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Ausgabe:

1950 Nr. 8

Spalte:

491-493

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Pury, Roland de

Titel/Untertitel:

Présence de l'Eternité 1950

Rezensent:

Gloege, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 8

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Hadrian wieder fast allmächtig, schafft sich schließlich in dem
oströmischen Reich wieder eine eigene Staatlichkeit (seit
Justinian wird in Byzanz auch die Staatssprache wieder
griechisch); verschwindet endlich wie ein Flußlauf unter den
Boden, bis es einst in der Renaissance neu hervorbrechen
wird. Die iranische Uberlieferung trägt das parthische und
dann das neupersische Königtum; das eine der große östliche
Gegner Roms, das andere die Rivalin von Byzanz; wirkt auf
die am Nordrand des Schwarzen Meeres siedelnden Germanenstämme
und beeinflußt ihre Kultur und vor allem auch ihre
Kriegskunst, sie so zum Einbruch in die römische Welt mit
vorbereitend; geht endlich unter in dem wilden Ansturm des
Islam, aber durchdringt und färbt auch diesen, ja macht ihn
zu seiner ihm so plötzlich zugefallenen Weltaufgabe erst geschickt
. — Mir ist bei der Lektüre des Kornemannschen Werkes
zum erstenmal der Gedanke gekommen, daß die merkwürdige
Verwandtschaft der Gestalt Alexanders mit der des
letzten Staufenkaisers einen Grund darin haben könnte, daß
sich Hellas und Persien in diesen beiden auf ähnliche Weise
begegnet smd, wenn auch bei dem Letzteren gebrochen durch
so viele Wandlungen und Schichtungen, die sich darüber gelegt
haben.

In das alles hinein wirken die Religionen des „Glaubenszeitalters
", wie Kornemann die hier beschriebene Epoche
nennt. Ich habe schon in meiner Besprechung des ersten
Bandes (ThLZ 1949, Nr. 9) gesagt, warum der Verf. hl diesem
Punkt nicht glücklich ist: bei allem Bemühen um historische
Gerechtigkeit fehlt ihm der Blick für das Wesen der christlichen
Botschaft. Er weiß nicht, daß es sich hier um kehie
Religion neben anderen handelt, nicht um ein Sichausstrecken
menschlicher Sehnsucht nach Gott, wie in allen Religionen
sonst, sondern um geoffenbarte Wahrheit, die als Macht, und
als Opfer der Macht, in die irdische Geschichte eintritt. Gewiß
, ein Historiker muß vergleichen. Aber er sollte unterscheiden
können, wo Vergleichbarkeiten sind, und wo nicht.
Ich habe hier nur deshalb abermals davon sprechen müssen,
weil das natürlich nicht nur eine, ein spezielles Gebiet berührende
Frage ist, sondern auf das Ganze einer so umfassenden
Geschichtsdarstellung wirkt.

Es sind in dem zweiten Band wieder einige sehr gute
„Porträts": so das des Augustus und des Tiberius, so das des
Justinian unde der Theodora. Doch liegt die Bedeutung des
ganzen Werkes nicht so sehr üi solchen Bildnissen oder in dem
Stil (der den unserer klassischen Geschichtsschreibung nicht
erreicht), als in der adlerhaften Uberschau über den Mittelmeer
-Raum und seine Weltgeschichte.

Vorderleiten Bernt von Heiseler

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Pury, Roland de: Präsence de l'Eternite'. Avant-propos de W. A. Visser't
Hooft. 2ieme id. Neuchatel: Delachaux & Niestie [1946]. 199 S. 8° =
Collection „L'actualite protestante". sfr. 4.75.

