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Ausgabe:

1950 Nr. 9

Spalte:

533-538

Autor/Hrsg.:

Joest, Wilfried

Titel/Untertitel:

Hegel und Kierkegaard 1950

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 9

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Keller oder Harnack? Daß die „Deutschen Christen" aus der liberalen Theologie
hervorgegangen seien (S. 127), ist grundfalsch. Von einer „Dezentralisierung
" auf katholischer Seite (S. 122) ist noch recht wenig zu merken. Das
über Transsubstantiation und Konsubstantiation Gesagte (S. 157) ist unklar
und mehr als zweifelhaft. Die Ausnutzung eines Einzelgängers (Asmussen)
zeigt, daß der Verf. die Kräfteverteilung im evangelischen Lager nicht kennt.
Die „Betglocke" läutet heute noch in den allermeisten evangelischen Gemeinden
(S. 165); Wiedereinführung des Kreuzeszeichens, das als abergläubiger
Brauch in Abfall gekommen ist, ist unmöglich. Auch der Opfercharakter der
Messe wird nur von wenigen Hochkirchen neu gewürdigt. Usw.

Zum Schluß seines Buches bespricht Laros das Monitum
des heiligen Offiziums vom 5. Juni 1948 und die Instruktion
..Ecclesia catholica", die am 20. Dezember 1949 erlassen und
am 28. Februar 1950 an die katholischen Bischöfe bekanntgegeben
wurde. Die beiden Dokumente sind für deutsche
Leser am besten zugänglich in der Zeitschrift „Der Überblick"
1948, Nr. 25 und 1950, Nr. 10 (zu beziehen beim „Christlichen
Nachrichtendienst", München 2 B 5, Schließfach 59). Es ist
interessant und dient nicht sehr der Una Sancta, wenn Laros
den Hauptcharakter der neuen Verfügung unter den Tisch
fallen läßt und auch im Vorwort bemerkt, daß durch die Instruktion
die beim Monitum entstandenen „Mißverständnisse
aufgeklärt und eine Zusammenarbeit der Konfessionen im
Sinne eines wahrhaft schöpferischen Friedens dringend em-
fohlen" werde. Tatsächlich ist das Eigentümliche au der Instruktion
dies, daß die Aussprachen, zu deren Teilnahme die
katholischen Mitglieder unter bestimmten Bedingungen (der
Kontrolle durch die Bischöfe und der Meldung nach Rom)
berechtigt werden, ausschließlich unter den Gesichtspunkt des
Übertritts zur katholischen Kirche gestellt sind. Sie sollen die
„Wiedervereinigung der Akatholiken mit der katholischen
Mutterkirche zum Ziel haben". Wenn schon von evangelischer

Seite gegen die Aussprachen zwischen Katholiken und Protestanten
gesagt worden ist, sie seien „Vorwärmstuben" für
solche, die konvertieren wollen, so wird von Rom aus dieser
Zweck der Aussprachen restlos bejaht. Wenn sich in der Aussprache
zeigt, daß dies nicht erreicht wird, muß sie sofort abgebrochen
werden. Unter diesem Gesichtspunkt haben die
Bischöfe die Pflicht, die Aussprachen zu fördern, geeignete
Priester (Konversionssachverständige) zur Teilnahme zu beauftragen
, Hilfsmittel für den übertritt bereitzustellen, eine angeblich
„irenische Gesinnung" zu vermeiden. Ausdrücklich
wird gewarnt vor einer Nachgiebigkeit in Beurteilung der
Reformationsgeschichte oder der Persönlichkeit der Reformatoren
(Lortz, Hessen, Herte u. a.). Es ist alles zu bekämpfen
und fernzuhalten, „was die Fehler der Katholiken übertreibt
und die Schuld der Reformatoren abschwächt". Man darf
nicht „Nebensächliches derart ins Licht rücken, daß darüber
das Allerwesentlichste, der Abfall vom katholischen Glauben,
kaum noch zum Bewußtsein kommt oder empfunden wird".

Es ist anzunehmen, daß bei der eigentümlichen Beweglichkeit
der katholischen Gelehrten gegenüber den Sprüchen
aus Rom nach ihrem Gewissen selbständig zu handeln, auch
Laros und seine Freunde die Aussprache mit den Protestanten
in bisheriger Form weiter zu pflegen bestrebt sein werden.
Aber man wird damit rechnen müssen, daß der Konversions-
sachverständige immer mit im Spiel ist. Der Versuch, das frei
gewachsene Gespräch zwischen Katholiken und Protestanten
zentralistisch zu verkirchlichen, d. h. den Bischöfen und durch
sie dem heiligen Offizium zu miterstellen (auch die Namen
der protestantischen Referenten und teilnehmenden Theologen
müssen nach Rom gemeldet werden!), bedeutet eme wesentliche
Veränderung des ganzen Charakters dieser Gespräche.

