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Ausgabe:

1950 Nr. 9

Spalte:

541-545

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bentzen, Aage

Titel/Untertitel:

Introduction to the Old Testament 1950

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 9

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verbreitet war, die das offizielle Judentum mit Erfolg radikal
zu beseitigen bestrebt gewesen ist. Diese Literatur bietet für
uns natürlich das allergrößte Interesse. Die Funde aus der
Höhle lassen uns ahnen, daß es zur Zeit des großen jüdischen
Autodafe's jüdische Kreise gegeben hat, die mit Sorgfalt und

I Umsicht bestrebt gewesen sind, jene von dem offiziellen Juden-
| tum abgestoßene Literatur zu erhalten. Daß uns nun wenigstens
einige Reste dieser einst umfangreichen Literatur in dem
Höhlendepot bei Khirbet Qumrän erhalten sind, darin haben
wir die große grundlegende Bedeutung dieser Funde zu sehen

ALTES TESTAMENT

Bentzen, Aage, Prof.: Introduclion to the Old Testament. Voi. 1. The

Canon of the Old Testament. The Text of the Old Testament. The Forms
°f Old Testament Literature. Vol. II. The Books of the Old Testament.
Kopenhagen: O. E. C. Oads Forlag 1948 u. 1949. 268 S. u. 300 S. gr. 8°.
Wie die Uberschriften ihrer beiden Bände zeigen, hat die
vorliegende — mit mannigfachen Umgestaltungen und Ergänzungen
verbundene — Ubersetzung der dänischen Erstausgabe
von Bentzens Einleitung in das Alte Testament, die
1941 erschienen ist, mit den ,,Einleitungen" von Eißfeldt
(1934) und von Weiser (1939, 2I949) im Gegensatz zu den
älteren von Steuernagel (1912) und Cornill (1891, '1913)
und der neueren von Robert H. Pfeiffer (1941) das gemeinsam
, daß sie sich nicht wie diese auf die Behandlung von
Kanon, Text und Komposition der einzelnen Bücher des Alten
Testaments beschränkt, sondern außerdem auch die — wesentlich
dem Stadium der mündlichen Tradition angehörenden —
Formen der alttestamentlichen Literatur behandelt. Während
aber Eißfeldt und W eiser in dem Bestreben, nach Möglichkeit
die Folge der Entwicklungsgeschichte des Alten Testaments
innezuhalten, die Behandlung der literarischen Formen,
also der kleinsten Einheiten, an den Anfang gestellt, dann
nach kurzem Uberblick über deren Zusammenfassung zu
kleineren Sammlungen die Komposition der einzelnen Bücher
des Alten Testaments behandelt und erst darauf von deren
Zusammenfließen zum Kanon und von dessen Textüberlieferung
gesprochen hatten, stellt B. die Behandlung von Kanon
und Text an den Anfang und handelt erst danach zunächst von
den literarischen Formen des Alten Testaments und dann von
seinen einzelnen Büchern einschließlich der Apokryphen und
Pseudepigraphen. Band I, S. 17 wird diese Anordnung begründet
, zugleich aber angedeutet, daß auf die Art der Verteilung
des Stoffes nicht allzu viel ankommt. So soll hier von
einer Erörterung der Frage, ob nicht doch die eine Art der
Stoff-Anordnung vor der anderen den Vorzug verdiene, abgesehen
werden.

Im übrigen stimmt B. in der Definition der von der ,, Einleitung
in das Alte Testament" zu lösenden wissenschaftlichen
Aufgabe der üblichen kritischen Auffassung von dieser Disziplin
zu, indem er für sie mit Nachdruck die philologisch-
historische Methode in Anspruch nimmt und sich gegen eine
hiervon anderen für erforderlich gehaltene besondere „theologische
Methode" entschlossen zur Wehr setzt. Wenn B. im
Verlauf der hierher gehörigen Darlegungen die an sich rein
historische Art der Einleitungswissenschaft insofern für iden-

"WWIlötUt - Li l Iiv . ....... . . ——^.....

tisch mit der theologischen Aufgabe erklärt, als die hier getriebene
Arbeit ein Teil der wissenschaftlichen Selbstbesinnung
der Kirche zwecks besseren Verständnisses der
,,menschlichen Seite" der Offenbarungsurkunde ist, so soll die
damit gegebene Charakterisierung dieser Disziplin als einer
Funktion der Kirche doch nicht im mindesten ihre historischkritische
Art einschränken und sie etwa gar an die synagogal-
kirchliche Tradition binden. Vielmehr ist sie auch der im
Neuen Testament bezeugten und selbst der von Jesus vertretenen
Tradition über Zeit und Entstehungsart der Bücher
des Alten Testaments gegenüber völlig frei. ,,Es liegt außerhalb
des Bereichs der Aufgabe Christi als Heiland, uns Antworten
auf historische und andere wissenschaftliche Fragen
zu geben" (S. 18). Reiht sich B.s Buch mit diesen Grundsätzen
der stattlichen Schar seiner kritischen Vorgänger ein,
so hat es, wie sem Verf. im Vorwort zum zweiten Band selbst
betont, seine Besonderheit darin, daß es der Auseinandersetzung
mit der von skandinavischen, namentlich von schwedischen
Forschern in einem bestimmten Sinne getriebenen
„traditionsgeschichtlichen Forschung" breiten Raum gewährt
und daß es weiter den Zusammenhängen von Literatur einerseits
und kultischen oder kultmythologischen Phänomenen
wie Thronbesteigungsfest und Königsideologie anderseits liebevoll
nachgeht, in beiden Fällen bemüht, die Leser über die
neuesten Veröffentlichungen zu diesen Fragen auf dem Laufenden
zu halten und so zu ihrer gründlichen und allseitigen
Erörterung beizutragen.

