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Ausgabe:

1950 Nr. 7

Spalte:

409-416

Autor/Hrsg.:

Delekat, Friedrich

Titel/Untertitel:

Das Gespräch 1950

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 7

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erbaut aber den Katholiken). Eine große Belesenheit zeichnet
den Verf. aus.

Auch zwei Oehler-B äiidcheu werden Männer und Frauen
der praxis pietatis nur zögernd zur Hand nehmen, weil der Stil
so ganz anders ist als sonst in den frommen Büchern und Traktaten
. Ganz weltlich-sachlich und reichlich psychologisch.
Aber der Verf. setzt alles „dem Lichte Gottes" aus — und das
gibt den eigentlichen Akzent. Darum sind es „fromme" Büchlein
— und wer sie nicht liest, versäumt etwas. Gerade, wenn
er Pietist ist! „Sinnvolles Altern"1 heißt das eine Büchlein.
Sein Inhalt lautet: „Mit Gott alt werden". Und auch Junge

') Oehler, w. j.: Sinnvolles Altern, st. Gallen: Buchh. d. Evangei.

Gesellschaft 1941. 63 S. kl. 8°. Kart, sfr 2.—.

werden es mit Nutzen lesen. Das andere Büchlein heißt: „Botschaft
an die Einsamen"1. „Das Gegenteil aber von Einsamkeit
ist nicht etwa Gesellschaft, sondern Gemeinschaft." So
wird nun die Gemeinschaft von Gott zum Menschen, vom
Menschen zu Gott, und das heißt: in Gottes Kraft unter den
Menschen, beschrieben und empfohlen. Eine Evangeliunis-
Angelegenheit, eine evangelistische Angelegenheit! — Die
Büchlein von Oehler sind gerade dadurch literarisch bedeutsam
, daß sie mit einer Verhaltenheit und Nüchternheit zu

Werke gehen, die den Leidenden nicht kopfscheu macht _

und den Frommen nicht kopfscheu machen darf. Es sind
christliche, fromme, biblische Bücher — praxis pietatis.

') Oehler, w. j.: Botschaft an die Einsamen, st. Gallen: Bmiiii.

d. Evangei. Gesellschaft 1942. 70 S. kl. 8°. Kart. Fr. 2.—.

DAS GESPRÄCH

Das Gespräch: Me

Von Friedrich

Die folgende ausführliche Besprechung des Buches eines
Mediziners1 in der ThLZ bedarf einer Begründung. Verf. ist
Internist und Neurologe an der Heidelberger Universität. Er
gehört zu den Ärzten, die heute den unterirdischen Stollen,
der von der medizinischen zur theologischen Fakultät führt,
am weitesten vorgetrieben zu haben. Man kann auch nach
diesem Buche noch nicht sagen, er sei soweit fertiggestellt,
daß eine ungehinderte Kommunikation hinüber und herüber
möglich wäre. Dazu liegt noch zu viel Geröll am Wege, über
das man stolpert. Aber daß hier ein Arzt auf Grund seiner
ärztlichen Erfahrungen und im Verfolg seiner medizinischen
Problematik auf die theologischen Grundfragen gestoßen ist,
darüber kann kein Zweifel bestehen. Viele seiner Fachkollegen
werden den Kopf schütteln. Wie kommt ein Mediziner dazu,
s-olch ein Buch zu schreiben ? Aber auch die Theologen werden
sieh wundern. Was für eine seltsame Theologie ist das ? Haben
nicht die Schuster beider Fakultäten recht, wenn sie raten
lieber bei dem eigenen Leisten zu bleiben ? Ich meine nicht.
Denn es ist für beide bei diesem Experiment viel zu lernen,
und vielleicht hilft ein Gespräch hinüber und herüber an dieser
Stelle zur Klärung.

