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Ausgabe:

1950

Spalte:

362-365

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Radbruch, Gustav

Titel/Untertitel:

Theodor Fontane oder Skepsis und Glaube 1950

Rezensent:

Lerche, Otto

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Theologische Literaturzeitung 195° Nr- 6

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können. Von außen betrachtet sei der Wille kausal gebunden,
nicht aber von innen, subjektiv betrachtet. Im zweiten Fall
?e!,t',er eigene Wille zwar für vergangene Handlungen ebenfalls
kausal verständlich, für zukünftige dagegen sei er frei.
Planck begründet das einmal damit, daß die kausale Ableitung
unseres eigenen Willens eine Distanzierung unseres (selbst-)
beobachtenden Ichs vom wollenden voraussetze, die praktisch
nicht vollziehbar sei. Sodann aber sei die Willensfreüieit „in
Jedem von uns unmittelbar gegenwärtig und verbürgt durch
das mit ihr aufs engste verknüpfte Bewußtsein der sittlichen
Verantwortung, das uns bei allem unserem Tun und Lassen
täglich und stündlich bedrängt" (S. 17). Dieser Satz zeigt wohl
unzweideutig, daß sich Plancks Überlegungen, obwohl sie, vielleicht
auch gerade weil sie mit den abgeklärten Erfahrungen
ües exakten Beobachters gesättigt süid, in der Richtung auf
■^aiits intelligibilität der Freiheit bewegen.

Die Darstellung Mezgers hat außer der Präzision der
Juristensprache den Vorzug, daß sie die Vielzahl der heutigen
ersuche, das Problem zu lösen, aufzeigt. Zuerst den empirischen
Versuch: weder vom körperlichen noch vom Seelischen
11er lasse sich ein unmittelbarer Erfahrungsbeweis für den
■L'eterminismus erbringen, aber ebensowenig für den Indeterminismus
, auch nicht durch Kombination (Steuerung makro-
Pjiysischer Vorgänge im Zustand höchster Labilität durch
Kleinste' Energien). Unter dem Titel des positivistischen
Losungsversuchs setzt sich Mezger mit den Physikern der
'^egenwart auseinander, wobei er die Fragwürdigkeit des
oben von uns mit einem Fragezeichen versehenen „Folglich"
aulzeigt. Er erblickt jedoch einen Fortschritt darin, daß sich
der Determinismus künftig jedenfalls nicht mehr wie bisher
aut aas Vorbild der Physik berufen könne. Unter dem onto-
ogischen Lösungsversuch verstellt Mezger die Schichtenlehre
j-Mkolai Hartmaiins, unter deren Dependenzgesetzen sieh auch
das Gesetz der Freüieit befindet, das in der „Person" als
oelister Schicht über den Schichten der materiellen, seelischen
u»u geistigen Determination steht. Die Schwäche der Ilart-
mannschen Lösung wird darin erblickt, daß sie nur die outo-
logische Möglichkeit (und sittliche Notwendigkeit) der Freiheit
zu beweisen glaube, dem Skeptiker aber die Beweislast
iur das Gegenteil zuschiebe.
. , Semen eigenen Beitrag zur Lösung des Problems entlegen
Mezger in Auseinandersetzung hauptsächlich mit der
kjKenntllistheoretischen Lösung, in erster Linie mit Kant. Er
h > 1 üabei jedoch nicht, wie man erwartet, an Kants Frei-
"eitslehre in der Kr.d.pr. Vernunft an, auch nicht an die transzendentale
Dialektik, wo sie ebenfalls ihren Ort hat, sondern
I r e ,Kategorientafel, also an die transzendentale Analytik.
«ier tehle neben der Kategorie der Kausalität, die Kontinuität
"esagt, die Nichtkausalität, die Diskontinuität besagt. Die
lernende Kategorie der Nichtkausalität und Diskontinuität bezeichnet
Mezger als Kategorie der Spontaneität. Der Kallinchen
Leugnung der Diskontinuität widerspreche die nicht
zu leugnende Realität des Einmaligen. Auf dem Gebiete des
seelischen Geschehens müsse ferner allen genetischen Er-
w'agungeu „Verstehen" von Sinneszusanimenhängen vorausgehen
. Das Seelenleben als Ganzes sei nicht eine Summe
Kausaler Assoziationen, sondern von intcntionalen, wertge-
nchteten Akten durchsetzt, zu deren Erfassung die Kantische
1 , egc-rientafel ebenfalls nicht ausreiche. Ob das spontane
^schöpferische) und sonstige seelische Geschehen und ob das
Wollen und Handeln des Menschen „frei" sei, könne nicht ge-
agt werden. Sicher sei nur, daß die Erkenntnis des menschlichen
Seelenlebens neben der Kategorie der Kausalität auch
jT.Kategorie der Spontaneität benötige. „Ohne sie ist See-
"sciies nirgends .verständlich'. Dies gilt auch als Grundsatz
«"ier krimmalistischen Forschung".

