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Ausgabe:

1950 Nr. 8

Spalte:

484-487

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schoeps, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Theologie und Geschichte des Judenchristentums 1950

Rezensent:

Benz, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 8

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So nimmt der Verf. wahr, „daß sich Reste des urtümlichen
Glaubens an den Eingott vielfach in einem zersplitterten
Götterpantheon erhielten" (S. 39), wofür gewisse Züge der
griechischen Zeusgestalt ein Beispiel sind. Und von der Frömmigkeit
der Gebildeten der hellenistischen Zeit gilt, daß
manche Frommen, denen die nationalen Götter nichts mehr bedeuteten
, „den Beziehungspunkt ihrer Frömmigkeit in der
Besinnung auf den Vatergott fanden, den sie, wohl nicht ohne
den Einfluß des mehr und mehr die Zeit umgestaltenden
Christentums, gleichsam wiederentdeckten" (S. 94). überhaupt
wird das Ergebnis der religiösen Entwicklung der Antike
als die „wenn auch nur anfanghafte Rückwendung zum Eingott
" charakterisiert (S. 523).

Der katholische Standpunkt macht sich darin geltend,
daß vielfach die „Anknüpfungsmögliclikeiten des Christentums
" hervorgehoben werden, z. B. in der Würdigung der
antiken Philosophie. Vom „Sokrateskreis" heißt es: „Grundsätzlich
wird hier eben gespürt, daß die religiösen Beziehungen
des Menschen als solche von geistiger Art durch die Grundbetätigung
des Geistes, die Erkenntnis geleitet werden müssen.
Es kann nicht der Sinn der Religion sein, irgendwelche Akte,
die wegen bestimmter, vom Menschen aus ihnen anhaftender
irrationaler Eigenschaften als religiös anzusprechen wären, in
den Kosmos hineinzustellen. Letztlich ist Religion und Frömmigkeit
die von ihrem Beziehungspunkt, der Gottheit, geforderte
, bewußt gegebene und als recht verstandene Antwort
des Menschen" (S. 524L), — übrigens ein Satz, für den der
Verf. auch auf Zustimmung aus den Reihen protestantischer
Theologen rechnen kann. Die Charakteristik der philosophischen
Entwicklung steht speziell unter der Frage nach dem
Verhältnis der Philosophie zum Monotheismus; positive Würdigung
und Kritik verbinden sich in dem „Vergleichenden
Ausblick: Christentum und antike Philosophie" (S. 187ff.).
Die häufigen abschließenden Vergleichungen dienen der
besseren Erfassung der Eigenart des christlichen Glaubens.
Ich nenne die theologisch bedeutsamen Ausführungen über
den heidnischen Epiphanie- und den christlichen Iukarnations-
gedanken (S. 63ff.), über die Mysterienkulte in ihrem Verhältnis
zum Christentum (S. 3o8ff.), den Vergleich zwischen heidnischem
Enthusiasmus und christlicher Inspiration (S. 427ff.),
zwischen heidnischem und christlichem Wunderglauben
(S. 442ff.). Dem gleichen Interesse dienen Hinweise auf die
Wortgeschichte (z. B. S. 431, 489) und Begriffsvergleichungen
(S. 525 ff. über Glaube, Hoffnung und Liebe) oder eine Erörterung
über das Verhältnis vonMythos und Glaube (S. 103t.).

Die Diskussion von Einzelheiten würde ins Uferlose
führen und wäre auch einem Werke von diesem Charakter
gegenüber nicht am Platze. Dagegen möge es gestattet sein,
zu den zahlreichen Literaturangaben einige Ergänzungen hinzuzufügen
durch Hinweise auf Literatur, die dem Verf. entgangen
sein dürfte, oder die erst nach dem Erscheinen des
Buches veröffentlicht wurde. Selbstverständlich beabsichtige
ich keine Vollständigkeit, sondern notiere nur, was mir in
meinem Arbeitsbereich begegnete.

