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Ausgabe:

1950 Nr. 7

Spalte:

429-430

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Niebuhr, Reinhold

Titel/Untertitel:

Faith and history 1950

Rezensent:

Beth, Karl

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Seite 1

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429

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 7

430

ls Thema des wandernden Gottesvolkes das Ganze eint und Glaube'' an die Seite stellen wollen Die den einzelnen Teilen
die Christologie sehr 1bemerkenswert in den Dienst der Paränese zugrunde liegenden Umstände brachten es denn wohl mit sich,
-♦„m. 13LUlub"-aau Ul-" daß Verf. 111 bestimmten Kapiteln zum geharnischten Polemiker
wird, der keine Ansicht oder Formulierung einer Ansicht
registriert, ohne seine eigene Formulierung dagegen zu
setzen. Mancher gewagter Ablehnung begegnet man in solchen
Zusammenhängen, wie z. B. derjenigen des Pietismus und der
Mystik, welch letztere für N. nur als Via negativa in Betracht
kommt, während sich die Geringschätzung des Pietismus aus
einer Anwendung des älteren Ritschlianismus von etwa 1890
auf den Pragmatismus erklären dürfte. N. lehnt hiermit einen
Faktor ab, dessen er bei seiner These, daß Geschichte nur
innerhalb einer wesenhaft religiösen Erfassung von Welt und
Leben einen Sinn gewinnen kann, vornehmlich bedürfen
würde. Denn sicherlich hat N. recht damit, daß der „Schlüssel
zu der Zusammenfügung der großen Mannigfaltigkeit kultureller
und politischer Gestaltungen" nur bei scharfer Abgrenzung
des Geistesgeschehens gegen das Naturgeschehen zu
finden ist.

stellt

Trotz aller geübten Kritik muß man sagen, daß M. den
deutschen Hebr.-Kommentar der Gegenwart und voraussichtlich
aucij emer iangeren Epoche geschrieben hat. So viel Wünsche
im einzelnen und ganzen offenbleiben, so sehr ist hier die
heute erkennbare Gesamtproblematik des Briefes aufgezeigt,
so daß künftige Arbeit nur von hier ausgehen kann,

Mainz Ernst Käsemann

KIRCHENGESCHICHTE: ALLGEMEINES UND
TERRITORIALKIRCHENGESCHICHTE

Niel)Uhr, Reinhold, Prof. Dr.: Faith and History. A Comparison of
Christian and Modern Views of History. New York: Charles Scribner's Sons
'949. X, 257 S. Geb. 13.50.

. Die amerikanische Theologie und Kirche müssen sich
einhold Nlebuhr zu großem Dank verpflichtet wissen, daß er
es war, der in der Hochflut des selbstgefälligen überoptimisti-
schen Fortschritts-Historismus seine warnende Stimme er-
?°°en hat zur Einsicht in die „fragmentarische" Beschaffenheit
der menschlichen Natur und in die bloße Eingebildetheit
•rt?r Aussichten auf die durch eigene Geschichtsmacht zu bewirkende
Erlösung. Gleichwohl ist es derselbe „Bourgeois"-
k • ^em gegenwärtige Buch noch weiterhin entgegenzuarbeiten
genötigt ist. Es ist geschrieben in der Absicht, den
^rundirrtuin der Moderne auszurotten, nämlich die „Meinung,
aaß unsere Erkenntnis und Beherrschung der Natur jene Weisheit
vnul Technik mit sich bringen werden, die erforderlich
s^nd zur Erkenntnis und Beherrschung auch der menschlichen

Dieser Idee einer allen Fortschritt tragenden Geschichte
V*.a N' die cllristliche Idee der Geschichte entgegen, welche
aut der Glaubenserkenntnis ruht, daß in „einigen historischen
i-reignissen" die transzendente Quelle und das transzendente
c-nde des ganzen Panoramas der Geschichte enthüllt wird. Es
handelt sich um den christlich-historischen Blickpunkt, der
aus dem Glauben gewonnen wird, daß das Leben, Sterben und
Auferstehen Christi ein Ereignis darstellt, durch welches das
gesamte Geschichtssystem als die notwendig gewordene Ab-
tolge des Ersten und Zweiten Bundes verstanden wird, sofern
i-llrc .^n Zweiten Bund alle Menschen erfaßt werden, die
tahig sind, durch Glauben zu vernehmen, daß diese eine Person
und dieses eine Drama diejenige Macht offenbart, welche die
Geschichte überhaupt lenkt. Durch Christus also lernen wir
verstehen, daß die Geschichte nicht bloß jenes Chaos ist, das
aus wetteifernder menschlicher Freiheit entstellt, sondern daß
in ihr eine sündenüberlegene Macht waltet, die Fülle von Liebe
und Gnade darbietend.

Diese Wahrheit wird freilich, so klagt N, oft systematisch
verdeckt durch christologische Dogmen, die „den Jesus
der Geschichte so rationalisieren", daß er wie eine übermenschliche
unglaubhafte Persönlichkeit mit ihr zugeschriebener
Allmacht und Allwissenheit erscheint, um „die letzte Wahrheit
über Gott und seine Offenbarung an die Menschen, die
nur durch Reue und Glauben angeeignet werden kann, zu
einer .Tatsache' der Geschichte zu machen".

