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Ausgabe:

1950 Nr. 1

Spalte:

15-24

Autor/Hrsg.:

Söhngen, Oskar

Titel/Untertitel:

Zur Theologie der Musik 1950

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 1

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Teil noch eine Aufgabe der Zukunft. Außerdem müssen nun
noch auf mancherlei Gebieten, besonders für verschiedene Gelegenheiten
im Kirchenjahr, die Formen gefunden werden, die
ähnlich wie in der Gemeinschaftsmesse bei aller Schonung der
amtlichen Liturgie das rechte Mitgehen der Gläubigen ermöglichen
. Auch für den im weiteren Umkreis der Liturgie liegenden
Bereich der Nachmittagsandachten in der Volkssprache
sind Verbesserungs- und Vereinheitlichungsvorschläge gewünscht
worden. Ein deutsches Schwestern- (und Laien-)
Brevier, das in losem Anschluß an das Breviarium Romanum
dem Kirchenjahr folgt und das eine neue, für den gottesdienstlichen
Gebrauch geschaffene Ubersetzung der Psalmen verwendet
, steht vor seiner Vollendung. Im übrigen handelt es
sich ja nicht mehr um ein stürmisches Vorwärtsdrängen, als
vielmehr darum, daß das Gewonnene sich im Leben der Gemeinden
durchsetzt, also um die ruhige Kleinarbeit, die im
stillen geschieht. So wird z. B. vieles, was in den letzten Jahrzehnten
mühsam gewonnen wurde, im heutigen Religionsunterricht
schon als selbstvertändlicher Besitz an die junge
Generation weitergegeben, wie zahlreiche katechetische Veröffentlichungen
, Skizzen, Lehrpläne erkennen lassen.

Auch für die Liturgiewissenschaft ist durch das Rundschreiben
eine günstige Atmosphäre geschaffen. An mehr als
einer Stelle des Schreibens ist ihre Arbeit dankbar anerkannt
(n. 4. 61. 93). Im Vordergrund steht noch immer die von Odo
Casel und seinen Maria Laacher Freunden vertretene These
vom Kultmysterium, die das Wesen aller Liturgie darin erblickt
, daß das Heilswerk Christi im Kult der Kirche gegenwärtig
werde. Die Diskussion über den Sinn, in dem eine
solche Gegenwart angenommen werden kann, die durch das
Eingreifen von Gottlieb Söhngen eine starke Belebung und
Förderung erfahren hat, ist in ein ruhigeres Fahrwasser eingetreten
, das durch zusammenfassende Studien gekennzeichnet
wird1. Ein zweiter Fragenkreis betrifft den Mahlcharakter

*) Th. Filthaut, Die Kontroverse über die Mysterieniehre, Warendorf

der Eucharistie, die Frage, in welchem Verhältnis Opfer und
Mahl stehen und inwieweit bei allem Festhalten am Opfercharakter
der Eucharistie, auf den Ritus gesehen, das Mahl
als Grundgestalt gelten könne1.

Im übrigen gehen in aller Stille die geschichtlichen Arbeiten
weiter. Das Jahrbuch für Liturgiewissenschaft wird im
„Archiv für Liturgie Wissenschaft" eine Fortsetzung finden.
Die Beuroner „Texte und Arbeiten" sind in den letzten Jahren
um mehrere Nummern vermehrt worden, zuletzt durch die
Ausgabe des Prager Sakramentars, das von Alban Dold als
eine zweite Form des bisher in einer einzigen Handschrift bekannten
Altgelasianums erwiesen wurde2. Eine zusammenfassende
geschichtliche Darstellung der Entwicklung der Meßliturgie
hat der Referent im vergangenen Jahr vorlegen können3
. Eine Sammlung von Einzelstudien deutscher und ausländischer
Liturgiker liegt vor in dem kürzlich erschienenen
ersten Band der „Miscellanea Liturgica in honorem L. Cuni-
berti Mohlberg"4, die dem verdienten Maria Laacher Gelehrten
zum 70. Geburtstage gewidmet werden.

