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Ausgabe:

1950 Nr. 9

Spalte:

565-568

Kategorie:

Katholische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schmaus, Michael

Titel/Untertitel:

Katholische Dogmatik; Bd. 2: Gott der Schöpfer und Erlöser 1950

Rezensent:

Schultz, Werner

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 9

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KATHOLISCHE THEOLOGIE

Schmaus, Michael, Prof.: Katholische Dogmatik. Zweiter Band: Gott
der Schöpfer und Erlöser. 3. U. 4. umgearb. Aufl. München: M. Hueber
1949. XVI, 962 S. gr. 8°. DM26.80; geb. DM29.80.

• Auch der zweite Band der Dogmatik von Schmaus liegt
i rf ln der 3- und 4- Auflage vor. Gegenüber den beiden ersten
Autlagen unterscheidet sich die vorliegende Ausgabe, wie im
c0,r"°rt bemerkt wird, besonders durch die Erweiterung des
. lr»tbeweises und des dogmengeschichtlichen Materials, so-
vie durch die Auswertung der „für den Dogmatiker hochwichtigen
" Enzykliken des Papstes Pius XII. Mystizi Corporis
?m 2Q. 6. 1943 und Mediator Dei vom 20. 11. 1947. Und wie
uie neue Ausgabe des ersten Bandes soll auch die vorliegende
Ausgabe dieses Bandes in ihrer Verwertung protestantischer
Werke der Una-Sancta-Bewegung dienen. „Es soll das Ge-
meuisame und zugleich das Unterscheidende, ja das Gegensätzliche
hervortreten" (XII). In der Tat ist des Gemeinsamen
so viel, daß man große Teile des Werkes, dessen beide
Hauptabschnitte sich mit Gott dem Schöpfer und Gott dem
trlöser befassen, auch als Protestant nur mit Zustimmung
lesen kann. Nur das theologisch geschulte Auge sieht die
U nterschiede und Gegensätze. Worin bestehen sie ?

Zweifellos ist die bedeutende erweiterte Ausrichtung der
Dogmatik auf die Schrift ein echt protestantisches Anliegen.
Aber bei näherem Zusehen wird das Prinzip der Auslegung
uer Schrift nicht in dieser selbst gefunden, wird die Hermeneutik
der Schrift nicht von der „Sache der Schrift" selbst
Deherrscht, sondern von der kirchlichen Lehrautorität, die bereits
im ersten Band ausdrücklich der Schrift übergeordnet
wurde. So wird auch jetzt bei der Deutung des Genesis-
Derichtes über die Welterschaffung wohl bemerkt, daß zwischen
Darstellungsform und Aussageinhalt zu scheiden sei,
daß es aber im einzelnen nicht immer leicht sei, wo hier die
Grenze verlaufe. „Das letzte Urteil hierüber steht dem kirchlichen
Lehramt zu (31). Wo die Schrift für die kirchlich festigende
Systematik nicht ausreicht, wird die theologische
Lehrmeinung herangezogen. So besonders bei der weit ausgeführten
Mariologie. Der Satz „Maria ist in wahrem und
eigentlichem Sinne Mutter Gottes" wird bezeugt durch den
Rückgriff auf die Glaubenssätze bestimmter Konzilien (609).
..Die Aufnahme Marias in den Himmel läßt sich naturgemäß
nicht durch geschichtliche, sondern ausschließlich durch theologische
Überlegungen beweisen. Die Heilige Schrift bietet
kein ausdrückliches Zeugnis" (880).

