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Ausgabe:

1950 Nr. 8

Spalte:

487-489

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Vogt, Joseph

Titel/Untertitel:

Constantin der Große und sein Jahrhundert 1950

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 8

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Verf. selber schreibt ja: „Ich glaube nicht, das Buch über das
Judenchristentum geschrieben zu haben, das einen endgültigen
Schlußstrich unter die Forschung setzt, sondern ich habe . . .
nur ein neues Stadium der Forschung eingeleitet!" Sowohl
durch dieses Beginnen selbst, wie auch die Art seiner Durchführung
hat sich der Verf. ein großes wissenschaftliches Verdienst
erworben.

Stilistisch macht er es allerdings dem Leser ziemlich
schwer. Man wünschte eine klarere Scheidung der eigentlichen
kritischen Hauptforschungen und der Vor- und Nachuntersuchungen
, sowie eine deutlichere Hervorhebung der eigentlichen
Ergebnisse. Vieles, was im Text steht, könnte ruhig in
den Apparat verschwinden oder in weiteren Exkursen untergebracht
werden. Der Verf. hat wohl mit Absicht den früher
üblichen Stil beibehalten, den Text selber mit Zitaten, Stellenangaben
, Zahlen und fremdsprachigen Begriffen vollzustopfen
und auf diese Weise den Leser zu einem mühsamen Weg mit
dem kritischen Buschmesser durch 500 Seiten zu nötigen. Ist
es ein Zeichen der Bequemlichkeit und geistiger Trägheit,
wenn der neuere Stil der wissenschaftlichen Untersuchungen
dazu übergegangen ist, den Haupttext möglichst glatt, kurz,
einfach und lesbar zu gestalten, ihn von Zitaten, Zahlen, Verweisungen
, fremdsprachigen Begriffen und dem Gewirr von
verschiedenen Druckarten möglichst zu entlasten und die
eigentliche Kärrnerarbeit nur noch in den Anmerkungen unterzubringen
? Sollte es nicht genügen, wenn der Verf. in Form
eines stellvertretenden Leidens die Aschenbrödelarbeit auf
sich nimmt und dem Leser die Erbsen ohne die Asche serviert
?

Marburg Ernst Benz

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Vogt, Joseph: [Prof. Dr.] Constantin der Große und sein Jahrhundert.

München: Münchner Verlag [1949]. 303 S., 16 Taf. 8°. Hiw. DM14.50.

Konstantin gehört zu den Gestalten der Weltgeschichte,
mit deren Werk die Geschichtsforschung nie endgültig fertig
wird. Die letzte Biographie in deutscher Sprache1 liegt zwar erst
ein Jahrzehnt zurück, war aber in ihrer etwas trockenen und unsicheren
Linienführung dem großen Gegenstand nicht ganz gewachsen
. Da andererseits unsere Kenntnis gerade der Spätantike
ständig fortschreitet, war es wieder an der Zeit, eine Gesamtdarstellung
,,für einen weiteren Leserkreis" zu versuchen. Dazu
war der Verf. vor anderen berufen. Wir kennen ihn als den
gründlichen Erforscher des Verhältnisses von „Staat und
Kirche von K. d. Gr. bis zum Ende der Karolingerzeit" (1936)
und erwarten seinen seit dem Jahr 1944 bereitliegenden K.Artikel
im Realwörterbuch für Antike und Christentum mit
Ungeduld. „Der Verpflichtung, die das unvergängliche Buch
Jacob Burckhardts jedem Historiker auferlegt, bin ich mir
durchaus bewußt", heißt es im Vorwort. Klar und weiträumig
in der Anlage, sachlich und bestimmt in der Schilderung
, in ruhiger, männlicher Sprache erzählend, gibt das Buch
ein anschauliches und förderliches Bild der Zeit und des
Mannes, der für ihre Geschichte entscheidend wurde. Da zu
jedem Kapitel zum mindesten die neuere Literatur kurz vorgeführt2
und abweichende Urteile anderer Forscher auch im
Text öfters erwähnt werden, kann das Werk bis zu einem
gewissen Grade auch als Einführung in den Stand der Forschung
und ihre Probleme gelten. Es ist ein schönes und lehrreiches
Buch.

