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Ausgabe:

1950 Nr. 9

Spalte:

546-547

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Leist, Fritz

Titel/Untertitel:

Zeugnis des lebendigen Gottes 1950

Rezensent:

Hertzberg, Hans Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 9

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,Aus der Behandlung der Psalmen (S. 163—170) ist beachtlich
die Bemerkung, daß die aus sehr verschiedenen Zeiten
stammenden Psalmen im Laufe ihrer Überlieferung immer
wieder Neu-Auslegungen erfahren haben, genau so, wie sie
von der christlichen Gemeinde, die sie beim Morgen- und
Abendgottesdienst verwendet, immer neu auf die jeweilige
jjegenwart bezogen werden, und daß die wichtigste Neuauslegung
die „Demokratisierung" der ursprünglich zum Königsritual
gehörigen Psalmen ist (S. 169L). Die Lösung der mit
dem Daniel-Buch, das S. 195—205 behandelt wird, gegebenen
^robleme stellt sich B. so vor: Die in Kap. 2—6 enthaltenen
Agenden und die originalen Teile von Kap. 7 bilden ein älteres,
vorniakkabäisches aramäisch abgefaßtes Stratum und sind
von dem makkabäischen Autor, der — vielleicht unter dem
tjmfluß der für seine Zeit charakteristischen nationalen Hochstimmung
(2. Makk. 7, 8) — selbst hebräisch schrieb, benutzt
und um die Einleitung (Kap. 1) sowie die Visionen von Kap. 8—12
vermehrt worden. In Esra-Nehemia ist — meint B. S. 205—211
~ eine von Nehemia selbst herrührende Denkschrift mit Sicherheit
zu erkennen, aber von einer auf Esra selbst zurückgehenden
Denkschrift kann nicht die Rede sein. Die Meinung, die
Esra-Gestalt sei eine bloße Fiktion, geht allerdings auch in die
Irre. Vielmehr ist mit der frommen Erzählung (devotional
legend) eines Mannes zu reclmen, der aus eigener Augenzeugensehaft
Esras Person und Werk zu würdigen sich bemüht hat.

Das Gesagte genügt, um zu zeigen, daß B. seine Absicht,
eme schlichte „Einleitung" in die gegenwärtigen Bemühungen
um das Verständnis der Entstehung des Alten Testaments zu
Reben und dabei mehr andere — vor allem Skandinavier — zu
"ort kommen zu lassen, als die Ergebnisse eigener Forschung
darzubieten, erreicht und eüie wirklich dem augenblicklichen
Stande der Wissenschaft entsprechende Darstellung geliefert
hat. Wenn dabei für manche Fragen verschiedene Antworten
zur Wahl gestellt werden und die Darbietung oder auch nur
Andeutung einer bestimmten Lösung unterbleibt, so trägt
nicht B., sondern eben der gegenwärtige Stand unserer Wissenschaft
dafür die Verantwortung. Seit Beginn unseres Jahrhunderts
ist die bis dahin wesentlich literarkritisch bestimmte
Behandlungsart unserer Disziplin um mancherlei neue Gesichtspunkte
bereichert worden, und diese haben jedenfalls
hier und da mit sich gebracht, daß die herkömmliche Betrachtungsweise
nicht nur in den Hintergrund gedrängt, sondern
geradezu als überlebt und verfehlt beurteilt worden ist.
Damit sind an die Stelle einfacher und klarer — gewiß oft allzu
klarer! — Entwicklungslinien vielfach Erklärungsvorschläge
getreten, die verschwommen wirken und manchem geradezu
wie eine Verwischung des Tatbestandes vorkommen. Daß sich
das auch in B.s Buch, das ja die gegenwärtige Art unserer
Wissenschaft wiedergeben will, hier und da bemerkbar macht,
war nicht zu vermeiden. Um so anerkennenswerter und bedeutsamer
aber ist sein Bemühen, bei aller Offenheit für
die neuere Betrachtungsweise, diese in ihre Schranken zu
weisen, der Literarkritik ihren angestammten Anteil an der
..Einleitungs"-Disziplin zu sichern und so dazu beizutragen,
daß diese, alte und neue Methoden zu einer höheren Einheit
vereinend, wieder die Klarheit und Straffheit zurückgewinnt,
die ihr eigen war und die ihr auch gebührt.