1947. — Hieher gehören auch die Vorträge auf dem Internationalen Liturgischen
Kongreß zu Maastricht 1946, über die das ..Verslagboek" (Maastricht
1947) berichtet. Sie sind in den Hauptlinien auch wiedergegeben durch E. Dek-
kers in „Liturgie und Mönchtum" 1949, 3. Heft (umpaginierter Sonderabdruck
).

') R.Guardini, Besinnung vor der Feier der heiligen Messe, 2. Teil,
Mainz 1939; J. Pascher, Eucharistia. Gestalt und Vollzug, Münster 1947.
Vgl. dazu meine Bemerkungen: Stimmen der Zeit 143 (Jan. 1949), 310—312.

2) Das Prager Sakramentar. II. Prolegomena und Textausgabe hrsg. von
Alban Dold und Leo Eizenhöfer (Texte u. Arbeiten 38/42), Beuren 1949.

') J- A. Jungmann, Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der
römischen Messe. 2 Bände, Wien 1948. — Eine zweite, durchgesehene Auflage
ist soeben erschienen (1949).

4) Rom 1948. Es sind zwei weitere Bände angekündigt.

Zur Theologie der Musik1

Von O. Söhngen, Berlin

Mit Recht meint Rene H. Wallau, Pfarrer in Frankfurt
a. M. und verdienstlicher Förderer der ökumenischen Bewegung
wie der evangelischen Rundfunkarbeit, daß die praktische
Bedeutung, die die Musik im Leben der Kirche erlangt
hat, eigentlich schon längst nach einer Sicherstellung des
reichen Erbes, nach einer Lösung der Frage nach dem theologischen
Problem der Musik verlangt hätte. In Anknüpfung
und zugleich ständiger kritischer Auseinandersetzung mit Edmund
Schlinks in der Sammlung gemeinverständlicher Vorträge
1945 bei J. C. B. Mohr veröffentlichter Studie „Zum
theologischen Problem der Musik", deren methodischen Ausgangspunkt
bei der platonischen Musiklehre er für verfehlt
hält, entwickelt er darum die Grundzüge einer Morphologie,
einer Gestaltlehre der Musik unter theologischem Gesichtspunkt
. Sein Buch gliedert sich entsprechend in zwei Hauptabschnitte
„Zur Phänomenologie der Musik" und „Zur „Theologie
der Musik", denen ein längeres Kapitel über die liturgische
Funktion der Musik (mit reichen praktischen Vorschlägen
und Erörterungen) angefügt ist.

Musik ist ihrem Wesen nach ein Bewegungsvorgang geistiger Art, der sich
als ein AbbHd oder Gleichnis der Bewegung des Lebens darstellt. Daraus resultiert
ihre Lebensnähe und ihre Bedeutung für das Erziehungsleben. „In irgendeiner
Weise muß die Musikalität als Empfindung für das Wesen musikalischer
Bewegung in jedem Menschen angelegt sein. Sie ist eine von Gott uns gegebene
Anlage" (S. 18). Die Elemente der Musik sind Rhythmus, Melos und Harmonie
, wobei die Melodie primär das Moment der Freiheit, die Harmonie das
Moment der Ordnung und gesetzmäßigen Form verkörpert. Der musikalische
Bewegungsvorgang wird durch einen geistigen willensmäßigen Impuls ausgelöst
, dessen Tendenz ihm vorgegeben ist und ihn in Spannung und Entspannung
begleitet (die „tendenzgeladenen Bewegungsvorgänge" Ernst
Kurths). Der Musik kommt eine spezifische Ausdruckskraft zu, die ihr „psychoanalytische
" und „therapeutische" Bedeutung verleiht: als den Menschen in
der Gesamthaltung seines Lebens ergreifende Macht vermag sie „Gefühls-
zustände der menschlichen Seele auf das nachhaltigste zu beeinflussen, hervor-

') Wallau, Rene H.: Die Musik in ihrer Gottesbeziehung. Zur

theologischen Deutung der Musik. Gütersloh: Bertelsmann [1948]. 139 S.
kl. 8°. Pp. DM4.80.

