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Ausgabe:

1950

Spalte:

23-26

Autor/Hrsg.:

Eissfeldt, Otto

Titel/Untertitel:

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften 1950

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 1

dieser Welt bedeutet . . . nicht nur ein verändertes Verhältnis
des Menschen zur Welt, sondern auch eine Wandlung der
Welt. Sie wird entdämonisiert. Sie hört jedenfalls im Strahlungsbereich
des Kultus auf, die Wirkungsstätte der Dämonen
und der Gottfeindschaft zu sein" (S. 19/20). Damit verliert
aber auch die Welt ihre Neutralität als endliche, „weltlich"
gewordene Größe und wird wieder „protologisch" und „escha-
tologisch" gesehen; die Kunst als eine Ubersetzung der Natur
in Geist ist „das dem Mysterium der Wandlung gemäßeste
Ausdrucksmittel" (S. 20): wie uns der Glaube, um mit Luther
zu reden, „wandelt und gebiert aus Gott", so wird an der zentralen
Stellung des Sakraments im Gottesdienst deutlich, daß
es in ihm eben gerade um dieses Mysterium geht.

In den Dienst dieser verschiedenen Sinngehalte des Gottesdienstes
tritt die Musik: In ihr verbindet sich „in einzigartiger
Weise die Möglichkeit, zugleich die allem menschlichen
Begreifen entnommene Heiligkeit und den Logoscharakter der
Gottesoffenbarung in Christus zum Ausdruck zu bringen"
(S. 21). Müller spricht in diesem Zusammenhang von „einer
paradoxen Gleichzeitigkeit von Rationalität und Irrationalität
" in der Musik. Die Musik vermag insbesondere den Evangeliumscharakter
des göttlichen Wortes auf unvergleichliche
Weise zum Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig eröffnet sich im
musikalischen Geschehen, das die Musik vor den bildenden
Künsten kennzeichnet, eine einzigartige Möglichkeit, den Aktualitätscharakter
der Begegnung mit Gott spürbar zu machen.
Und schließlich kann die Musik deutlicher als jedes andere
Ausdrucksmittel das Gotteslob einer Gemeinde vor Gott
bringen, so gewiß Gottesdienst öffentliches und gemeinsames
Bekenntnis ist. Zusammenfassend sieht Müller in dieser Gottesdienstauffassung
äußerste theologische Radikalisierung und
äußerste anthropologische Konkretisierung in genauer Entsprechung
: „Erst in der vorbehaltlosen Hingabe an das Jenseitige
kann das Diesseitige ganz zu seinem Rechte kommen.
Voll ausschwingende Profanität gibt es nur in der demütigen
Erschlossenheit für das Heilige. Diese äußerste Ausweitung
der Polarität zwischen Gottes Unermeßlichkeit und menschlicher
Begrenztheit ist die Voraussetzung für die wesentliche
Beziehung, die Luther zwischen Musik und Gottesdienst begründet
sieht. Das Diesseitige bedarf der Jenseitigkeit. Das
Heilige verlangt nach Profanität . . . Keine von Gott angelegte
Entwicklungsmöglichkeit der Musik wird hier unterbunden.
Aber ob eine Entwicklung von Gott oder ein Zeichen des Abfalls
ist, das kann nur von der wesentlichen Zuordnung der
Musik zum Gottesdienst her erkennbar werden. Nur das am
Altar Gottes immer neu geschärfte Ohr kann die Hellhörigkeit
gewinnen, um himmlische von teuflischer Musik zu unterscheiden
" (S. 23/24).

Im Schlußkapitel „Verfall und Wiedergeburt" versucht
Müller, das lutherische Musik- und Gottesdienstverständnis
für die Erneuerung des kirchlichen und theologischen Denkens
fruchtbar zu machen. Das Fundamentalereignis, in dem der
durch den Intellektualismus und Subjektivismus der vergangenen
Jahrhunderte ausgelöste Verfall konkret wurde, ist
die Auflösung der sakramentalen Gehalte des Gottesdienstes
und seine Einschrumpfung auf die Predigt. „Dieser Einbruch
wirkte sich im Rückzug der Frömmigkeit aufs ,Wort' im Sinne
der begrifflich aussagbaren Inhalte des Glaubens aus" (S. 24).

