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Ausgabe:

1950 Nr. 6

Spalte:

348-349

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stauffer, Ethelbert

Titel/Untertitel:

Christus und die Caesaren 1950

Rezensent:

Preisker, Herbert

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 6

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Tatsächlich vermag H. das Urteil 6, 13a (auch die xoiXia hätte doch Gott geschaffen
) nicht zu begründen, so interessant sein Hinweis (S. 48) darauf ist,
daß hinter der libertinistischen Einschätzung der xoikia mißverstanden die
paulinische Anschauung stehe, die wir aus Rom. 14, 17a kennen. Der Oedanke
, daß man nicht gleichzeitig zwei acoftara angehören könne (S. 48), der
eine Anspielung auf das Abendmahl überhaupt erst erwägenswert machen
würde, liegt in 6,16f.,wieder Gegensatz aäfialTivevfia zeigt, gerade nicht vor;
auch auf 6, 15 wird man ihn nicht stützen können. H. hält es überdies für
wahrscheinlich, daß bei den Dirnen an Hierodulen (in einem Tempel der
Aphrodite) zu denken sei. — In 7, 1 sieht er(S. 51), auch des xalov wegen,
eine unmittelbare Bezugnahme auf Oen.2, 18: „pour le chrttien, membre
de l'eglise, Ia solitude du premier Adam n'existe plus". Andererseits soll 7, 2
die Gültigkeit allein der Einehe festlegen wollen; doch liegt der Ton stärker
als auf eavtov noch auf i%itü> (im Sinn von 7, 3). Im übrigen gehört die Auslegung
von Kap. 7 (S. 50—62) zu den am besten gelungenen Teilen des Kommentars
. — 8, lb hält H. (S. 64) für einen Zusatz, den entweder Sosthenes
als Schreiber des Briefes A (S. 15) oder ein späterer Leser in Erinnerung an
5, 2 eingefügt haben soll. — Aus 9, 4 schließt H. (S. 71), daß Paulus die Matth.
10, 9—14 vorliegende Tradition nicht gekannt haben könne (zu 9, 14 äußert
er sich S. 73 nur kurz). 9, 5 hält H. (S. 71 Anm. 1) für ein ernsthaftes Argument
gegen die volle Echtheit der Anweisungen Matth. 10, da dort die Möglichkeit
einer Mitnahme der Frau nicht erwähnt sei. Jedoch: auch bei Echtheit
der betreffenden Logia wären Petrus und die anderen Apostel bei ihrer
Missionsarbeit im 6. Jahrzehnt schwerlich an die Bestimmungen für die Aussendung
Matth. 10 gebunden gewesen. — Zu 9, 12 stellt H. fest, daa.v/nwv in
rjjs ificöv egovolas kaum ein gen. obj. sein könne. Er nimmt daher an, daß
es ursprünglich ovoias geheißen habe und die Lesart e$oi>oias unter dem Einfluß
des folgenden Satzes entstanden sei. ovaia kommt bei Paulus sonst allerdings
nicht vor und bezeichnet in dieser Zeit meist den Landbesitz. — Zu 10, 4
stützt sich H. auf Philos Deutung des Felsens Ex. 17, 6 auf die göttliche
Weisheit (Leg. All. II 21; Det. Pot. Ins. 31) und meint, daß Paulus wie auch
sonst lediglich Christus an die Stelle der Weisheit gesetzt habe (S. 79f.). —
Dem Plur. almvee 10, 11 will H. (S. 81) den Wert eines Dual beilegen. Es handle
sich um den alten und den neuen Äon, die sich mit ihren Spitzen (bouts, ex-
tr£mltes) berührten. Es ist jedoch zu bezweifeln, daß reXos sowohl fin wie
d6but heißen kann; auch ist fraglich, ob irgendwo im NT der Äonenwechsel
vom Jüngsten Tag fortverlegt ist. — Die Zahl 23000 in 10, 8 möchte H. (S. 82)
daraus erklären, daß die Buchstaben tos, die Abkürzung von teooaQts hätten
sein sollen, später als iget* aufgelöst worden seien. Kontraktionen dieser Art
konnten jedoch von den Schreibern nicht beliebig vorgenommen werden, und
es waren daher nur solche üblich, die unmißverständlich waren. — Zur Erklärung
von 10, 16 will H. (S. 85) davon ausgehen, daß der Geist des erhöhten
Christus in der Kirche als seinem Leibe die Rolle des Blutes spiele (vgl. noch
S. 101 f.). Nur nachträglich entnimmt er 11, 24 die Feststellung, daß der Ausdruck
„Blut" es mit dem Tode Jesu zu tun habe. In 10, I7a will H. auch
eis äptos als Prädikatsaussage verstehen, zumal die Korinther ja auch in 5, 7
mit ungesäuerten Broten verglichen würden (er übersetzt: „car nous sommes
un seul pain, un seul corps, tout en formant une multitude"). — Die Überlieferungen
11,2 habe Paulus in Damaskus kennengelernt (S.90); ebenso
urteilt H. über 11,23 (S. 100) und 15, 3ff. (S. 134). Er wird recht haben.
Nur wird für diese Frühzeit in Damaskus keine wesentlich vom Kerygma der
Urgemeinde abweichende Tradition zu erwarten sein (Trägerin eines judenchristlich
-hellenistischen Kerygmas im Sinne Bultmanns wäre die Gemeinde
von Damaskus nicht). — Dem Abschnitt 11, 2—16 widmet H. (S. 91—96) sehr
sorgfältige Untersuchungen. Zu 8ö!-a 11,7 akzeptiert er die These Ginsburgers
, es liege ein Schreibfehler für Söyfia (== Kopie = bfioiioois Gen. 1,26)
vor. — In CTtl tb avrö 11,20 sieht H. (S. 98) ein Synonym zu Iv exxXrjoia 11,18
in der Bedeutung „pour former un seul corps".— Zu tb inep ificöv 11, 24
stellt H. (S. 101) fest, daß, wenn nur an die Austeilung des Brotes gedacht
wäre, der Dativ vfclv genügt hätte, und schließt daraus, daß die Bedeutung
nur ,,donn6 en votre faveur, pour votre salut" sein könne (es ergibt sich dies
aber bereits dadurch, daß die Wendung sich auf oa>fia bezieht und nicht auf
das Brot). H. folgert weiter, daß Paulus wahrscheinlich in dem Brechen des
Brotes einen Hinweis auf den Tod Christi gesehen habe. Eine nähere Begründung
für diese Kombination gibt er nicht (auf die sekundäre Lesart xXcöfievov
nimmt er nicht Bezug). Noch weniger leuchtet seine Bemerkung (ebd. Anm. 3)
ein, daß schon Jesus selbst beim letzten Mahl dem Zerbrechen des Brotes
diese Bedeutung beigelegt haben könne, da er ja damit habe rechnen können,
zur Steinigung verurteilt zu werden. Wo sollte hierbei das tertium compara-
tionis liegen? ■—• Einen Widerspruch zwischen 11,5 und 14, 33ff. sieht H.
nicht (S. 130). Allen Fragen, die wie z. B. die Stellung der Frau im Gottesdienst
von aktueller Bedeutung sind, behandelt er besonders sorgfältig und
sucht in solchen Fällen zu zeigen, an welchem Punkt jeweils die Verbindlichkeit
der paulinischen Aussage liegt. — Mit Entschiedenheit vertritt H. die Auffassung
, daß Paulus eine Auferstehung der Nicht-Erwählten gar nicht kenne.
Dies ist bereits der Grund, warum er in 6, 2 xoofios auf die Engelwelt bezieht
und 6, 3 für eine Wiederholung von 6, 2 im Sinne des Parallelismus membro-
rum hält (S. 43f.). Vor allem in der Auslegung von Kap. 15 (z. B. S. 139f.,
148, 151) wird die genannte These näher ausgeführt. Es ist anzunehmen, daß
sie starken Widerspruch finden wird. Ist es Zufall, daß H. gleichzeitig dem
Apostel seltsam übersteigerte Aussagen über die Tragweite der Zugehörigkeit
der Erwählten zum Leibe Christi zuschreibt? Hierher gehört auch, daß er
in 15, 49 sich für (popeawfiev entscheidet (S. 149; irrtümlich wird auch B als
Zeuge für diese Lesart angeführt) und es als sachgemäß empfindet, daß die

