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Ausgabe:

1950 Nr. 10

Spalte:

602

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hermansen, Gustav

Titel/Untertitel:

Studien ueber den italischen und den roemischen Mars 1950

Rezensent:

Bickel, Ernst

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Seite 1

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601 Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 10 60_,

jfaCi i? und Weinen, Arnhem 1941), ist nicht seine Absicht,
aoch finden sich natürlich an manchen Stellen wichtige Er-
Klarungsmoinente prinzipieller Art auch ausdrücklich erwähnt
. Ganz besonders interessiert den Verf. die Weise, ernste
Lehre in leichteres Gewand zu kleiden oder an Gegenständen
minderen Ranges zu demonstrieren. Sie wird in volkstümlicher
Prägung von den Fabeln, nach Aristophanes (Wesp.
5°6) Geschichten zum Lachen, und von den Volksbüchern
repräsentiert, deren Typ namentlich im ersten Teil des plu-
tarchischen „Gastmahls der Sieben Weisen" und im Äsopbios
greifbar ist. Auch die alte Komödie, deren erzieherische Absichten
R. hoch veranschlagt, hat hier einen Platz, und auf
noch tieferem Untergründe die wohltemperierte Mischung von
Lnist und Heiterkeit ohne Spott und Schmähung bei den
ookratikern, die er mit Recht als Erbe des historischen Sokra-
res und seiner „Ironie" auffaßt. Von dieser sucht er das
bissige oxovSoyikoiov des Diogenes, dem alle Mittel recht sind,
abzugrenzen und zugleich die Fortsetzung dieser Art bei seinen
näheren und ferneren Nachfolgern, unter denen Bion eine ungewohnt
zwiespältige Beurteilung erfährt, während Horazeus
allmählich gewonnene Abgeklärtheit ihre verdiente Würdigung
tindet. Die tiefste Bedeutung gewinnt die natSid als „Schwerer
" der onovärj zweifellos beim späten Piaton, indessen Nomoi
sie eine große Würde, aber auch eine tragische Note des Verwehtes
erhält, insofern alles Menschliche in ihren Bereich fällt
u"d der volle Ernst nur der Erkenntnis eüier höheren Welt
gelten kann (G. J. de Vries, Spei bij Plato, 1949, mir noch
nicht zugänglich). In dichterischer Gestaltung dienen heitere
z.üge im ernsten Zusammenhang, wie sie selbst die Tragödie
nicht ganz verschmäht, der Kontrastwirkung; das kann sich
zu der erschütternden Lebensnahe Shakespeares steigern, wo
dicht neben tiefstem Leid und Unheil burleske Lustigkeit sich
ausläßt, es kann sich aber auch im glücklichen Ausgang ernster
Konflikte zeigen, wie er in der antiken Tragödie durchaus
regelrecht ist. Im einzelnen Fall mag man von einer Uberwindung
des Pathos sprechen, welche das Dasein im Gegensätzlichen
begreift und auch dem Ernst in seinem Gegenteil
gebietet (S. 78), man kann sich oft aber auch mit dem einfachen
Erklärungsgrund variatio delectat genügen lassen;
irgendwie ist jedoch überall das Moment der Entspannung
wirksam, das vom Publikum erstrebt und vom Autor gesucht
wird. So wird ja die Tragödie auch durch das Satyrspiel und
bei den Römern später durch das Exodium entlastet, und dasselbe
Prinzip ist wohl auch in der von R. nicht berücksichtigten
Parodie und in gewisser Weise auch in der hellenistischen
Vermenschlichung der Götter- und Heroenfiguren zu spüren;
in Heiligeiilegeiiden behauptet es ebenfalls sein Recht, und
auch Heiluugsgeschichten tendieren manchmal nach dieser
Seite (Byz.-neugriech. Jahrb. XIV 1937/38, 157).

