulierten praescriptiones. Von einer weiteren dritten
praescriptio kann im Gegensatz zu der bislang fast allgemein
vertretenen Auffassung bei Tertulliau nicht gesprochen werden
. Sachlich richtiger ist es, wenn man bei Tertullian von
zwei Prozeßeinreden oder Einwänden statt von praescriptiones
, die er gegenüber den Häretikern geltend macht, spricht,
weil man seit Justinian mit dem Begriff der praescriptio die
Vorstellung der Verjährung verbindet, während für Tertullian
nach damaliger Auffassung nicht der Gedanke der Verjährung
, sondern eine den Prozeß ausschließende, weil ihm entgegenstehende
Vorschrift im Vordergrund steht.

Tertullian geht in seiner Argumentation von zwei Tatsachen
aus: daß Christus die Apostel und sonst niemand
anderen zu Verkündigern seiner Lehre bestellt hat (erste praescriptio
), und daß die Apostel diese Lehre niemand anderem
als den von ihnen begründeten Gemeinden übergeben haben
(zweite praescriptio). Dadurch wird das höhere Alter der
apostolischen Gemeinden und ihrer Lehre gegenüber allen
Häresien erwiesen, und diese werden auf Grund ihres späteren
Entstehens des Irrtums überführt. Es handelt sich also beiTer-
tullians Argumentation um eine prozessuale praescriptio, die
den Prozeß, d. h. eine Auseinandersetzung zwischen Katholiken
und Gnostikern ausschließt und überflüssig macht. Allerdings
handelt es sich hier nicht um eine juristische, sondern
eine theologische praescriptio.

In senier Kritik der praescriptiones stellt der Verf. fest,
daß Tertullian natürlich sachlich gar nichts zur Lösung der
theologischen Streitpunkte beibringt, welche die Katholiken
von den Gnostikern trennen, weil darüber gar nicht diskutiert
wird. In der Sprache der Juristen würde hierfür eine retrac-
tatio, d. h. eine zweite spezielle Erörterung, die auf die einzelnen
theologischen Fragen eingeht, notwendig sein. Bei der
zweiten tertullianischen praescriptio ist darauf liinzuweisen,

daß diese Prozeßeüircde theologisch nicht beweiskräftig ist,
weil nach Tertullians Anschauung die Bischöfe der von den
Aposteln begründeten Gemeinden zwar mit den Gründern viä
successionis geistig verbunden sind, aber in der Gegenwart nur
als historische Zeugen der apostolischen Lehre angesehen werden
und nur mit einer disziplinaren, nicht dogmatisch verbindlichen
Autorität ausgestattet sind.

Für diese und andere Darlegungen, die manche durchaus
einleuchtende Korrekturen an bisherigen Deutungen tertullia-
nischer Gedankengänge bringen, wird die Wissenschaft dem
Verf. dankbar sein.

Würzburg Berthold Altaner

Pllnval, Georges de: Pelage. Ses ecrits, sa vie et sa reforme. fitude d'histoire
littiralre et religieuse. Lausanne: Payot 1943. 430 S. 8°. sfr 15.—.

Das schon während des Krieges erschienene Werk, in dem
der Freiburger (Schweiz) Kirchenhistoriker seine früheren Studien
über die Schriften des Pelagius und den Pelagianischen
Streit abschließt, darf auch an dieser Stelle nicht übergangen
werden. Gibt es doch, aus eindringender Kenntnis der literarischen
Hinterlassenheit des Häresiarchen und des ausgebreiteten
zeitgenössischen Schrifttums heraus ein lebensvolles
Bild eines Mannes, der — unmittelbar und im Gegensatz —
zu den wirkungsvollsten Gestalten der alten Kirchengeschichte
gehört, auch wenn das abschließende Urteil lauten muß:
magna Stella de caelo cecidit.

