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Ausgabe:

1950 Nr. 7

Spalte:

431-432

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Brecht, Alfred

Titel/Untertitel:

Johannes Brenz 1950

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 7

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gehört in die Reihe jener Skeptiker der Moral, an denen sehie
Zeit reich war, die doch nicht alle Moral etwa zynisch auflösen
wollen, sondern in ihr eine notwendige Disziplin sehen, die sich
der Leidenschaften des Menschen selber bedient. In die Reihe
der Utopisten aber reiht Aalders Mandeville in geistvoller
Weise deshalb ein, weil hier ein negatives Gegenbild zur
idealistischen Utopia des Thomas Mores gezeichnet wird.
Diese negative Utopie Mandevilles ist einesteils Ausdruck
eines ausgesprochenen Empirismus, andernteils wirft sie auf
Mandevilles Bejahung der Triebe und egoistischen Leidenschaften
doch irgendwie den Schatten: Wenn es auch nicht
anders sein kann, so sollte es doch nicht so sein. Insofern
spiegelt jene Bienenfabel — vielleicht spreche ich aber hier ehie
Konsequenz aus, die Aalders noch nicht im Sinne hatte — den
charakteristischen verborgenen Zwischenspalt des modernen,
rein in der Endlichkeit befangenen Bewußtseins.

Für die gegenwärtige geistige Auseinandersetzung zwischen
den Völkern ist das Kapitel über Henry George Wells
besonders wichtig. Das Werk von Wells ist seinerzeit durch
eine bedeutsame Besprechung von Ernst Troeltsch (Gesammelte
Schriften 3. Band, S. 145) bekannt geworden. Es ist
gut, daß in heutiger Zeit erneut auf diesen Gedanken verwiesen
wird, welcher ausgesprochen typischerweise die Linie
des angelsächsischen Evolutionismus vertritt. Theoretisch viel
bekämpft oder gar in heutiger Zeit verspottet ist dieser Evolutionismus
noch jedenfalls eine reale geistige Macht, die sich
in Politik und Gesellschaftsgestaltung als wirkenskräftig und
fruchtbar, in beiden Weltkriegen zunächst jedenfalls als siegreich
erwies. Eine sehr eigentümliche Note hat der Evolutionismus
von Wells dadurch, daß er, obzwar zukunftsgläubig, dennoch
zunächst ein Zeitalter der Diktaturen und der Gewalt
erwartet. Das Zeitalter der Täuschungen und Enttäuschungen
beginnt. Demokratie ist in diesem Zeitalter eine bloße politische
Fiktion. Die Desorganisation wird wirtschaftlich und
politisch allgemein. Erst durch diese Krisis hindurch soll dank
der Führung durch verantwortliche Intellektuelle und geschickte
Techniker ein neues Zeitalter heraufgeführt werden
— es wird nicht ein Zeitalter der Vollkommenheit sein, auch
wird sich der Mensch nicht in seinem Kern verändern, aber es
wird ein Gesellschaftszustand eintreten, in welchem die zerstörenden
Ausbrüche des Bösen überwunden sind, die heute
das Leben zu vernichten drohen. Immer noch gilt hier die
Frage von Troeltsch aus dem Jahre 1922: „Was haben wir
dem entgegenzusetzen, wenn wir es nicht bejahen können ?
Oder wenn wir nichts entgegenzusetzen haben, wie läßt sich
eine solche Denkweise von unserem Standpunkte aus umbilden
und vertiefen?" (S. 705).

Marburg/Lahn Th. Siegfried

Brecht, Alfred: Johannes Brenz, der Reformator Württembergs. Stuttgart
: Quell-Verlag 1949. 60 S. m. Abb. 8°. Pp. DM 1.50.

Hermelink, Heinrich: Johannes Brenz als lutherischer und schwäbischer
Theologe. Stuttgart: Quell-Verlag 1949. = Beilage zu „Arbeit
und Besinnung" 15. Der. 1949.

