Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1950

Spalte:

537-542

Autor/Hrsg.:

Kahle, Paul

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1950

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

537

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 9

C38

die r" dessen, der vom Systematiker die Existenz fordert,
e -Existenz in dem, was das System repräsentiert. Denn das
f>J stem ist abstrakt, sofern es bloß gedacht, nicht unmittelbar
^Mstierend ist" (55). Der Beitrag des „existentiellen Korrek-

. ? zu dem Kosmos der philosophischen Möglichkeiten beer
,? 3 e darin, daß es den Systemdenker daran erinnert, daß
den Schritt über das bloße Denken des Systems hinaus in
e praktische Bewährung tun muß, und daß erst darin auch
sein Denken Sinn empfängt. Damit entfernt sich B. m. E.
*on dem, was K. selbst mit seiner Kritik an Hegel meint,
enn K. beabsichtigt nicht, den Systemdenker lediglich zur

xistentiellen Vertretung seines Systemes zu rufen, sondern

r ist der Meinung, daß es notorisch unmöglich ist, das System
««stierend zu vertreten. Er ruft nicht den Systemdenker als
solchen, sondern er ruft ihn vom Systemdenken weg zum
Existieren. System und Existenz sind bei ihm nicht komplementäre
, sondern kontradiktorische Größen: Entweder —
°der Es kann natürlich niemand verwehrt sein, dieses Kierke-
gaardsche Entweder-Oder, K. von philosophiegeschichtlicher

J arte aus gleichsam besser verstehend als er sich selbst verstand
, zum erwecklichen Durchgangsmoment für ein nachträglich
zu gewinnendes vertieftes Sowohl-als-auch zu machen
und mir scheint, daß B. dies tut. Das ist dann eine Frage
PK ^er Kierkegaardinterpretation, sondern des persönlichen
<->ebrauches, den man von der „Wirkung" K.s machen will.
Aber damit ist dann zugleich in aller Form die Option gegen
«5. und für Hegel vollzogen. Wenn B. die „Vereinbarung" von
JMerkegaardschem zu Hegelschcm Denken als das Entschei-
pende anstrebt, so ist ja schon mit dieser Aufgabestellung der
* 01 Kierkegaard in Wirklichkeit eliminiert. Denn von K. her
konnte — nach B.s eigenen Ausführungen — die Aufgabe nur
lauten : Nicht Vereinbarung, sondern Wahl, Entscheidung. Das,
was mit Hegel vereinbart wird, ist also, eben weil vereinbart
Wlrd, schon nicht mehr Kierkegaard selbst; d. h. die Vereinbarung
bt mißlungen. Indem B. vereinbaren möchte, hat er
praktisch gewählt, und zwar hat er Hegel gewählt. Er hat sich
ntt das Problem entschieden, das Lösungen hat, und gegen
die Aporie, die nur im Sprung der Wahl überwunden wird.

So erweist sich eigentümlicherweise, daß K. den, der sich
init ihm beschäftigt, zur Wahl zwingt — auch wo bewußt die
» ereinbarung erstrebt wird. Wer ihn nicht ganz wählt, der hat
gegen ihn gewählt. Dies ist die Wirkung der „christlichen

Radikalität", von der B. spricht, und sie ist wohl letztlich
nicht mit philosophiegeschichtlichen, sondern nur mit theologischen
Kategorien ganz zu erfassen. Denn K. kämpft gegen
H. nicht für ein humanuni, nicht für eine letzte Tiefe menschlichen
Seins, sondern für das Alleinrecht Gottes gegen den
Menschen, der seine Existenz aus sich selbst versteht. Nicht
darum ist das System zu verwerfen, weil die Existenz ihr
Recht fordert, sondern darum, weil Gott allein die Schau des
Ganzen, der Ort in der Mitte und auf der Höhe gehört, den
einzunehmen das System sich anmaßt. Darum aber ist es absolut
und radikal zu verwerfen. Und nicht darum dürfen die
Aporien keine Lösung finden, muß das Denken unabgeschlossen
bleiben, weil diese aporetische Situation ein fruchtbarer
Lebensmotor wäre, sondern damit im Scheitern des
menschlichen Denkens Gott allein die Ehre gegeben wird.
Auch bei der für K. so entscheidenden Kategorie des „Einzelnen
" scheint es mir nicht um Individualismus als Möglichkeit
menschlicher Lebenshaltung, nicht um die Behauptung des
Einzelnen als solchen zu gehen, sondern darum, daß Gott dem
Menschen gegenübertritt und ihn persönlich anruft, und daß
der Mensch dem Gegenüber dieser Begegnung sich nicht durch
Flucht in die allgemeine Sphäre einer erdichteten Gottunmittel-
barkeit entzieht.

