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Ausgabe:

1950

Spalte:

437-439

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schrey, Heinz-Horst

Titel/Untertitel:

Existenz und Offenbarung 1950

Rezensent:

Benckert, Heinrich

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Theologische Literaturzeitutig 195° Nr- 7

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Koordination des Ereignisses der Offenbarung in den biblischen
Zeugnissen und in der Kirche vom römischen Traditionsprinzip
(vgl. S. 14) — Barth hat diese Koordination her-
meneutisch verwendet (S. 2of.)! ? Wenn doch: was gibt nun
den Ausschlag — der Wortlaut der Texte oder das Selbstverständnis
, üi welchem diese Zeugen faktisch gepredigt werden ?
ad 2. Barth meint offenbar: alle biblischen „Zeugen" stimmen
darin überein, daß sie Gottes Ja, also Gottes Niederlassung
und darum Herablassung in semer Offenbarung verstanden,
jene Herablassung, die in Jesus Christus als Person und so als
Gott in Person Ereignis werden wollte, wurde und bleibt, und
sie verstanden, daß sie sich selbst als die Zeugen dieses Geschehens
einfach festzustellen hatten und darum feststellbar
bleiben sollten. Gibt man diese Sätze als Definition des maßgeblichen
Offenbarungszeugen zu — das tue ich —, dann zeigt
sich aber exegetisch, daß diese Zeugen in der Bibel in einem
sehr verschiedenen Abstand von Jesus Christus anzutreffen
sind, der den Kanon auch innerhalb des Kanons offenhält
und die Texte streut, wie der Herbstwind das Laub von den
Bäumen streut. Wird dann aber das Kanonische nicht eben
um der Wirklichkeit der Offenbarung willen in die Wahrheit
der Aussage des Zeugen zu verlegen sein ? Wie steht es dann
mit der Möglichkeit, daß sich der Abstand des Zeugen von
Jesus Christus in eine Unwahrheit der Offonbarungsaussage
des Zeugen verwandelt ? Und schließlich: genügt es, die Unwahrheit
so zu definieren, daß sie als der gegen Gottes Ja zum
Menschen gerichtete unmögliche Wille des Menschen erscheint
? Kann es in solchem Fall überhaupt noch Texte
geben, die zwischen Gott und uns anzutreffen sind ? Es hat
den Anschein, als ob sich Barth in diesem Punkt von - Heidegger
im Ergebnis wenig unterschiede. Denn praktisch sieht
es so aus, als würde durch Barth eben der Gehorsam des Glaubens
selbst zum Text der Offenbarung Gottes in Jesus Christus.
Aber dann müßte Barth vielmehr sagen, daß einfach der
Mensch der Text von Gottes Offenbarung sei. Ist das auch
in Wahrheit richtig (1. Kor. 15, 22), so unterscheiden sich doch
die Texte der Bibel von dieser Wahrheit schlicht dadurch, daß
sie sie anfänglich bezeugen, auch da, wo sie zwischendurch
falsch lehren, wie im Jakobusbrief. — Die glänzende Vorlesung
ist eine der besten Publikationen K. Barths.

Tübingen Ernst Fuchs

Schrey, Heinz-Horst, Dozent Dr. theo!.: Existenz und Offenbarung.

Ein Beitrag zum christlichen Verständnis der Existenz. Tübingen: Mohr
1947. XII, 170 S. DM9.80.

Inhalt:

A. Systematischer Ausgangspunkt der Untersuchung (S. I
bis 12).

B. Vorspiel I.: Die museale Verfehlung der Zeitlichkeit des Menschen
in der Philosophie Wilhelm Diltheys (Kritik des Historismus) (S. 13—35).
'I. Die ekstatische Verfehlung der Zeitlichkeit des Menschen in der Mythologie
Friedrich Nietzsches (Kritik der Mythologie) (S. 36—63).

