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Ausgabe:

1950 Nr. 6

Spalte:

352-353

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Esser, Kajetan

Titel/Untertitel:

Das Testament des Heiligen Franziskus von Assisi 1950

Rezensent:

Erdmann, Karl Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 6

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parallele Uberlieferungen gibt und H T W mehrfache Notierungen
haben, wäre die Angabe kurzer Stichworte nötig. Damit
wäre zweierlei erreicht: erstens eine wünschenswerte Vereinfachung
des Apparates und seine Beschränkung auf die
Handschriften und Väterzitate (Angaben über Konjekturen
usw. sollten jedoch stehen bleiben), sowie vor allen Dingen
einer vielfach zu beobachtenden kurzschlüssigen Benutzung
des Apparates durch die Studenten Einhalt geboten. Denn
diese sollen ihre Urteile nicht nach der Ansichtvon H T W
ausrichten, sondern nach dem handschriftlichen Befund. Diese
Trennung scheint mir gerade jetzt das Gewiesene, wo an nicht
ganz wenigen Stellen der ursprüngliche Grundsatz für die schematische
Konstituierung des Textes nach HTW verlassen ist.
Denn überall da, wo bis zur 16. Auflage im Apparat bei einer
Lesart das Ur-sPrünglichkeitszeiclien gestanden hatte, ist diese
jetzt in den Text herauf genommen worden. Uber die Zweckmäßigkeit
des Verfahrens soll hier nicht diskutiert werden.
Wenn es aber einmal eingeschlagen ist, sollte die Konsequenz]
nämlich die Heransnahme der Herausgebernotizen und ihre Zusammenstellung
in einer besonderen Liste naheliegen. Jeder,
dem es darauf ankommt, hat dann immer noch die Möglichkeit
, sich mit einem Blick über die Ansichten bzw. den Text
von HTW zu orientieren. Das werden dann vor allem die
Fachleute sein, den anderen Benutzern aber ist der Blick auf
die handschriftliche Überlieferung uneingeschränkt frei.

Die beiden letzten Vorschläge, die hier zu machen sind,
gehen etwas mehr ins Grundsätzliche. Die Kirchenväterzitate
sind bei „Nestle" nach HTW angegeben, mit Ausnahme von
Marcion, Irenaus und Clemens Alex., bei Clemens Alex, ohne
Zweifel auf der Grundlage des Stählinschen Registerbandes.
Ohne die Zuverlässigkeit dieses Bandes irgendwie anzweifeln
zu wollen, muß doch aber gesagt werden, daß in bezug auf die
NT-Zitate bei Clemens weiter zu kommen ist. Das hat sich
jetzt gezeigt, nachdem in der neutestamentlichen Abteilung
der Kommission für spätantike Religionsgeschichte (Kirchen-
väterkommission) der Deutschen Akademie der Wissenschaften
die Arbeiten zur Feststellung des neutestamentlichen
Textes bei Clemens zu drei Viertel abgeschlossen sind. Und
weiter: die von HTW zugrunde gelegten Ausgaben der
Kirchenväter sind zumindest bei den Griechen lange überholt.
Hier liegt für die ersten drei Jahrhunderte das Material nahezu
geschlossen im Berliner Korpus der Griechischen Christlichen
Schriftsteller vor (bei den Lateinern und den Orientalen ist
die Lage, wie bekannt, komplizierter). Sollte es nicht an der
Zeit sein, die Notate aus den Kirchenvätern im Apparat des
„Nestle" einmal gründlich zu überholen ?