So bleibt es zum Schluß eine Frage, ob man K. wirklich
gerecht werden kann, wenn man ihn auf rein philosophiegeschichtlicher
Ebene als existentiellen Denker dem Systemdenker
Hegel gegenübergestellt. Was würde er selbst dazu
sagen, sich solchergestalt „eingeordnet" zu sehen — er, der
sich so heftig dagegen verwahrte, „weltgeschichtlich" zu werden
! Liegt sein Gegensatz zu H. nicht auf einer andern Linie
— nämlich der Linie zwischen allem, wenn auch noch so
existentiellen, Philosophieren, das sich selbst in der Mitte und
auf dem Gipfel der Wirklichkeit weiß und also mit sich selbst
allein ist, und der Existenz, die Gott zum realen Gegenüber,
zum Herrn hat? K. meint die Existenz des Menschen unter
Gott. Nur von dieser Wirklichkeit her, die in dem Ereignis
der Offenbarung Gottes erschlossen ist, kann m. E. sein Verhältnis
zu Hegel gesehen werden — das dann nicht komplementär
, sondern im letzten Ernst und unvereinbar kontradiktorisch
ist. Doch ist damit das Gebiet einer Kategorie beschritten
, die philosophiegeschichtlich nicht faßbar und über
die wissenschaftlich nicht zu rechten ist.

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften

13. Die Zeit der Bergung der hebräischen Handschriften in der Höhle

Von Paul Kahle, Oxford

Lankester Harding, der Chef des Departments of Anti-
luities im Staate Jordan, und der Dominikanerpater Roland
de Vaux, der Direktor der Ecole Biblique et Archdologique
Francaise in Jerusalem, die die Höhle in der Nähe des Toten
Meeres, in welcher die Handschriftenrollen gefunden worden
sind, ausgegraben haben, haben in dem Alter der Krüge, in
denen die Rollen aufbewahrt gewesen sind, einen Anhaltspunkt
finden wollen für das Alter der Rollen. Die Krüge seien
hellenistische Arbeit, und könnten kaum später als etwa
100 v. Chr. angefertigt worden sein. Da man auf Grund der
aufgefundenen Deckel und Basen der Krüge damit rechnen
müsse, daß einmal etwa 50 Krüge in der Höhle aufgestellt
gewesen sind, sei anzunehmen, daß die große Zahl der Krüge
angefertigt worden ist zu der Zeit, da man die Rollen in ihnen
geborgen habe. Das führt de Vaux zu dem Schlüsse, daß nichts
in die Höhle gebracht worden sei nach etwa 100 v. Chr.1. In
einem Briefe vom 10. Juli d. J. schreibt er mir, daß er in einem
neuen Artikel in der nächsten Nummer der Revue Biblique
(Juli 1950) das Datum des Verstecks in die Zeit des Alexander
jannäus festgelegt habe, und er weist darauf hin, daß Scgal
in einem Artikel der „Palestine Post" ganz unabhängig von
ihm zu einem ähnlichen Resultat gekommen sei.

Die römische Töpferware aus dem 3. Jahrhundert n. Chr.,
die mau in der Höhle gefunden hat, muß dann von späteren Besuchern
hineingebracht worden sein. De Vaux verweist auf die
Entdeckung jener griechischen Bibelübersetzung in einem
Kmge in der Nähe von Jericho zur Zeit des Caracalla (211—7),
die Origenes als „Sexta" in seine Hexapla aufgenommen hat.
Daß dieser Fund in einer Höhle gemacht worden ist, davon ist
allerdings in dem Berichte des Origenes nicht die Rede.

Da man über die Geschichte der Höhle und über die Be-

') Vgl. seinen Artikel „La Grotte des Manuscrits hiSbreux" in: Revue
Biblique Vol. LVI, 1949, S. 586ff.

dingungen, unter denen die Rollen hineingebracht worden
sind, nichts Positives weiß, ist es von vornherein etwas mißlich
, das Alter der Krüge als maßgebend anzusehen für das
Alter der darin geborgenen Rollen und ein so ernster Forscher
wie Prof. G. R. Driver in Oxford ist geneigt1, mit der Datierung
der Bergung der Rollen in der Höhle in die Nähe der
Zeit herabzugehen, in der tatsächlich von der Auffindung von
hebräischen Handschriften in einer Höhle in der Nähe von
Jericho berichtet wird, in einem etwa 800 geschriebenen
Briefe des syrischen Patriarchen Timotheus, der, 1901 veröffentlicht
, von Prof. Eißfeldt in ThLZ 1949, Nr. 10, wieder
ans Licht gezogen ist. Eine so späte Ansetzung der Bergung
der Rollen scheint mir unmöglich zu sein.

1. Die ältesten Reste von hebräischen Handschriften,
die wir bisher kannten, stammen aus der Kairoer Geniza. Man
wird damit rechnen können, daß sich hier Fragmente von
Handschriften finden, die bis ins 7., vielleicht gar ins 6. Jahrhundert
zurückgehen. Die Funde der Höhle machen diesen
Fragmenten gegenüber einen sehr altertümlichen Eindruck
und er erscheint schon rein paläograpiiisch außer Frage, daß
die Funde aus der Höhle wesentlich älter sind. Dazu kommt,
daß selbst die frühesten Fragmente von Bibelhandschriften
aus der Kairoer Geniza eine Punktation aufweisen. Die Anfänge
der palästinischen Punktation, der „Punktation des
Landes Israel", liegen im 5. Jahrhundert n. Chr. Von Punktation
findet sich in den Rollen aus der Höhle nicht die geringste
Spur.

2. Daß die Rollen schon in weit früherer Zeit in der Höhle
geborgen sein müssen, darauf kann man aus der Tatsache
schließen, daß keine der Rollen und Fragmente auf Pergament
geschrieben ist. Nur Leder und Papyrus sind für diese

') Vgl. seine Artikel in Jewish Quarterly Review XL, 1949/50, S. 127 bis
134, 359—372.