Das Buch ist schwer zu lesen. Ich bin nicht sicher, daß ich
alles richtig verstanden habe und wäre gerne bereit, zuzugeben
, daß dies an mir liegt. Aber dessen bin ich eben auch
nicht ganz sicher. Verf. betont mehrfach, daß das Leben antilogisch
ist. Das ist gewiß wahr. Aber die Sprache ist es nicht.
Vielleicht kann sie nicht alles adäquat ausdrücken, was es
wirklieh gibt, und vielleicht gibt es manches, über das man
reden kann und soll, das sich aber im Druck schlecht macht.
Die Grenze, an der Nietzsche gescheitert ist, und auch die
Grenzen der Diskretion werden in diesem Buche gestreift. Die
rücksichtslose Wahrhaftigkeit des Arztes ist befreiend, aber
sie ist natürlich auch gefährlich. Im Zusammenhange damit
steht die Methode. Das Buch will keine wissenschaftliche
Untersuchung über die Grenzprobleme zwischen ärztlicher und
pastoraler Seelsorge sein, die heute aufgetaucht sind. Das ist
es zwar auch, aber nicht seiner thematischen Fragestellung
nach. Wenn das beabsichtigt wäre, so hätten diese Probleme
methodisch genauer abgegrenzt und säuberlich nacheinander
durchgesprochen werden müssen. Den so entstehenden Wälzer
eines Lehrbuches hat uns W. erspart. „In diesem Buche wird
auch über religiöse Erfahrungen gesprochen. Es handelt sich
aber nicht um Konfessionen" (S. 7). Dennoch werde ich es
nach Erledigung des schwierigen Geschäfts der Besprechung
neben Augustin und Jean Jaques Rousseau stellen. Denn es
handelt sich um eine Autobiographie vom Typ der Konfessionen
, und zwar stellt es innerhalb dieses Typs eine besonders
interessante Variation dar. Nicht Generalbeichte eines
gläubigen Christen wie bei Augustin, auch nicht „Jean Jaques
juge de Rousseau", sondern vielmehr: Viktor v. Weizsäcker
in Behandlung bei Prof. v. Weizsäcker, wobei ersterer nicht
nur für sich allein, sondern für seine Generation, sein Volk,
den Menschen von heute steht. Beide ringen miteinander in
dem halbverdunkelten Sprechzimmer, wie das manchmal im
Verlauf einer psvchaualvtischen Behandlung vorkommen mag.
Ich habe den Eindruck, daß der Mensch W. sich schließlich

') Weizsäcker, Viktor von: Begegnungen und Entscheidungen.

Stuttgart: K. F. Köhler 1949. 223 S. 8°. Hlw. DM7.60.

xlizin und Theologie

Delekat, Mainz

gegenüber dem Professor durchsetzt. Er bleibt nicht nur am
Leben, sondern bewegt sich gegen Ende sogar dicht am Rande
des Glaubens an das ewige Leben. Und vielleicht ist es dies,
was ihn vom Tode rettet.

„Nach dem ersten Weltkrieg." Verf. schildert kurz das gemeinsame
Schicksal der Generation, die in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren
wurde, an einer Reihe bekannter Namen (Franz Rosenzweig, Karl Barth,
Martin Buber, Joseph Wittig, Romano Guardini, W. selbst). „Wie alle Männer,
deren ich hier gedenke und wie ich selbst", erkannte jene Generation, „was uns
fehlt, .. . daß die Wurzel des Übels im Untergang der Religion liegt". Aber
sie war „nicht bereit, dieser Einsicht unter Aufopferung von Leib und Leben,
Weib und Kind, Hab und Gut, Ehre und Beruf bis zum äußersten zu dienen"
(S. 20). Scharfes Urteil über die „dialektische Theologie": „Das meiste von dem
sog. geistigen Leben der Religionsmänner war kein geistliches Leben, sondern
Leben ohne religiöse Entscheidung" (21), „seelsorgerlicher Nihilismus" (23).
„Dialektisch war nicht nur die Theologie, ... dialektisch war auch der Wortkampf
mit Menschen. Die Kunst des Diskutierens, das heißt wörtlich: die
Kunst des Zerschneidens war diesen Männern zu hohem Genuß gediehen" (24).
Das interessiert den Theologen natürlich besonders, ist aber bei W. nur ein
Punkt unter anderen. „Was hier untersucht wird, ist die Erfolglosigkeit des
religiösen Aufbruchs, der uns, die vom Weltkrieg Übriggebliebenen, zuerst erschüttert
, dann beschäftigt und schließlich enttäuscht hat." „Barth ist imposant
, Wittig ist liebenswert, Guardini ist ergreifend" (33). Gemessen an dem,
was diese Generation wollte, programmatisch verkündete, erstrebte, ist sie gescheitert
.

