Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1950 Nr. 9

Spalte:

549-551

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hartenstein, Karl

Titel/Untertitel:

Der wiederkommende Herr 1950

Rezensent:

Goppelt, Leonhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

519

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 9

550

liehen Verkündigung, die sich in der Weiterentwicklung der
historisch-kritischen Methode zur existentialen Analyse der
Geschichtlichkeit der urchristlichen Existenz ausbilden muß.
Was die logisch überwachte Intuition leisten kann, hat Alfred
Loisy getan. Das ist das Bleibende in seiner Arbeit.

Heilers Biographie ist zugleich eine sehr ausführliche Bibliographie
, ja ein Nachschlagewerk, das die wichtigeren Schriften
Loisys ausführlich wiedergibt und ausgiebig in deutscher
Übersetzung zitiert. Wir sind dem Verf. dafür besonderen
jJank schuldig. Bewundernswert ist der Mut, mit dem der Verf.
die Akten des Falles Loisy noch einmal aufgeschlagen hat.
Jedoch beweist dieser Mut die seltsame Aktualität dieses
Falles in der neuesten Epoche zwar nicht der europäischen
Kultur, wohl aber leider der europäischen Kirchengeschichte,
die sich mit der bisher erlebten Katastrophe noch nicht begnügen
zu wollen scheint.

Tübingen Ernst Fuchs

Hartenstein, Karl, [Prälat Dr.i: Der wiederkommende Herr. Eine Auslegung
der Offenbarung des Johannes. Stuttgart: Evang. Missionsverlag
11948]. 260 S. 8°. Hlw. DM5.80.

Reisner, Erwin: Das Buch mit den sieben Siegeln. Güttingen: vanden-

hoeck & Ruprecht 1949. 263 S. gr. 8°. DM 5.80; Hlw. DM 7.80.

Zwei verschiedenartige Auslegungen der Offenb. für die
Gegenwart! Hartenstein deutet sie in der Linie der von
Auberlen begründeten reichsgeschichtljchen Auffassung in gemeinverständlicher
Form mit schlichter Begründung aus der
Schrift für die Gemeinde. Reisners Arbeit ist eine bizarre
Weiterführung der von Lohmeyer eingeführten übergeschicht-
hchen Deutung, eine sich vielfach in Vorstellungen der Existenzphilosophie
und Tiefenpsychologie bewegende meditative
Exegese, die gelegentlich den griechischen Text heranzieht.

Nach Hartenstein ist die Offenb. abschließende Ausprägung
des prophetischen Wortes der Schrift, ihres Zeugnisses
von der „Heilsgeschichte Gottes vom Ende her", von
..Reichsgeschichte auf das Ende hin" (S. 11—30). Durch neue
Erfassung dieses Zeugnisses gilt es ein neues Ver ständnis der
Offenb. zu gewinnen. „Die Offenb. darf nie von der Weltgeschichte
her verstanden werden", wie dies in der zeitgeschichtlichen
und kirchengeschichtlichen Deutung geschieht, „sondern
umgekehrt muß die aus dem Gesamtzusammenh ang der Heiligen
Schrift und ihres prophetischen Wortes verstandene
Offenbarung das Licht sein, von dem aus die Zeiten der Geschichtedemütig
und nüchtern gesehen werden. Es handelt sich
in der Offenb. nicht um ein geschichtlich fortschreitendes Gemälde
, sondern um geheimnisvolle Bilder, die uns das Ganze der
zweiten Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kommen Jesu
Christi deuten" (S. 34). „Auf der großen Brücke zwischen dem
Geheimnis des Kreuzes (Offenb. 5) und dem Geheimnis des
Reiches (Offenb. 19) geht die Gemeinde Christi durch die Welt.
Sie geht als die, deren Schuld vergeben ist, dorthin, wo auch
die Frage nach der Macht von Gott entschieden wird" (S. 39).

Als prophetische Schau redet die Offenb. in Bild und
Gleichnis (S. 39ff.). Die Auslegung darf nicht an den Bildern
hängen bleiben, sondern muß die damit gemeinte göttliche
Wirklichkeit erfassen (S. 42f.) Die Bilder entstammen den
prophetischen Abschnitten der Schrift und sind daher streng
von dort aus zu deuten. Dabei empfängt keine Generation das
Ganze, sondern immer nur soviel, als sie braucht (S. 44).

