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Ausgabe:

1950 Nr. 6

Spalte:

356-357

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Klein, Joseph

Titel/Untertitel:

Grundlegung und Grenzen des kanonischen Rechts 1950

Rezensent:

Erler, Adalbert

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 6

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d. h. ihrer prozessualen Funktion, ist nur wenig die Rede. So
wird z. B. das Kampfangebot Dietrichs v. Landsberg im Prozeß
Heinrichs d. Löwen zwar erwähnt, auf seine sehr strittige
Rolle im Gesamtverfahren aber nicht eingegangen. Der dritte
Abschnitt befaßt sich mit der Christianisierung der GU., ihren
Ritualen (auf Grund der Vorarbeit v. Schwerins in den
Heidelberger SB. 1933). und der Mitwirkung der Geistlichen;
aus ihm wird der Kirchenhistoriker manchen Nutzen ziehen
können. Auch der vierte Abschnitt bringt Interessantes vor
allem über die Stellung der Päpste zu den GU. und ihre Wertung
in der Literatur der Aufklärungszeit.

Die Gesamttendenz des Verf.s geht dahin, die GU. als
etwas durchaus Naturgemäßes, als legitime Beweismittel
..uaturnaher" Völker hinzustellen. Dieser Rationalismus kann
zwar manche Einzelheit erklären, aber niemals zu wirklichem
Verstehen führen. Wenn das Erklären und Beschreiben der
Phänomene auch eine notwendige Vorstufe ihres historischen
Verstehens ist, so wird es doch nur fruchtbar, wenn es von
Anfang an auf dieses letzte Ziel hingeordnet ist. Dazu hätte
aber eine ganz andere, vor allem religionspsychologische Vertiefung
gehört. Das unkritische Heranziehen paralleler Erscheinungen
bei primitiven Völkern ist nicht unbedenklich,
und der breit ausgeführte Vergleich des GU. mit dem modernen
Boxkampf (S. 220) streift die Grenze der Wissen-
schaftlichkeit.

Vor allem scheint mir der Begriff des GU. selbst von Anfang
an der scharfen Abgrenzung zu entbehren; so ist der
Zweikampf als solches behandelt, ohne daß die Frage aufgeworfen
wird, ob er ursprünglich nicht ein legalisierter und
in den Prozeß hereingezogener Fehdeakt war. Bedenklich
scheint die Behandlung des Kesselfangs als Judicium aquae.
Eine Reihe wichtiger rechtsgeschichtlicher Fragen ist übergangen
, so das GU. der Schlacht (bataille aramie, mono-
machia), oder Wahl und Mehrheitsentscheid als GU. (noch bei
Dante!). Auch tritt nicht genügend hervor, daß manche Eigentümlichkeit
sich nur aus der konkreten politischen Situation
erklärt, so z. B. die Regelung des Kampfrechts zwischen Engländern
und Normannen unter Wilhelm dem Eroberer. Die
prozessualen Grundauffassungen, von denen N. ausgeht, sind
zumindest zweifelhaft; der ursprüngliche Rechtsgang soll „die
Aufzeigung und Ausscheidung dessen, der Ungenosse geworden
war" bezweckt haben (S. 7); das kann doch höchstens
für das Verfahren gegen Friedlose zutreffen, in dem die GU.
sicher nicht zu Hause waren; vielmehr entstammen sie dem
auf Fehdesühne abzielenden Verfahren, das sich gerade nicht
gegen „Entartete" richtete.

Das Buch enthält ein reiches, aber systematisch nicht genügend
verarbeitetes Material aus weit verstreuten Quellen;
als Vorarbeit für künftige Forschungen wird es einen gewissen
Wert behaupten. Ob der wenig durchgeistigte Stil und der
stellenweise verschwommene Ausdruck einen breiteren Leserkreis
anziehen werden, lasse ich dahingestellt.

München H. Mitteis

Vidier, A. R. and W. A.WhitehOUSe: Natural Law. A Christian Re-con-
sideration, ed. London: S. C. M. Press Ltd. [1946]. 45 S. kl. 8°.

Eine Gruppe christlicher Juristen und Kirchenmänner,
worunter sich Katholiken und Protestanten, Engländer und
„Kontinentale" befanden, hat mehrere Jahre hindurch in
St. Deiniols Library, Hawarden (England) Gespräche über die
Frage des Naturrechtsproblems in christlicher Sicht geführt.

Trotz der verschiedenartigen persönlichen und sachlichen
Anschauungen, Traditionen und Ziele, von denen jeder einzelne
bei seinen Diskussionsbeiträgen geleitet wurde, zeigte
sich ein gemeinsamer Grund theologischer Uberzeugungen,
von dem aus Zusammenarbeit an den unserer Zeit gestellten
Aufgaben des sozialen Lebens möglich ist. Darüber hinaus
ergab sich, daß ein „theonomisches Denken" den Christen im
Gespräch mit den Nicht-Christen hilft, ihre Position klar ZU
machen und wirkliche Gründe für ihr Tun anzugeben. Naturgemäß
hat sich die Diskussion mehr auf die Fragen der theologischen
Fundierung des Rechts im ganzen, als auf einzelne
Probleme der praktischen Anwendung der gefundenen Grundsätze
erstreckt. Insofern sollte nur Vorarbeit für weitere
Gruppen-Arbeit geleistet werden.

