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Ausgabe:

1950 Nr. 1

Spalte:

35-36

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schreiber, Georg

Titel/Untertitel:

Gemeinschaften des Mittelalters 1950

Rezensent:

Lerche, Otto

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 1

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Logos in die Geschichte, das Kreuz ein durch jüdische Bosheit
verursachtes dingliches Sühnopfer, Jesu Werk nicht so
sehr die Uberwindung des Gesetzes und der Sünde als der
Mächte und der Vergänglichkeit, die erste Erscheinung Christi
noch nicht die ganze Erfüllung, sondern nur deren erste Hälfte,
die Kirche nicht das neue Volk, sondern das „dritte Geschlecht
", gesammelt von den Zwölfen, ohne Paulus.

In der formell berechtigten Kritik an Luthers Exegese
von Mt. 16 (S. 393) übersieht der Verf. deren eigentlichen
Grund: die Ersetzung der theologia gloriae durch die theo-
logia crucis, durch die Luther der Kirche das seit den Tagen
Justins verschüttete apostolische Verständnis von Jesu Werk
wieder geschenkt hat. Von ihm aus ist diese Lösung der
brennenden Fragen: Offenbarung und Geschichte, Reich Gottes
und Kirche, Kirche und Welt nicht haltbar.

Hamburg Leonhard Goppelt

M Ichaelis, Wilhelm, Prof. Dr.: Herkunft und Bedeutung des Ausdrucks
„Leiden und Sterben Jesu Christi". Bern: BEG-Veriag 1945. 15 s. 8°.
Die Doppelwendung „Leiden und Sterben" Jesu kommt
im NT noch nicht vor; wann sie zuerst auftaucht, konnte M.
nicht ermitteln. Wohl aber führte ihn die Beschäftigung mit
der neutestamentlichen Vorgeschichte des Doppelbegriffs zu
neuen Erkenntnissen. Während Paulus, durchweg sagt, Jesus
sei „gestorben" (oder: „gekreuzigt worden"), verwenden Hebr.
und 1. Petr. für Jesu Tod stets das Verbum ndoyeiv. auf Jesu
Tod] bezieht sich mxay_eiv eindeutig Hebr. 9, 26; 13, 12 (und
dann wohl auch 2, 18; 5, 8!) und 1. Petr. 3, 18; 4, 1 (nach M.
auch 2, 21. 23). Geht man von da aus zu den Evangelien, so
begegnet auch hier die Verwendung von itdo%uv im Sinne von
„sterben" (Lk. 22, 15; 24, 26. 46), daneben aber tritt in den
Evangelien neu die Wendung nollä nadeiv (Mk. 8, 31 par.;
9, 12; Lk. 17, 25) auf. Welches ist ihr Sinn? M. geht bei der
Beantwortung dieser Frage von der Feststellung aus, daß die
viergliedrige Aussage Mk. 8, 31 offensichtlich eine Erweiterung
der zweigliedrigen Aussage Mk. 9, 12 (vgl. Lk. 17, 25) um
zwei weitere Glieder darstellt. Mk. 9, 12 nun (<Va noXlA TtdO-rj
xal i^ovO-cvwd-fj) ist das igovd-erovo&ai offensichtlich Anspielung
auf Jes. 53, 3 (vgl. Aquila, Symmachus und Theodotion zu
Jes. 53, 3). Von hier aus liegt die Vermutung sehr nahe, daß
auch das nollä ndayetv auf Jes. 53 Bezug nimmt. Auf Jes. 53
weist in der Tat der Umstand, daß die syrischen Evangelienübersetzungen
ndaxeiv fast durchweg mit saibar wiedergeben,
das hebräisch (= „tragen") entspricht; denn ^20

- T - T

wird Jes. 53, 4. 11 auf den Gottesknecht angewendet. IIoX&
na&erv gibt also, so folgert M., die Aussage wieder, daß der
Gottesknecht „unsere Schmerzen" (Jes. 53, 4) bzw. „ihre Sünden
" (Jes. 53, 11) trägt. IIoD.ä wäre dabei semitisierend im
inklusiven Sinn (= „alles", „das Ganze der menschlichen
Schuld") gebraucht.