In diesem Schlußsatz der Untersuchung kommt trotz
p~'er sonstigen Zurückhaltung doch noch das besondere Inter-
sse des Strafrechtlers zum Vorschein. Man darf dann das Er-
t>eDiiiS vielleicht so ausdrücken, daß der Begriff der Spontaneität
eine Realität richtig und glücklich „formuliert", mit
__elyier das Strafrecht unter allen Umständen rechnen muß
ohne mit der traditionsbeschwerten Vieldeutigkeit des Frei-
"eitsbegriffes belastet zu sein. Aber — war dazu der Angriff
aut Kants Kategorientafel nötig ? Und: hat er sie wirklich zum
}s,t.urz gebracht ? Denn da die Kategorientafel den Anspruch
aut Vollständigkeit erhebt, kann man nicht ihre Unvollstän-
Uigkeit behaupten, ohne sie überhaupt für unrichtig zu erklären
. Die Unvollständigkeit könnte dann (nicht auf unzu-
angheher Erfahrung oder ihrer Interpretation, sondern) nur
aul einem Denkfehler beruhen.

Indessen auch Kaut selbst kennt den Begriff der Spon-
aneität und zwar genau in dem von Mezger formulierten
le: . . . so schafft sich die Vernunft die Idee von einer

Spontaneität, die von selbst anheben könne zu handeln,
ohne daß ehie andre Ursache vorangeschickt werden dürfe,
sie wiederum nach dein Gesetze der Kausalverknüpfung zur
Handlung zu bestimmen" (Kr.d.r.Vem., „Auflösung der kos-
mologischen Idee", zweiter Absatz, Kirchmanu S. 470).
Allein bei Kant ist diese Idee der Spontaneität mit der Idee
der Freüieit identisch, aber eben „nur" Idee, nicht Kategorie.
Der Angriff auf die Kategorientaiel könnte demnach nur für
geglückt gelten, wenn nachgewiesen wäre, daß der Begriff der
Spontaneität tatsächlich „nicht nur" (als Idee) regulative,
sondern (als Kategorie) konstitutive Bedeutung für unsere Erkenntnis
hätte. Dieser Beweis ist, scheint uns, nicht erbracht
— weil Mezger sich diese Frage gar nicht vorgelegt hat. Wir
glauben, daß er auch weder erbracht werden kann noch erbracht
zu werden braucht, solange man über das Mezgersclie
non liquet hl der Freiheitsfrage nicht hinausstrebt. Der Kriminalist
wird trotzdem mit dem Begriff der Spontaneität einen
guten Griff getan haben, weil die Kantisclien Fragestellungen
und die zugehörigen terminologischen Feinheiten, mau
mag es bedauern oder begrüßen, dem allgemeinen Bewußtsein
ziemlich entschwunden sind. Die Saclikunde und Sorgfalt
, mit welcher hier im übrigen die Auseinandersetzung mit
Kaut vollzogen wird, bildet (außer bei den Faehphilosophen)
fast eine Ausnahme. Es bestellt daher kaum Gefahr, daß unter
der Tarnkappe des Spontaneitätsbegriffes die Sphiiixphysiog-
nomie der „Freiheit" wiedererkannt wird.