Christen „par anticipation" bereits als ijiovqavioi gelten können (entsprechend
bezieht er 15, 45b nicht auf die Parusie, sondern auf die Inkarnation).

Hoffentlich haben diese ausgewählten Beispiele einen Eindruck
davon vermitteln können, wie vielseitig und selbständig
der Kommentar von H. ist. Ein Vergleich mit der etwa gleichzeitig
erschienenen 4. Auflage von Lietzmanns Auslegung der
beiden Korintherbriefe drängt sich auf. Dort ist die Behandlung
des 1. Kor. bei etwas kleinerem Umfang doch, vor allem
bei Einbeziehung des Anhangs von W. G. Kümmel, wesentlich
reichhaltiger, was die textkritischen, philologischen und exegetischen
Materialien und die Einführung in die wissenschaftliche
Diskussion betrifft. Vor allem sind die Proportionen
etwas ausgeglichener. Bei H. erfahren viele Abschnitte eine
etwas kurze Behandlung. Er war dazu wohl genötigt, weil er
Raum für die ihm wichtiger erscheinenden Abschnitte gewinnen
wollte. Bei diesen vermag er dann eine eindringende
Interpretation zu geben. Aber auch in den anderen Teilen erweist
sich H. als kenntnisreicher und anregender Ausleger.
Von seiner weiteren Mitarbeit am CNT wird man sich daher
viel versprechen, und dem ganzen Unternehmen ist ein guter
Fortgang zu wünschen.