Johannes Brenz ist 1499 geboren (f 1570). B rechtberichtet
zum 450. Geburtstag des württembergischen Reformators
populär, anspruchslos, aber gediegen und wissenschaftlich zuverlässig
, über Leben und Werk des Reformators. Schon aus
Brechts Schrift wird der Außenstehende ein Verständnis für
die vielbesprochene Eigenständigkeit des württembergischen
Kirchenlebens bekommen. Hermelink spendet aus seiner
Festrede vor der Theol. Fakultät Tübingen (24. Juni 1949)
und seinem Aufsatz in der „Evang. Luth. Kirchenzeitung"
(31. August 1949) einen Abriß der Brenzischen Theologie, der
sich sehen lassen kann. Besonders deutlich unterstreicht Hermelink
die Zusammenhänge der württembergischen evangelischen
Theologie (und Praxis) mit dem von Brenz Inaugurierten
. Vor allem ist es der „mildlutherische Charakter", um
den es hier geht; dann die biblische Tradition der schwäbischen
Theologie; die Theologie des Wortes Gottes, in welchem
die ganze Macht Gottes wirkt; die spekulative Neigung
(bis zu gnostischen Gängen); die Unräumlichkeit und Unzeit-
lichkeit Gottes (bis hin zu Heim!); die Rechtfertigung durch
den im Glauben empfangenen Christus (siehe den württembergischen
Pietismus aller Art), wobei ein interessantes Licht
auf Holls Auffassung der Rechtfertigung bei Luther fällt. —
Aber ein Punkt scheint doch noch der Klärung zu bedürfen:
der württembergische Gottesdienst! Hermelink hat darin
recht: es ist heute noch der alte Pronaus, die „Predigtliturgie".
Aber der Grund, warum der Pronaus dem Meß-Schema der
Lutheraner vorgezogen wurde? Brecht sagt: Die Schrecken
des Interim von 1548 machten die Württemberger zu Gegnern
der lutherischen Liturgie — führt aber die Beeinflussung durch

Blarer (im zwinglischen Sinn) bei, und läßt Brenz auf Seiten
der lutherischen Liturgie. Hingegen Hermelink leitet die liturgische
Eigenart der „Wirtemberger" stracks aus der Theologie
von Johann Brenz ab, speziell aus seiner Wort-Theologie —sehr
erwägenswert; aber wie reimt sich die persönliche Vorliebe von
Brenz für die lutherische Messe damit zusammen ? Uber die Predigt
selbst sagt Hermelink wieder Tiefes und Aktuelles, und das
muß Schule machen — nicht bloß in der „Homiletik", sondern
in der Praxis. Unterstreichen wir Hermelinks Forderung, die
theologischen Werke von Johannes Brenz in Einzelausgaben
in das ,,Kirchenvolk" zu bringen. Fügen wir einen Hinweis
auf Otto Fricke bei (Die Christologie des Johannes Brenz im
Zusammenhang mit der Lehre vom Abendmahl und der Rechtfertigung
, München, Kaiser, 1927); dort findet man reiche
Literaturaugaben. Und danken wir so Brecht als Hermelink
für die Zeichnung eines exemplarischen „milden Lutheraners".
Bad Liebenzell Leonhard Fendt

Staehelin, Emst, Prof.: Johann Ludwig Frey, Johannes Grynaeus
und das Frey-Grynaeische Institut in Basel. Zum zweihundertjährigen
Jubiläum des Instituts. Basel: Friedrich Reinhardt [1947]. 221 S., 16 Abb.
auf Taf. gr. 8°.