Geht man diesen Weg mit (eine Schwierigkeit liegt darin,
daß ndo%Eiv kein aramäisches Äquivalent besitzt), so ergibt
sich ein neues Verständnis der Doppelwendung Iva nollä Ttd&rj
xal eiovd-cvwd-T! (Mk. 9, 12). Sie bezieht sich dann in beiden Teilen
auf Jesu Tod und betrachtet ihn von Seiten Gottes und von"
seiten der Menschen. „Viel leiden": das ist Gottes Heilsab-
sicht mit Jesu Sterben; „verachtet werden": das ist das
Schicksal, das die Menschen dem Menschensohn bereiten.

Göttingen Joachim Jeremias

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Schreiber, Georg, D.Dr.: Gemeinschaften des Mittelalters. Recht und

Verfassung, Kult und Frömmigkeit. Münster: Regensberg [1948]. XIV,
488 S., 1 Taf. gr. 8° = Georg Schreiber: Ges. Abhandl. Bd. 1 Hlw. DM24.—.
Vor 37 Jahren haben wir in dieser Zeitschrift (1912 N. 3)
das Erstlingswerk Schreibers (Kurie und Kloster im 11. Jahrhundert
. Stuttgart 1910, 2 Bde.) angezeigt. Georg Schreiber
ist in diesen vier Jahrzehnten seiner Arbeit per tot discrimina
rerum, durch zwei Weltkriege, durch viel Kampf, Not und Verfolgung
, viel politische Ablenkungen mit großen Erfolgen,
übermenschlicher Inanspruchnahme, einer außergewöhnlichen
Fülle einzigartiger Ehrungen, aber auch großer und schwerer
Verluste, gröbster Entehrungen und Schmähungen, unmenschlicher
Diffamierungen und Gefahren treu geblieben.
Schreiber hat die häufigen Möglichkeiten als Politiker an führender
Stelle abgenutzt zu werden, geschickt vermieden, hat
aber besonders in den letzten schweren Jahren des Naziregiments
hart um seine geistige und wissenschaftliche Existenz
ringen müssen. Damals haben wir Georg Schreiber, den
wir als unerhört gelehrten, fleißigen und hilfsreichen Freund
in jahrzehntelanger Verbundenheit oft erprobt hatten, auch

als tapferen deutschen Mann kennengelernt, der in seiner vorurteilslosen
vaterländischen Zuverlässigkeit sich nicht durch
Etiketten und Abzeichen irgendwelcher Art imponieren und
beeindrucken ließ.