Von diesen Grundsätzen aus, die in dieser Allgemeinheit sicher weithin
zutreffend sind, stellt Hartenstein der Auslegung jedes Hauptabschnittes eine
Erklärung der bildlichen Begriffe voran. Hierzu erheben sich Fragen: Ist die
biblische Bildersprache so einheitlich (vgl. S. 101), daß sich für jeden bildlichen
Begriff, wie in einer kunstvollen Allegorie, eine eindeutige Gleichung
finden läßt? Müßte nicht auch der Einfluß der spätjüdischen und der hellenistischen
Symbolsprache berücksichtigt werden? Sind nicht die Gesamtbilder
unter Beachtung der mannigfachen Traditionen ohne allegorische Ausdeutung
jedes Einzelzuges viel stärker als heilsgeschichtliche Gleichnisse zu würdigen?
Kann z. B. „Erde" immer gleich Kulturwelt, „Sonne" gleich Wort Gottes
usw. gesetzt werden, so daß sich etwa folgende Deutung von Offenb. 8, 12 ergibt
: „Die ,Sonne', das helle Leuchten des Evangeliums, der ,Mond', die Religionen
der Völker, die .Sterne', die Boten Gottes, werden verfinstert" (S. 131 f.,
vgl. die analoge Deutung von Offenb. 6, 12ff.)?

Solche Deutung erwächst nicht mehr aus neuem Bemühen um die Bildersprache
und die heilsgeschichtliche Schau der Schrift, wie es zuletzt J. Behm
für die Auslegung der Offenb. fruchtbar werden ließ, sondern aus der Tradition
der reichsgeschichtlichen Deutung der Offenb., zu der sich der Verf. bekennt
(S. 53ff., 181). In das eindeutige johanneische Gegenüber der versiegelten Gemeinde
derer, die im Buch des Lammes stehen, und der Welt schiebt sich die
Gestalt der „sichtbaren Kirche", die durch allegorische Deutung in dem prophetischen
Wort über die Welt gefunden wird. Im Ergebnis wird die Offenb.
doch zu einer Weissagung des Verlaufs der abendländischen Kirchengeschichte
nach itlren Hauptabschnitten. Das weiße Pferd (Offenb. 6, 2) wird Bild der
Weltmission. „Die tödliche Wunde" der Weltreiche (Offenb. 13, 3) ist ihre

Christianisierung (S. 165, 181). Das sechste Siegel und die Posaunenvisionen
schildern den inneren Zerfall der mit der Welt paktierenden Kirche (s. 0. zu
Offenb. 8), die zur Hure Babylon wird, und das Zurücksinken der christianisierten
Welt in das AntiChristentum (S. 125ff ). Die Ablösung der christianisierten
Reiche durch die antichristliche Weltmacht, das Tier mit der geheilten
Wunde (Offenb. 13,3), bedeutet den Anbruch der eigentlichen Endzeit, die
Offenb. 12—19 beschrieben wird (S. 157, 165). Offenb. 17, 1—7 ist „das Bild
des Zustandes der Christenheit in der letzten Zeit". Offenb. 18, 4ff. ergeht
„der Ruf an die wahre Gemeinde, sich aus den äußeren Formen der Kirchen
und Arten des völlig verweltlichten Christentums zu lösen und als kleine,
schwache, leidende Schar zu warten auf das Kommen des Herrn" (S. 194f.).

Der Verf. sieht, daß Offenb. 5 und 12 mit dem Christusereignis einsetzen,
daß Offenb. 14 bereits das Endgericht darstellt, daß Offenb. 6—11 die ganze
Zeit bis zu Wiederkunft umspannen (S. 157), daß sich die Siegel-, Posaunen-
und Schalenvisionen verstärkend überdecken (S. 194), trotzdem durchkreuzt
er den zyklischen Aufbau der Offenb. durch Eintragung eines Entwicklungsschemas
. Er weiß, daß es der Offenb. um das vom Christusereignis
her gestaltete Wesensbild des Weges der Gemeinde zur Vollendung,
des Kommens der Gottesherrschaft geht, trotzdem „fügt" er allegorisierend
Vorhersagen „hinzu" und unterläßt die volle Auszeichnung des Wesensbildes
der Gemeinde wie der Welt vom Christusereignis her. Wie kurz werden z. B.
die grundlegenden Lieder in Offenb. 5 behandelt! Wie farblos ist die Deutung
von Offenb. 13, 11 ff.! Es wird nicht klar, daß alle Vollendung Vollzug des
Kreuzesgeschehens ist. Daher ist die Auslegung zugestandenermaßen ratlos
gegenüber dem Bild vom tausendjährigen Reich und deutet das Gerichtsbild
(Offenb. 20, 11 ff.) verlegen auf das Gericht nach den „Werken des Glaubens",
aber vernimmt nicht in ersterem das Evangelium von der ersten Auferstehung
und in letzterem das von der Rettung derer, die im Buch des Lebens stehen,
welches das Buch des geschlachteten Lammes Ist. Darf man hoffen, daß die in
Aussicht gestellte Neubearbeitung von den tragfähigen Ansätzen aus wirklich
zu den uns heute erreichbaren Ergebnissen durchstößt, so daß dies klare und
tiefe Büchlein, das erstmals 1940 erschienen ist, der Gemeinde noch mehr als
bisher den Dienst tun kann, zu dem es berufen ist?