Dieses Buch, das zunächst als Rektoratsprogramm der
Universität Basel für das Jahr 1947 erschienen war, verdankt
seine Entstehung dem im Titel genannten Anlaß. Aber es ist
doch mehr als eine bloße Jubiläumsschrift für einen kleinen
Kreis von Interessenten. Denn auf der schmalen Basis einer
Institutsgeschichte entfaltet sich hier ein Stück Theologie-
und Geistesgeschichte, die zugleich von dem Reiz des Intimen
umgeben ist. Die beiden ersten Kapitel bringen eine eingehende
Biographie der beiden Gründer des Institutes. Beide stammen
aus alten Baseler Familien, deren Vorfahren bereits in der
Reformationsgeschichte der Stadt eine Rolle spielen. Es ist
ein typisches Gelehrtendasein aus der Barockzeit, was sich uns
in der Schilderung des Lebens von Johann Ludwig Frey darbietet
. Das Lieblingsgebiet dieses Professors, der nach damaliger
Sitte mehrmals den Lehrauftrag gewechselt hat,
waren die Orientalia. Seine wissenschaftlichen Arbeiten sind
gelehrt, aber nicht originell. Seiner dogmatischen Haltung
nach gehört Frey zu einer milden Orthodoxie, die zwar die res
contra rationem verwirft, aber die res supra rationem zuzulassen
genötigt ist. Auch in kirchliche Entscheidungen seiner
Heimatstadt, wie in die Frage des Separatismus oder in den
Prozeß Wettstein, hat Frey gutachtlich eingegriffen. Auch das
typische „Iter literariuin", das ihn unter anderem nach Paris
und Amsterdam führte, fehlt nicht in seiner Vita (1682—1759).
Johannes Grynaeus (1705—1744), ursprünglich Jurist, ging zur
Theologie über und war in diesem Fach Schüler und später
Kollege von Frey. Ihr gemeinsamer Plan ist die Stiftung des
Institutes, das vor allem durch seine Bibliothek der Förderung
der Philologia Sacra und dem Studium der orientalischen
Sprachen dienen sollte. Die Stiftungsurkunde, der 1759 noch
ein Anhang beigegeben wurde, ist vom 1. März 1747 datiert.
Zur Führung des Institutes wurde ein Lektor bestellt. Die von
Frey hinterlassene Bibliothek umfaßte ca. 8000 Bände. Das
Institut bezog die Liegenschaft „Zu den drei Mönchen" (Heuberg
Nr. 31 und 33). Sieben Lektoren standen seither dem Institut
vor: Jakob Christoph Beck 1758—1785, Johann Rudolf
Buxtorf 1785—1831, Karl Rudolf Hagenbach 1831—1874,
Emil Kautzsch 1874—1880, Rudolf Stähelin 1880—1900, Paul
Wende 1901—1936, seither Ernst Staehelin. Unter Hagen-
bach nahm auch Jacob Burckhardt an den Übungen des Instituts
teil und Jeremias Gottheit weilte als Gast in seineu
Mauern. „Die Zeit Constantins des Großen" hat Burckhardt
1852 mit eigenhändiger Widmung dem Institut überreicht.
Die Themen der Übungen bestimmten sich nach dem Fachgebiet
des jeweiligen Lektors. Die Bibliothek hat sich seit der
Zeit der Gründung erheblich vermehrt, andererseits wurde es
notwendig, die reiche Sammlung wertvoller Manuskripte und
seltener alter Bücher aus Sicherheitsgründen der Universitätsbibliothek
zuzuweisen. Im Anhang (S. 182—195) ist ein Verzeichnis
der Manuskripte gegeben, ebenso ein solches der dem
Institut gehörenden Kunstwerke und historisch bedeutsamen
Gegenstände. Uber das reichhaltige Quellenmaterial, das
Staehelin für seine Abhandlung benutzte, gibt ein dritter Anhang
Auskunft, und damit zugleich über die solide historische
Basis der Darstellung. Das Buch ist ein wertvoller Beitrag zur
Geschichte des gelehrten Unterrichtes und der theologischen
Forschung und darf weit über die Baseler Lokalgeschichte hinaus
allgemeines Interesse beanspruchen. Der wohltuenden
Atmosphäre ungestörten, gelehrten Studiums, von der auch
die beigegebenen Bilder zeugen, gibt man sich gerne hin.

Erlangen Walther von Loewenich