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Ausgabe:

1950 Nr. 6

Spalte:

360-362

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Planck, Max

Titel/Untertitel:

Vom Wesen der Willensfreiheit 1950

Rezensent:

Elert, Werner

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359

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 6

360

Titel angibt, ist das Buch nach den Autorennamen eingerichtet
, die einzelnen Artikel geben zuerst einen kurzen biographischen
Abriß, dann eine Darstellung der Lehren der einzelnen
Philosophen, ein Verzeichnis der Schriften und eine Literaturangabe
. Eine besondere Berücksichtigung hat die Philosophie
seit dem Jahre 1850 erfahren, und hierin ist ein großer Wert
des Lexikons zu sehen. Wie die Herausgeber berichten, wurde
die Darstellung der lebenden deutschen Philosophen dadurch
gefördert, daß aus Veranlassung einer Rundfrage 600 Antworten
eingingen. So ist nun eine Übersicht möglich, wie sie
auf andere Weise wohl kaum gegeben werden konnte, und der
Leser erfährt von den Schicksalen einer ganzen Anzahl deutscher
Philosophen, die ihr Vaterland verlassen mußten. Auch
die Philosophie des Auslandes hat starke Berücksichtigung erfahren
. So werden wir aus der Vereinsamung, in die wir geworfen
sind, erlöst und gewinnen wieder Fühlung mit der
Außenwelt.

Es ist natürlich nicht möglich, eine ins Einzelne gehende
Würdigung des Buches zu geben. Im ganzen darf gesagt werden
, daß die Artikel von einem den wissenschaftlichen Forderungen
gerecht werdenden Standpunkt geschrieben sind. Nur
selten läßt sich eine gewisse Vorliebe für einzelne Richtungen
und Denker beobachten. Das ist wohl unvermeidlich. Wesentliche
Mängel habe ich nicht feststellen können. Vielleicht darf
ich aber doch einige Wünsche für eine spätere Auflage aussprechen
. So scheint mir der französische Naturphilosoph
Buffon eine größere Beachtung zu verdienen. Nicht gebührend
sind meiner Ansicht nach ITamann und Herder berücksichtigt,
der letztere als Geschichtsphilosoph und als Ästhetiker. Ich
glaube auch, daß der Neukantianismus in seinen Hauptvertretern
ausführlicher und eingehender hätte behandelt werden
müssen, vor allem ein Denker wie Ernst Cassirer.

Diese kritischen Anmerkungen sollen aber den Wert des
Geleisteten in keiner Weise herabsetzen, ich möchte vielmehr
mit dem Wunsche schließen, daß uns bald der zweite Band
geschenkt werden möchte.

Halle/S. P. Menzer

Wolff, Joachim: Der Begriff der Offenbarung. Bern: Haupt [1948]. 35 s-

gr. 8°. sfr. 2.50.

In sehr aggressiver Weise setzt sich der Verf. mit Karl
Barths Offenbarungsbegriff auseinander und legt einen eigenen
Lösungsversuch in den Umrissen vor. Was an Barth zu vermissen
sei, sei der Verzicht auf jede Begründung. Er warte einfach
mit der Erklärung auf, daß Gottes Offenbarung in dem
Namen Jesu Christi geschehen und daß die Bibel uns als sein
Wort „zugefallen" sei. Wer nach einer Begründung frage,
richte damit eine Instanz über Gott, bzw. über dem Namen
Jesu Christi auf, was bei dem Namen über alle Namen nicht
gehe. In Wirklichkeit liege aber bei Barth, und bei seiner
These von der uns bloß „zugefallenen" Offenbarung, nur eine,
vermeintlich christliche, Selbstbehauptung und Selbstdurchsetzung
vor, die nach Art des „Existentialismus" fröhlich vom
eigenen Dasein ausgehe und so tue, als müßten sich auch die
Tatsachen danach richten.

