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Ausgabe:

1950 Nr. 10

Spalte:

585-590

Autor/Hrsg.:

Mehl, Roger

Titel/Untertitel:

Die Philosophie vor der Theologie 1950

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5S5 Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 10 586

tta Menschen, bzw. von der Begegnung mit Gott weggelenkt
«*ui einen Menschen, dem Gott begegnet ist. Der Glaube würde
<je T^i VOn dem apostolischen Zeugnis abgelenkt, in dem
b r erüeihte Christus uns ruft, da dieses Zeugnis keine zu glau-

encle Heilsbedeutung einer Assumptio Mariae kennt. Der
,. lau°e würde damit zugleich das Moment des Erkennens ver-
ee^n • Cm die Ubereinstimmung mit dem Glauben der Apostel
rn ^'St' ^er Glaube an die Assumptio Mariae wäre nicht
mehr der neutcstamentliche Glaube an den in Jesus Christus
begegnenden Gott.

Wenngleich versucht werden kann, durch begriffliche

.erschiede *n Analogie zum credere in und credere c. Acc.
eine Besonderheit des Glaubens an Christus und das Evangelium
zu sichern, so würde doch zum Mindesten der schlichte

nnst mit diesen dogmatischen Distinktionen überfordert,
bestimmte, auch von römischer Seite mit Kritik betrachtete
formen mariologischer Volksfrömmigkeit dürften zeigen, daß
Qer schlichte Christ bereits durch die oben angeführten dogmatischen
Unterscheidungen innerhalb der Gleichheit des Werkes
und der Titel Christi und Mariens weithin überfordert ist. Für

en schlichten Christen, dem dogmatische Distinktionen abstrakt
und fern bleiben, würde mit der Dogmatisierung der
Assumptio die Gefahr eines Abgleitens vom Glauben an Christus
erheblich gesteigert.

4- Ekklesiologische Konsequenzen.

Die Kirche, der die Verheißung gegeben ist, daß die Pforten
der Hölle sie nicht überwältigen werden (Math. 16, 18),
ist die apostolische. Die Kirche ist nur dann die eine, heilige,
katholische, die im Wechsel der Geschichte bis zum Tage der

Wiederkunft Christi identisch ist und bleibt, wenn sie die
apostolische Lehre im Gehorsam des Glaubens bewahrt, das
heißt, sie und nur sie allein lehrt, ohne etwas Neues hinzuzufügen
.

Die Apostolizität der Römischen Kirche und damit die
Wirklichkeit der Kirche in der Römischen Kirche würde nach
evangelischem Urteil durch eine Dogmatisierung der Assumptio
Mariae noch offensichtlicher in Frage gesteilt, als dies bereits
für die Augen der Reformation der Fall war. Die Reformation
ist darüber entstanden, daß ein großer Teil der damaligen
Christenheit in der Lehre der Römischen Kirche nicht
mehr die Mitte der apostolischen Lehre wiederzuerkennen vermochte
. Trotz aller Unterschiede in der Auslegung der Apostolischen
Lehre und in der Beantwortung der Frage, wo die geschichtliche
apostolische Lehre zu finden sei, blieb doch unübersehbar
, daß die römische Dogmatik grundsätzlich die
exklusiv normative Stellung der apostolischen Lehre anerkennt
. Auf Grund dieser Tatsache ist die Römische Kirche
eine ernste Frage an die Evangelische Kirche und eine heilsame
Beunruhigung protestantischer Selbstsicherheit geblieben
. Eine Dogmatisierung der Assumptio würde jedoch nach
dem Urteil evangelischer Theologie mehr bedeuten als nur
eine abweichende Interpretation der biblisch apostolischen
Lehre, auch mehr als die verschiedene Beantwortung der
Frage, wo die geschichtliche apostolische Lehre zu finden sei.
Denn es wäre darauf verzichtet, die kirchliche Lehre auf
die Lehre der Apostel zu gründen. Das müßte als grundsätzliche
Infragestellung der Apostolizität der Römischen Kirche
verstanden werden.

Die Philosophie vor der Theologie

Von Roger Mehl, Straßburg

Wir wollen nicht das alte, erregende Problem „Gibt es eine
christliche Philosophie?" behandeln, sondern dieses Problem
vielmehr ausscheiden, da es für den Theologen keinen Sinn
hat1.

Von dem Augenblick an, in dem der Theologe denkt, die
Schrift enthalte eine Lehre, die man mit mehr oder weniger
Glück und immer unvollkommen in der Dogmatik systematisieren
könne, erwartet er nicht mehr von der Philosophie, daß
sie die offenbarte Wahrheit ausdrücke. Eine christliche Philosophie
ist demnach im strengen Sinn des Wortes nicht möglich
. Was Calvin „die Philosophie Christi" nennt, ist ganz einlach
biblische Theologie, durch die Dogmatik verlängert, die
ihrerseits wie derum nichts anderes ist als eine Gliederung von
Grundbegriffen, die die biblische Theologie liefert und deren
Systematisierung (und deswegen Menschen werk).