Ich bedaure, daß G. van der Leeuws „Phänomenologie der Religion"
(1933, inzwischen erschienen eine englische und eine französische Übersetzung)
nicht berücksichtigt worden ist; ebenso daß Br. Snells „Die Entdeckung des
.Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen"
(Hamburg 1946) noch nicht Erwähnung finden konnte. Für das Griechentum
wäre im Zusammenhang der Ausführungen des Verf.s auch das Buch von Hans
Strohm wichtig: „Tyche. Zur Schicksalsauffassung bei Pindar und den frühgriechischen
Dichtern" (Stuttgart 1944). Paul Friedländers Piaton (I 1928,
II 1930, Berlin und Leipzig) hätte m. E. genannt werden sollen und besonders
Gerh. Krüger: „Einsicht und Leidenschaft. Das Wesen des platonischen
Denkens" (Frankfurt 1939). Für den Hellenismus darf ich erinnern an den Bericht
über die Poseidonios-Forschung, den G. Rudberg 1932 in der Theol.
Rundschau gegeben hat (S. 90—122). Das große Philonwerk von Harry
Aüstryn Wolfson (Harv. Univ. Press 1947, I u. II) lag dem Verf. leider noch
nicht vor, dagegen hätte er G.Mischs Geschichte der Autobiographie I
(Leipzig u. Berlin 1907) gelegentlich, zumal zu den Ausführungen über
Epiktet (S, 172ff,) mit Gewinn heranziehen können. Zu Plutarch vgl.
jetzt Helge Almquist, „Plutarch und das Neue Testament" (Uppsala 1946).
Die Plotinübersetzung Rieh. Härders (Leipzig 1930—1937) hätte doch gewiß
Erwähnung verdient; und warum ist von den Enneaden nur die Ausgabe von
R. Volkmann (1883/84) genannt und nicht die neue von Emile Brehier
(Paris 1924—1938 mit französischer Übersetzung)? Dagegen konnte der Verf.
auf die neue Ausgabe des Corpus Hermeticum von A. D. Nock mit der französischen
Übersetzung und den reichen Anmerkungen von A.-J.Festugiere
freilich leider noch nicht hinweisen. Zu Jos. Krolls „Lehren des Hermes Tris-
megistos" (1914) sollte doch auf W. Boussets bedeutsame Besprechung in
den Gött. Gel. Anz. 1914, S. 697—755 hingewiesen werden. Ich bedaure auch,
daß Harald Fuchs, „Der geistige Widerstand gegen Rom in der antiken Welt"
(Berlin 1938), nicht genannt ist. Zur Geschichte des Asklepioskults ist jetzt
auf das leider schwer zugängliche, von der Ciba Aktiengesellschaft, Basel 1948

herausgegebene Geschenkwerk von Karl Kerenyi, Der göttliche Arzt", hinzuweisen
. Zu Sarapis nenne ich den Aufsatz von E. Kießling, „La genese
du culte de Sarapis ä Alexandrie (Chronique d'Egyptc Nr. 48, Juillet 1948).
Was die orientalischen Religionen betrifft, so ist es bedauerlich, daß dem Verf.
für Ras Schamra nur die ersten Untersuchungen vorlagen. Ich darf auf den zusammenfassenden
Überblick verweisen, den W. Bau ingart n er in seinen
Artikeln in der Theol. Rundschau 1940 und 1941 gegeben hat. Leider sind die
Arbeiten Geo Widengrens nicht fruchtbar gemacht worden. Wegen ihrer Bedeutung
für aktuelle Fragen der Forschung nenne ich seine Untersuchungen
„The great Vohu Manah and the Apostle of God. Studies in Iranian and
Manichaean religion" (Uppsala 1945) und „Mesopotamian Elements in Mani-
chaeism (King and Saviour II) Studies in Manichaean, Mandaean and Syrian-
Gnostic Religion" (Uppsala 1946). Stig Wikanders bedeutsame Untersuchung
„Feuerpriester in Kleinasien und Iran" (Lund 1946) konnte der Verf.
noch nicht verwerten.

Zum Schluß zwei kleine Versehen: der S. 6 totgesagte Joh. Leipoldt erfreut
sich noch des Lebens. Im Register sind K- Helm und R. Helm unter
einen Helm gebracht.

Marburg/Lahn Rudolf Bult mann

Schoeps, Hans Joachim, Prof.: Theologie und Geschichte des Judenchristentums
. Tübingen: Mohr 1949. V, 526 S. gr. 8°. DM27.— ; Hlw.
DM 31.—.

Das umfangreiche Werk von Schoeps nimmt eine der
schwierigsten, aber auch wichtigsten Fragen des frühen
Christentums ioo Jahrenach Adolf Hilgenfelds Erstlingsschrift
wieder auf. Es erhebt den Anspruch, einen neuen Markstein
für die Forschung zu setzen, die sieh um die Probleme des
nachapostolischen Zeitalters bemüht. Die Antwort auf die
Frage, ob dieser hohe Anspruch durch das vorliegende Werk
tatsächlich eingelöst ist, kann nur in Form einer sorgfältigen
Darstellung und Kritik der einzelnen Ergebnisse gegeben
werden.

