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Ausgabe:

1950 Nr. 7

Spalte:

407-410

Autor/Hrsg.:

Fendt, Leonhard

Titel/Untertitel:

Praxis pietatis 1950

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407

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 7

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von Jes. 53 im Spätjudentum angewandt kann man sagen: Wo
Jes.53 oder Einzelworte daraus auf den Messias oder Menschen-
solui gedeutet werden, da wird nie der Gedanke des Sühneleidens
oder -todes gedeutet bzw. er wird dann umgedeutet, so
daß er teils kein Leidenszug mehr ist, teils sich nicht mehr auf
den Messias bezieht (so Targ. Jes.53). Und wo andererseits die
Leidenszüge des Gottesknechts und ihr Sinn als Sühne gedeutet
werden, geht solche Deutung nie auf den Messias1. Es ist also
beides da, die messianische Deutung und die Deutung des
Sülmeleidens, aber beides geht nie zusammen. Anders ausgedrückt
: Vom zeitgenössischen Judentum her gesehen sind
Mark. 10, 45 ).vt^ov ävx'i no)Xtöv und 14, 24 lx/i.vvv6fievov bni(>

noV.cüv als echte Jesusworte durchaus begreiflich, dann aber
ohne messianisches Selbstbewußtsein. Oder, es ist das
messianische Selbstbewußtsein Jesu historisch, dann sind aber
Worte wie Mark. 10, 45 und 14, 24 als echte Jesusworte nicht
begreifbar. Entweder hat Jesus sich als den Messias verstanden
und sein Wirken als messianisches, oder er hat in

hängt die Frage an der verschiedenen Interpretation dieser wenigen spätjüdischen
Stellen, deren Diskussion Gegenstand schon so manchen fruchtbaren
Gesprächs zwischen Joach. Jeremias und mir war.

J) Oder wenn (an einigen rabbinischen Stellen) auf den Messias, dann
nicht auf Leiden als messianisches Wirken.

sehiem Tod ein stellvertretendes Lösegeld für die Vielen gesehen
.

Jeremias vermeidet das Auseinanderklaffen dieses Entweder
-Oder durch die Annahme, daß es im Judentum der Umwelt
Jesu die Vorstellung von einem leidenden Messias und die
Deutung von Jes. 53 auf ein Sühneleiden des Messias gegeben
hat, daß sie aber als esoterische Uberlieferung geheimgehalten
wurden (S. 61) bzw. aus autichristlicher Polemik
getilgt wurden1. Aber auch hier bleibt die Frage, ob eine
solche Annahme das Gewicht der Gesamtkonstruktion des
historischen Bildes zu tragen vermag. Doch wird es ratsam
sein, dafür zunächst die Artikel des Verf.s nais 0-eov und viöi
tov avd-Qcimov im Theol. Wb. z. NT abzuwarten.

Jedoch, ganz unabhängig von diesen offen bleibenden
Fragen ist es das Verdienst des mit umfassender Sachkenntnis
geschriebenen Buches, unsere Kenntnisse und unser Verständnis
dieses schwierigen Problems wesentlich gefördert zu
haben, vor allem durch die recht gesicherte Deutung von Jesu
letztem Mahl als Passamahl; und so bedeutet das Buch, gerade
in der neuen Auflage, einen Gewinn und eine Bereicherung
, was der Berichterstatter für seine Person dankbar bekennt
.

') Vgl. Joach. Jeremias, Erlöser und Erlösung im Spätjudentum und
Urchristentum, in: Deutsche Theologie II, 1929, S. 116.

Praxis

Von Leonhard Fen

Es ist nicht ganz so, aber beinahe: während drei Viertel
der Christenheit disputierten, haben die Pietisten gebetet und
um den neuen Menschen in Christo gerungen — und das ist ihr
unvergängliches Plus. Denn kein Meister des Wissens kann
leugnen: Im NT wird peinlich wenig vom Wissen gesprochen,
aber erstaunlich viel vom Beten und vom neuen Menschen in
Christo! Dennoch ist das Wissen und Disputieren ins Christentum
nicht bloß aus dem Geiste des „Großinquisitors" Dostojewskischer
Prägung eingeflossen, sondern auch aus echten
Konsequenzen des Christentums. Und insofern radikaler Pietismus
dieses echte Wissen ablehnte, litt er an einem Mangel.
Und so entstand eine Massenliteratur, in der lauter Gutwilliges
, Frommes, Christliches allzuoft mit unzureichendem
Wissen zusammengekoppelt war, woraus dann viele das Recht
zu einem horror pietatis ableiteten, trotzdem dieser horror

Eietatis eine recht „natürliche", nämlich sarkische Angelegen-
eit zu sein pflegte (und pflegt).

Nun begibt es sich seit einiger Zeit (und je länger um so
mehr), daß eine fromme Massenliteratur von Männern und
Frauen geschrieben wird, die Meister des Wissens oder Schüler
solcher Meister sind. Ein beachtenswertes Ereignis — wenn
doch für das NT das Hauptgewicht auf das Beten und die Erneuerung
des Menschen in Christo fällt. Daß diese Literatur
stark gekauft wird, daß Nachfrage nach immer neuen Erscheinungen
besteht, das ist geradezu aufregend. Es hat sich etwas
getan in der Christenheit. Das Normale wäre nun, daß die
beiden Seiten, die „pietistische" und die „unpietistische", voneinander
lernten, noch besser: miteinander sich auferbauten
im Sinne der Bibel — wobei jede Seite von der anderen lernen
kann. In der Tat zeichnet sieh ein Anfang solcher Entwicklung
ab; ihn gilt es zu fördern. Und er wird, da nun einmal der Primat
der praxis pietatis bei den „Pietisten" liegt, am stärksten
gefördert durch die Männer und Frauen auf „nichtpietisti-
scher" Seite, welche eine fromme Literatur schaffen, die echt
ist. Etliche solcher Schriften sollen hier angezeigt werden.