Das gleiche gilt für die Angaben aus den Handschriften.
Die neu publizierten Handschriften, vor allem die Papyri, sind
vom Herausgeber in aufopfernder Weise selbst verglichen und
bearbeitet worden. Aber sollte nicht auch für die anderen
Handschriften (vgl. Vorwort S. 12 : „Als Quelle hierfür dienten
mir in erster Linie Tischendorf (ed. octava critica maior) und
v. Soden, da ich nicht selbständig neue Kollationen machen
konnte; daneben habe ich mit großem Dank die Synopse von
A. Huck sowie die Ausgaben von Souter und Vogels zur Ver-
gleichung benützt und einzelne Kommentare, besonders Hahn
und sonstige Literatur beigezogen") diese Kollation nachgeholt
werden ? Zwar ist man in Amerika und in England jetzt
dabei, das gesamte Material neu zu sammeln, zum Endzweck
einer Neuausgabe des griechischen NT, welche die von Legg
fortführen, oder besser gesagt, ersetzen soll. Jedoch abgesehen
davon, daß die Sammlung alles Materials lange Zeit in Anspruch
nehmen wird, ist aus mancherlei hier nicht zu diskutierenden
Gründen nicht zu erwarten, daß sie geeignet sein
wird, den „Nestle" zu ersetzen oder zu verdrängen. Sollte
nicht, selbstverständlich in Zusammenarbeit mit dem amerikanisch
-englischen Komitee, mit welchem die Kirchenväterkommission
seit längerer Zeit in Verbindung steht, der
Versuch einer Kontrolle aller Angaben des Nestle-Apparates
an Hand der in großer Zahl vorliegenden Handschriftenpublikationen
bzw. an Hand von Fotos unternommen werden ?
Das sind sicher beides weitgesteckte Ziele, aber ich möchte
meinen, daß sie nicht unerreichbar sind. Zwar ist die Zahl
derer in Deutschland, die an der Arbeit der neutestamentlichen
Textkritik aktiv mitzuwirken bereit und imstande sind, klein
geworden. Aber ohne Zweifel fänden sich Helfer, die willens
wären, dem verehrten und hochverdienten Betreuer des
„Nestle" hilfreich zur Seite zu treten. Etwa die neutestament-
liche Abteilung der Kirchenväterkommission möchte ich
meinen, besäße nicht nur die Voraussetzungen für eine solche
Arbeit, sondern würde sie sich sogar zur vornehmen Pflicht
rechnen.

Einige Winzigkeiten, die sich bei der bisherigen Benutzung der 19. Aufl.
ergaben, als Nachtrag: Bei Joh.5, 2 muß es statt x-ßga zweimal x-0"^a

(xo).vfißrjfrya) heißen. Bei Luk. 13, 21 ist bei evexpvyev Clem. Alex, fälschlich
als Zeuge angeführt. Gedacht ist dabei offensichtlich an Strom. V, 80,
8; hier ist aber Matth. 13, 33 gemeint. Einige Druckfehler bei den Parallelstellen
am Rande: Matth. 11, 25 ist die Angabe 19, 42 so nicht verständlich
; bei 18, 6 lies Ap. 18, 21; bei Act 20, 28 sind die Parallelstellen nicht
Luk. 20, 32 sondern 12, 32 zu finden; bei 2 Petr. 1, 1 lies Act. 11. 17; bei
Apok. 12, 14 und 13, 5 stehen die Parallelstellen nicht 12, 2 sondern 11, 2.
Halle/Berlin Kurt Aland

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Eßer, Kajetan, P. Dr., OFM: Das Testament des heiligen Franziskus
von Assisi. Eine Untersuchung über seine Echtheit und seine Bedeutung.
Münster: Aschendorff 1949. XIX, 212 S. gr. 8° = Vorreformationsge-
schichtliche Forschungen Bd. 15. DM 14.50.

