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Ausgabe:

1950 Nr. 10

Spalte:

595

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Anwander, Anton

Titel/Untertitel:

Die Brücke zwischen Himmel und Erde 1950

Rezensent:

Mensching, Gustav

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595

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 10

596

chen bringt. Die stärksten Berührungspunkte mit der Diskussion
in Deutschland zeigt der Bericht aus Skandinavien,
wo man sich bemüht, in einem neuen Verständnis von Luthers
Lehre von den zwei Reichen aufzuzeigen, daß das „Gesetz
nicht als Naturrecht im modernen Sinn verstanden werden
darf" (38). Die Frage, die man im Rückblick auf den norwegischen
Kirchenkampf immer wieder stellt, ist die, wie man
einer nichtchristlichen Obrigkeit den Willen Gottes verkündigen
kann. Sch. sagt dazu: „Nun hat zwar Luther fraglos
sehr konkret geredet. Aber wie ist dies in die heutige Lage zu
übersetzen, in der wir es mit einer säkularen Obrigkeit zu tun
haben ? Ich darf wohl sagen, daß die Ökumene mit Spannung
auf eine Klärung dieser Fragen im Luthertum wartet. Hier in
Deutschland hat Hermann Diem vor eineinhalb Jahren die
Frage gestellt — eine genuin lutherische Antwort ist bisher,

soweit mir bekannt ist, nicht erteilt worden" (39). Das Letztere
dürfte nicht ganz zutreffend sein. Ernst Wolf hat jedenfalls
diese Fragen im Anschluß an die skandinavische Luther-
forschung weiterbearbeitet und hat speziell in bezug auf die
Lehre Luthers von den zwei Reichen, oder vielmehr, wie wir
richtiger sagen, seine Predigt in den zwei Reichen gezeigt, daß
sie ihre Bedeutung auch unter einer nichtchristlichen Obrigkeit
behält, da sie immer zugleich auch Predigt an die zwei
Reiche ist. Vgl. dazu Ernst Wolf, Libertas christiana, in:
Weber-Wolf, Gerechtigkeit und Freiheit, Theol. Existenz
heute, H. 18, S. 30 und E. Wolf, Politia Christi, Ev. Theologie
1948/49. Außerdem wird man bemerken dürfen, daß ja auch
Vogel und Schempp Lutheraner sind.

(Fortsetzung folgt)

RELIGIONS WISSENSCHAFT

Anwander, Anton, [Dr.]: Die Brücke zwischen Himmel und Erde.

Das Christentum im Kranz der Religionen. Würzburg: Echter-Verlag 1948.
188 S. kl. 8°= Bücher christlichen Lebens. Kart. DM4.80.

Die vorliegende Schrift bietet zunächst eine vergleichende
Darstellung der Religionen und ihrer parallelen Phänomene
(Gott, Heil, Heiland, religiöse Gemeinschaft, Frömmigkeit,
Kultus, Sittlichkeit) mit dem Resultat, daß allenthalben
zwar Hinweise auf das Christentum sich finden, daß sie alle
aber der Erfüllung durch das Christentum bedürfen. Dem
Nachweis, daß das Christentum die Erfüllung der Religionsgeschichte
ist, dient der zweite Teil der Arbeit (S. 8off.). Von
dieser Argumentation aus kommt der Verf. konsequenterweise
zu dem Ergebnis, daß das Christentum die „relativ höchste,
die unüberbietbare und unersetzbare Religion unter den Religionen
, die der Lauf der Geschichte zum Vergleich vorgelegt
hat" (S. 80) ist. Darüber hinaus aber ist der Verf. bemüht,
in einem dritten Teil (S. 121 ff.) über die relativierende Darstellung
hinaus zu einem vollen Absolutheitsbeweis für das
Christentum vorzustoßen durch den Nachweis, daß das Christentum
die Offenbarung und die Wahrheit schlechthin, und
zwar in allen ihren geschichtlichen Erscheinungsformen, ist. Die
Darstellung und Argumentation erfolgt in allen Teilen vom
Boden katholischer Dogmatik aus.