Müller, Alfred Dedo, Prof. D. Dr.: Musik als Problem lutherischer

Gottesdienstgestaltung. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt [1947]. 32 S.
8°. DM 1.80.

zurufen oder zu überwinden, Seele aufzuschließen und in ihr wirksam zu werden
" (S. 23). „Der Mensch wird zu sich selbst geführt, erkennt die tiefen und
komplexen Möglichkeiten seiner seelischen Existenz, findet sie plötzlich geordnet
, aufgelichtet, geklärt, lernt Lebensregeln in sich begreifen, die ihm seither
nicht recht bewußt waren oder sein Dasein unerkannt überschatteten"
(ebd.). Weil das so ist, kann die Musik Trägerin menschlicher seelischer Inhalte
werden. Trotzdem das Wort gegenständlich bezogen ist, während der Ton
in einer allgemeinen geistig-seelischen Bewegtheit ohne gegenständliche Differenzierung
verharrt, vermögen Wort und Ton, Sprache und Klang gerade
durch ihr Wesen miteinander in polare Verbindung zu treten: beide wenden
sich an das Ohr, beide haben zeitliche Ausdehnung und beide haben ihre besondere
Aufgabe im Bereich des Geistigen. „Die Sprache ist unmittelbar zum
Gedanken, die Musik unmittelbar zum Fühlen. Verbinden sich beide, dann vermögen
sie aufs nachhaltigste das Willensleben zu beeinflussen. Erkenntnisse des
Fühlens, der Seelengehalt der Dinge ohne gegenständliche Beziehung werden
unmittelbarer durch den Ton erfaßt. Aber der ganze seelische Gehalt des
Wortes vermag weniger durch die Sprache als durch die Musik zur Erscheinung
herausgehoben zu werden" (S. 28). Wallau redet darum von einer „verseelenden
Kraft der Musik der Sprache gegenüber", die die seelische Qualität der
Sprache aus verborgener Tiefe hebe und sie erfahrbar mache. „So ist die Musik
eine Sprache, die vermöge ihrer verseelenden Kraft unter Umständen klarer
und eindrucksvoller zu sprechen vermag als das Wort" (S. 30). Der geistige
Charakter und die eigentümlich subtile Form der Sinnlichkeit des musikalischen
Ausdrucks gerade sind es gewesen, die von jeher der Musik ihren Anteil
am kultischen Leben gesichert haben.

Anschließend entwickelt Wallau eine Musikphilosophie des musikalischen
Kunstwerks. Dieses gehorcht als Bewegung von Tönen zwei Gestaltungsprinzipien
, dem Gesetz der Ordnung und dem Spiel der Freiheit: „Zunächst leiten
den Komponisten nur die Notwendigkeiten rein musikalischer Formung seines
thematischen Einfalls nach dem Gesetz der Ordnung. Hierbei schwingen in die
Arbeit hinein bestimmte Zuständigkeiten seiner seelischen Verfassung, seines
existentiellen Bewußtseins, seines Verflochtenseins in Schicksal und Welt,
seines Denkens und Glaubens. Daneben ist jeder Komponist aber auch ein Gehorchender
, der vom Wesen der Musik, von der ihr innewohnenden Bewegungstendenz
, also von einem außerhalb seines Bereichs befindlichen Zentrum ergriffen
und geführt wird, ähnlich wie der Prophet von dem Offenbarungswort
Gottes, das nicht sein eigenes ist und doch sein eigenes werden muß, ergriffen
wird" (S. 33). Piatos Musiklehre mit ihrer Gründung in der Welt der Mathematik
und ihrer kosmischen Ausweitung verrät eine „reichlich starre und rationale
" Einstellung zum Phänomen der Musik: „Gerade das, was uns heute die
Musik bedeutet, eine Kraft, die die Seele des Menschen ergreift und bis in ihre