Unter den Schriften des Franziskus von Assisi kommt
dem Testament eine besondere Bedeutung zu. Die SpiritUalen
haben sich in ihrem Kampf um das echte geistige Erbe des
Heiligen immer wieder gerade auf das Testament berufen,
dessen Forderungen in mancher Hinsicht radikaler sind als die
der regula bullata. Es ist daher nicht verwunderlich, daß seit
dem Augenblick, in dem man begann, Leben und Werk des
Ordensgriinders wissenschaftlich zu erforschen, der Gedanke
wiederholt erörtert wurde, ob nicht das Testament als eine
Fälschung angesehen werden müsse. Die biographischen Probleme
, die sich aus dem Widerspruch mancher Testamentsforderungen
mit früheren Äußerungen des Franziskus ergaben,
schienen sich auf diese Weise am leichtesten lösen zu lassen.
Gegen die Zweifel an der Echtheit, die zuerst Karl Hase und
Ernest Renan äußerten, hat sich jedoch, namentlich dank der
Arbeiten von Sabatier und Goetz, allgemein die Auffassung
durchgesetzt, daß das Testament als eine echte Schrift zu
gelten habe. In den beiden bisher veranstalteten kritischen
Franziskusausgaben (L. Lemmens und H. Boehmer) fand daher
auch das Testament seinen Platz. Aber welches war seine
ursprüngliche Gestalt ? Die Herstellung eines kritisch gesicherten
Textes stand vor der besonderen Schwierigkeit, daß
aus dem 13. Jahrhundert nur eine Handschrift bekannt ist, daß
aber die breitere Uberlieferung, die im 14. Jahrhundert mit
15 bekannten Handschriften einsetzt, sofort eine außerordentliche
Mannigfaltigkeit der Textvarianten aufzeigt. Wenn die
Franziskusforschung auf sicherem Grund aufbauen wollte,
war es daher eine dringende Aufgabe, die über Lemmens und
Boehmer hinaus zu tun blieb, eine möglichst vollständige Bestandsaufnahme
der gesamten Uberlieferung durchzuführen,
eine Filiation der Handschriften zu versuchen, um auf einer
solchen breiten Basis die umstrittenste Schrift des Franziskus
zunächst einmal textlich zu sichern. P. Kajetan Eßer von der
Duns Scotus-Akademie in München-Gladbach hat sich dieser
Aufgabe unterzogen. Seine Untersuchung geht von einer in
der bisherigen Franziskanerforsclmng nicht herangezogenen
Fülle des handschriftlichen Materials aus. Es ist als ein methodisch
besonders ergiebiger Griff zu erachten, daß der Verf.
neben den Handschriften Franziskuszitate aus der Literatur
des 13. und 14. Jahrhunderts heranzieht, die es ihm ermöglichen
, die breite Lücke zwischen dem Tode des Franziskus
und dem Beginn der volleren Textüberliefcrung im 14. Jahrhundert
zu überbrücken. Das Material ist in überzeugender
Weise philologisch und historisch-kritisch verarbeitet und gestattet
es dem Verf., am Schluß des ersten Teiles seiner Abhandlung
einen Text des Testamentes vorzulegen, auf den in
Zukunft alle Franziskusforschung sich wird beziehen müssen.
Der Eßersche Text bestätigt übrigens die außerordentliche
Qualität des Boehmerschen Textes, der trotz des geringen
Materials, das ihm zugrunde lag, nur an elf Stellen der Korrektur
bedurfte.

Der zweite Teil der Abhandlung befaßt sich mit der Bedeutung
des Testamentes. Nachdem Name, Entstehungszeit,
Entstehungsweise erörtert und eine Analyse des Aufbaus und
ein Vergleich mit anderen Schriften des Franziskus durchgeführt
worden sind, gibt das letzte Kapitel eine Interpretation
des Testamentes. Es zeigt sich, daß das Testament nicht in
jedem Falle gegenüber der regula bullata die strengere Forderung
vertritt. Wenn in der Regel geboten war, daß die Brüder
sich nichts aneignen sollten, „nicht Haus, nicht Grundstück,
noch irgendeine Sache", so wird im Testament der Bau von
einfachen Klöstern und Kirchen gestattet. Franziskus hat also
in diesem wichtigen Punkte der Entwicklung des Ordens Rechnung
getragen. Wie wenig begründet die weit vertreitete These
ist, daß Franz gegen Ende seines Lebens in Opposition gegen