Versehen wie das Fehlen der Versziffer in der Übersetzung von 16, 9
oder die Wortbildung y ilovt.ixels statt (pt-Xöveixoi (S. 96) sind selten. Druckfehler
finden sich, sind aber nicht zahlreich und betreffen kaum die Graeca.
Dagegen mag, da dieser Übelstand weit verbreitet ist, erwähnt sein, daß auf
S. 59—103 überall korrekt das Schluß-Sigma angewandt ist; auf den Seiten
davor und danach tritt es dagegen sehr selten auf und ist vielmehr durch ein
Stigma ersetzt.

Bern Wilhelm Michaelis

Stauffer, Ethelbert: Christus und die Caesarea. Historische Skizzen.
Hamburg: Wittig 1948. 335 S. 8°. Kart. DM7.50; geb. DM8.80.

In diesem schön ausgestatteten Band faßt St. 16 historische
Skizzen zusammen, die er früher in Zeitschriften veröffentlicht
oder als Vorträge gehalten hat. Die Beiträge sind
lebendig und anschaulich geschrieben — mitunter etwas zu
feuilletonistisch, dabei manchmal zu betont modern und kraß
im Ausdruck (z. B. S. 66, 208) —und geben bald glitzernde, bald
hell leuchtende Bilder zu den einzelnen Lebens- und Problemkreisen
. Verdienstvoll ist besonders die reich herangezogene
Münzforschung; hier bietet St. manche plastische Illustration
und Erklärung und belebt seine Darstellung aufs beste. Daß
ihm dabei nicht alle Kapitel gleich gut gelungen sind, weiß er
selbst. So wirft er im ersten Kapitel das Mythos-Problem auf,
ohne aber mit seinem Schluß eine Lösung zu geben. Oder ich
frage: sind die Menschensohnworte Jesu so sicher Selbstinterpretation
Jesu, wie es Verf. hinstellt ? (S.28). Manche Charakteristika
, von einzelnen extremen Tatsachen ausgehend, nuancieren
gelegentlich zu einseitig das Gesamtbild, so z. B. im
Urteil über Seneca (S. 150). Auch sonst bietet St. oft kühne,
unbeweisbare Kombinationen, z. B. S. 124 (Ansetzen des Zensus
) und S. 146 (Jesu messianische Proklamation beim Zinsgroschen
). Bedauern möchte ich, daß er Paulus, den Pueu-
matiker, so wenig zur Geltung kommen läßt. Das Kapitel
„Lüge und Wahrheit", das die Frage stellt, warum das Christentum
über seine Gegner in der antiken Welt gesiegt hat,
und von den Antworten der historischen Wissenschaft ausgeht,
wird doch den wissenschaftlichen Ergebnissen nicht ganz gerecht
. Die historisch fundierten Antworten, die gegeben wurden
unter Hinweis auf die geistigen Leistungen, nicht zuletzt
im dogmatischen Ringen, und unter Hinweis auf die ethischen
Eigenwerte und Leistungen auf dem Boden einer neu sich
bildenden Gemeinschaft, sind ganz übersehen. Gelegentlich
läßt Verf. historisch-kritische Urteile zurücktreten hinter glaubensmäßig
-intuitiver Schau; es fehlt dann die vervollkommnende
Synthese von beiden. Aber auch diese Einwendungen
sollen dem Wert des Ganzen nichts nehmen.

Neben solchen und ähnlichen Fragezeichen, die man
setzen muß, soll doch nicht übersehen werden, was an Trefflichem
geboten wird. Ich weise nur hin auf die ausgezeichnete
Schilderung der politischen Adventsbotschaft S. 361L, auf die
lebensvolle Zeichnung der Situation um Cleopatra, Caesar,
Antonius, Augustus (48—76), das Kapitel über den Zins-
groschen (wenn auch in manchen Einzelheiten anfechtbar), die
Darstellung eines Domitian und seiner Zeit (161 ff.), die Charakteristik
eines Akiba (222ff.), um nur einiges besonders gut
Gelungene herauszugreifen.

Unter dem gleichen Titel „Christus und die Caesaren" hat
einst Bruno Bauer im Jahre 1877 den Ursprung des Christentums
aus den Kräften der hellenistisch-römischen Welt erklären
wollen. Stauffer läßt eine breitere Öffentlichkeit sehen,