Zunächst einmal ist festzustellen, daß der Verf. gegenüber den früheren
Forschungen, die jeweils nur auf bestimmten Ausschnitten des Quellenmaterials
aufgebaut waren, in seinem ersten Kapitel zum erstenmal sämtliche Quellen,
sowohl die neutestamentliche Überlieferung sowie die pseudo-clementinischen
Stoffe wie die patristischen Nachrichten zusammengenommen und durch die
Bibelübersetzung des Ebioniten Symmachus und durch zahlreiche Quellen des
rabbinischen Schrifttums komplettiert hat. Er hat auf diese Weise ein zulängliches
Fundament für eine Gesamtdarstellung geschaffen, wie sie der bisherigen
Forschung mangelte. Unter den Quellen als solchen sind die Nachrichten über
die Juden-Christen und eigenes judenchristliches Schrifttum sorgfältig unterschieden
, wobei als wichtigstes Zeugnis judenchristlicher Theologie die ebioni-
tische Quellenschrift der Pseudodemenzen behandelt wird. Das zweite
Kapitel der Untersuchung behandelt dann die Probleme der judenchristlichen
Eschatologie und Christologie. Das dem Umfang nach bedeutendste dritte
Kapitel gilt dem erstaunlich entwickelten Gesetzesverständnis der Juden-
Christen. Beide Kapitel bieten inhaltlich manche neue Feststellungen und Beobachtungen
und systematische Darstellungen der ebionitischen Glaubens- und
Lehrauffassung, die auf dieser Basis noch nicht unternommen worden sind.
Das vierte Kapitel bringt dann die glaubensgeschichtliche Einordnung der gewonnenen
Ergebnisse, vor allem der eigentümlichen Stellungnahme der Ebioniten
zum jüdischen Kultus, zu Opfergesetz und Tempel. Hier allerdings verläßt
die Darstellung den Boden des exakt Nachweisbaren und muß notwendig
hypothetisch werden, was auch für das Schlußkapitel gilt, wo die gewonnenen
Resultate für eine Geschichtsdarstellung des Judenchristentums nutzbar gemacht
werden. Schoeps schränkt dabei seine Darstellung auf das Judenchristentum
nach dem Jahre der Zerstörung Jerusalems, anno 70, ein. Mit dem
Terminus ,judenchristlich' werden nicht alle Christen jüdischer Abstammung
bezeichnet, sondern nur Dokumentierungen eines vom Großkirchlichen verschiedenen
judenchristlichen Standpunktes. Bedeutsam ist dabei die Klärung,
daß es ein gnostisches Judenchristentum auch in Kleinasien nie gegeben
hat. Das hier geschilderte Judenchristentum trägt zwar synkretistische Züge,
steht aber gerade im antignostischen Abwehrkampf.

Die Nachrichten über das Judenchristentum im patristischen Schrifttum
werden einer sorgfältigen Kritik unterzogen und echte Überlieferungen
von Mißverständnissen und ausgesprochenen polemischen Entstellungen geschieden
. Besonders aufschlußreich ist das Kapitel: Nachrichten über das ebio-
nitische Judenchristentum in der rabbinischen Literatur. Hier verfolgt der
Verf. die Spuren der gegen die Judenchristen gerichteten Polemik bei den
Rabbinern. Ausführlich behandelt werden dann von dem ebionitischen Schrifttum
zunächst die judenchristlichen Evangelien (Nazoräerevangelium) und
Ebionäerevangelium), wobei sich Schoeps für die Auffassung entscheidet, daß
der Nazoräername nicht von Nazareth abzuleiten ist, sondern eine nominelle
Bildung vom Stamme nsr = bewahren, beobachten, ist, so daß unter den
Nazoräern Observanten geheimer Traditionen zu verstehen sind. Nazoräer-
und Ebioniterevangelium wei den dabei als dasselbe Werk in verschiedenen Fassungen
während seiner literarischen Geschichte nachgewiesen. Die Untersuchung
des Quellenwertes der Bibelübersetzung des Symmachus ergibt, daß in dem
judenchristlichen Evangelium die symmachische Übersetzung der Bibel als
der judenchristliche Kanon der Heiligen Schriftbetrachtetwurde, wobei wichtig
ist, daß dem Symmachus nicht nur die rabbinische Theologie und Schrift-