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Ausgabe:

1950 Nr. 9

Spalte:

563

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schlink, Edmund

Titel/Untertitel:

Die Gnade in Gottes Gericht 1950

Rezensent:

Schönweiss, Hans

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563

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 9

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bewegend, zu sehen, wie in der Stunde der Entscheidung trotz
aller Fehler und Versäumnisse der Kirche doch die Männer da
sind, die zu diesem Dienst fähig sind. Und es ist beglückend,
sich wieder zu vergegenwärtigen, daß neben den genannten
Pfarrern eine große Anzahl ,,Laien" stehen, die sich
mit ihrer ganzen Persönlichkeit für das Evangelium und die
Sache der Gemeinde einsetzen. Es macht den Leser sehr stille,
etwas davon erkennen zu dürfen, wie der Herr seine Gemeinde
wunderbar führt. Was wir da lesen, oft nur zwischen den
Zeilen, ist eine eindringliche Lehre, für die wir nicht dankbar
genug sein können.

So enthält das Buch in einer lebendigen, persönlichen
Darstellung ein Stück Kirchengeschichte der jüngsten Vergangenheit
, mit der sich zu beschäftigen niemand versäumen
sollte, der für seine Arbeit heute und morgen etwas lernen
will. Das Buch hat weit über den Kreis der Bekennenden
Kirche hinaus Bedeutung und sei Pfarrern und Gemeindegliedern
herzlich empfohlen. Es ist auch ein schönes Geschenk
für junge Menschen.

Frankfurt/M. Wilhelm Fresenius

Schlink, Edmund: Die Gnade in Gottes Gericht. Gütersloh: Bertelsmann
[1946]. 65 S. 8°. DM 1.—.

Es sind schon viele Versuche unternommen worden, den
deutschen Zusammenbruch zu deuten und seine Ursachen aufzudecken
. Unter ihnen wird wohl Schlinks Schriftchen immer
seinen Platz behaupten als das schlichte, knappe Wort des
Christen, der alle diese Ereignisse sub specie aeternitatis sieht,
d. h. mit den Augen des Kindes, das hinter allem Geschehen
den Vater am Werk weiß, richtend, züchtigend, begnadigend.

Es wird gezeigt, was die letzte und tiefste Ursache des
Zusammenbruchs war: daß wir als Volk Gott verlassen, seinen
Willen nicht mehr über alles gestellt haben. Daraus mußte
sich mit furchtbarer Konsequenz eins ums andere ergeben:
An die Stelle Gottes traten Menschen, an die Stelle seines
Willens menschliche Ideale und Ideologien. Darum verlor mau
die Maßstäbe, eine Verkehrung und Verdrehung aller Werte
und Normen folgte (oberste Norm war ,,was dem Volke nützt".
Von da aus ließ sich jedes Mittel rechtfertigen!) und schließlich
landete man bei der Entwürdigung des Menschen und beim
Chaos. Und keiner kann sagen, er sei unschuldig. Jedem Stand
wird gezeigt, wo gerade seine Schuld liegt. Der Glaube sieht,
daß es sich hier um Schuld vor Gott handelt und darum auch
um Gericht Gottes über uns.

Wenn nun nach dem Ausweg gefragt wird, so sieht der
Glaube nur den einen: Rückkehr zu dem, von dem wir gewichen
sind, ihm Recht geben in seinem Richten, Heimkehr
zu dem Vater, dem wir entlaufen sind, in seine Hand einschlagen
, die er uns in Christus anbietet. An Christus entscheidet
sich das Schicksal des einzelnen wie unseres Volkes.
Das bedeutet dann zugleich (was in der Schrift nicht deutlich
genug ausgesprochen ist), daß das physische am Ende Sein,
die Verzweiflung in der äußeren Not noch nicht das Entscheidende
ist — als ob von da aus ein automatischer Umschlag
erfolgen könnte —, sondern das am Ende Sein mit sich
selbst und das Verzweifeln an sich selbst, dem sich Christus
dann schenken kann. Von hier aus führt der Weg zur echten
Sachlichkeit, zur rechten Freiheit und zur rechten Bindung
(entgegen allen „Eigengesetzlichkeiten"!). Die Dringlichkeit
der Umkehr wird unterstrichen durch den endgeschichtlichen
Charakter unserer Zeit, die nach Jesu Voraussage immer mehr
demAntichristlichen.dem totalen Staat und demChaos zudrängt.