In sieben kurzen Kapiteln legt die Schrift Rechenschaft
über den Gang und die Ergebnisse dieser Besprechungen ab.
Dabei wird (I) ein Versuch zur Klärung der außerordentlich
verwickelten und widerspruchsvollen Terminologie der Begriffe
„Naturrecht" und „Naturgesetz" versucht, wofür die
(VII) zusammengestellte „Bibliographie" Hinweise und Belege
bietet. Es wird weiter gezeigt (II), wo und wie die Frage
nach dem „Naturrecht" sich heute stellt: für Theologen, Politiker
, Volkswirtschaftler, Juristen und Pädagogen. Des weiteren
folgt der (im Zentrum des Themas stehende) Versuch
einer Begriffsbestimmung des Naturrechts, die von Christen
in der gegenwärtigen Situation angenommen werden könnte
(III): „The Natural Law is a rule or measure of the righteous-
ness which God demands froin Iiis human creatures". Diese
Definition wird (IV) auf ihre theologische Voraussetzung geprüft
: es ist eben jenes „theonomische Denken", dessen Beziehung
zur Idee des Naturrechts (V) im einzelnen untersucht
wird. Mit einem Ausblick auf seine Anwendungsmöglichkeiten
im Bereich der Politik und der Rechtsprechung (VI) schließt
die Schrift.

Nach dem Prinzip „nou multa, sed multuni" ist hier auf
engem Raum Wesentliches und Notwendiges erörtert, geklärt
und neu zum Gegenstand eines Fragens gemacht worden, das
auch in der deutschen wissenschaftlichen Diskussion im Gange
ist. Von der „comprehensiveness" und „practicability" unserer
englischen Kollegen könnten wir dabei viel lernen.

Freiburg/Br. Erik Wolf

Niesei, Wilhelm: Um Verkündigung und Ordnung der Kirche. Die Be-

kenntnissynoden der Ev. Kirche der altpreuß. Union 1934—1943 hrsg. Bielefeld
: Bechauf 1949. 121 S. 8°. DM8.—.

Es ist gut, daß diese Sammlung jetzt erschienen ist. Sie
beseitigt die Gefahr, daß all diese, wahrlich wichtigen und
entscheidenden Beschlüsse und Worte der Vergessenheit anheimfallen
. (Man bedenke, m welcher Lage und unter welchen
Umständen sie zustande kamen!) Von der besonderen
Seite der Kirche der altpreußischen Union aus wird hier noch
einmal der Kirchenkampf vor uns aufgerollt und in seinem
Wesen klar vor Augen gestellt. Mit Recht weist der Herausgeber
darauf hin, daß diese Beschlüsse nicht nur kir-
chengeschichtliche Bedeutung haben, sondern grundlegende
theologische und kirchenrechtliche Erkenntnisse
enthalten. Da werden die Gemeinden zur klaren Erkenntnis
und zum entschlossenen Bekenntnis des ihnen anvertrauten
Schatzes und der ihnen gestellten Aufgaben aufgerufen, wird
von der Zerstörung und vom Neubau der Kirche gesprochen,
wird der Kampf gegen die deutschchristlichen Irrtümer, Irr-
lehrcr und Gewaltmaßnahmen geführt, auf welchem Gebiet
sie sich immer zeigen. Es wird um die Freiheit der Verkündigung
, der Sakramentsverwaltung und der kirchlichen Ordnung
gerungen, über Finanzgesetze, Finanzmaßnahmen und
Finanzabteilungen des Staates Klarheit geschaffen. Es wird
über die Ausbildung der Prediger des Evangeliums beraten
und gegen die staatlichenEingriffe Stellung genommen. Kirche
und Kirchenleitung sind Gegenstand ernsthafter Prüfung. Die
konfessionelle Frage wird angepackt und über die Bekenntnisse
, die Ordination und die Abendmahlsgemeinschaft werden
wichtige Beschlüsse erarbeitet. Die Frage des Beamten-Eides
wird erörtert und über die Frage der Kollekten Wertvolles gesagt
. Zur Eidesfrage wird den Pfarrern ein wegweisendes Wort
gegeben, der Dienst der Verkündigung durch Frauen in der Gemeinde
geregelt; es wird Pfarrern und Ältesten eine Handreichung
zum 5. Gebot geboten und klargestellt, wie sich
Christen zur Frage des sog. „lebensunwerten Lebens" zu
stellen haben.

Aus dieser kurzen — nicht vollständigen — Aufzählung
geht klar und eindeutig hervor, daß es sich um eine Fülle wertvoller
Erkenntnisse handelt, die bis heute noch lange nicht
Allgemeingut in unserer Kirche geworden, und eine Fülle von
wichtigen Anregungen, die noch lange nicht ausgewertet worden
sind. Es wäre sehr zu begrüßen, wollte man jetzt in Pfarrkonventen
, bei Zusammenkünften der Kirchenältesten, bei
Gemeindeabenden und wo immer es sonst möglich ist, daran
gehen, die vorliegende Sammlung zur Grundlage der Arbeit
und Aussprache über die wahrlich noch heute brennenden
Fragen des kirchlichen Lebens und des Gemeindeaufbaus zu
machen. Wir sind dankbar für diese wertvolle Gabe und empfehlen
sie wärmstens ernster Beachtung und reger Durcharbeitung
in weitesten Kreisen unserer Kirche.

Frankfurt a. M. Wilhelm Fresenius

Klein, Joseph, Prof. Dr.: Grundlegung und Grenzen des kanonischen
Rechts. Tübingen: J. C. B. Mohr 1947. 32 S. 8 = Recht und Staat in Geschichte
und Gegenwart Nr. 130. DM 1.50.

Wie weit ist das Wesen der Kirche mit dem Wesen des
Rechts vereinbar? Seit Rudolph Sohm um die Jahrhundertwende
diese Frage aufwarf (und sie im Sinne der Unvereinbarkeit
beantwortete), ist der Streit über diese Frage nicht
verstummt. Waren die Auffassungen im evangelischen Lager
geteilt, so gab es im katholischen Bereich nur eine Auffassung
, und die war ablehnend. Demgegenüber verdient die