In ganz unreflektierter Reaktion erfolgt der Umschlag
nach dem Leichenbegängnis, ja er bereitet sich schon in einem
^"iQoivetv noch während, der Aufbahrung vor, wie R. aus Mc-
nander fragm. Flor. 40L (p. 129 f. J.) entnimmt; diese Lebens-
Uotweudigkeit des Ausgleichs hat sich auch in der Vorstellung
niedergeschlagen, daß die Toten selber allzu große Trauer
nicht wünschen, worin sich nicht bloß hellenische Sophrosyne,
sondern ein viel allgemeineres menschliches Gefühl ausspricht.
Auch im Kult tritt dieses reaktive Moment vielfach auf, so
beim feierlichen Opfermahl in der Gestalt des von R. richtig
verstandenen ßwno).6/,oe; neben dein Kölner Geckenberndcheii
gehört liierhin auch seine römische Analogie (F. Marx zu Plaut.
Ruci- 535ä.). Vor allem zieht der Spott an manchen Frucht-
Darkeitsfesten, der harmloserer, aber auch verletzender Natur
sein kann, die Aufmerksamkeit auf sich (eine bezeichnende
Szene finde ich zufällig in W. Helwigs Roman „Im Dickicht
des Pelion" Kap. 34, Leipzig 1941, 209ff.). Hier wird es freilich
besonders fühlbar, daß die religionsgeschichtliche Deutung
noch tiefer gehen muß (vgl. Vom dionysischen Tanz zum
komischen Spiel, Iserlohn 1947, 5f.). R.spricht S. 45 von einer
Zauberkraft des Lachens, das gesund macht, und S. 57 von
einer Art Analogiezauber, der fröhliches Gedeihen von
Mensch, Vieh und Ernte bewirken soll: das kultische Lachen
ist eben überhaupt ein Ausdruck ungestümer Vitalität, der
Kraft ausstrahlt und Übel vertreibt. Die antike Theorie hat
das Lachen vorzugsweise von der Seite des Spottes her zu erfassen
gesucht, aber Aristoteles hat in ihm doch auch die Entspannung
von den ernsten Aufgaben unseres Daseins gefunden
(W. Süß, Neue Jahrb. 1920, 28ff.). Kallimachos fr. 418
Sehn. 298 Pf. hat jedoch gesagt &ebs ovdc yehdauai äxXavri
MQÖTteaaiv ö/^ipo/a/»' iStoxe — ganz können wir uns auch im
Lachen nicht von dem Leide dieser Erde befreien.

Bonn Hans Herter

Hermansen, Gustav: Studien über den italischen und den römischen

Mars. Von Fritz Glöde übers. Kopenhagen: Gyldendalske Bogh.; Leipzig:
Harrassowitz 1940. 191 S. gr. 8° = Classica et mediaevalia 1. DM 13.—.
In dieser Dissertation wird eine nützliche Zusammenstellung
aller Quellenstellen und der modernen Schriften geboten
, die sich auf den Wolfs-Mars, Stier-Mars, Pferde-Mars
und Specht-Mars beziehen. Das Kap. III S. 26—107 ..Die
Marsverehrung in Italien", das Kernstück der Arbeit, bringt
die literarischen und inscliriftlichen Zeugnisse auch aus den
Dialekten und aus dem Etruskischen über den nicht aus Rom
importierten Marskult. Was die methodische Zielsetzung der
Arbeit angeht, so verzichtet sie von vornherein auf Götter-
namen-Etymologie und Linguistik, auf jede nominalistische
Mythologie, aber auch auf jede den Tierkult betreffende vergleichende
Religiousforschung. Dagegen vertieft sie sich sehr
in die Zeugnisse über römische Sagen, wie denn das lange
Kap. IV S. 108—162 „Die Romulussage" das Gewirr von verschiedenen
und einander widersprechenden Traditionen sowie
die modernen Spekulationen von W. F. Otto und ihm folgender
Gelehrten über die Mater Larum, die Acca Larentia und
die Sage von Tanaquil behandelt. Mit der Bestimmung des
Verhältnisses zwischen italischem und römischem Mars stehen
diese Referate über echte und unechte Wölfinnen und dem
aus dem Herd hervorragenden Phallos zum Teil nur in losem
Zusammenhange. Grundsätzlich ist der Verf. zur römischen
Sagentradition sehr positiv eingestellt; ihm scheint es S. 13
„in nahezu allen Fällen unmöglich, um die antike Tradition
herumzukommen"; für ihn ist sie „ein in vielen Fällen unkontrollierbares
Element, das man einfach gutheißen muß".
Mit dieser Einstellung glaubt er S. 7 „die Untersuchung des
italischen und römischen Marskults auf philologisch-historischer
Grundlage" durchführen zu können.

