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Ausgabe:

1950 Nr. 8

Spalte:

493-494

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Giertz, Bo

Titel/Untertitel:

Die grosse Lüge und die grosse Wahrheit 1950

Rezensent:

Graß, Hans

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Seite 1

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493

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 8

494

Abgrund der Welt kann die Kirche nicht schweigen. „Wir sind
die emzigen, die sich völlig dessen bewußt sind, was für die
ßurger walire Gegenwart im Staatskörper sein kann, entsprechend
der wahren Gegenwart des Glaubenden im Leib der
Kirche. Denn wir sind die ersten, die wissen, was es heißt:
Seiner Gegenwart leben" (197). Die kommende Herrschaft
Christi läßt schon jetzt ihre Grundzüge erkennen: Gerechtigkeit
, Friede, Wahrheit (147t.). Von ihnen fällt ein kritisches
Licht auf die sozialethischen Werte, unter denen Ehre und
Freiheit an erster Stelle stehen (i76ff.). „Kein Volk wird
Grundsätze wie Person-, Gewissens- und Meinungsfreiheit
außer Acht lassen können, ohne die Herrschaft Christi und die
Nächstenliebe zu mißachten" (178).

3- Methodisch wird man sowohl als Theologe wie als
Prediger viel lernen können:

a) Zunächst was es heißt: aus einem lebendigen Umgang
mit der Bibel heraus denken. Forschung und Verkündung
werden hier gleichermaßen befruchtet. Unter Verzicht
auf billige Allegorisierung legt sich die Schrift wirklich als
..lnterpressui ipsius" (Luther) aus. Vgl. etwa die Dialektik zwischen
Abraham- und Noah-Bund (159t.). Oder: die Kritik der
Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, jener „fragwürdigen
Hoffnung des Unglaubens" im Unterschied von der Hoffnung
der Totenauf erweckung, der „gewissen Erwartung des Glaubens
" (112), im Lichte von 1. Tim. 6, 16 (125 Anm.) und des
christologischen Summariums (129f.). Oder: die Kritik eines
weichlichen Pietismus: „Man singt nicht mehr: ,Paradi-is,
Paradi-is (sie!), wie ist deine Frucht so süß' (schon Eva wußte
das viel zu gut!). Sondern: Wer wird mich erlösen von dem
Leibe dieses Todes?" (134L).

b) Sodann was es heißt: von der bezeugten Sache
her klar formulieren. Unter Verzicht auf irgendwelche
apologetischen Kniffe wird eine streng durchdachte und geschliffene
Ausdrucksweise erzielt. Die personale Koordinierung
oder Kontrastierung biblischer Zeugen (nicht als religiöser
Persönlichkeiten, sondern eben als Wort-Träger) erweist sich
a's recht eindrucksvoll: etwa in der Weihnachts-Rede das
Nebeneinander von Mose („Laß mich deine Herrlichkeit
sehen!"), Philippus („Zeige uns den Vater!") und Simeon
(..Meine Augen haben dein Heil gesehen!"). Auch die Fülle
geprägter Einzelsätze, deren Gehalt man nicht so leicht wieder
vergißt, ist zu beachten.

c) Schließlich was es heißt: vom Text her die
Existenz des Hörers erhellen, sie vor Gott konkret und
anschaulich werden zu lassen. Unter Verzicht auf synthetische
Veranschaulichungen mittels Beispielen und Zitaten
wird Konkretheit und Anschaulichkeit aus dem Text selbst
gewonnen, sozusagen mittels der Analyse seines eigenen Spektrunis
. Selbst Calvin und Luther werden nur sehr sparsam
angeführt; Dostojewskij nur einmal, hier aber sehr eindrücklich
mit seiner Novelle „Bobok" (185f.). Nicht in pharisäischer
Überheblichkeit, sondern aus echter Solidarität wird
der heutige Mensch zu seiner Eigentlichkeit gerufen und dem
ungeklärten Sehnen der Zeit der Orientierungspunkt in der
Zukunft Christi gewiesen: „Jeder Mensch wartet immer nur
auf diese Stunde, aber in falscher Richtung; wie jemand, der
sich hartnäckig nach Westen wenden möchte, um den Sonnenaufgang
zu sehen" (115).