Halle/Saale Otto Eißfeldt

Weiser, Artur: Einleitung in das Alte Testament. 2., neubearb. Aufl.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1949. 337 S. gr. 8°. DM 14.— ; Hlw.
DM 16.50.

Die zweite Auflage des von uns bei seinem ersten Erscheinen
im Jahr 1940 in diesem Blatt ausführlich besprochenen
Werkes hat zu seinen dort hervorgehobenen Vorzügen
noch einige hinzugefügt, so einen neuen 4. Teil über Apokryphen
und Pseudepigraphen, unter denen man nur Apokalypse
und Testament Abrahams vermißt, eine reiche Erweiterung
der Literaturangaben, unter denen jetzt die nichtdeutsche
Literatur einen breiten Raum einnimmt (das Verzeichnis
der Zeitschriften weist statt 6 nun 13 ausländische
auf), so daß die internationale Zusammenarbeit stärker zu
ihrem Recht kommt, und eine gründliche Überarbeitung des
Textes, um inzwischen neu aufgekommene Fragestellungen
in die Betrachtung einzubeziehen und das eine oder andere
zurechtzurücken. Nicht überall ist das gleichmäßig gelungen:
wahrend die Diskussion über die Pentateuchquellen durch
eine interessante Auseinandersetzung mit den Thesen v. Rads
bereichert ist, womit freilich das letzte Wort kaum gesprochen
sein wird, vermißt man etwa bei den Gottesknechtliedem eine
ebenso notwendige mit Engneil und sehier neuen Begründung
der Auffassung des Ebed als des messianischen Königs. Schade
auch, daß es bei dem Curiosum des Jahres 1643 als Ende der
Kanonsgeschichte bleibt; ich glaube, hier hätte gerade der

Verf. der heutigen Studentengeneration ganz Wesentliches zu
sagen gehabt. Zu anderen auch jetzt ausgebliebenen Ergänzungen
vgl. unsere zur ersten Auflage geäußerten Desideria. Das
handliche, auch stilistisch gut lesbare Buch wird mit seiner
knappen und doch reichhaltigen und pädagogisch geschickten
Stoffdarbietung einen ausgezeichneten Dienst leisten können.
Basel Walther Eichrodt

Leist, Fritz: Zeugnis des Lebendigen Gottes. Zum Verständnis des Alten
Testamentes. Donauwörth: Verlag Cassianeum [1948]. 8°. Pp. DM3.60.

