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Ausgabe:

1950 Nr. 1

Spalte:

39-41

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Betz, Werner

Titel/Untertitel:

Deutsch und Lateinisch 1950

Rezensent:

Schreyer-Mühlpfordt, Brigitta

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 1

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die Verfasserangabe des Druckes auch von namhaften Me-
diaevisten unbedenklich und unbesehen übernommen.

A. Zumkeller ging nun den Beobachtungen von Joh.
Eck nach, unterzog den Druck einer genauen Prüfung und
kam dabei zu folgenden Ergebnissen:

Ein Dionysius Cisterciensis hat überhaupt nicht existiert
, er ist ein literarisches Gespenst und aus den Literaturgeschichten
des Mittelalters zu streichen. Der ihm zugeschriebene
Sentenzenkommentar kam in Wirklichkeit auf folgende
Weise zustande:

Konrad von Ebrach O. Cist. las in Paris über die Sentenzen
im Schuljahr 1369/70 oder spätestens 1370/71. Dieser
Kommentar ist in neun Hss. erhalten.

Dionysius de Montina OESA las über die Sentenzen
in Paris 1371/72. Die Principia scheinen sein eigenes Werk.
Im Prolog ist er stark abhängig von Johannes von Basel
OESA, der 1368/69 in Paris über die Sentenzen gelesen hatte.
In der Erklärung der Sentenzen schloß sich Dionysius de Montina
sehr eng an den Sentenzenkommentar von Konrad von
Ebrach an, aber nicht ohne gelegentliche Umstellungen und
Texterweiterungen durch neue Zitationen, besonders aus den
Theologen der Augustinerschule.

Diese Überarbeitung des Konrad von Ebrach durch Dionysius
von Montina wurde dann nochmals, vielleicht erst vom
Herausgeber Johannes de Maceriis, durch Textstücke aus dem
ursprünglichen Konrad von Ebrach ergänzt. Der Umfang dieser
letzten Schicht ist nicht genau zu bestimmen, da eine Handschrift
der Sentenzenlesung des Dionysius von Montina nicht
vorliegt.

Der Druck von 1511 kann in I d. 38—48, II d. 30—44,
III d. 13—40, IV d. 1—50 als eine leidlich gute Edition von
Konrads Sentenzenkommentar benutzt werden; die übrigen
Partien geben Konrads Kommentar in der Bearbeitung durch
Dionysius von Montina; die Prinzipien sind des Dionysius
eigenes Werk.

Eine Üntersuchung der Lehrrichtung des Dionysius von
Montina muß sich daher auf die Prinzipien und auf die wenigen
Fragen, in denen Dionysius von Konrad unabhängig ist, beschränken
. Im zweiten Teil seiner Untersuchung zeichnet
A. Zumkeller die Stellungnahme des Dionysius zu den Themen
Glauben und Wissen, Gottesbeweis und Gotteserkenntnis,
Gnade und Rechtfertigung. Dionysius erscheint darin Augusti-
nist in der Art des Gregor von Rimini und als gemäßigter
Nominalist.

Die Untersuchung von A. Zumkeller zeichnet sich aus
durch exakte Beobachtung, konsequente Fragestellung,
saubere und sichere Beweisführung, knappe und konzentrierte
Darstellung. Vielleicht wäre es ratsam gewesen, einen
Index Quaestionum des seltenen Druckes von 1511 und des
Sentenzenkommentars Konrads von Ebrach beizugeben.

In einer neuen Arbeit (Der Zisterziensertheologe Konrad
von Ebrach im Kampf um Thomas von Aquin. Cistercienser-
Chronik, Juli 1949, 1—24) hat A. Zumkeller nun auch die
Prinzipien des Konrad von Ebrach untersucht und dessen
Liste der zehn Selbstwidersprüche des hl. Thomas von Aquin
aus Vaticana, Palat. lat. 6o8f. 252 ediert.

Freiburg i. Br. F. Stegmüller

Betz, Werner: Deutsch und Lateinisch. Die Lehnbildungen der althochdeutschen
Benediktinerregel. Bonn: Bouvier [1949]. VIII, 227 S. Kart.
DM 9.50.

Dem Problem der althochdeutschen Lehnbildungen ist
der Verf. bereits in seinem 1936 erschienenen Buche „Der Einfluß
des Lateinischen auf den althochdeutschen Sprachschatz,
I. Der Abrogans" nachgegangen. Wenn er bald danach — wie
aus dem Vorwort der angezeigten Arbeit ersichtlich ist — in
einer umfassenderen Untersuchung die Fragestellung erneut
aufgegriffen hat, so ist das ein Beweis für ihre Fruchtbarkeit
und für die Anerkennung, die die Fachwelt dem Unternehmen
gezollt hat. Unklar ist mir nur, warum der Verf. dieses
Buch nicht als das zweite in die 1936 eröffnete Reihe „Der
Einfluß des Lateinischen auf den althochdeutschen Sprachschatz
" gestellt hat. Offenbar sollte doch „I. Der Abrogans"
soviel bedeuten, daß weitere Untersuchungen gleicher Art,
nur an anderen Sprachdenkmälern, folgen sollten.

Aufbau, Methode, Terminologie und schließlich die Ergebnisse
beider Bücher haben viel Gemeinsames, aber es ist
in dem neuesten von Zeile zu Zeile spürbar, wie der Verf. in den
Problemkreis hineingewachsen ist und welcher Vertiefung die
Behandlungsweise des Stoffes fähig war. Das wird an der
differenzierteren Terminologie deutlich, an der gründlichen Prüfung
, der jedes einzelne Wort unterzogen wird, am Vergleich
jeder Lehnbildung mit althochdeutschen Belegen, mit den
Entsprechungen in anderen altgermanischen Sprachen und
zuletzt aber an dem wesentlich Neuen, an dem Hineinstellen
dieses Lehnbildungswortschatzes in die abendländische Begriffswelt
.