Das Dogma hörte auf, Glaubens-, Anbetungs- und Erkenntnishilfe
im organischen Zusammenhang mit dem Kultus zu sein:
„Es trat an die Stelle des Glaubens, der Anbetung und der Erkenntnis
und wurde so zur Glaubens-, Anbetungs- und Erkenntnishemmung
und -not" (S. 25). Die damit Hand in Hand
gehende Spiritualisierung und Verinnerlichung der Frömmigkeit
förderte die Entwirklichung des Glaubens: „Die Flucht
ins Irrationale und leiblos Spirituelle war nur eine andere
Form der Flucht vor der Wirklichkeit ... An die Stelle der
auch das Empirische mit umspannenden Urwirklichkeit trat
der denkende und erlebende Mensch, und zwar nicht der prophetisch
über die Enge des menschlichen Bewußtseins hinaus
gehobene und für die Tiefe und Weite des göttlichen Geheimnisses
erschlossene Mensch, sondern der .normale'
Mensch mit den intellektuellen und ästhetischen Anlagen des
menschlichen Durchschnitts" (S. 25). Die verhängnisvolle
Folge war die Trennung von Gottes- und Weltbewußtsein.
Das Gottesbewußtsein wurde unweltlich, das Weltbewußtsein
wurde gottlos. Die Musik suchte sich einen Wirkungsraum abseits
vom Kultus und verfiel damit zwangsläufig der Säkularisierung
und Religiosierung. „Musik wurde zum Religionsersatz
. Der Menschengläubigkeit entsprach der Musikrausch"
(S. 27). Der sich nach dem bekannten Ausspruch Beethovens
der Gottheit mehr als andere Menschen nähernde Genius, der
in der Kunst die Erleuchtung gewinnt, welche ehedem nur der
prophetischen Inspiration zuteil wurde, weiß nichts von der
schlechthinnigen Abhängigkeit, in der er auch in allen seinen
Annäherungsversuchen auf die heilige, sich souverän schenkende
Gnade Gottes angewiesen bleibt. Die Musik verlor ihren
Organcharakter und wurde Selbstzweck. Wenn wir dieser verhängnisvollen
Entwicklung gegenüber glauben, heute von den
ersten Zeichen einer Wiedergeburt reden zu dürfen, so
„hängt alles an der Einsicht, daß die Auflösung des Verhältnisses
von Gottesdienst und Musik nur ein Sonderfall für die
Ablösung der Kultur von ihrem letzten Ursprung und Sinn ist
und daß deshalb über sie auch das Gericht ergeht, das über diese
ganze Säkularisierung der Kultur hereingebrochen ist. Die
Gottesdienstnot ist ebenso wie die Kulturnot eine Folge der
Gottesnot. Jede Verharmlosung dieses Sachverhaltes müßte
auch die Voraussetzungen für wirkliche Wiedergeburt in Frage
stellen" (S. 30). In diesem Sinne kann Dedo Müller Luthers
Theologie als von repräsentativer Bedeutung für die neue Verantwortung
des Christentums für das Ganze der Kulturgestaltung
bezeichnen.

Es ist das besondere Verdienst Müllers, mit seiner Studie
deutlich gemacht zu haben, wie fruchtbar der Ausgang bei der
ursprünglichen gottesdienstlichen Bezogenheit der Musik für
die Entfaltung einer Theologie der Musik ist. Tatsächlich
laufen die Geschichte des Gottesdienstes und die Geschichte
der Kirchenmusik in einer frappanten Weise parallel. Als Ergänzung
und Bestätigung dieser These darf auf die geheimnisvolle
Tatsache hingewiesen werden, daß die heutige Kirchenmusik
in demselben Augenblick wieder mit den Kräften einer
schier bedrängenden Fruchtbarkeit begnadet wurde, wo sie begann
, ihre Bindung an den Gottesdienst wieder ernst zu nehmen.