Aber auch die kirchliche Lehrautorität scheint jetzt keine
unbedingt festliegende und unfehlbare Größe zu sein. Das
wird besonders deutlich in der Bewertung des Galilei-Falls
durch den Verf. Nicht nur, daß er mit Bezug auf diese hier
getroffene kirchliche Fehlentscheidung den entscheidenden
Satz aus v. Pastors Geschichte der Päpste zitiert: „Allein
überall, wo Menschen sich betätigen, kommt es mitunter zu
Mißgriffen, es sei denn, daß durch Christi Einrichtung ein
Tribunal mit Unfehlbarkeit ausgerüstet ist, was von dem I11-
quisitorengericht auch dann nicht einmal sich behaupten läßt,
wenn seine Entscheidungen in der gewöhnlichen Form vom
Papst bestätigt sind". Ebenso eindeutig bemerkt er selbst:
..Man muß sich zum Verständnis dieser irrigen und verhängnisvollen
Entscheidung, in welcher zum Glaubensbereiche gerechnet
wurde, was nicht zu ihm gehört, die Tatsache vor
Augen halten, daß die Kirche zu jeder Zeit in menschliche
Schwächen und Unvollkommenheiten verstrickt ist" (37). Das
ist echt protestantisch gedacht. Aber widerstreitet das nicht
der im ersten Band des Werkes vorgetragenen Lehre von der
Lnfehlbarkeit der Kirche und der bestimmten Sicherheit, mit
?5.r ^er Verf. in den meisten Fällen und besonders in Zweifels-
'ällen die kirchliche Lehrmeinung heranzieht ?

Auffallend ist bei der Auswertung der Heiligen Schrift
die bevorzugte Heranziehung des Alten Testamentes. Ein besonders
deutliches Beispiel: Für den Schriftbeweis des göttlichen
Erlösungswerkes kommt das AT zu Worte auf den
Seiten 448—479, das NT dagegen nur auf den Seiten 479—483.
Diese Bevorzugung macht sich besonders auch im ersten
Hauptabschnitt des Werkes bemerkbar. So kommt es, daß
dieser Abschnitt sich nur um das Thema „Gott der Schöpfer"
bewegt. Wenn aber Gott der Schöpfer für eine christliche
Dogmatik zugleich der Gott Jesu Christi ist, wenn also Gott
entscheidend hier von Christus her gesehen wird, hätten bereits
in diesem Abschnitt viel stärker die wesenhaften Attribute
der Heiligkeit und der spontanen Güte des Schöpfergottes
in das Zentrum der Betrachtung rücken müssen. Diese
Attribute aber werden infolge der Bevorzugung des AT vom

Verf. in der Gesamtthematik „Gott der Schöpfer" nur gelegentlich
und peripher erwähnt.

Das letzte Anliegen des ersten Hauptabschnittes kommt
entscheidend zum Ausdruck in der Bestimmung des Verhältnisses
von Gott und Mensch, bewegt sich also um die Begriffe
Freiheit und Gnade, Natur und Ubernatur, Sünde und Erlösung
. In der Analyse dieser Begriffe wird deutlich die genuin
katholische Grundhaltung des Verf.s sichtbar im Gegensatz
zu der lutherischen der sola gratia, sola fide. Richtunggebend
weist auf diese Haltung bereits der Satz hin: „Man darf daher
von einem Miteinander und Ineinander des göttlichen und
menschlichen Tuns auf der übernatürlichen Ebene, auf das
Miteinander und Ineinander von der geschaffenen und ungeschaffenen
Aktivität auf der natürlichen Ebene schließen"
(136). Also keine klare Trennung von menschlichem und göttlichem
Tun, von Natur und Ubernatur, sondern das traditionelle
Miteinander und Ineinander im Sinne des Synergismus
und Semipelagianismus. Daran ändert auch nichts die beachtenswerte
Bemerkung, daß der bekannte scholastische Satz,
daß das übernatürliche die Natur nicht vernichte, sondern
vollende, einer Korrektur bedürfe (224). Denn diese Korrektur
hebt, bei Licht besehen, das Miteinander von Natur und
Übernatur nicht auf. Es bleibt dabei: „Das übernatürliche
zerstört die Natur nicht in ihrem Wesensbestand . . ." Es beschneidet
, ergänzt. Aber es schafft nicht die „neue Existenz".