Die Frage, die vor einem Menschenalter Niebergall so eindrücklich
stellte: „Wie predigen wir dem modernen Menschen
?" und die neuerdings in der II. Sektion von Amsterdam
die Fassung erhielt: „Wie evangelisieren wir heute
die Welt ?" erhält durch de Pury eine verheißungsvolle Antwort
. (Nicht zufällig gab dalier Visser't Hoof t dem Buche
sem kurzes, treffendes Geleitwort mit). Allerdings fällt die Antwort
deswegen so klar aus, weil der Verf. nicht nach dem
„Wie"?, sondern ausdrücklich nach dem „Was?" fragt.
Nur dem, der zuerst nach der Sache trachtet, „fällt" die
Methode „zu". Weil er die Sache unbedingt geltend macht,
kann er den heutigen Menschen so ernst nehmen. Gerade
dem anspruchsvollen Leser, Theologen wie Nichttheo-
logen, nicht zuletzt einer ernstlich suchenden Jugend, wird
das Buch eine wirkliche Hilfe sem. Man kann es nur begrüßen,
daß es demnächst in deutscher Übersetzung erscheint.

Jena Gerhard Gloege

Giertz, Bo: Die große Lüge und die große Wahrheit. 15 Kapitel über
christliche Grundwahrheiten. Aus dem Schwedischen übersetzt von Günther
Ruprecht in Verbindung mit Johannes Holzhey. Gottingen: Vandcnhocck
und Ruprecht 1947 . 214 S. 8°. dm 5.—.

Das vorliegende Buch ist eine gute Laiendogmatik vom
lutherischen Standpunkt aus geschrieben. In eindringlicher
Weise werden die wichtigsten christlichen Wahrheiten von
Gott dem Schöpfer bis hin zum Morgen der Auferstehung behandelt
, wesentliche ethische Fragen unter den Überschriften
: „ein evangelisch-lutherischer Christ" und „die
beiden Regimente". Das einleitende Kapitel stellt den drei
großen Gegenwartslügen: Es gibt keinen Gott, es gibt keinen
Teufel, ein jeder wird selig nach seiner Fasson, die drei großen
Wahrheiten gegenüber, Gott lebt, Gott erlöst dich aus der
entsetzlichen Macht der Finsternis, in Jesus Christus ist die
Erlösung. Die Eingangskapitel sind die stärksten des Buches,
denn hier führt der Verf. das Gespräch mit dem säkularisierten
Selbstverständnis des modernen Menschen. Das Gewissen
wird als das Tribunal des eigenen Ichs beschrieben, in dem
wir immer mit einem ganzen Apparat von Advokaten und
Entlastungszeugen auftreten, uns zu entschuldigen, und meistens
auch recht behalten. Erst wenn der Christus der Bergpredigt
sich in diesem Tribunal zu Wort meldet, zerbricht das
sich selbst rechtfertigende Ich. Die Versölmungslehre wird in
der lutherischen Dialektik von Gesetz und Evangelium behandelt
. Dabei wird die Gesetzlichkeit aufgezeigt, die gerade
in unseren frommen Werken liegt. „Es ist etwas von dem
Besten in uns, das uns mit aller Macht drängt, die Gnade verdienen
zu wollen und uns der Gunst Gottes würdig zu erweisen
". Aber die eigene Gerechtigkeit ist ein unvereinbarer
Gegensatz zur Gereclitigkeit des Glaubens. Den seligmachen-
den Glauben gibt es nur zusammen mit geistlicher Armut.
Hier werden Gedanken aus Luthers theologia crucis kraftvoll
gegen pietistische Frömmigkeit vertreten. In der Gnaden-
mittellehre fällt auf, daß nicht das Wort, sondern die Taufe
im Vordergrund steht. Dabei werden Fragen gestellt; Wie lange
verbleibt ein Mensch in der Taufgnade ? Ist es nötig, aus der
Taufgnade zu fallen ? , die eigenartig katholisierend klingen,
der Gedanke des unbewußten Kinderglaubens wird gestreift.
Auch beim Kirchenbegriff ist die Bestimmung vorangestellt,
daß sie der Kreis aller Getauften sei. Die Abendmahlslehre
wird lutherisch korrekt dargestellt. Daß es ein Mahl für Sünder
, nicht für Gerechte sei, wird schön hervorgehoben. Ein
starker Ton liegt auf der Lehre von den zwei Reghnenten.
„Wenn man die Wahrheit von den beiden Regimenten nicht
verstellt, verstellt man weder, was es heißt, ein Mensch zu
sein, noch ein Christ." In diesem Zusammenhang wird allerdings
eine Schöpfungstheologie ziemlich ungesichert vorgetragen
. Man spürt hier, daß dem schwedischen Luthertum
die bitteren deutschen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte
erspart geblieben sind. Bedenken unterliegt auch die negative
Bewertung der geschichtlichen Erforschung der Bibel. „Es
kann keinerlei entscheidende Bedeutung haben, wie sie (die
Worte der Bibel) verstanden wurden, als sie das erste Mal ausgesprochen
wurden" (S. 146).