Auch wenn man diese Schritt als eine theologische anzusehen hat, wird
man zu ihr vom Standpunkt einer zwar nicht völlig voraussetzungslosen, aber
doch um größtmögliche Objektivität gewissenhaft bemühten Religionswissenschaft
aus Stellung nehmen dürfen; denn Theologie und Religionswissenschaft
arbeiten nicht auf zwei parallelen Ebenen, die keinerlei Berührung miteinander
haben. Der Religionswissenschaftler wird nun dieser Schrift gegenüber ein zwiespältiges
Gefühl haben: einerseits berührt überaus sympathisch das ernste Bemühen
, den außerchristlichen Religionen und ihren typischen Parallelen zum
Christentum gerecht zu werden und insofern das Christentum als religionsgeschichtliche
Erscheinung zu würdigen. Es wird auch völlig zutreffend festgestellt
, daß mehr als eine relative Überlegenheit mit den Mitteln der vergleichenden
Forschung nicht erkennbar und beweisbar ist (S. 179). Dann aber verläßt der
Verf. diese Basis und erklärt, die „übernatürliche Offenbarung", die es also in
der übrigen Religionsgeschichte nicht gibt, liefere den Maßstab, an Hand
dessen die absolute Unvergleichlichkeit und daher auch doch wohl Unvergleichbarkeit
sichtbar werde. Damit wird das Ergebnis des ersten religionswissenschaftlichen
Teiles wieder aufgehoben. Dieser Metabasis eis allo genosgegenüber
ist zu sagen, daß hier offenbar ein Zirkelschluß vorliegt. Nach A. korrigiert die
„Offenbarung" die Religionsgeschichte und „hebt sie aus den Angeln" (S. 125).
Wenn aber religionsgeschichtlich nachweisbar ist, daß vieles an dem, was A.
apodiktisch als „übernatürliche Offenbarung" bezeichnet und in absoluten
Gegensatz zur außerchristlichen Religionsgeschichte stellt (z. B. mythische
Vorstellungsformen, kultische Praktiken, religionssoziologische Strukturen
usw.), geschichtlichen Gesetzen und Wandlungen unterliegt wie die parallelen
Phänomene außerhalb der christlichen Erscheinungswelt auch, dann sollte doch
umgekehrt diese wissenschaftliche Erkenntnis das geschichtliche Bild der
„Offenbarung" dahin korrigieren, daß die geschichtlich bedingten Inhalte
dessen, was A. als „übernatürliche Offenbarung" bezeichnet, in ihrer nur relativen
Gültigkeit erkannt und von dem abgegrenzt werden, was nun wirklich
und wesenhaft rationaler Erkenntnis unzugänglich ist, d. h. von der übergeschichtlichen
religiösen Wahrheit, über die zu urteilen der Religionswissenschaft
prinzipiell nicht zustellt. Der Verf. nimmt eben doch seine im ersten Teil
erarbeiteten religionswissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ernst. Es ist aber
wissenschaftlich nicht zulässig, die geschichtliche Gestalt der religiösen Wahrheit
(natürlich nicht nur des Christentums) mit ins Reich des nur dem Glauben
Zugänglichen zu rechnen. Dasselbe wird jede orthodoxe Fremdreligion auch
tun und dann stehen sich wieder zwei exklusive Absolutheitsansprüche gegenüber
, über deren objektive Berechtigung wissenschaftlich nichts auszumachen
ist.

Bonn Gustav Mensching

Pohlenz, Max: Der hellenische Mensch. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht [1947]. 477 S., 17 Taf. gr. 8°. Geb. DM 21.—.

Der Verf. dieses ebenso inhalt- und lehrreichen wie durch
seine Anschaulichkeit lebendigen und durch seine Fragestellungen
fesselnden, ja manchmal erregenden Buches ist sich
der Schwierigkeiten der Aufgabe bewußt, ein Bild des hellenischen
Menschen zu zeichnen, angesichts der Unterschiede der
griechischen Stämme, der Verschiedenheit der Epochen und
der durch das geschichtliche Schicksal hervorgerufenen Differenzierungen
. Mit vollem Recht aber hält er an der Aufgabe
fest und führt sie in der Weise durch, daß er keine dem Zeitverlauf
folgende Darstellung der Entwicklung des griechischen
Geistes gibt, sondern unter systematischer Fragestellung das
Wesen des hellenischen Menschen charakterisiert.