Hegel und Kierkegaard

Bemerkungen zu einer prinzipiellen Untersuchung

Von Wilfried Joest, Heidelberg

Die nur 80 Seiten starke Schrift breitet in der gelockerten
Form des Essai eine Fülle von Beobachtungen und Erwägungen
aus, die zu würdigen zumal für den der philosophischen
Fachsprache im engern Sinn ungewohnten Leser nicht leicht
ist. (Leider wird das Verständnis noch durch eine ungewöhnlich
große Anzahl sinnentstellender Druckfehler erschwert).
Dennoch ist die Lektüre des kleinen Werkes gerade auch für
den Theologen lohnend und wichtig, weil die geistreichen
philosophiegeschichtlichen Erwägungen, mit denen Bense das
Phänomen Kierkegaard in eine umfassende Perspektive einzuordnen
sucht, mannigfachen Anlaß geben, dem Verhältnis
von Theologie und Philosophie grundsätzlich nachzudenken,

B. versteht den Gegensatz Hegel-Kierkegaard als Gegensatz
zweier möglicher Grundhaltungen des Philosophierens,
die es in ihrer Eigenart zu erfassen gelte. Er beginnt mit der
Feststellung, daß in K.s Schrifttum in eigenartiger Weise ein
Kommentar zu dem System H.s gegeben ist. Denn an der
Auseinandersetzung mit Hegel sind K.s Gedanken erwachsen,
und sie bleiben beständig in polemischem Kontakt mit dem
Hegeischen System. Beider Werk ist, auf einen summarischen
Nenner gebracht, Religionsphilosophie; aber Hegel treibt Religionsphilosophie
theoretisch als Theodizee, Kierkegaard existentiell
als Theologie. Innerhalb dieses Grundgegensatzes sind
die Gedankengänge beider Denker isomorph, d. h. sie stehen
. n einem strengen Eutsprechungsverhältnis. B. formuliert
idieseu Tatbestand in dem Satz: „Die Theologie K.s ist das
existentielle Korrektiv zur Theodizee Hegels, ausgedrückt in
der komplementären Sprache" (8).

Soweit die einleitenden Feststellungen. Schon jetzt sei
eine Frage angemeldet: Meint B., wenn er von Kierkegaard
als dem existentiellen Korrektiv Hegels spricht, dies in dem
Sinne, daß K. zu H. ein existentielles Moment ergänzend hinzufügt
, oder in dem Sinne, daß K. das System H.s von der
existentiellen Betrachtung her widerlegt? Ist also die der
Hegeischen „isomorphe" Gedankenfolge K.s zu verstehen als
ihre existentielle Verdoppelung bzw. Überhöhung, oder als
ihre Umstürzung und Vernichtung? B. würde vielleicht antworten
: Beides. Selbstverständlich weiß er, daß K. die Hegel-
schen Sätze nicht etwa geradlinig ergänzt und vertieft, sondern
polemisch anficht und umstürzt. Aber es scheint doch,

') Bense, Max: Hegel und Kierkegaard. Eine prinzipielle Untersuchung
. Köln und Krefeld: Staufen-Verlag Paul Bercker 0. J. 84 S. Geb.
DM 3.30.

als sei diese Polemik für ihn nur ein Moment des Durchgangs,
das über sich selbst hinaus auf eine höhere Synthese weist!
Jedenfalls deutet die Wahl derBegriffe,,Korrektiv" und „komplementär
" darauf hin, daß nach der Ansicht des Verf.s beide
Betrachtungsweisen in polarer Ergänzung zusammengehören
und irgendwie erst zusammen den Kosmos der philosophischen
Möglichkeiten ausmachen. Wir werden auf diese Frage noch
zurückkommen.

Nun zunächst ein Überblick über die Kontrapunktik der
zwischen H. und K. waltenden Gegensatzentsprechungen, wie
sie B. entwickelt — eben das, was er als die Isoniorphie der
beiden Denker bezeichnet. Ich ziehe dabei Dinge, die bei ihm
zerstreut und zum Teil wiederholt gesagt sind, in eine verkürzte
Übersicht zusammen.

B. geht aus von formalen Beobachtungen. Hegels Schrifttum
bildet schon unter formal-literarischem Gesichtspunkt
ein homogenes System, ehie systematische Disziplinenfolge
Kierkegaards Schriftstellerei breitet sich aus in einer Vielfalt
literarischer Gattungen: Pseudonyme Bekenntnisse und Versuche
, Repliken und Predigten Traktate und Tagebuchblätter,
Aufsätze und Gebete — alles „in geradezu barocker Breite und
Fülle". Sie ist im Gegensatz zu dem Werk Hegels nicht System
sondern Literatur. Das Hegelsche System — damit kommt eine
weitere Gegensätzlichkeit in Sicht — will ein theoretisches
Bild der Wirklichkeit bieten; es doziert, deduziert, beweist
Die Literatur Kierkegaards dagegen will praktische,' konkrete
Wirkungen hervorrufen; sie doziert und beweist nicht, sondern
sie provoziert Erlebnisse und Entschlüsse, verlockt zu einer
Haltung: sie „versucht". Dort lautet der Skopos: Repräsentanz
der Wirklichkeit, hier: Faktizität der Wirkung.

Vom Formalen zum Inhaltlichen führt der Vergleich der
Dialektik beider Denker. H.s Dialektik ist „vereinbarend",
auf die Zusammenschau des Gegensätzlichen ausgerichtet'.
K.s Dialektik dagegen „auseinandersetzend", abgehackt, auf
die Enthüllung des unvereinbar Antinomischen hinzielend,
H. will integrieren, K. differenzieren und isolieren. Dort die
Synthese, hier das „Entweder-Oder". Dem System der Identitäten
, das die metaphysische Grundlage der Hegelschen Gedankenwelt
bildet, stellt K. gegenüber ein System (kann man
es so nennen?) „qualitativer Differenzen"; die Grundkategorie
seines Denkens ist der „Sprung". Als ersten metaphysischen
Elementarsatz bestimmt B. für Hegel die Behauptung
der Identität von Denken und Sem, für K. die Behauptung des
Sprunges zwischen Denken und Sein. Für jenen ist das Ge-