Man möchte wünschen, daß der Verf., wie eingangs, so
auch im zweiten Teil seines Buches, das Gespräch stärker mit
dem modernen Menschen außerhalb der Kirche geführt hätte,
nicht nur mit dem Kirchencliristen. Die bei jeder Ubersetzung
zu stellende Frage, ob es sich lohnte, das fremdsprachige Werk
deutschen Lesern zugänglich zu machen, ist im vorliegenden
Fall unbedingt zu bejahen.

Erlangen Hans Graß

Demant, v. A., d. Litt., Canon: OurCulture: Its Christian Roots and
Present Crisis, ed. London: Society for Promoting Christian Knowledge
[1947], VII, 113 S. kl.8°= Edward Alleyn Lectures 1944. Lw. 5 s.

Im Sommer 1944 und im Winter 1945 smd diese sechs
Vorlesungen im Edward Alleyn-College in Dulwich in England
gehalten und von Canon V. A. Demant, der selbst den
ersten und letzten Vortrag beisteuerte, herausgegeben worden.
Ihr Thema wurde aus dem Empfinden heraus gewählt, daß
unsere moderne Kultur sich im Zustand einer Krise befinde,
die etwas zu tun hat mit der Stellungnahme zu den religiösen
Kräften, die mithalfen, unsere westeuropäische Kultur zu
formen. Der einleitende Vortrag über Ziele und Voraussetzungen
unserer Kultur, die als die formende Seele unserer
Zivilisation bezeichnet wird, nennt als ihre Merkmale den Geist
der Wahrhaftigkeit, Güte, Gerechtigkeit und Menschlichkeit.
Dies waren schon Ideale der klassischen griechisch-römischen
Welt, die durch das Christentum dann vertieft und verallgemeinert
wurden. Heute befinde sich diese Kultur im Niedergang
, da der moderne Mensch keine Wirklichkeit anerkenne
außer der diesseitigen Welt. Dies macht sich geltend auf den
Gebieten der Weltanschauung, der Erziehung, der
Kunst, der Arbeit und der Religion, was in den folgenden
fünf Vorlesungen näher ausgeführt wird.

Nur die Hauptgedanken können hier kurz skizziert werden
. Die historische Linie, die von der Herrschaft der Kirche
im Mittelalter über Reformation und Humanismus zum Zeitalter
der Aufklärung führt, hat auf dem Gebiet der Weltanschauung
die intellektuelle Revolution der neueren Zeit