So richtig alle diese Gedanken sind, so ist doch mitunter
ein Mißverständnis nicht genügend abgewehrt: als ob nämlich
die Rückkehr zu Gott und die Entscheidung für Christus in
erster Linie deswegen nötig wären, um unser Volk vor dem
endgültigen Sturz in den Abgrund zu bewahren und ihm wieder
aufzuhelfen, um die Welt vor dem Chaos zu retten. Das alles
würde dann erster Zweck oder letztes Ziel sein, für das Umkehr
und Entscheidung für Christus nur Mittel zum Zweck
abgeben würden. Es muß aber immer deutlich bleiben, daß
wir zu Gott nur kommen können ohne alle Nebenabsichten,
nur aus der Sehnsucht nach seiner Vergebung, nach seinem
Frieden heraus, nach seiner Gemeinschaft, die er uns in Christus
eröffnet hat. Alles andere „wird uns dann zufallen", aber
eben wirklich nur zufallen!

Wenn dann am Schluß der Schrift in einem vielfachen
„Laßt uns . . . das und das tun!" praktische Ratschläge gegeben
werden und vor allem zum Loben und Danken aufgefordert
wird, so sollte doch auch hier, zumal die Schrift sich
doch an alle missionarisch wenden will, der Bezug auf den
deutlicher werden, der uns erst in die neue Wirklichkeit versetzen
muß, von der aus dann all das möglich wird: JesusChristus.

Tübingen Hans Schönweiß

Sellmair, Josef: Tagebuch des Templers. Aus den Kriegsjahren. Regensburg
: Habbel 1947. 208 S. 8°. Pp. DM 5.50.

Hier hat ein moderner Katholik seine Tagebuchaufzeichnungen
während des Krieges, in denen er sich Rechenschaft
gibt über die letzten Ursachen des Geschehens in Welt und
Mensch, veröffentlicht. Es ist schade, daß der Verf. dem Buch
nicht auch äußerlich den Tagebuchcharakter gegeben hat. So
wirkt es oft etwas zusammenhanglos und aphoristisch. Doch
ziehen sich einige Hauptlinien durch die verschiedenartigen
Gedanken und Betrachtungen, Analysen und Meditationen,
so daß aufs ganze gesehen eine gewisse inhaltliche Einheitlichkeit
doch hervortritt. Im Mittelpunkt steht wohl die Frage
nach dem Menschen, seinem Wesen und Wirken, seiner Schuld
und seinem Schicksal. Der Mensch wird charakterisiert als das
Doppelwesen, das aus Spannungen und Polaritäten bestellt
und gerade darin seine Würde hat, gerade darin seine Freiheit
bewähren soll. In jedem Menschen schlummert ein reißender
Wolf und liegt auf der anderen Seite etwas Göttliches, eine
Sehnsucht nach dem Höchsten. Die jüngst vergangene Zeit
hat die finstere Seite des Menschen besonders hervortreten
lassen: Der Mensch will nicht mehr Mensch sein, er hat seine
Mitte verloren, ist einsam geworden. Das zeigt sich auch an
seinem Verhältnis zur Geschichte, zum Leid, zum Tod, zu
Gott. Uber all das werden sehr feine Gedanken geäußert.
Auch das Problem der Schuld und der Sünde wird aufgerollt
und in seiner Tiefe vom christlichen Standpunkt her beleuchtet
, und zwar mit Hilfe von Kategorien, die geeignet
sind dem modernen Menschen diese Gedanken nahezubringen.