Der erste Teil befaßt sich mit dem religiösen, der zweite Teil
mit dem säkularen Wortschatz, dem des Rechtswesens, des Staates
, des Denkens usw. Mit unendlicher Sorgfalt ordnet B. den
gesamten Wortschatz der althochdeutschen Benediktinerregel
in sein nunmehr wesentlich erweitertes System der Lehnbildungen
ein: 1. Lehnübersetzung, 2. entwickelnde Lehnübersetzung
; 3. Lehnübertragung, 4. entwickelnde Lehn Übertragung
, 5. Lehnbedeutung, 6. Lehnschöpfung, 7. Lehnwort.
Er wendet in beiden Teilen die gleiche Methode an und kommt
in ihnen zu Ergebnissen, die einander im wesentlichen bestätigen
.

Die erste Teiluntersuchung erzielt folgendes Resultat: es
gibt kein einziges Wort innerhalb des religiösen Wortschatzes
der Benediktinerregel, das ohne Einfluß des Lateinisch-Christlichen
geblieben wäre. An zwei Beispielen sei gezeigt, auf
welche Art und Weise er sich geltend gemacht hat. Für allgemeine
christliche Begriffe wurden wohl die alten germanischen
Worte wie atum, ewig, gnada, cot usw. beibehalten,
aber durchaus mit neuer Bedeutung gefüllt, also in die christliche
Denk- und Anschauungsweise hinaufgehoben (Lehnbedeutungen
). Bei Spezialbegriffen, denen kein schon vorhandenes
einheimisches Wort entsprach, half man sich damit, das
vorliegende lateinische Wort Silbe für Silbe in die deutsche
Sprache zu übersetzen, z. B. Eremit = waldlihher < eremus
(LelmÜbersetzung). Im Gegensatz dazu steht u. a. der Wortschatz
des Rechtswesens. Er wurde so beibehalten, wie er war,
ohne Umdeutungen erfahren oder Neuprägungen aufgenommen
zu haben. Wie gesagt, nur ein Kleines aus dem großen
Material und den schönen Ergebnissen.

. Mit erschreckender Deutlichkeit wird die Vergänglichkeit
dieser „Studierstubensprache", die vielleicht sogar als
Theologenidiom angesehen werden kann, sichtbar. Im Mittelhochdeutschen
sind nur ein Drittel des religiösen und nur ein
Sechstel des sonstigen „kulturell hervorragenden" Wortschatzes
erhalten, und zwar sind die Uberlieferungsträger auch
wieder vorwiegend geistliche Texte.

Nicht unberührt möchte ich lassen, in welcher verständnisvollen
Weise der Verf. die Ubersetzung (Interlinearversion)
der Benediktinerregel würdigt. Wohltuend habe ich es empfunden
, daß einmal eine positive Stimme für ihren Wert in
die Waagschale geworfen wird, der auf einer starken sprachzeugenden
Kraft beruht. Ich lasse den Verf. selbst sprechen:
„Es ist nicht nur sprachliches Unvermögen, das diese neuen
seltsamen und oft so am Lateinischen klebenden sprachlichen
Gebilde schafft, es muß eine bestimmte Uberzeugung dahinter
stecken, etwa derart, daß das Wort Gottes in strengster Treue
wiedergegeben werden muß, wenn es sich auch noch so schwer
in die eigene Sprache fügen will".

Das weit über die Abrogans-Arbeit Hinausführende ist,
wie schon hervorgehoben, die Einbeziehung der althochdeutschen
Benediktinerregel mit ihrem Lehngut in den großen Zusammenhang
der abendländischen Begriffswelt. Die Worte
werden nicht nur auf die Art ihrer Lehnbildungen hin geprüft,
sondern werden zu sämtlichen gleichartigen althochdeutschen
Belegen (dank des reichen Materials des althochdeutschen
Wörterbuches!) und denen der anderen altgermanischen Sprachen
in Beziehung gesetzt. Am weitaus häufigsten stimmt das
Althochdeutsche mit dem Angelsächsischen überein, selten
nur mit dem Mittelniederländischen und dem Altnordischen
und einmal nur mit dem Gotischen. Die Gemeinsamkeiten erklärt
B. aus „der frühmittelalterlichen Formung des Europäischen
durch das Lateinische", allerdings mit Ausnahme des
Gotischen, mit dem das Althochdeutsche kein gemeinsames
Sprachschicksal geteilt hat.

Beachtenswert ist die Ubereinstimmung des Wortschatzes
, vorzugsweise des der Reichenau, mit dem des Angelsächsischen
, der bis zur Hälfte aller Belege mit dem des Althochdeutschen
zusammengeht, trotz des landschaftlich Trennenden
. Die gemeinsame kulturelle Lage bildet hier die Brücke
über Landesgrenzen hinweg. Einmal bestand die Möglichkeit
der Übernahme durch die Angelsachsen zur Zeit König Alfreds
und zum anderen ein Jahrhundert später im Verlauf der englischen
Benediktinerreform Dunstans und Aethelwolds innerhalb
der „Neufundierung der gesamten Studien und Gelehrsamkeit
". Also wäre die geistige Grundlage dieser Sprachgemeinschaft
zu einem großen Teil eine spezifisch christliche