In einer durch die Vorarbeiten des Autors von allem sonst
notwendigen Detail entlasteten Kürze gibt das erste Kapitel
einen Uberblick über das literarische Erbe des Pelagius; da sind
für uns eine ganze Reihe bisher umstrittener Schriften hinzu-
gewonnen, insbesondere die bisher vielfach dem Fastidius zugeschriebenen
Pseudo-Sixtus-Briefe, Pseudo-Augustin De vita
christiana und die verschiedenen Pseudo-Hieronymus-Trak-
tate. Im ganzen nimmt der Verf. 22 erhaltene Schriften mit
beachtlichen, wenn auch nicht für alle gleich überzeugenden
Gründen als solche des Pelagius in Anspruch, während weitere
sechs wenigstens durch Fragmente bekannt sind.

Das Kapitel über die Person des Pelagius hat nicht zuletzt
die negative Aufgabe, Legenden zu zerstören und eingebürgerte
Hypothesen zu widerlegen. Was bleibt, ist ein
junger Mönch britischen Ursprungs, der in Rom gegen Jovi-
nlan, dann aber auch gegen Hieronymus auftrat, dessen Erbe
er in den neunziger Jahren in gewisser Beziehung dort wurde.
Alles weitere: der unter Konstantin als griechischer Arzt in
Britannien seßhaft gewordene Vater, die strenge, nicht weiträumige
Erziehung, das römische Jurastudium (370/80?), der
Bruch mit der Familie, bleibt zweifelhaft. Der byzantinische
Zwischenaufenthalt (Chrysostomus) wird gestrichen. An seiner
Bildung haben die Klassiker geringeren Anteil als Cyprian,
Laktanz und der Ambrosiaster; überraschend gering wird der
Einfluß der Stoa bemessen.

Die Schilderung der eigenen Lehre des Pelagius setzt ein
mit seinem bekanntesten und wichtigsten Werk, dem Paulus-
Kommentar, für den der Vergleich mit dem Ambrosiaster ein
nicht geringes Maß an Selbständigkeit dartut, so daß von hier
aus eine sicherere Würdigung auch der zahlreichen kleineren
Schriften versucht werden kann. Die geschichtliche Gestalt
des Pelagius vor dem Streit mit Augustin bestimmt sich danach
als die eines Rigoristen, der auf Gnmd eines eigenen
Paulus-Verständnisses mmitten einer Zeit in die Kirche einströmender
Massen für eüie kleine Zahl Ernstgesinnter das
Christentum als den Stand hoher Anspannung und sicherer
Hoffnung nicht ohne Uberzeugungskraft schildert: ein Mann,
der durch Beispiel und Unterweisung fromme Laien gerade
auch aus der römischen Aristokratie zu einem Leben der Weltentsagung
bestimmt. Dabei bemüht sich der Verf., seinen mit
spürbarer Zuneigung, wenn auch gewiß nicht olme Kritik geschilderten
Helden von den ihn und seme Sache später kompromittierenden
Schülern abzusetzen: „Man kann nicht sagen,
daß Pelagius .gegen die Gnade Gottes disputiert' habe''
(S. 238), da er — zunächst ganz positiv — seine Gedanken
weder als Philosophie, noch als Naturalismus, sondern wirklich
als eine in seiner Zeit mögliche christliche Lehre vorgetragen
hat.

Dann sind es die zunächst seinem Schüler Caelestius
geltenden Angriffe gewesen, die auch auf ihn und seine Anschauungen
umgestaltend eingewirkt haben. Aber während
die Schüler, insbesondere später Julian von Eclanum, sich
durch den Gegensatz zu einer immer „pelagianischeren" Radikalisierung
der Ausgangsposition fortreißen ließen, hielt der
Meister selber sie fest, ja gab das umstrittene Vorgelände auf,
bis zur Verleugnung eigener Schriften und Formulierungen. In
der Geschichte des Pelagianischen Streites spielt darum Pelagius
selbst fast die geringste Rolle. Während aber die dogina-