Während Hartenstein die Heilsgeschichte noch zu wenig
von der Geschichte sondert, wird sie bei Reisner zu weit von
ihr gelöst. Die Offenb. enthält „die Quintessenz" der ganzen
Bibel (S. 19). Es wird in ihr „der Gang der ganzen Offenbarung
Gottes überhaupt beschrieben, und zwar aus der Perspektive
des wiederkehrenden Christus gesehen. Es wird deutlich
gemacht, in welcher Art sich Gott der Welt von Anfang an bis
zum Jüngsten Tag offenbart, ja es wird, könnte man geradezu
sagen, alles Geschehen ohne Ausnahme als Offenbarungsgeschehen
enthüllt" (S. 18).

Nach der Gegenüberstellung der „Irdischen Kirche" (Offenb. 1—3) und
des „himmlischen Heiligtums" (Offenb. 4f.) und dem „Introitus" (Offenb. 6f.)
wird c. 8—12 zunächst „die erste Offenbarung" dargestellt, nämlich das
Eingehen des Wortes in die Verhüllung des Menschwortes, das „Sich-Zeigen
Gottes im Sich-Zurücknchmen aus eben der Welt, in der er sich zeigt" (S. 8),
die Offenbarung vom Ende des Paradieses bis zur Himmelfahrt Christi. „Um
sich den Menschen verständlich zu machen, nimmt Gott im AT die Gestalt
des natürlichen Gottes, eines Heidengottes unter Heidengöttern an" (S. 8).
Ja „er bequemt sich sogar der natürlichen Religion an", die Gott im Cäsar
sucht, „er wurde Mensch in der Gestalt des Zimmermannssohnes" (S. 77). „In
dem am Kreuz sterbenden, von den Dämonen der abgefallenen Welt und ihren
Dienern getöteten Christus kehrt er wieder In seinen reinen Himmel zurück"
(S. 9). Der Logos trägt „die Todeswunde (Offenb. 5, 6) von dem Augenblick
an, da Gott zum erstenmal den abgefallenen Menschen in menschlicher
Sprache", das Ist „In Gott feindlicher Sprache", anredet (Gen. 3, 9). „Die
Kreuzigung ist bloß die sichtbare Vollendung und letzte Aufgipfelung dieses
Opfers" (S. 57). Der Thronende greift nicht in die gefallene Welt ein, das Wort,
„der Offenbarer" stellt die Verbindung zwischen Himmel und Erde her (S. 56).
Diese erste Offenbarung Gottes, die mit der Himmelfahrt und ihrer Folge, dem
Sturz der Engel und Sterne auf die Erde, abschließt, schildern die Posaunenvisionen
(S. 77): Die erste weist hin auf das Ende des Paradieses, die zweite auf
die Sintflut, die dritte auf den babylonischen Turmbau, die fünfte, „die Heuschreckenplage
meint die Gesetzesplage" (S. 85: beide gehen aus aufsteigendem
Rauch hervor!). „Dem Gras und den Bäumen können die Heuschrecken
keinen Schaden tun, das bedeutet, die Erwählten . . . durchschauen mit geistlichen
Augen die Wolkenhülle und erkennen hinter dem Donner des Gesetzes
den Gesetzgeber in seiner Liebe. Sie sind immun gegen das Gift des Skorpionenstachels
. Die Gebote werden ihnen nicht zur Last; denn sie erfüllen
sie . . . in antwortender Liebe" (S. 85 f.). Auf die sechste, „die Prophetenplage"
(S. 89), folgt die in c. lOf. dargestellte Wartezeit zwischen dem Ende der prophetischen
Offenbarung und der Geburt Christi (S. 92). Der Engel In c. 10
ist Jahwe, das Büchlein das AT. Dieses „schmeckt süß, sofern es vom Geist
durchschaut und als das verborgene Evangelium erkannt wird, während das
sterbliche Fleisch, der Bauch, nur das drückende Joch . . . wahrzunehmen vermag
" (S. 94f.). Offenb. 12 schildert zunächst in mythischer, den zeitlosen Sinn
des Vorgangs herausstellender Form, die Geburt des Christus. Nachdem Gott
mit der Himmelfahrt Christi „sein Heiligtum wieder eingenommen hat, ist es
mit der Herrlichkeit und Herrschaft der Abgötter über den religiösen Geist
vorbei: Michael stürzt den Drachen vom Himmel! (S. 112). „Alles Göttliche
hat sich nun von der Erde in den Himmel zurückgezogen", „nun können die
I Dämonen aufsteigen"; es folgt die Wartezeit der Gemeinde „in der Wüste"