Dies Buch enthält 11 Vorträge, die vor sehr verschiedenen
Hörerkreisen — Jugend im Freizeitlager und Studenten der
Universität Bordeaux — gehalten wurden. Der Verf., seit geraumer
Zeit Pfarrer in Lyon, gehört zu den Führern des französischen
Existentialismus und Personalismus. Mit seinen
Freunden Denis de Rougemont und Roger Breuil begründete
er die Zeitschrift „Hic et Nunc", die für eine der ersten perso-
nalistischen Bewegungen als repräsentativ gilt. De Pury gehört
zu denjenigen französischen Theologen, die sich einer
doppelten Verantwortung unterziehen: das biblische Ke-
rygma aus sich selbst heraus neu zu verstellen und: es ohne
Unibiegung in den jeweiligen Alltag hineinzusprechen. So
klärten bereits 1942 seine Predigten über das Vaterunser
seinen Landsleuten die verworrene Lage der Kriegs- und Besatzungszeit
, während die Jagd auf die Juden, die ersten Verschleppungen
und der Polizeiterror begannen. In der monatelangen
Gestapo-Haft, von der sein „Journal de Cellule" berichtet
, durchlitt er die „völlige Nacktheit" des Menschen, der,
aller äußeren Hilfe beraubt, ins „Sieb des Satans" (Luk. 22,
31) geworfen, sich allein durch Gottes Hand gehalten weiß.
Auf einigen Fetzen Packpapier zeichnete er mittels eines Bleistiftstumpfes
, auf dessen Besitz Todesstrafe stand, seine Auslegungen
des 1. Petrusbriefes auf („Pierres Vivantes").

1. Gesamtcharakteristik. Aus jedem Blatt des vorliegenden
Buches, das sozusagen eine neue Literaturform
eröffnet, weht einem der heiße Atem eines Mannes entgegen,
dem es gegeben ist, die Wirklichkeit des heutigen Menschen
zur unausweichlichen Begegnung mit der Wirklichkeit des
Wortes Gottes zu führen. Die großen Taten Gottes, von

denen die Feste der Kirche künden, werden an Hand von sorgfältig
ausgewählten Kurztexten so klar und tief zugleich interpretiert
, daß sich der Hörer von vornherein in das Leben des
schöpferischen Heilshandelns liineingenommen weiß. Scharf
zugespitzt wird stets das Entscheidende herausgehoben. Weihnachten
: Gottes Gegenwart — Karfreitag: Gottes Geduld —
Ostern: die Freiheit Gottes — Pfingsten: die Freiheit des Menschen
. Der Ausgangspunkt ist jeweils das Wort der Schrift,
die — entgegen allem fundamentalistischen Mißverständnis —
lebendiges Zeugnis von Gottes Zuspruch und Anspruch ist.
Auf die Frage „Wozu die Bibel?" antwortet der „selige Zirkel
": Man bedarf der Bibel, um Gott zu erkennen, und Gottes,
um die Bibel zu verstehen; ohne die Bibel wissen wir nichts
von Gott, und ohne Ihn nichts von der Bibel". „Die Bibel
ohne Gott ist nur ein stummer Götze" (11).

Das Evangelium ist Gottes schöpferischeVerheißung.
Es zielt auf meine Existenz. Als Osterwort entreißt es mich
den Fesseln von Welt und Tod, gibt es mir eine unglaubliche
Freiheit. „Es ist unmöglich, au den Auferstandenen zu glauben
, ohne mit ihm auferstanden zu sein, dieser Welt entnommen
" (87). Meine Freiheit bedeutet, daß ich Ich sein darf.
Sie vollzieht sich, indem ich glaubend antworte. Die Antwort
des Glaubens, in der ich selbst zugegen bin, wirkt allein Gott.
Jesus Christus „will nicht meine Lippen, sondern mich, und
wenn ich in meiner Rede nicht Ich bin, so ist es, als hätte ich
überhaupt nichts gesagt" (101). Durch sein Licht wird mir
mein Dasein als Verlorenheit, meine Hoffnung als heimliche
Verzweiflung (140), meine Gegenwart als „eine Reihe von Abwesenheiten
, verpaßten Gelegenheiten, verfehlten Stelldicheins
" offenbar (182). Erst durch die Gegenwart des Wortes
Gottes empfange ich meine Gegenwart (180).