Die Philosophie stellt die Weisheit dieser Welt dar. Sie
kann nicht christlicher sein als unser Leben und unsere Kunst,
-7- selbst wenn sie Leben und Kunst eines wirklichen Christen
sind, — die christliche Wahrheit in ihrer Vollkommenheit
auszudrücken, Gleichwohl sind der Philosophie post Christum
zwei Möglichkeiten gegeben:

a) Sie kann den Einfluß des Christentums erfahren haben
und dem Christentum entliehene Bestandteile enthalten.
Und es ist ganz gewiß, daß das Christentum die Philosophieen,
niit denen es in Berührung gekommen ist, zutiefst gezeichnet
hat und daß es sehr wohl möglich ist, etwa bei Descartes oder
hei Augustin die aus der griechischen Philosophie stammenden
Themen von denen zu unterscheiden, die vom Christentum
herkommen. Es gibt Philosophieen, die in einer Welt christlichen
Denkens geatmet haben und das nicht verleugnen können
. Es ist daher durchaus möglich, bei den großen modernen
philosophischen Systemen den Anteil zu bestimmen, der auf
das Christentum zurückgeht. Und dem mehr oder weniger
deutlichen Übergewicht dieser Bestandteile entsprechend ist
es nicht unbillig, wenn der Historiker von christlicher Philosophie
spricht. Historisch gesehen gibt es eine christliche
Philosophie genau so wie eine platonische; aber der Dogmatik
er kann sich mit einem so ungenauen Begriff nicht zufrieden
geben. Denn für ihn gibt es keine wirklich christlichen
Bestandteile, wenn sie vom Ganzen der biblischen Offenbarung
getrennt sind. Diese Offenbarung ist für ihn ihrem
innersten Wesen nach keine Lehre, sondern Gottes Handeln
selbst, durch das dieser sich vergegenwärtigt. Eine Handlung
ist unteilbar. In unserer menschlichen Sprache geben wir sie
als Lehre weiter; aber die Besonderheit biblischer Lehre liegt

') Dieser Aufsatz bemüht sich um eine Entwicklung und Fortführung
der in meinem Buch „La condition du philosophe chretien" ( Delachaux et
Niestie, Neuchatel et Paris 1947) angeschnittenen Oedanken. — Autorisierte
Ubersetzung aus dem Französischen von Dr. Ernst Kahler.

darin, daß sie völlig von Gottes offenbarendem Handeln abhängt
und man sie daher unmöglich zerstückeln oder einzelne
Teile von ihr trennen oder sie überhaupt an sich und als solche,
unabhängig von dem Handeln selbst, begreif n kann. Was
Chestov „die dumm gewordenen christlichen Wahrh< iten" genannt
hat, sind eben willkürlich vom Ganzen der Offenbarung
gelöste christliche Teile, die dann von Ideologieen übernommen
werden können, die dem Christentum fremd sind (vgl. die
zahlreichen, im Kommunismus enthaltenen christlichen Elemente
). Die Säkularisation des Christentums besteht eben genau
in diesem Auseinanderbrcchen des christlichen Dogmas
in Einzelteile, in Lehren, die sich selbst genügen, d. h. keine
Beziehung zum Mittelpunkt der biblischen Offenbarung haben,
der Fleischwerdung Gottes in Jesus Christus. Zum Beispiel:
Descartes hat einen sehr ausgeprägten Sinn für die Souveränität
Gottes; Gott ist so mächtig, daß er auch die ewigen
Wahrheiten geschaffen hat. Daß zwei mal zwei nicht mehr
vier ist, könnte zur Allmacht Gottes gehören. Man kann die
Sorge um die Allmacht Gottes nicht weiter treiben. Nun ist
tatsächlich dieses Stück wesentlich biblisch — aber in der
Bibel ist die Macht des Schöpfers niemals von der Liebe Gottes,
des Erlösers getrennt. Es gibt da kerne zwei verschiedenen
Handlungen, zwei Bekundungen, die von der Gegenwart Gottes
unterschieden wären. Durch den Sohn und für ihn hat Gott
alle Dinge geschaffen. Von daher gehören Schöpfung und Erlösung
eng zusammen. Man darf sie nicht voneinander trennen.
Gerade aber das tut die cartesianische Philosophie.

Es ergibt sich, daß das Vorhandensein christlicher Bestandteile
oder Themen zweifellos ein Maßstab für die Macht
des Eindringens des Christentums in die verschiedenen Geschichtsepochen
ist; es bedeutet dies aber für den Dogmatiker
nicht das Vorhandensein einer christlichen Philosophie im
strengen Sinn des Wortes. Für den Dogmatiker kann das
Christentum im eigentlichen Sinne, nämlich als der Inhalt
dieser ganz besonderen Offenbarung, die die Hl. Schrift bezeugt
, nicht zu einem Adjektiv werden, das man irgendwelchen
Substantiven hinzufügt, die von woandersher einen selbständigen
Inhalt haben; es muß selbst immer als Substantiv verwendet
werden.

b) (Die Philosophie post Christum) kann als ein für die
offenbarte Wahrheit abgelegtes Zeugnis verstanden werden.
Wie der Künstler durch ganz menschliche Mittel, eben die
Kunst, den Versuch macht, nicht so sehr die in Christus
liegende Gnade fühlbar zu machen, sondern von ihr Zeugnis
abzulegen, ein auf sie weisender Finger zu sein, oder wie ein
rechter Mensch durch sein Tun nicht das Leben des Himmelreichs
nachzuahmen versucht, keinen Engel spielen will, sondern
Zeugnis ablegen für die Wahrheit, von der er lebt, —
könnte nicht ebenso der Philosoph sich bemühen, die Forderungen
seines Glaubens auf die Philosophie zu übertragen ?