„Die vorliegende Arbeit möchte versuchen, ob sich ein
Weg öffnet, wie das AT, vor allem die Propheten, für die chrisl -
liehe Existenz fruchtbar werden können" (S. 7). Das geschieht
nun aber nicht in einer kurzschlüssigen Anwendung der alt-
testamentlichen auf die christlichen Tatbestände und ganz und
gar nicht unter Benutzung einer allegorisierenden Methode,
sondern so, daß der theologische Weg durch das AT gesucht
wird, der dann in das NT einmündet (was nicht historisch,
sondern theologisch gemeint ist). So möchte man sagen, es
handle sich hier um die Umrisse einer alttestamentlichen Heilsgeschichte
. Diese hat ihre Wurzel in der Berufung am Sinai.
Mit gutem Grund werden dabei die theologischen Phänomene
des „Namens" und des „Bundes" in den Mittelpunkt gerückt.
„In dem Augenblick, da Gott in der Wüste dem Moses
seinen Namen nannte, geschah das entscheidende Ereignis
der Heilsgeschichte" (S. 20). „Seinen Namen zu kennen, bedeutet
, fortan in seiner Nähe und im Umkreis seiner Macht
zu leben" (S. 15). Es wird unterstrichen, daß „der Beginn der
Volksgeschichte . . . sich nicht wie bei anderen Völkern in der
Zeitlosigkeit des Mythos . . . verliert, . . . sondern ein einmaliges
geschichtliches Ereignis . . . ist" (S. 23). Und zwar
tritt hier alsbald die Einzigkeit dieses Gottes dem Bundes-
partner ins Bewußtsein; der Gott des Bundes duldet niemanden
neben sich (S. 32). Das zweite Kapitel befaßt sich mit der
Gefährdung des Bundes in der Richter- und Königszeit.Es
wird herausgearbeitet, daß die Richter und die ersten Könige
Gottgerufene waren, wie aber die Abgleitungsmöglichkeit für
das Volk ständig gegeben war. Eigenartig, übrigens auch nicht
begründet, ist die mehrfach in dem Buch sich findende These,
daß an den Richtern sich zum ersten Male die Hoffnung auf
einen Messias herausbildet. Der dritte Abschnitt beschäftigt
sich mit der Errettungstat Gottes durch die Propheten, unter
denen Elia, Arnos und Hosea besonders behandelt werden und
Jeremia sogar ein Sonderkapitel (4) erhält; die Auswahl ist
nicht recht einzusehen. Jedenfalls wird versucht, diese Prophetengestalten
in das Heilsdrama einzuordnen. Sie stehen in
einer Front gegen die dem Volk ständig drohende Gefahr des
Abfalls zum Baalismus, aber auch — bei Jeremia — „der
Frömmigkeit, die auf Leistung baut" (S. 93). An Jeremia
wird dann der Konflikt gezeigt zwischen dem „natürlichen
Menschen" und „jenem Menschen, der er durch die Berufung
geworden ist" (S. 114). Im fünften Stück „Die prophetische
Botschaft vom kommenden Heil" werden die hierhergehörigen
Tatsachen in dem Sinne entfaltet: „Im Untergehen des Alten
kündet sich das Neue an, nicht als menschliche Möglichkeit,
sondern als Gottes Wille" (S. 129). Dabei wird der messianische
Gedanke in seinem Werden dargestellt, wobei die Knechtgotteslieder
besonders gewertet werden, aber auch die Gefahr
gesehen wird, die, „wenn Gott in die Geschichte hineinspricht",
darin besteht, „daß der Mensch seine eigenen Wünsche hinzufügt
" (S. 134). Von daher wird dann deutlich gemacht, wie
der Konflikt um das Messiastum Jesu entstehen konnte. —
Ein „Leitfaden durch die alttestamentliche Heilsgeschichte"
(S. 156—160) schließt das Buch ab.

Gegen diesen Aufriß, der eine Menge richtiger und oft
sehr ansprechend formulierter Einzelbeobachtungen enthält,
ist nichts einzuwenden, und man möchte demgemäß das Buch,
das sich glatt liest (ohne jede Anmerkungen, auch ohne Literaturhinweise
), positiv beurteilen. Auch daß das AT selbst
reichlich zu Wort kommt (meist nach Luthers Ubersetzung),
ist in Ordnung. Leider wird diese Bewertung stärkstens beeinträchtigt
durch eine große Anzahl von Fehlem, nicht nur orthographischer
und grammatischer (S. 72, Zeile 15 und 18; S. 65,
Zeile 8), sondern vor allem sachlicher Art. Schon die Eigennamen
werden inkorrekt gebracht. Josia findet sich neben Josias, Salo-
mo nebenSalomon; die erwähnten Namen .spricht der Verf.
immer Moses, Jeremias, Elias usw. Aber das sind Kleinigkeiten.
Daß das Bild Sauls recht verzeichnet ist (die tragische Größe wird
nicht wahrgenommen), wiegt schon schwerer. Aber dazu finden
sich offenkundige Unrichtigkeiten. S. 37: Silo hatte keinen
Tempel, sondern ein Zelt. S. 46: Jabesch erscheint als Phi-
listerstadt. S. 50: David wird von Juda und Benjamin zum
König gesalbt. S. 52: Das Wort Messias heißt hebräisch
Massiach. S. 57: Samuel gehört zu den Prophetenscharen der