Rez. vermißt mit dem Verf. immer wieder eine Rechtfertigung
des Ansatzes und der in Gebrauch genommenen Begriffe
, wenn Barth theologisch zu argumentieren anhebt. Aber
was der Verf. nun seinerseits als Offenbarungsbegriff in Vorschlag
bringt, scheint mir im Grunde nicht über Barth hinauszuführen
, wenn es auch dem religionspsychologisch empirischen
Tatbestände gerechter werden dürfte. Er setzt nämlich
bei der „Tradition" ein, in der uns die evangelische Verkündigung
, schon in Kirchentum und Kultur nahe tritt,
beim historisch Gewordenen also. Diese Tradition prüfe sich
immer wieder am biblischen Kanon auf ihre Legitimität; und
das sei spezifisch protestantisch. Wiederum sei uns die
Bibel kein papierener Papst, sondern wir faßten in ihr,
und mit ihr in der Tradition, das eigentliche Gotteswort in
einem nicht weiter benennbaren — Gott selber habe ja auch
keinen Namen — Sinn und Geist auf, den man mit dem, von
Barth verfemten, Titel der „natürlichen", richtiger noch der
„absoluten", Theologie belegen könne. Nur daß man sich in
der Tat unter ihr nicht ein System „ewiger Vernunftwahrheiten
" vorstellen dürfe! Diese seien selber durchaus „Geschichtswahrheiten
". Vielmehr sei solche „natürliche Theologie
", wie bereits angedeutet, in „formalem", nicht in „mate-
riklem" Sinne zu verstehen; und als Analogie für das Ganze
biete sich — im Rechtsleben"— das'Verhältnis von Verfassung
und Gesetz (vgl. die Bibel), von gerichtlicher Praxis und Ausübung
(vgl. die Tradition) und schließlich von richterlichem
Ermessen samt Billigkeit, Verständnis und Erfahrung dar
(vgl. die „natürliche" bzw. „absolute" Theologie). Man könne

letztere auch mit der „Stimmgabel" vergleichen, die — in der
Tat — ohne Sänger und Orchester nichts für sich selber darstelle
. Zugleich sei mit dem allem gesagt, daß die ewige Wahrheit
nur von einem geschichtlichen Ort aus anvisierbar sei.

Soweit der Verf., dessen geistreicher, und durch
ausgebreitete Belesenheit unterbauter Erörterung der Leser
mit angespanntem Interesse folgt. Aber die „Tradition", die
der Verf. selber nur „beklommen" zum Ausgangspunkt für
den Offenbarungsbegriff nimmt, stellt uns doch nicht weniger
in das, was uns „zugefallen" ist, hinein, als der Verf. es bei
Barth empfindet. Die Bibel als kritischer Kanon wird von
Barth nicht abgelehnt werden und die „natürliche Theologie"
als „Ermessen", als „Stimmgabel", als Visierrohr und Sucher
ist eine im Barthianismus zwar gewiß nicht amtlich zugelassene
, aber bei ihm so wenig wie bei irgendeiner Glaubens?-
richtung, Kirche oder Theologie fehlende Funktion, nämlich
die religiöse Empfindungs- und Denk-, Erlebnis- und Verständnisweise
selber. Aber eben doch nicht die Offenbarung!