Schreibers gelehrte Lebensarbeit ist in verschiedenen voluminösen
Forschungsreihen und Sammelwerken, in einer Bibliothek
gelehrter Bücher und in einer Fülle von meist umfan-
reichen Zeitschriftenaufsätzen niedergelegt. Es ist durchaus
zweckmäßig von solchen Zeitschriftenaufsätzen einen Zusammendruck
zu veranstalten, denn es ist für den Benutzer
heute schwierig, an die Zeitschriftenbände unmittelbar heranzukommen
und. die Verluste durch Kriegsereignissc sind gerade
in den neueren Jahrgängen großer Zeitschriftenreilun
verhängnisvoll groß. In dem vorliegenden starken Bande vereinigt
der Verf. acht wertvolle Aufsätze, davon sind nur drei
in den Jahren 1911—1915, die anderen fünf erst in den letzten
Jahren erschienen bzw. sie befinden sich noch im Satz, sind
also Vorabdrucke. Es erscheint erforderlich, wenigstens die
Titel der einzelnen Aufsätze mitzuteilen: 1. Byzantinisches
und abendländisches Hospital. Zur Spitalordnung des Panto-
krator und zur byzantinischen Medizin. 2. Cluny und die
Eigenkirche. Zur Würdigung der Traditionsnotizen des hochmittelalterlichen
Frankreich. 3. Zur cluniazensischen Reform.
4. Kirchliches Abgabewesen an französischen Eigenkirchen aus
Anlaß von Ordalien. 5. Mittelalterliche Segnungen und Abgaben
: Brotweihe, Eulogie und Brotdenar. 6. Gregor VII.,
Cluny, citeaux, Pr^montre" zu Eigenkirche, Parochie, Seelsorge
. 7. Studien zur Exemtionsgeschichte der Zisterzienser,
zugleich ein Beitrag zur Veroneser Synode vom Jahre 1134.
8. Vorfranziskanisches Genossenschaftswesen. Baurisse und
Forschungsaufgaben. Byzantinische Beziehungen. "Wer nur
einigermaßen wissenschaftlichen Zugang zu den in diesen Aufsätzen
behandelten Materien hat, wird zugeben, daß sie einer
gemeinsamen Grundlage und Ausrichtung nicht entbehren,
daß sie bei der von Schreiber zu ihrer Aufhellung angewandten,
die Urkunden kritisch auswertenden Methode viele wertvolle,
in einem eigenartigen Zusammenhange sich darbietenden Ergebnisse
bringen, die zu einer förmlichen Zusammenfassung,
wie sie hier mit dem Titel des Buches „Gemeinschaften des
Mittelalters, Recht und Verfassung, Kult und Frömmigkeit"
gegeben ist, drängen. Dieser in Kult und Volksfrömmigkeit,
Brauch und Lebensablauf des mittelalterlichen Menschen in
Stadt und Land in allen Ständen geistlicher und weltlicher
Form aufzugreifenden Gemeinschaft geht die anregende Einleitung
des Verf.s nach, die viele Neuerscheinungen zu dem
Gesamtthema nachträgt. Das Buch als abgeschlossene wissenschaftliche
Einheit wird ergänzt und gekrönt durch ein Register
, in dem uns die großen Linien der diese acht Aufsätze
verbindenden Gedanken erneut deutlich werden. Mehrere der
hier abgedruckten großen neueren Aufsätze haben wir in der
Zeitschrift für Kirchengeschichte im einzelnen bereits anzeigen
können.

Berlin Otto Lerche

Ghellinck, J. de, S. J., Ancien Professeur ä l'Universit6 GrSgorienne de
Rome et ä la Faculte de Theologie du College Theologique S. J. de Louvain:
Le Mouvement Theologique du Xlle siecle. Sa preparation lointaine
avant et autour de Pierre Lombard. Ses rapports avec les initiatives des
canonistes. Ctudes, Recherches et Documents. 2e F.d. considerablement
augmentee. Bruges: Editions „De Tempel". Bruxelles: L'Edition Universelle
Paris: Desclee, De Brouwer 1948. XVI, 594 S.= Museum Lessianum —
Section historique No. 10.

Durch das 1914 erstmals veröffentlichte Werk führte sich
der heute greise Verf. mit einem Schlage als ausgezeichneten
Kenner der mittelalterlichen Theologiegeschichte ein. Seitdem
hat de Gellinck in unermüdlichem Schaffen eine große Zahl
von Beiträgen zur patristischen und mittelalterlichen Literatur
- und Geistesgeschichte publiziert, die ihm Stimmrecht und
Ansehen im internationalen Chor der Fachleute sicherten.
Ein Teil dieser Abhandlungen erscheint seit 1946, in fünf
Bänden gesammelt, zur großen Freude aller Interessenten in
neuer Bearbeitung. Wenn jetzt de Ghellinck das vor mehr als
' 30 Jahren herausgegebene Werk in gründlicher Überholung
und wesentlicher Ergänzung abermals der gelehrten Welt
unter demselben Titel vorlegt, so glaubt sich der Verf. entschuldigen
zu müssen: der alte Titel des Werkes könne heute
insofern nicht mehr als zutreffend bezeichnet werden, weil seit
1914 „Le Mouvement de Theologie du 12 e siecle" jetzt wesentlich
gründlicher erforscht, viele neue Probleme aufgeworfen
und inzwischen eine unerhört reiche Materialzufuhr erfolgt sei.
Alle früher noch unbekannten Fragen und Quellen wollte und
konnte der greise Autor nicht mehr behandeln, weil er mit
Recht befürchten mußte, eine so umfassende Erweiterung des
Werkes niemals zum Abschluß bringen zu können. Er begnügte