C. Das Wesen der Existenz (S. 64—127): I. Der Mensch als Sein
(existentiale Analytik). 1. Die Entfaltung des Sinnes der Zeitlichkeit. —

2. Die Wirklichkeit der ersten Dimension der Zeit: der Vergangenheit. —

3. Die Wirklichkeit der zweiten Dimension der Zeit: der Zukunft und 4. der
dritten: der Gegenwart. — 5. Der Mensch als das Interesse von Vergangenheit
, Gegenwart und Zukunft. II. Die Zeitlichkeit des Menschen als Krisls
(existentiale Dialektik) (S. 87—114). 1. Die Ordnung der Zeitdimensionen. —
2. Die Vergangenheit im positiven Verhältnis zur Gegenwart. — 3. Die Vergangenheit
im negativen Verhältnis zur Gegenwart. — 4. Die Gegenwart im
positiven Verhältnis zur Gegenwart. — 5. Die Gegenwart im negativen Verhältnis
zur Gegenwart. — 6. Die Zukunft im positiven Verhältnis zur Gegenwart
. — 7. Die Zukunft im negativen Verhältnis zur Gegenwart, III. Die Zeitlichkeit
als ethische Situation (Existentiale Aporetik), 1. Krisis und Ethos. —
2. Die Einheit von Sein und Sollen im Wesen der Zeitlichkeit. — 3. Die Verfehlung
der Zeitlichkeit als Schuld des Menschen.

D. Offenbarung und Existenz (S. 128—165): I. Das Wesen der
Offenbarung. 1. Die Existenz und das ganz Andere. — 2. Gottes An-sich-sein
und sein Für-uns-sein. — 3. Offenbarung und Geschichtlichkeit. — II. Existenz
unter der Offenbarung. 1. Christus der Herr unserer Vergangenheit. —
2. Christus der Herr unserer Gegenwart. — 3. Christus der Herr unserer Zukunft
. — 4. Die Erfüllung der Zeit als ewiges Leben.

Das Problem dieser Arbeit ist die Frage: „Was ist der
Mensch ?" Es wird vorausgesetzt, daß das Wesen der Existenz
durch philosophische Analyse erhellt werden kann. Der Mensch
kann seine Existenz als Zeitlichkeit, als das Interesse von Vergangenheit
, Gegenwart und Zukunft verstehen. Das christliche
Verständnis (siehe Titel) erkennt die Erfüllung dieser
Zeitlichkeit durch Christus.

Da kein bisheriges philosophisches Verständnis der Existenz
als eüier zeitlichen genügt, sah sich der Theologe gezwungen
, das fremde Werk einer eigenen philosophischen
Analyse auf sich zu nehmen (S. 142). „Dieses vorlaufende Verständnis
der Existenz ist der Anknüpfungspunkt für die Theologie
" (S. 142). Der Theologie bleibt somit die Aufgabe, die
Besonderheit der Existenz unter der Offenbarung zu entfalten,
indem sie — unter Voraussetzung der konkret gewordeneu
Offenbarung — Christus als den Herrn unserer Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft erweist und damit zugleich die Offenbarung
als Erfüllung der Zeit und die Erfüllung der Zeit als
ewiges Leben. Der Punkt, von dem aus ein entscheidendes
Schlaglicht sowohl auf den philosophischen als auch den theologischen
Teil des Buches fällt, ist die Verknüpfungsstelle
beider Teile.

Wird philosophisch von der Philosophie und Theologie
geredet ? Oder wird theologisch von beiden geredet ? Oder
redet der Verf. philosophisch innerhalb der Philosophie und
theologisch innerhalb der Theologie ?

Spuren einer übergreifenden Transzendenz finden sich
innerhalb der Existenz im Staunen, Ahnen, in der Ehrfurcht,
dem Gewissen und der Schuld. Das ganz Andere selbst bleibt
aber bloße spekulative Möglichkeit bis zur Konkretion der geschichtlichen
Offenbarung. So wird ohne Frage philosophisch
von der Existenz des Menschen geredet. Zugleich gilt aber
folgendes: Die Offenbarung stellt das natürliche Selbstvcr-
ständnis des Daseins in Frage. Das scheint eine theologische,
durch die konkrete Offenbarung bestimmte Aussage zu sein.
Was für eine Folgerung muß man aus diesen beiden Sätzen
ziehen ? So hebt der Theologe auf, was er eben als Philosoph
gesagt hat? Der Verf. meint dazu (S. 142), „daß das durch
die Offenbarung ermöglichte Verständnis der Existenz nur
erfaßt und als neu im eigentlichen Sinn begriffen werden kann,
wenn zuvor Existenz als solche verstanden wurde".