Die weltgeschichtliche Bedeutung K.s liegt vor allem in
der Wendung des römischen Staates zur Kirche, die er vollzog
. Darüber ist sich der Verf. natürlich durchaus im klaren.
Um so dankbarer ist man ihm für die Gleichmäßigkeit und
dichte Vollständigkeit seiner Darstellung, die neben den politischen
und militärischen auch die wirtschaftspolitischen und
verwaltungsrechtlichen Fragen in ihrer Kompliziertheit nicht
zurücktreten läßt. Nur so wird die konstantinische Revolution
in ihren Ursprüngen und Auswirkungen voll faßbar. Fast die
Hälfte des Buches ist der Vorgeschichte gewidmet, der „Krise
der antiken Welt im 3. Jahrhundert" und der „Restauration
Diokletians" — des Mannes, der noch einmal fast altrömische
Züge trägt „wie ein gewissenhafter Censor" (S. 124) und dessen
Werk der so ganz anders geartete K. dann in mehr als einer
Hinsicht fortführen und vollenden sollte.

') Karl Hönn: Konstantin d. Gr. Leben einer Zeitenwende. Leipzig
1940; vgl. ThLZ 65 (1940) 9! ff-, Opitz.

2) Doch hätte die Broschüre von H.Larmann auf S. 283 nicht genannt
werden sollen; es handelt sich um ein minderwertiges Plagiat, das
vom Verlag als solches zurückgezogen wurde.

K.s menschliche Eigenart ist überzeugend geschildert. Unsere Nachrichten
sind gewiß für eine intime Charakteristik nicht günstig, und viele
Seiten seines Lebens, besonders die dunklen, tragischen Vorgänge in der
eigenen Familie, lassen sich nicht mehr erhellen. Aber überall, wo K- in die
Dinge eingreift, erkennt man doch seine kühne, auf lebendige Entscheidung
drängende Art, die elastische und wendige Geistesgegenwart seines Planens,
seine Neigung, alles persönlich zu nehmen, zu ,,personifizieren", und auch umgekehrt
: sich von starken und charaktervollen Persönlichkeiten bestimmen zu
lassen. Dazu kommt die vom Verf. besonders betonte Anlage „zu wirksamer
Selbstdarstellung", das „Talent für Regie" und Repräsentation —• K. „war
ein Mensch, der oftmals im Lauf des Tages sich im Spiegel besah" (S. 138).
Aber er hatte einen geistigeren Zug als seine Vorgänger. Es ist mehr als bloße
Eitelkeit, Wenn er sich als den Protektor der Kultur, der Bildung und der Moral
zu geben liebt und um deren Erneuerung bemüht. Auf diesem Hintergrund ist
auch seine Wendung zur Kirche zu verstehen. Seine Erlasse ermöglichen es,
Grundzüge einer religiösen Überzeugung und Weltanschaung herauszuarbeiten,
deren Selbständigkeit, wie sich erneut zeigt, nicht ganz gering ist. Freilich
wäre es an der Zeit, daß das Thema ,,K. und die Theologie seiner Zeit" endlich
einmal von einem Theologen in aller Exaktheit untersucht würde.