Folgen wir nach dieser Würdigung des B.sehen Werkes als
ganzen nunmehr der von ihm gegebenen Stoff-Anordnung, so
schließt sich an den soeben ausgewerteten Einleitungs-Ab-

schnitt über „Geschichte, Aufgabe und Methode" (S. 9—19)
auf S. 20—41 die Behandlung des Kanons an, zunächst des
palästinischen, dann des alexandrinischen und schließlich des
Kanons der christlichen Kirche. Beachtenswert ist hier der
nachdrückliche Hinweis darauf, daß die alexandrinischen
Juden nur den griechischen Pentateuch, der allein zunächst
den LXX zugeschrieben worden ist, gekannt haben und daß
der das gesamte Alte Testament umfassende „LXX"-Kanon
eine Schöpfung der Kirche, nicht der Synagoge ist (S. 37).

Die Behandlung des Textes (S. 42—101), die nach einigen
Ausführungen über Schreib-Materialien, Alphabet-Zeichen und
Text-Einteilungen den masoretischen Text, den samarita-
nischen Pentateuch, die Targume, Ubersetzungen des AT ins
Arabische und Syrische, die LXX samt Tochter-Ubersetzungen
, Aquila, Theodotion, Symmachus, Quinta, Sexta, Sep-
tima, Vulgata behandelt und mit prinzipiellen Bemerkungen
über Art und Aufgabe der Textkritik schließt, ist aufs stärkste
durch P. Kahles Darlegungen in „The Cairo Genizah" von
1947 bestimmt, denen dankbar zugestimmt wird. In Einzelheiten
wären hier — dank neuer Funde und Erkenntnisse —
jetzt kleine Änderungen und Ergänzungen vorzunehmen. So
kommt für die Ansetzung der Inschrift auf dem Achiram-
Sarkophag nicht mehr das 13., sondern nur das 10. oder
11. Jahrhundert v. Chr. in Betracht. Der Handschriftenfund
von 1947 hat nicht zum wenigsten die Geschichte des alt-
testamentlichen Textes in neue Beleuchtung gerückt, etwa für
Fälle von Haplographie und Dittographie oder die Schreibung
des Gottesnamens mit althebräischen Buchstaben neue Beispiele
beigebracht. Das konnte B. bei Abfassung seines 1947
vollendeten Manuskripts noch nicht kennen. Wohl aber hätte
bei der Behandlung der Vulgata die neue vom Papst sanktionierte
lateinische Ubersetzung der Psalmen und die über sie
veröffentlichte umfangreiche Literatur berücksichtigt werden
können. S. 100, wo aus der Tatsache, daß Ex. 33, 7 die vorangegangene
Erwähnung der Lade voraussetzt, auf einen Textausfall
, also auf einen Textfehler, geschlossen wird, liegt doch
wohl eine Verwischung der Grenze zwischen Literar- und Textkritik
vor. Denn die hier tatsächlich anzunehmende Lücke
erklärt sich so gut wie sicher nicht aus versehentlichem Textausfall
, sondern aus bewußter Maßnahme eines Redaktors,
der mit Rücksicht auf die von P gegebene Beschreibung der
Lade die in der hier fließenden Quelle stehende weggebrochen
hat. Die Erscheinung gehört also nicht in den Bereich der
Textkritik, sondern in den der Literarkritik. Doch das sind
Kleinigkeiten. Als Ganzes bieten Band I, S. 42—101 eine treffliche
Einführung in die Geschichte des alttestamentlichen
Textes und in die zur Korrektur seiner Fehler anzuwendende
Methode.

Der Abschnitt über die Literaturformen (S. 102—264) behandelt
nach grundsätzlichen Ausführungen über das Verhältnis
von mündlicher Tradition und Literatur, über die allgemeine
Art des alttestamentlichen Schrifttums und über
eigenes und fremdes Gut in ihm (S. 102—118) zunächst die
poetischen (S. 118—202), dann die prosaischen (S. 203—251)
Gattungen und schließt (S. 252—264) mit einer Skizze der in
den Bereichen der poetischen Bücher, der Weisheitsliteratur,
der Prophetie und Apokalyptik, der Gesetze sowie der Geschichtsbücher
von den kleinsten Einheiten zu den großen
literarischen Komplexen führenden Entwicklung, also mit
Darlegungen, die etwa dem zweiten Teil der Eißf eldtschen
„Einleitung", „Die Literarische Vorgeschichte des Alten
Testaments" überschrieben, entsprechen. Es versteht sich
ganz von selbst, daß die hier gegebene Würdigung der Literaturformen
aufs stärkste durch GUnkels und anderer in
dessen Bahnen wandelnder Forscher Arbeiten beeinflußt ist.
Aber B. sieht und beschreitet auch neue Wege. So unterscheidet
er sich von seinen Vorgängern gelegentlich in der
Gruppierung der einzelnen Gattungen und in der Grenzziehung
zwischen dem profanen und kultischen Bereich, indem
er manche von Gunkel und anderen als profan in Anspruch
genommene Gattung der kultischen Sphäre zuweist.
Die dabei von B. für seine Auffassung vorgebrachten Argumente
sind immer beachtenswert, vermögen aber, wie B.
selbst gelegentlich durchblicken läßt, der von ihm vorgeschlagenen
Gruppierung des Stoffes doch nicht absolute Gültigkeit
zu sichern. Vielmehr weist auch sie Unzulänglichkeiten
auf, so daß sich hier eüi weiteres Eingehen auf diese Frage er-