Die Sachdialektik vom natürlichen Seinsverständnis und
der dieses ebenso aufhebenden wie erfüllenden Offenbarung
kommt in drei Thesen zu inhaltlichem Ausdruck. 1. „Christus
erweist sich dadurch als der Herr unserer Vergangenheit, daß
er sie sowohl in ihrer sündigen Gestalt aufhebt, indem er uns
die Vergebung schenkt, als auch, daß er sie erfüllt, indem er
uns im Glauben als der unbedingte Anspruch Gottes entgegentritt
" (S. 149). — 2. „Christus erweist sich dadurch als
der Herr unserer Gegenwart, daß er die Selbstverständlichkeiten
des Man in Frage stellt, uns als christliche Einzelne
aus dem Bann löst, aber zugleich in der Gemeinschaft der
Heiligen und in der Liebe die neue Möglichkeit ihrer Erfüllung
schenkt (S. 156). — 3. „Christus erweist sich dadurch als der
Herr unserer Zukunft, daß er das Gericht des Todes zum täglichen
Sterben macht, uns dadurch die Möglichkeit der
Wiedergeburt eröffnet und in der Hoffnung auf das neue Sein
Gottes unsere Angst durch Freude überwindet" (S. 162).

So könnte man glauben, daß der Verf. theologisch vom
Theologischen und philosophisch vom Philosophischen redet,
— in diesem unverbindlich, in jenem verbindlich — (S. 164)'.
Und doch hat er sich nicht genügend gegen das Verständnis
oder Mißverständnis gesichert, daß er auch von der Theologie
philosophisch redet. Wenn er sagt: „Allein auf Grund des profanen
Vorverständnisses von Existenz kann aber auch verstanden
werden, was die Offenbarung als Begnadung des Menschen
existentiell bedeutet" (S. 265), so kommt damit eindeutig
zum Ausdruck, daß auch die die Existenz erhellende
theologische Erkenntnis nur philosophisch ermöglicht wird.
Das scheint bei dem Grundansatz des Verf .s gar nicht anders
möglich zu sein. Das natürliche Vorverständnis des Daseins,
einmal als notwendiger Anknüpfungspunkt für die Offenbarung
zugelassen, macht sich breit, dehnt sich immer mehr
aus und behauptet schließlich das Feld: die Begnadung des
Menschen kann nun nur noch allein von dem von der Philosophie
erarbeiteten natürlichen Dasemsverständnis aus verstanden
werden.

Ist es nicht unter der Offenbarung umgekehrt ? Wem die
Offenbarung sich als Existenzbegnadung erwiesen hat, der
wird erst dadurch instandgesetzt, die natürlichen Daseinsverständnisse
in der Fülle ihrer Möglichkeiten zu überschauen
und die Wirklichkeit der menschlichen Existenz unter Sünde
und Gnade zu erkennen. Denn erst dem, der die Begnadung
der Existenz in der Offenbarung erfahren hat, sind die Augen
für den Menschen schlechthin, nämlich für Jesus Chistus geöffnet
.

Von daher wird die Frage: Was ist der Mensch ? verwandelt
in die Frage: Wer ist der Mensch ? und mit dem
„Ecce homo" beantwortet: Jesus Christus. So wird man auch
die theologische Anthropologie methodisch und sachlich nur
von der Christologie her entwickeln können, — wie das zuletzt
Karl Barth in der „Kirchlichen Dogmatik" III, 2 unternommen
hat. Karl Barth hat zugleich gezeigt, daß dabei der