Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1950 Nr. 8

Spalte:

467-478

Autor/Hrsg.:

Schweitzer, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Das Problem der Biblischen Hermeneutik in der gegenwärtigen Theologie 1950

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5, Seite 6

Download Scan:

PDF

467

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 8

468

rückgefiilirt und den ewig Ruhelosen an der Pfarrkirche seines
Geburtsortes beisetzen lassen und so weiter. So wird schließlich
der Protestantismus für Nietzsche verantwortlich gemacht
, für den Nationalsozialismus und den Faschismus. Wie
es dann aber zu erklären ist, daß die führenden Nationalsozialisten
und Faschisten keine Protestanten, sondern Katholiken
waren und die „unvollkommene christliche Bildung"
eines protestantischen Pfarrhauses nicht erlebten, sondern die
vollkommene katholische, danach darf man wohl nicht fragen.

Dagegen ist die Arbeit von Hans Pfeil, in der vier frühere
Veröffentlichungen zusammengefaßt und zu einem Ganzen
vervollständigt werden, eine rein philosophische Leistung. Es
wird zunächst im Gegensatz zu Jaspers gezeigt, daß Nietzsche
nicht aus christlichen Antrieben heraus zum Gegner des
Christentums wurde. Die Untersuchung der jugendlichen
Schriften und Gedichte Nietzsches und seiner allmählichen
Loslösung vom Christenglauben führt zu dem Ergebnis, daß
seine protestantische Religiosität von Anfang bis zum Ende
immer nur eine ererbte, aber keine selbständig erworbene Gewißheit
, keine selbsterprobte Lebenshaltung, keine selbsterkämpfte
Frömmigkeit gewesen ist. So wie Thomas Mann,
von anderen Gesichtspunkten ausgehend, erklärte, daß
Nietzsche in allem Wesentlichen immer derselbe geblieben ist,
wird hier gezeigt, wie sich aus Nietzsches seiner eigenen Natur
entspringendem Bestreben, durch Bejahung der Welt zum
Herren zu werden, als Grundmotiv seiner ganzen Philosophie
der „biologische Heroismus" ergibt, der sich nach drei Seiten
hin auswirkt. Nietzsche stellt sich die Aufgaben, die zu bejahende
Welt zu erforschen, alle autiheroischen Anschauungen
von Weltverneinung und Menschenversklavung zu bekämpfen
und die eigene heroische Uberzeugung von Weltbejahung und
Menschenherrschaft auszubauen und zu vertiefen. Es gelingt
dem Verf. zu zeigen, wie sich mit innerer Folgerichtigkeit aus
diesem Ansatz heraus die Entwicklung der Gedanken und
der Persönlichkeit Nietzsches vollzieht und wie kleine Irrtümer
am Anfang groß werden am Ende. Die an diesen klar und
scharf formulierten Irrtümern geübte Kritik ergibt sich aus
der Sache selbst und hält sich von aller pastoralen Aufdringlichkeit
fern, wodurch die größtmögliche Wirkung auf den
Leser erreicht wird.

Das Problem der Biblischen Hermeneutik in der gegenwärtigen Theologie

Zusammengestellt von Dr. Wolfgang Schweitzer, Genf

Vorbemerkung: Diese von der Studienabteilung des
Ökumenischen Rates der Kirchen zusammengestellte
Ubersicht beschränkt sich mit wenigen Ausnahmen auf Bücher,
die nach 1938 und auf Zeitschriftenartikel, die nach 1945 veröffentlicht
wurden. Bei der Auswahl war die Absicht maßgebend
, so weit wie möglich die wichtigsten Strömungen in
den verschiedenen Konfessionen und Gebieten sichtbar werden
zu lassen. Es wurde also versucht, typische Stimmen auszuwählen
. Infolgedessen mußten zahlreiche Veröffentlichungen
von der Liste abgesetzt werden, und zwar nicht, weil sie
weniger wichtig sind als die, die aufgenommen wurden, sondern
weil die entsprechende Meinung bereits in ähnlichen Veröffentlichungen
Ausdruck gefunden hatte.

I. Grundsätzliche Äußerungen

1. Antoniadis, E.: Die orthodoxen hermeneutischen Grundprinzipien
und Methoden der Auslegung des Neuen Testaments und ihre
theologischen Voraussetzungen. Athen: Pyrsos 1939. (in: „Proces-Ver-
baux du premier Congres de Theologie Orthodoxe ä Athenes 1936", hrsg.
von H. S. Alivisatos, S. 143—175.)

Zunächst werden die dogmatischen Voraussetzungen der
Hermeneutik behandelt. Der zweite Abschnitt über die Methoden
der NT-Auslegung ist vor allem an dem Buche von
F. Torm orientiert, fordert aber über diesen hinaus eine „harmonische
oder analogische Exegese", die die Ubereinstimmung
auch mit der Tradition als Offenbarungsquelle wahrt.

2. Barth, Karl: Die kirchliche Dogmatik, I, 1 u, 1,2: Die Lehre vom
Wort Gottes. 3. Aufl. Zollikon-Zürich: Evang. Verlag 1945. 2 Bde., 528 u.
1011 S.