Wenn man nach dem Titel der Dissertation hier eine
Untersuchung erwartet, wie weit der altrömische Kriegsgott
Mars in erster römischer und latinischer Frühzeit Arvalgott-
heit war, wie es das in der Arbeit nur gelegentlich einmal
S. 129 erwähnte Carmen arvale will, so hätte der Verf. das
nach dem Carm. arv. nächstaltc Marsgebet, das bei Cato, De
agricultura 141, 2 überliefert ist, nicht gänzlich übersehen
dürfen. Vielmehr war es als ein Grundpfeiler der Untersuchung
heranzuziehen. Wenn der Verf. bei seiner Absicht,

Ehilologisch-historisch vorzugehen, die Philologie noch stärker
eachtet hätte, dann hätte er nachweisen mögen, daß die einzige
Formel, die man innerhalb dieses Gebetes bislang auf den
Kriegsgott bezog: „viduertatem vastitudinemque, calamitatcs
intemperiasque prohibessis", mit Kriegsnot überhaupt nichts
zu tun hat. Altlateinisch heißt calamitas (cadamitas) „Hagtl-
schlag", und vastitudo „Abgestorbenheit und Ode", hier nicht
„Kriegsverwüstung". Wie freilich der Arvalgott Mars des Carmen
arvale zum ausschließlichen Kriegsgott stadtrömisch sich
umbildete, darüber denke ich jetzt präziser, als meine von
Marbach, Realcnc. d. class. Altertumsw. XIV (1930) 1937 zur
Erörterung gestellten Ausführungen in meinem Buch „Der
altrömische Gottesbegriff" es erkennen lassen. Die beiden
Lebenszentren des Altrömers waren eben Landwirtschaft und
Krieg. Wenn Cincinnatus vom Pflug zum Krieg als Diktator
geholt wurde, so nahm er sein religiöses Vorstellungsleben und
seinen Schutzgott in anderer Zielsetzung mit vor den Feind,
der sein Leben bedrohte, wie die Schadegeister seine Flur'.
Ein kerniger Römer, der ältere Plinius, Nat. bist. XVIII 39
berichtet, daß die altrömischen Feldherrn ihre Siege im Stich
lassen und nach Hause gehen wollten, wenn der Meier auf
ihrem Bauernhof starb, und daß darum der Senat die Meierschaft
für den Feldherrn in solchen Fällen selber übernahm.
So legt auch dies wieder nahe, daß dem Altrömer in seinen
beiden Lebenszentren die gleiche Gottheit präsent bleiben
mochte. Weil an das Janustor in der alten Republik kaum
noch gepocht wurde, um es dem Frieden zu öffnen, so bildete
sich der Stammgott des Volkes allmählich zum aussclüieß-
lichen Kriegsgott um.

Auf die philologisch-historische Methode darf sich der
Verf., was den Sinn für historische Kritik angeht, bei seüier
Gläubigkeit an das Geschriebene der Kultlegeuden und römischen
Sagen nicht berufen. Das geschichtliche Gesamtbild der
altrömischen Religion vom ersten Pontifex bis zum letzten
lehrt, daß der römische Mensch in seinem rechtlich gesicherten
Abhängigkeitsverhältnis vom „Nunien" doch dessen Personifikation
, die gänzlich nicht zu vermeiden war, nur mit stärkster
Zurückhaltung übte. Aus solcher Grundhaltung konnte
keine Göttersage entstehen, so daß legendäre Geschichten ohne
spezielles Leumundszeugnis nicht als altrömisch anzusetzen
sind.

Bonn Ernit Bickel