Diese einleitenden, richtunggebenden Sätze erhalten ihre
Bestätigung durch die dogmatisch sehr bedeutungsvolle Interpretation
der imago dei des Menschen. Auch hier folgt der Verf.
im ganzen der seit Irenaus bestehenden offiziellen katholischen
Tradition. Die Gottesebeubildlichkeit des Menschen umfaßt
die Erhabenheit, Weltüberlegenheit, Macht, den selbstmäch-
tigen Willen im Sinne des Personseins Gottes. Besonders wird
die Freiheit des Menschen betont. Man wird fast an die
moderne — vom Verf. streng abgelehnte — existenzphilosophische
Deutung der Freiheit erinnert, wenn gesagt wird:
„So ist der Mensen in einer gewissen Weise sogar mächtiger
als Gott, weil nämlich Gott den freien Menschen will und seine
Freiheit nicht hindern will, auch wenn sie sich verhängnisvoll
auswirkt. Jeder Mensch ist ein seüier selbst mächtiges Wesen
in einer einmaligen und unwiederholbaren Weise" (296). Betont
der lutherische Theologe bereits den Unterschied von
Gott und Mensch im Urzustand, so wird hier dieser Unterschied
aufgehoben. Und auch durch die Sünde, so bemerkt der
Verf., wird die Gottbildlichkeit nur verdunkelt, aber nicht zerstört
. Der Mensch kann nun auch seine Freiheit zum Sündigen
mißbrauchen, muß es aber nicht. „Die Sünde hat somit die
Natur des Zufälligen" —ein Satz, der aus Staudenmaiers Dogmatik
(III, 1838) zitiert wird. — Diese offensichtliche Ab-
schwächung der Sünde als Wirklichkeit scheint dann wieder
korrigiert zu werden durch die vorgetragene Theorie von der
Ursünde und Erbsünde. „Adam und Eva haben durch Uber-
tretung eines göttlichen Gebotes schwer gesündigt" (388). „Es
gibt eine Erbsünde, d. h. eine Sünde, welche von Adam auf
alle seine Nachkommen mit Ausnahme der allerseligsten Jungfrau
übergegangen ist" (400). Aber auch die Erbsünde ist nur
„ein Mangel". Sie darf nicht zu einem „Mehr als einen Mangel"
überspitzt werden, wie manche protestantische und die
meisten katholischen Darstellungen die Lehre Luthers gedeutet
haben. Mit Recht berichtigt der Verf. diese Form der
Luther-Interpretation. „Nach einer anderen wichtigeren Deutung
spricht indes Luther dem erbsündigen Menschen nicht
die Fälligkeit ab, innerhalb seines Gesamtzustandes der Ver-
lorenheit Gutes zu tun, hilfreich und gerecht zu sein, sondern
nur die Fähigkeit, heilswirksam tätig zu werden" (403). Die
Mißverständnisse, denen Luthers Lehre ausgesetzt sei, seien
darauf zurückzuführen, daß er keine wohlabgewogenen Lehren
, sondern religiöse Bekenntnisse vorgetragen habe.

In der Tat: vergleicht man die hier vorgetragene katholische
Deutung der imago dei mit der protestantischen, so ergeben
sich zunächst nur scheinbar belanglose Akzentunterschiede
. Denn auch nach der protestantischen Deutung ist die
Gottebenbildlichkeit des Menschen durch den Sündenfall nicht
völlig zerstört. Auch sie weiß um das Recht einer natürlichen
Theologie, um das Recht einer relevatio generalis. Aber dann
führen diese zunächst belanglosen Akzentunterschiede beider
Deutungsformen im Fortgang ihrer dogmatischen Ausführung
doch zu schwerwiegenden Gegensätzen oder anders formuliert
: beide Deutungsformen sind von vornherein auf diese
grundsätzlichen Gegensätze ausgerichtet: die protestantische
Deutung auf das sola gratia, derzufolge dann die Sünde viel
tiefer in das Gesamtwesen des Menschen verlagert und seine
natürliche Freiheit im Heilswirken geradezu aufgehoben wird
(vgl. Luthers de servo arbitrio). Die katholische Deutung auf
das Miteinander von Natur und Gnade, von Gnade und Ver-