Doch klingt in all dem ein gewisser Optimismus bezüglich Welt, Mensch
und Geschichte durch, der wohl durch die Herkunft des Verf.s aus dem Katholizismus
bedingt ist: Der innere Kern des Menschen kann nicht getroffen werden
von Schuld und Sünde, er bleibt zum Guten geneigt. In jeder Seele leuchtet
noch ein Funke von oben. Es kommt nur darauf an ihn wieder anzufachen,
die verdunkelnde Sinnlichkeit zurückzudrängen, die Kräfte der Seele zu beleben
(im Gegensatz zu Vernunft und Wille), die die Tiefe unseres Seins ausmacht
, und zu sich selbst zurückzufinden. Daß der Mensch eine totale Erneuerung
von Christus her erfahren muß, daß er eine „fremde Würde" gewinnen
muß, wenn er aus der aufgezeigten Entartung sich herausfinden soll,
tritt zu wenig klar in Erscheinung. Dieselbe optimistische Betrachtung zeigt
sich im Geschichtsbild: Die Geschichte bewegt sich in einem Zirkel, in dessen
Verlauf aus dem Bösen immer wieder Gutes kommen muß. Es wird nahezu die
Theorie des „automatischen Umschlags" vertreten: Wenn sich das Böse und
das Leiden ins Unendliche gesteigert haben, dann kommt der Schrei nach Erlösung
, dann entzündet sich in uns der Funke des himmlischen Feuers. Das
biblische Geschichtsbild ist anders: Es stellt eine gezielte Gerade dar mit einer
gegen das Ende hin immer stärker sinkenden Tendenz. Mit dieser optimistischen
Betrachtung hängt auch zusammen, daß das Christentum mitunter in die verdächtige
Nähe eines Mittels zum Zweck gerät: Es ist das einzige Mittel zur
Rettung des Abendlandes, aber auch das beste Mittel zur Überwindung von
Unrecht und Enttäuschungen im persönlichen Leben, zur Selbsterziehung und
Entfaltung der Persönlichkeit. Bei dieser Auffassung des Christentums muß
natürlich sein Zentrum, nämlich Christus selbst, zurücktreten. Und damit
hängt wiederum zusammen, daß der oft ernste Bußruf, der hier erhoben wird,
manchmal absinkt zu einem An-die-Hand-gebcn von praktischen Lebens-
rcgeln und Winken für eine rechte Lebenskunst, denen der letzte Beziehungspunkt
fehlt: Christus!

Was au dem Buch stark befremdet, sind die oft von Mißverstehen
, um nicht zu sagen Unkenntnis, getragenen Verzeichnungen
von Protestantismus, Reformation und LutherT
tum.

Tübingen Hans Schönweiß

Novalis: Die Christenheit oder Europa. Bonn: Schwippert H947]. 39 S.
kl. 8°= Zinsgroschenschatulle.

Der Herausgeber, Friedrich Schulze-Maizier, glaubt, mit diesem Neudruck
des Kirchenprogramms des Dichters vom Jahre 1799 der Gegenwart
insofern einen besonderen Dienst zu leisten, als jetzt die Voraussetzungen zur
Verwirklichung dieser visionären Schau gegeben seien. Die Darlegungen
basieren auf einer geschichtsdialektischen Konzeption, wonach auf die Thesis
mittelalterlicher Denkeinheit und nach der Antithesis des Verfalls und insbesondere
der reformatorischen „Anarchie" nun die Synthesis einer neuen
höheren weltanschaulichen Geschlossenheit folgen könne und werde. Damit
gelten beide kirchlichen Großepochen als gleich zeugungskräftig für eine
kommende europäische Einheit. Solche immer wiederkehrenden Konstruktionen
, — die damalige von 1799 nicht ohne Anlehnung an Friedrich Schlegels
geschichtsphilosophische Äußerungen, — gehen an dem Geschichtsbild des
Neuen Testamentes weithin vorüber und bleiben damit im Phantasievollen
und im Desiderium stecken. „Europäische Erneuerung" kann — geistlich gesehen
— njr in entschlossener Rückkehr unter den Gehorsam des Wortes der
Schrift vonstatten gehen und wird zugleich das unaufhaltsame Anwachsen
der antichristlichen Dämonien nüchtern in Rechnung stellen. Eine andere
Schau hat keine Verheißung.

Bitterfeld Martin Burgwitz