Ich verzichte darauf, Einzelheiten zu besprechen und jeweils
die Stellungnahme des Verf.s zu notieren, auch wo ich
mit ihm nicht ganz einig bin. Den Beginn der großen Christenverfolgungen
wird von ihm nicht auf Galerius, sondern auf den
klaren, folgerichtigen Willen Diokletians selber zurückgeführt
; andererseits gilt Galerius als der persönliche Urheber
des ersten, noch widerwilligen Toleranzedikts. Hier werden
immer Zweifel möglich bleiben. Dagegen wird, wie mir scheint,
mit vollem Rechte gegen alle überkluge Skepsis betont, daß
die entscheidende, positive Neuorientierung der Christenpolitik
nicht von Maxentius, Licinius oder irgendwelchen
armenischen Vorbildern, sondern von K. selber ausgegangen
ist und nur von ihm. Im einzelnen wird seine Entwicklung
vorsichtig nüanciert, das experimentierende Tasten der frühen
Jahre nicht verkannt, und selbst die Gründung Konstani-
nopels erscheint noch nicht als eine eindeutige Stellungnahme
gegen das Heidentum. Aber andererseits hatte schon das
Zeichen, unter dem der Sieg am Pons Milvius erfochten wurde,
für K. einen „christlichen Sinn", und seine zunehmende persönliche
Beteiligung an den religiösen Fragen ist nicht zu verkennen
. So können wir die neue Darstellung wieder als ein
Zeichen nehmen, daß das Bild jenes im Grunde heidnisch gesonnenen
, der Kirche nur taktisch entgegenkommenden K.
heute im allgemeinen überwunden ist.

Schwierig bleibt es, die weltgeschichtliche Bedeutung von
K.s Schritt voll zu ermessen; hier bleiben auch in diesem
Buche manche Fragen offen. Es ist verständlich, aber doch
zu bedauern, daß der Verf. die Bedeutung der großen Wende
allzusehr im Rahmen nur des einen, konstautinischen „Jahrhunderts
" sieht und beurteilt. Die völlige Neuartigkeit, die das
hier begründete Zueinander und Widereinander von Staat und
Kirche sowohl für das antike Staatsdenken wie auch für die
Kirche selber bedeutete, wird so nicht ganz deutlich. Die
Kirche erscheint dem Verf. eis Trägerin eines „geistigen
Ordnungsgedankens" (S. 276), die sich dem Staate anschließen
kann und darf, wenn sie nur das „Wissen um die
Unantastbarkeit der christlichen Lebensspäre" bewahrt
(S. 203). Aber was heißt das? Es trifft jedenfalls nicht zu,
daß schon Paulus mit seiner „Lehre von der Sklaverei" den
Christen eine „Reform der Gesellschaft" aufgetragen habe
(S. 267), oder daß es dem „Wesen des frühen Christentums"
entsprochen hätte, „die Erneuerung der Welt durch die innere
Wandlung der Menschen zu bewirken" (S. 209). So hat Euseb
von Caesarea die Aufgabe gesehen, dessen bedenkenlose
Staatsfreudigkeit der Verf. zwar kritisiert, aber vielleicht
doch nicht ganz ausreichend nur mit seinem „Arianismus" in
Verbindung bringt (S. 213). Es wird nicht recht klar, was der
Verf. damit meint, wenn er das Christentum „im Kern eine
dauernd religiöse Revolution" nennt (S. 209). Das Moment
der Unruhe und Bewegung, das das Vorhandensein der Kirche
für die „Welt" bedeutet und von jetzt ab immer wieder bedeuten
wird, ist so nicht erklärt.

Man darf gewiß nicht sagen, daß „Fragen, Zweifel und abweichende
Meinungen", die zu Spaltungen und Häresien „wie Schatten der Dogmen"
führten und K- so viel Not bereiteten, in der Kirche erst dadurch hochgekommen
seien, daß sie sich mit der antiken Philosophie auseinandersetzte und
verband. Diese Konsequenz des Harnackschen Dogmen-Begriffs wird schon
durch die Geschichte des Urchristentums widerlegt. Weit eher könnte man
die umgekehrte Frage stellen, ob die relative Einheit, welche die Kirche
seit dem späteren 2. Jahrhundert erringt, ohne die Einbeziehung der antiken
Schultraditionen überhaupt möglich gewesen wäre.

Die Vorgänge auf dem Konzil von Nicäa dürften in der Darstellung des
Verf.s wohl in einem allzu milden Lichte erscheinen. Gewiß, es gab hier viele
Bischöfe, die sich, wie er sagt, „bestrebten, die urchristliche Aufgabe der