Da ist alsbald auf ein Standard-Werk zu verweisen, Adolf
Maurers „Trostbuch"1 für Menschen in der Sorge, für
Kranke, Arme, Schuldige, Alte und Sterbende. 16 Auflagen!
Es muß also eine große Kraft von diesem Buche ausgehen. In
der Tat: das ist Evangelium durch und durch — in der Form
geschliffener Literatur. Maurer spart nicht mit Zeugen aus
der Weltliteratur und der Kirchenliteratur — aber das Beste
ist doch das, was er selbst sagt. Was er über das Trösten ausführt
, ist einfach notwendig für den Leidenden wie für den
Seelsorger jeglicher Art (und wer wäre das nicht!). Es kommt
einem aber der Gedanke: Wenn die reformierten Pfarrer in
der Schweiz so großartig das Evangelium ausmünzen, wozu
dann noch der „konfessionelle" Graben, sei es zwischen
„Lutherisch" und „Reformiert", sei es zwischen „Kirche" und

') Maurer, Adolf: Ob Berge weichen. Trostbuch. 16. Aufl. Basel:
Reinhardt 0. J. 290 S. kl. 8°. Geb. sfr 6.50.

pietatis

Ldt, Bad Liebenzell

„Gemeinschaft"? Brüderlicher Streit muß um der Reinheit
des Wortes willen gewiß stattfinden, aber am Rande; hl die
Mitte aber tritt die reife praxis pietatis, hier wie dort.

Eine ebenso erfreuliche Gabe zur praxis pietatis legt
Heinrich Rendtorff1 (zur Bibelwoche 1949) über Rm. 6—8 vor.
„Das neue Leben in Christus" — Kern des NT, aber allzeit
Zankapfel unter Christen. Hie Gemeinschaften — hie Kirche.
In derTat spricht Rendtorff zu beiden Parteien, nichts neutralisierend
, nicht psychologisierend, einfach das verkündigend,
was auf jeder Seite im Hören auf Paulus Christus bedeutet.
Rendtorff findet die rechte Formulierung — für beide Parteien.
In dem Streit um die „Heiligung" könnte nun jede Partei bei
Rendtorff einsetzen. Auch wenn man die These der Reformatoren
als nichtpaulinisch, sondern als Transponierung des
Paulus ins spätere Seelsorgerliche ansehen will (wofür gar
manches spricht), wird man bei Rendtorff Klarheit bekommen
— über das eine Notwendige und von Gott Gesetzte.

Ebenso Pietisten wie Nichtpietisteu wird der Stuttgarter
Prälat Dr. Karl Hartenstein um sein Pult versammeln,
wenn er2 das Johannesevangelium nach den großen Gesichtspunkten
des Johannes selbst auslegt. Das Büchlein steht jenseits
der „johanneischen Frage" und ist ganz durchdrungen
von dem Worte des Lebens, das Johannes verkündigt. Und
doch kein „untheologisches" Buch, sondern Wendung eines
Theologen zur praxis pietatis.

Geradezu ein Lexikon zum Thema „Das Heil und die
Heiligung" bietet der Professor des Theologischen Seminars
in Dallas (Texas, USA.) Lewis Sperry Chafer3, und Pfarrer
Doebeli in Bilten (Glarus) leistete die Ubersetzung. Es ist
wirklich ein Handbuch für Pietisten und Nichtpietisten —
aber Rendtorff ist jedem Benützer des Chaferscheh Werkes
dringend nötig. Wird Chafer als Fortsetzung von Rendtorff
gelesen, so ist der Weg offen.

Nicht unbedingt gehört ein katholisches Büchlein von
Georg Siegmund4 hierher. Aber zur Auseinandersetzung ist
es Pietisten und Nichtpietisten anzuraten, nicht zur Polemik,
sondern als Frage an die Unsrigen. Wie steht es bei uns mit
der „Massenreligion"? Wie mit Schuld, Krankheit, Wunder,
Kindererziehung — als unter den Leuten Jesu ? (Daß zum
Schlüsse auch noch das „Turiner Leichentuch" behandelt
wird, zum Thema „Jesus Christus heute", das erschreckt uns,

*) Rendtorff, Heinrich, Prof. D.: Das neue Leben in Christus.

Eine Handreichung zur Bibelwoche 1949 über Rom. 6—8. Gladbeck: Schriftenmissionsverlag
[1949]. 83 S. kl. 8°.

z) Hartenstein, Karl, Prälat Dr.: Der Sohn Gottes. Ein Bibelstudium
über das Evangelium des Johannes. 2. Aufl. Stuttgart: Evang. Missionsverlag
1948. 83 S. kl. 8°. DM1.80.

3) Chafer, Lewis Sperry, Prof. Dr.: Unser Heil. Übers, v. H. Doebeli.
St. Gallen: Buchh. d. Evangel. Gesellschaft 1944. 176 S. 8°.

4) Siegmund, Georg: JesusChristus heute. Fulda: Parzeller 1947-
152 S. kl. 8°. Kart. DM 2.10.