Besondere Rücksicht heischt das Problem des moralischen
Übels, das, nach dem Rationalismus einschließlich des Psycho-
logismus, Folge der natürlichen Beschränktheit ist und durch
Vernunft gebessert werden kann. N. hält entgegen, daß das
einheitliche, nicht rationalistisch zerspaltene Selbst „immer
hinreichend von der natürlichen Nötigung frei ist, um dem
Kurs nicht folgen zu müssen, der von den Eigeninteressen
diktiert wird" — was auch bezüglich des verantwortlichen
Selbst im kollektiven Leben der Menschheit gilt — wobei Verf.
sich durch Rom. 7 erinnert fühlt, daß der Apostel es in der
Tat als geteilt kennt.

Das vorliegende Buch ist nicht eine gerundete Einheit,
sondern besteht aus eüizelnen Reden, die bei recht verschiedenen
Gelegenheiten gehalten wurden. Aus diesem Grunde
darf der Leser nicht eine rem systematische Durchführung des
Grundgedankens erwarten, welch letzterer vielmehr wieder
und wieder neu aufgenommen und beleuchtet wird. Man wird
daher dies Buch nicht Georg Wehrungs „Geschichte und |

Chicago Karl Beth

Aalders, W. J., Dr., Hoogleeraar aan de rijksuniversiteit te Groningen:
Toekomstbeelden uit vijf eeuwen. More — Bunyan — Mandeville —
Fichte—Wells. Groningen: J. B. Wolter's Uitgevers-Maatsch. 1939. VI,
166 S. gr. 8°. f 1.3.75.

Aus fünf Jahrhunderten hat der Verf. fünf Zukunftsgemälde
herausgehoben, die unter sich so verschiedenartig
sind, wie diese Jahrhunderte selber. Dabei ist in der Tat das
jeweils von ihm gewählte Beispiel typisch für den entsprechenden
Geist der Zeit, wenn auch natürlich immer nur für einen
bestimmten, aber in keinem Falle unwesentlichen Ausschnitt
aus demselben. Jedesmal gibt der Verf. eine ungemein lebendige
und anschauliche Schilderung des zugrunde gelegten
Stoffes. Dabei dringt er zugleich jedesmal in die zugrunde
liegende seelische Verfassung em. Es sollen hier nicht die Einzelschilderungen
, die er gibt, wiederholt werden. Wer sich für
diesen vielversprechenden Typus utopischen und eschato-
logischen Denkens eine Ubersicht und ein sorgsam fundiertes
Bild verschaffen will, findet in dem Buch von Aalders den
rechten Führer. Das Anliegen des Verf .s ist zugleich ein grundsätzliches
. Im Anschluß an den geistvollen Vortrag von Alfred
Dören (Wunschtraum und Wunschzeiten. Vorträge der Bibliothek
Warburg 1924ff.) kommt der Verf. zu einer prinzipiellen
Unterscheidung, die sich freilich, wie er selber anmerkt, nicht
mit derjenigen Dürers deckt. Aalders unterscheidet die Utopie
einerseits, welche ein wirklichkeitsentrücktes Wunschbild entwickelt
— utopi heißt ja Nirgendland — und die Zukunftserwartung
, die „eschatologisch" das konkrete Denken und
Handeln des Menschen durchdringt und prägt, streift und
sammelt. Für diese letzte Linie sind besonders Bunyan und
Fichte charakteristisch. Zugleich sind die entwickelten Analysen
des Verf.s ein wichtiger und dankenswerter Beitrag zum
Thema der Eschatologie und besonders zu dem für das eschato-
logische Denken eigentümlichen Paradox des Ineinander von
Zukunft und Gegenwart. Es ist nur schade, daß Aalders bei
Fichte sich auf die eine Schrift vom geschlossenen Handelsstaat
beschränkt. Das ist zwar in der Anlage semes Buches begründet
, aber sowohl geistesgeschichtlich wie systematisch
würde eine weitergreifende Untersuchung des gesamten Fichteschen
Denkens zu sehr fruchtbaren und gewichtigen Ergebnissen
führen, bis hin zu jener Konzeption der Geschicnts-
mitte und Geschichtswende und des neuen Anbruchs der Geschichte
in Christus, wie Fichte sie in seiner sog. „Staatslehre
" entwickelt. In dieser Wendung Fichtes zur Geschichte
bestätigt sich, was Aalders hinsichtlich des eschatologischen
Typus des Denkens aufstellt.

Eine eigentümliche Sonderstellung nimmt, wie der Verf.
selber hervorhebt, der Abschnitt über Mandevilles bekannte
„Bienenfabel" ein. Das Leben des Bienenschwarmes war so
gänzlich in Ordnung, Kunst und Wissenschaft blühten, die
Stände kamen miteinander aus, solange Gut und Laster, Gerechtigkeit
und Gewalt sich die Waage hielten. Der Entschluß,
das Unrecht und den Betrug auszutreiben und einen Zustand
schlechthiniger Vollkommenheit zu errichten, bringt das
Leben zum Stoppen, die Kultur stirbt ab, und schließlich
flüchten sich die letzten übrig gebliebenen Bienen in einen
hohlen Baum. Sehr sorgfältig ist die Analyse, die Aalders gibt,
indem er zunächst die vielleicht absichtlich irreführenden
eigenen Äußerungen Mandevilles untersucht und sodann andere
wenig bekannte Schriften Mandevilles heranzieht. Mandeville