Der erste Teil, „Das Ich und das Du" betitelt, unifaßt die
Abschnitte: Das hellenische Ichgefühl, der Mensch und das
Schicksal, der Mensch und die Gottheit, das Weltgefühl (Pessimismus
? Diesseits und Jenseits), der Mensch und die Gemeinschaft
, politische Gemeinschaft, Vaterland und Volkstum, die
Einzelpersönlichkeit. Der zweite Teil heißt: „Das Ich und die
Gestaltung des Lebens. Die drei Leitsterne des Wahren, Schönen
und Guten". Er behandelt die Themen: Erkenntnistrieb und
Wissenschaft, das Wahre, die Philosophie, Ästhetisches Empfinden
und künstlerisches Schaffen, das Schöne, das Naturgefühl
, die praktische Lebensführung, das Gute, die Lebensformen
, Arbeit und Erwerb, das praktisch-politische und das
theoretisch-wissenschaftliche Ideal, die Frau, Ehe und Familie
, die Sklaven, das kulturelle Leben und die Gemeinschaft,
Vollmenschentum und seine Ausbildung, der agonistische Zug.'
Den Abschluß bildet eine Besinnung über „Hellenentum und
Menschentum, Humanität und Humanismus".

Man sieht leicht, daß es bei dieser Disposition zu Wiederholungen
kommen muß. Indessen werden sie weniger als Störung
denn als reizvoll empfunden; da die gleiche Sache oder
die gleiche Person jeweils unter neuer Beleuchtung sichtbar
wird. Deshalb ist es auch kein Nachteil, daß von einzelnen Gestalten
, wie etwa von Perikles oder von Piaton, nirgends ein
abgeschlossenes Bild gegeben wird, sondern daß jeweils ihre Bedeutung
für eine bestimmte Seite des Gesamtbildes des hellenischen
Menschen gewürdigt wird. Dieses Bild wird erarbeitet,
indem gleichsam alle Gebiete des griechischen Lebens abgefragt
werden: wie die Dichtung und die bildende Kunst, so
die Wissenschaft und die Philosophie; wie die Geschichtschreibung
, so die Medizin; wie das politische, so das wirtschaftliche
Leben; wie die Religion, so das Verhältnis zur
Natur usw. Charakteristische Zitate und Bilderbeigaben ergänzen
die Darstellung. Die Universalität ist erstaunlich, die
innere Beteiligung des Verf.s unverkennbar.

Die Hauptfrage ist natürlich die nach dem Bilde, das aus
der Darstellung allmählich erwächst. Nun, das Bild des hellenischen
Menschen, wie es der Verf. sieht, ist durch die Gestalt
des Perikles repräsentiert und durch das perikleische Athen
als der klassischen Periode, „in der die Menschennatur ihre
edelsten Anlagen zu harmonischer Vollendung entwickelte"
(S. 444). Von Perikles entwirft der Verf. zum Schluß eine geradezu
hymnische Schilderung. Diesem Höhepunkt folgt freilich
die Krise und der Verfall, und der Verf. gibt seinem Bilde
dadurch Relief, daß er die Entwicklung in den Hellenismus
und das Römertum verfolgt.

Welches sind die Einzelzüge des Bildes ? Sie zeichnen sich
schon bei Homer ab; denn schon bei ihm wird sichtbar, wie
sich der griechische Mensch einerseits in seinem Inneren frei
weiß, und wie er zugleich um seine Einordnung in einem Zusammenhang
, eine Ordnung des Geschehens weiß, werde diese
als „Schicksal" verstanden oder als die Ordnung des Kosmos.
Zeugnis der Spannung zwischen dem Bewußtsein der Freiheit