Dabei erörtern wir jetzt nicht ausführlich, was der Verf.
selber streift, nämlich daß ihn der Einsatz bei der „Tradition",
wohlgemerkt für das ,,Offenbarungs"verständnis (!) — von Bedeutung
ist Tradition überall, selbstverständlich nicht zuletzt
beim Protestantismus — nahe an die katholische Flur heranführt
, wie denn auch die Analogie mit dem Rechtsleben (!)
(s. o.) sich einer, gewiß nicht gesuchten, Ähnlichkeit mit A.
Möhlers Kritik des evangelischen normativen Bibelgebrauchs
erfreut (vgl. „Symbolik", S. 390). Der Verf. stellt sonst nicht
eben in der Gefahr zu katholisieren, weniger als manches
Barthianertum. Aber das scheint er mir doch nicht wirklich
zu würdigen, daß „Offenbarung" ein Reden und Handeln bedeutet
, das nur seitens des Offenbarenden, und nirgendwo
sonsther, erfolgen kann. Barth seinerseits setzt diesen Tatbestand
in nicht rechter Würdigung der Selbständigkeit von
Erkenntnis, Vernunft und Wissenschaft, mit diesen nicht
eigentlich auseinander — und holt sie dann, täusche ich mich
nicht, hinterher abgestempelt, wieder herein. Aber man kann
sein dogmatisches, wenn auch wohl faktisch zu einer Art
Machtprinzip umgebogenes, Anliegen nicht durch ein religions-
kirchen- und frömmigkeitsgeschichtliches Moment ersetzen.

Den reichlich munteren Ton der Wolffschen Attacke, die
dabei viel Ernsthaftes bringt, die aber, trotz ihrer erheblichen
Schärfe schwerlich übelnehmbar ist, ließe man .sich noch
lieber gefallen — auch Barth ist nicht sanft — wenn die Arbeit
uns noch weiter bringen würde, als sie tut.

Greifswald Rudolf Hermann

Planck, Max: VomWesen derWillensfreiheit. Nach einem Vortrag in der
Ortsgruppe Leipzig der Deutschen Philosophischen Gesellschaft am 27. Nov.
1936. 5., mit der 4. übereinstimmende Aufl. Leipzig: J. A. Barth 1948.
31 S. 8°. DM 1.50.

Mezger, Edmund: Über Willensfreiheit. Vorgelegt am 9. 12. 1944. München
: Verlag der Bayer. Akademie d. Wiss., in Komm, beim Biederstein
Verlag 1947. 28 S. 8°= Sitzungsberichte der Bayer. Akademie d. Wiss.,
Philos.-hist. Klasse. Jg. 1944/46, H. 9. DM 1.80.

Die Physik, seit dem Aufkommen des „exakten" Objektivitätsbegriffes
auch von den Biologen, Psychologen, Soziologen
offen oder insgeheim angebetete oder doch gefürchtete
Garantin der monistisch-kausalen Determination alles Geschehens
, streikt. Sie will für den kausalgesetzlicheu Ablauf
aller Dinge nicht mehr Bürgschaft übernehmen. Sie hält die
bei Annahme der durchgängigen Determination zu behauptende
Berechenbarkeit aller Vorgänge durch die von ihr entdeckten
Quantensprünge für widerlegt. Es gibt Lücken im
Kausalzusammenhang und folglich Raum für Freiheit. Folglich
? Eine großartige Aussicht insbesondere auch für die
Wissenschaft, die durch die Vorherrschaft des kausalmonisti-
schen Denkens in die größte Aporie geriet (absolute Determination
bedeutet streng genommen absolute Unzurechnungsfähigkeit
) : die Kriminalistik.

Indessen weder Planck, der Physiker, noch Edmund
Mezger, der Strafrechtler, sind der Versuchung der Konjunktur
erlegen. Mezger meint sogar, Planck habe „trotz seiner
Quantentheorie am Determinismus des menschlichen Willens
festgehalten, ohne ihn damit freilich seinerseits bewiesen zu
haben" (S. 20). Das trifft zwar auf den Physiker Planck zu,
der sich allerdings über die Sinnlosigkeit jedes Versuchs, die
Willensfreiheit in den physikalischen Lücken anzusiedeln,
klar war. Allein Planck zeigt nun doch, daß neben dem „objek-
tiv*wissenschaftlichen Standpunkt", der sich vom Kausalitätsprinzip
grundsätzlich nicht dispensieren kann, der „subjektivpersönliche
" ebenso „berechtigt" sei — wie auch zwei physikalische
Bezugssysteme und die ihnen entsprechenden Betrachtungsweisen
gleich korrekt und gleich „berechtigt" sein