„Verhalten der bürgerlichen Bildungswelt." Gelang der religiöse
Aufbruch der 20er Jahre nicht, so ist zu untersuchen, weshalb er nicht gelang.
In welchem Inneren Verhältnis steht oder stand die bürgerliche Bildungswelt
zur Religion, also zum christlichen Glauben? „Wissenschaft, Kunst und Bildung
sind Kinder des Protestantismus" (37), auch die Physik, die „ohne eine,
wenn auch unbewußte, metaphysische Voraussetzung gar nicht möglich ist
und nie existiert hat" (40). Aber sie bedeuten zugleich eine Umbildung der
religiösen Gehalte. Der durch die protestantische Bildung geformte Mensch
kommt nicht mehr zurecht mit dem Dekalog. Die zehn Gebote (oder nur die
Auslegung, die ihnen die verbürgerlichte Kirche gibt) erscheinen als zu primitiv
. Sie entsprechen nicht mehr den Gegebenheiten des wirklich gelebten
Lebens. Das wird empfunden anläßlich der Deutung der Niederlage von 1918
bei der Frage nach der Schuld am Kriege. „Ich meine, daß wir wirklich um
eine religiöse Lösung der Fragen bemüht waren, aber was war Schuld und
Sünde?" (48). „Der Dekalog, das Strafgesetzbuch, die Richter und die Moralisten
waren die ärgsten Beförderer dieser Selbsttäuschungen; indem sie ein
äußerliches Recht auf einen innerlichen Irrtum losließen, verschlimmerten sie
das Übel, das man längst nicht mehr als Schuld, sondern als Krankheit zu verstehen
gelernt hatte." Handelte es sich aber nicht um „Sünden, sondern um
Irrtümer, und nicht um Irrtümer, sondern um Krankheiten", so war es „wahrer,
daher auch religiöser und christlicher, sie zu erkennen und zu behandeln als
die chirurgische Gewaltanwendung des Willens auf den Willen", wobei mit
„chirurgischer Gewaltanwendung" die „Therapie" pastoraler Bußpredigt und
juristischer Kriegsverbrecherprozesse gemeint ist. Sünde und Schuld eine
Krankheit? Ich bitte die Theologen und die Juristen, nicht nervös zu werden,
sondern den Arzt reden zu lassen. Er wird sich nachher selber korrigieren und
sagen, inwiefern diese Krankheit schuld ist. Was er zum Ausdruck bringen
will, ist offenbar, daß der Moralkodex des bürgerlich interpretierten Dekalogs
bei der Frage nach den Ursachen der Schuld am ersten Weltkriege deshalb
versagt, weil er dem Schicksalhaften in dieser Schuld nicht gerecht wird.
Denn „die Schuld ist nicht nur und nicht eigentlich eine schlechte böse Tat,
die ein Mensch einmal getan hat und nicht ungeschehen machen kann; ihr
tieferer Grund war schon von Anfang an (ab origine generis humani?) da und
wird künftig bleiben: es ist der, daß der Mensch nicht ist, wie Gott ist. Das ist