In I, i besonders § 4: Das Wort Gottes in seiner dreifachen
Gestalt. Dazu in I, 2 die §§ 19—21 über die Heilige
Schrift. Barths hermeneutisch.es Grundprinzip: „Die Bewegung
, die wir . . . ihm (dem Worte Gottes) gegenüber zu
vollziehen haben, kann nur die Bewegung des Nachgebens,
des Zurückweichens, des Raumgebens sein" (I, 2 S. 802).

3. Bleeker, A. h. k.: Hermeneutik van het Oude Testament. Haariem:

F. Bohn 1948. 244 S.

Bleeker geht aus von dem Gedanken einer organischen,
historisch bestimmten Einheit der Schrift. Die Auslegung des
NT sollte die des AT nicht bestimmen. Unterscheidet zwischen
Exegese — die von jeder theologischen Bemühung freizubleiben
hat — und Auslegung für die Gegenwart.

4. Bouyer, L.: Liturgie et ex£gese spirituelle. Paris, (in: „Maison Dieu"

Nr. 7, S. 27—50.)

Einzelheiten waren nicht rechtzeitig erhältlich; ein Korrespondent
wies jedoch darauf hin, daß es sich hier um eine sehr
wichtige römisch-katholische Veröffentlichung handle.

5. Bring, R., A. Fridrichsen,H. Lindroth,D.Linton,A. Nygren,

E. SjÖberg: En Bok om Bibeln. Lund: Gierups 1948. 294 s.

Elf Aufsätze, die einen Uberblick über den gegenwärtigen
Stand der Forschung besonders in theologischer Hinsicht
geben. Besonders wichtig der Beitrag von R. Bring über
„Lutherische Bibelanschauung"; B. und Nygren treten ein für
eine lebendige, dynamische Offenbarungsanschauung als
Grundlage biblischer Theologie.

6. Bultmann, R.: Das Problem der Hermeneutik. Tübingen: Mohr
1950. (In: „Zeitschritt für Theologie und Kirche", Bd. 47, S. 47—69.)

B. analysiert zunächst in ausgezeichneter Weise das allgemeine
hermeneutische Problem, wobei er zu dem Schluß
kommt, daß Objektivität im alten Sinne nicht möglich ist, da
wir uns religiösen und philosophischen Texten meist mit der
„Frage nach dem menschlichen als dem eigenen Sein" nähern.
Auf den letzten vier Seiten befaßt B. sich mit dem besonderen
Problem der biblischen Hermeneutik, die für ihn nur ein Fall
innerhalb der allgemeinen Hermeneutik ist. Gegen Barth und
seine Offenbarungslehre verteidigt er seine existentiale Auslegung
.

7. Buri, f.: Das hermeneutische Problem in der protestantischen

Theologie der Gegenwart. Bern: Büchler 1947. (In: „Schweiz. Theologische
Umschau", Dez. 1947, S. 22—39.)

Eine kurze, interessante Ubersicht über die hermeneutische
Diskussion der letzten Jahre vom liberalen Standpunkt
aus.

8. Burnier, E. A.: Bible et Theologie (Essais critiques). Lausanne: Roth
1943. 336 S.

Eine kritische Analyse der hermeneutischen Grundsätze.
B. wendet sich scharf gegen die Barthsche Lehre von der
analogia fidei als Grundlage der biblischen Hermeneutik und
bestellt darauf, daß zunächst eine allgemeingültige Epistemo-
logie entwickelt werden müsse. Damit verbindet er die Forderung
einer pneumatologischen Hermeneutik. Als Anhang ist
eine Bibliographie über hermeneutische Fragen beigegeben,
deren 41 Titel die wichtigsten Veröffentlichungen der letzten
40 Jahre enthalten.

9. Cunliffe-Jones, H.: The Authority of the Biblical Revelation

London: J. Clarke 1945. 120 S.

C. J. bemüht sich vor allem, die Fragestellung klar herauszuarbeiten
. Er will zwischen dem theologischen und dem historischen
Gebrauch der Bibel unterscheiden, jedoch nicht zwischen
Exegese und Auslegung.

10. Dana, H. E.: Searching the Scriptures. Kansas City: Central Semi-
nary Press 1946. 208 S.

Wie die Hermeneutik des NT von F. Torm ist dies Buch
als Handbuch für Theologiestudenten gedacht. Teil I gibt in
130 Seiten eine Geschichte der Auslegung, während Teil II
die verschiedenen Stufen beschreibt, die die Auslegung zu
durchlaufen hat von der historischen Exegese über theologische
Erwägungen bis zum praktischen Gebrauch der Schrift
im christlichen Leben. Verf. grenzt sich sowohl gegen den
Fundamentalismus als auch gegen den Liberalismus dadurch
ab, daß er auf den doppelten Charakter des NT hinweist.

11. Danieloil, J. (S.J.): Exegese et dogme. Paris: Du Seuil 1949. (In:
„Dieu Vivant", 1949, Nr. 14, S. 90—94.)

Vgl. auch Nr. 37 und 38. Gegen Steinmann verteidigt
D. den „geistlichen Sinn" als etwas, was wir nicht nur aus der
Perspektive des NT in das AT hineintragen, sondern was bereits
",,in den Wirklichkeiten, von denen das AT spricht, vorhanden
ist".