Die Arbeit Dedo Müllers bedeutet für die kirchenmusikalische
Schriftenreihe der Edition Merseburger, die sie eröffnet
, einen vorbildlichen und verpflichtenden Auftakt.

Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in P;

8. Die Bestimmung der aramäisch geschriebenen Rolle als das
apokryphe Lamech-Buch

Von Otto Eißfeldt, Halle
Wie die vorausgegangenen Nummern des Bulletin of the
American Schools of Oriental Research, so enthält auch
Nr. 115 vom Oktober 1949 allerlei wichtige Nachrichten über
die 1947 in der Qumran-Höhle am Nordwestende des Toten
Meeres1 gefundenen Handschriften. Zunächst weiß der Präsident
der American Schools of Oriental Research, Carl H. K rae-
ling, unter den „Notizen vom Präsidenten-Pult" (Notes from
the President's Desk, S. 2—4) mitzuteilen, daß ein für die Veröffentlichung
der vier, amerikanischen Gelehrten anvertrauten
Texte, nämlich des vollständigen Jesaja-Buches, des

') Über die Ergebnisse der im Frühjahr 1949 vorgenommenen Untersuchung
der Höhle, von der ThLZ 74, 1949, Sp. 228, 595—597 die Rede war,
hat R. de Vaux, O.P. in der Revue Biblique 56, 1949, S. 234—237 (La ca-
chette des manuscrits hebreux) und S. 586—609 (La grotte des manuscrits
hebreux) näfiere Mitteilungen gemacht. Dem zweiten seiner Aufsätze sind
außer Abbildungen der Höhle sowie aus ihr geborgener Krüge, Schalen und
Lampen auch Photographien einzelner 1949 in ihr gefundener Rollenfragmente
beigegeben. Diese enthalten Teile eines — 27,19—21 des äthiopischen Textes

istina neu gefundenen hebräischen Handschriften

Habakuk-Kommentars, des Sekten-Buches und der aramäischen
Rolle, gebildeter und unter Leitung von Miliar Bur-
rows stehender Ausschuß die Ausgabe von drei Bänden vorbereitet
, von denen die beiden ersten den Jesaja, den Habakuk,
das Sektenbuch und die aramäische Rolle, der dritte Darlegungen
über Inhalt, Datum und Bedeutung dieser Bücher
bringen soll, und daß der erste Band mit Jesaja und Habakuk
voraussichtlich noch vor Ende des Jahres 1949 erscheinen
wird. Sodann enthält das Heft auf S. 10—19 einen Aufsatz von
W. F. Albright über das Datum der Rollen von Ain Fesha
und des Nash-Papyrus (On the Date of the Scrolls from 'Ain
Feshkha and the Nash Papyrus), in dem der Verf. seine bereits
früher vertretene Ansetzung des Nash-Papyrus, eines den
Dekalog und das Schema'-Gebet (5. Mose 5, 6—18 und 6, 4—5)
enthaltenden Papyrus-Blattes, in der Makkabäer-Zeit, jeden-

und seiner 1900 in Kautzschs „Apokryphen und Pseudepigraphen" von
E. Littmann veröffentlichten deutschen Übersetzung entsprechenden —
Stücks des hebräischen Jubiläenbuches, elf hebräische Zeilen eines noch nicht
identifizierten, aber Apokryphen von der Art des Henoch-, des Jubiläen-
Buches und der Testamente der zwölf Patriarchen nahe stehenden Werkes
und — diese in althebräischer (phönizischer) Schrift geschrieben! — Teile
von Lev 19, 31—34; 20, 20—23; 21, 24—22,3; 22, 4—5.