Gottes Wort will unsere wirkliche Welt überwinden
: die Welt der Niederträchtigkeit und der Lüge, wo der
Erfolg alles rechtfertigt, wo Macht vor Recht und Wahrheit
geht, kurzum die Welt, in der wir leben (87f.). Es ist keine
Sicherheitsinsel, sondern ehi Schwert, mit dem es zu kämpfen
gilt. Es treibt nicht zur Weltflucht, sondern wirft uns mitten
in die Welt hinein. Es setzt sich an den Tisch der Zöllner und
Sünder und nicht der Frommen (194). Daraus ergibt sich
unsere Verantwortung: wir sind für die Welt die Hand
Christi, die anklopft; Christi Stimme, die ruft; wir sind die
Gegenwart Christi für alle Menschen, an jeder Tür, hinter der
Menschen wohnen (195). Der Materialismus ist nicht mehr
zu fürchten als der Spiritualismus, wenn man weiß, daß der
Teufel, die Dämonen, das „Tier" der Apokalypse — Geister
sind (165).

2. Sachlich bedeutsam ist die Verknüpfung von
Pneumatologie, Sozialethik und Eschatologie. Ein
besonders beachtlicher Vortrag „Valeurs spirituelles et Saint
Esprit" (152—178) ist diesem Fragenkreise gewidmet. Der
Heilige Geist wird streng personal gefaßt, nicht als ein Etwas,
sondern als der Er. Er ist weder Tat noch Gabe, noch Wohltat
, noch Wunder Gottes, sondern Gott selbst, der höchstpersönlich
in die Gefangenschaft unseres Daseins tritt (103t.).
Er ist streng zu unterscheiden a) von den „geistigen Werten"
der Kultur oder Gesellschaftsordnung; b) freilich auch von
der frommen Innerlichkeit, die ihnen indifferent gegenübersteht
und die Kultur zum Teufel fahren läßt, und c) von dem
Wahn, schon jetzt im Reiche Gottes zu leben (171 f.). Es gilt,
der eschatologischen Spannung standzuhalten: wir leben im
Glauben und nicht im Schauen, bis zur Parusie im Zeichen
des Kreuzes. Hier wird alle theologia gloriae (Mark. 15, 32!)
durch die reformatorische theologia crucis ausgeschaltet
(93). Der Weg des Kreuzes bleibt der Ort der Kirche (117). Die
Barmherzigkeit Gottes erleichtert dem Glaubenden weder
Leben noch Tod. Im Gegenteil, vielleicht ist alles viel härter
und unbegreiflicher in der Welt, und die Nacht viel schwärzer,
wenn einmal der Blitz den Himmel durchquert hat (119).
Gottes Wort macht den Christen nüchtern: es beendet den
Traum von der Weltverbesserung (139). Es gestattet jedoch
keinen Quietismus, sondern ermöglicht gerade die aus der
Hoffnung geborene Tat. Der Ausblick auf das jüngste Gericht
ist die einzige wirkliche Quelle für das Handeln des Christen.
,,Iu diesem Sinne muß man von einer eschatologischen
Heiligung reden, d. h. vom Leben eines Menschen, der darum
weiß, daß seine geringsten Bewegungen in der Ewigkeit
wiederholt werden und einen unendlichen Widerhall finden"
(122). Denn die Wiederkunft Christi ist die einzige „Wiederholung
", in Kierkegaards Sinn, die es für die Welt gibt (i2of.).
Die Glaubenden erwarten nicht Etwas, sondern Ilm, in dem
Erinnerung und Hoffnung zusammenfallen, weil er der Auferstandene
und der Kommende ist (143t.). Das eschatolo-
gische Dasein schärft dem Christen den Blick für den Zerfall
der menschlichen Lebeiisgrundlagen. Vor dem sich öffnenden