Erlangen Werner Eiert

Straubinger, Heinrich, Prof. Dr.: Religionsphilosophie mit Theodizee.

2. Aufl. FrCiburg: Herder 1949. VIII, 264 S. gr. 8" = Herders Theologische
Grundrisse. Lw. DM 8.80.

Der Inhalt dieses klar und verständlich geschriebenen
Buches entspricht nicht ganz seinem Titel. Enthält es doch
wenig Religionsphilosophie (öo Seiten), dagegen viel Religions-
geschichte (90 Seiten) und noch mehr Theodizee, d. h. natürliche
Theologie (100 Seiten). Die Erklärung dafür liegt in der
Zweckbestimmung des Buches: es ist in erster Linie als Lehrbuch
für akademische Vorlesungen gedacht. Erfreulich au
diesem Werk des Freiburger Theologieprofessors ist die Sonde-
rung von Religionsphilosophie und natürlicher Theologie.
Während es in der Neuscholastik vielfach üblich ist, ein Werk
als „Religionsphilosophie" auszugeben, das hl Wirklichkeit
natürliche Theologie enthält (vgl. z. B. die „Religionsphilosophie
" von G. Wuuderle), sieht Straubinger klar, daß es sich
hier um zwei verschiedene Disziplinen handelt, und bringt das
auch im Titel seines Werkes zum Ausdruck. Wie schon augedeutet
, liegt dessen Schwerpunkt in der natürlichen Theologie
. Sie bewegt sich ganz in den Bahnen der Tradition. Die
eingehende Darlegung der herkömmlichen Gottesbeweise läßt
jenen kritischen Geist vermissen, der einem z. B. aus dem
Werk des Professors am Pelpliner Priestersemhiar Franz
Sawicki über die „Gottesbeweise" (1926) entgegenweht. Bezeichnenderweise
nennt Straubinger dieses Werk überhaupt
nicht. Die mehr oder weniger latente Prämisse, die seiner
Religionsphilosophie zugrunde liegt, ist jene Verhältnisbe-
stimmung von Religion und Philosophie, die man als „partielles
Identitätssystein" zu bezeichnen pflegt und die ein
Fundierungsverhältiiis zwischen beiden Größen statuiert. Sie
verkennt sowohl die Selbständigkeit der Religion, die als autonome
Wertsphäre auf sich steht und durch die Eigenevidenz
des religiösen Bewußtseins ihre Wahrheit begründet, als auch
die Selbständigkeit der Philosophie als freier Vernunftfor-
schung. Daß diese Position heute als endgültig überwunden
zu betrachten ist, glaube ich, in meiner „Religionsphilosophie"
(1948) für jeden Unvoreingenommenen evident gemacht zu
haben (vgl. besonders Bd. I, S. 32ff.).

Köln Johannes Hessen

ZUR LITERATURGESCHICHTE

Radbruch, Gustav: Theodor Fontane oder Skepsis und Glaube.

2. Aufl. Leipzig: Koehler & Amelang [1949]. 68 S., 1 Bild, 1 Faks. DM 1.85.

Der wirklich berufene große Schriftsteller ist auch der berufene
Zeitkritiker, der allein auch beurteilen kann, wie die
Menschen zu Christentum und Kirche, zu den letzten und
höchsten Dingen stehen. Wilhelm Lütgert gibt im dritten
und vierten Bande seiner „Religion des deutschen Idealismus
und ihr Ende" (1926, 1930) einen ausgezeichneten Uberblick
über die Stellung der großen Zeitkritiker, Schriftsteller und
Romanschreiber zu Christentum und Kirche und zeigt, wie
sich in ihrem Schaffen die Umwelt klar und greifbar spiegelt,