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Ausgabe:

1950 Nr. 6

Spalte:

335-342

Autor/Hrsg.:

Fendt, Leonhard

Titel/Untertitel:

Zur Liturgiewissenschaft 1950

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 6

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gangenheit zu und klärt in wiederum feiner Analytik, wie letztlich immer
wieder ein „Nichts jeglichen Seins" die Folge, vielleicht auch schon den Ausgangspunkt
des Denkens bildet. Nur die Tatsache des Seins meiner selbst
stehe im Widerspruch zum Leben-müssen und Nicht-Ieben-können (S. 18—19).
Der dritte Teil führt dann auf den Höhepunkt. Hier wird das „schreckliche
Dunkel", das Sein in der dämonischen Gebundenheit ganz nahe an das höchste
Sein Gottes herangerückt und an den Jahwe-Namen des Seins selbst erinnert.
Der Verf. meint, daß unter den gewaltigen Schatten dieses Seins sich jenes
Dunkel „in sich selbst verwandelt" —, und „zwar nicht in der Breite der
menschlichen Gesellschaft, wohl aber in deren Tiefe". Ist's eine Hoffnung, —
ist's wirklich schon mehr? — Wer wollte dies mit Sicherheit sagen. Zuletzt
weist der Verf. darauf hin, daß der Mensch solche Grundsituation, wenn er redlich
ist, kaum bestehen könne und daher solche jüngste Konzeption des Denkens
in unserem abendländischen Dasein zu Jesus hinführe als dem Einzigen,
der Antwort gebe, ja „die rettende Antwort der Wahrheit" selbst sei. So könne
die „Gnade des Seins" neu erfaßt werden. Das philosophische Bemühen hat
hier den Ausdruck eines Präludiums erhalten, einen neuen Ancilla-Charakter
in gutem, innerlichem Sinne. So durchleuchtet die Schrift kundig und überlegen
die Glaubenssituation der Gegenwart und bedeutet einen wertvollen
Aufriß, der die echten Tiefen und Dämonien wie auch die einzige echte Entwirrung
und Hilfe zeigt.

Allgemeinverständliche Gedanken und Anregungen legt
der Freiburger Domkapitular Wilhelm Reinhard1 vor.

Er gibt dem gesamtchristlichen Anliegen, das sich in der Gegenwart
immer stärker Raum schafft, energischen Ausdruck, die Dinge des öffentlichen
Lebens nicht sich selbst zu überlassen, und appelliert eindrücklich und kraftvoll
an die Christen, sich von allem Denken in eigengesetzlichen Bahnen frei
zu machen, und ernsthaft zu einem ganzheitlichen Denken im Zeichen einer
christlichen Initiative und Aktivität zurückzukommen. Für das Gebiet des
Staates, der Schule, der Kultur, der Sittlichkeit, der Wissenschaft u. a m.
führt er dies durch und sieht in einer solchen Wende mit Recht das Abendland
vor einer ganz großen Entscheidung stehen, vielleicht „vor der folgenschwersten
seiner Geschichte". Die mahnende Darlegung im Lichte katholischer Schau
der Dinge ist ein Ruf, der auch im gesamtchristlichen Raum ein lebhaftes Echo
verdient; denn Mißstände und Auflösungserscheinungen im öffentlichen Leben
kann man in der Tat nicht durch eine fromme Flucht aus der Welt bekämpfen,
sondern nur so, daß man als Christ mitten in sie hineingeht, Zeugnis ablegt
und im besten Sinne „politisch" wird.

') Reinhard, Wilhelm: Ist das Abendland auf christlichem Wege?

Gedanken zur religiösen und kulturellen Zeitlage. Freiburg: Herder 1949.44 S.
8°. DM 1.20.

„Christliche Entscheidung heute" nennt Hermann Josef
Nachtwey1 eine Zusammenfassung zweier Vorträge aus dem
Jahre 1946.

Auch hier geht es um eine ernstliche und energische Verlebendigung der
christlichen Haltung innerhalb der katholischen Kirche. Das Heftchen ist aus
dem jugendlichen Elan eines Laien geschrieben, ■— mit einem brennenden
Herzen und einem drängenden Eifer. An mancher treffenden und blitzenden
Formulierung zumal im ersten Teil hat man seine Freude und sieht gewissermaßen
den Kämpfer vor sich. Sonst darf man freilich die kritische Sonde
nicht allzu stark anlegen. Mancherlei — insbesondere im zweiten Teil — ist
nicht genügend durchdacht, enthält Widersprüche und ist in seinem apodiktischen
Urteil nicht ausgereift. Auch manches ungute Wort über den Priester
liest man nicht gern, weil es in solcher Verallgemeinerung offensichtlich fehlgeht
. Aber der lebendige Schwung des Ganzen erfreut und begütigt.

Eine letzte zu dieser Besprechungsgruppe gehörende Broschüre
, die mit ihr jedoch nur durch das Thema der Geschichtsdeutung
verbunden ist, stellt das Heft von Erich
Sander dar: „Das Schicksal der Menschheit"2.

Die Schrift basiert auf einem ungebrochenen Fortschrittsglauben im
Sinne eines abgeklungenen materialistisch-naturwissenschaftlichen Denkens.
So werden Entstehung, Verbreitung und Zukunft des Menschengeschlechtes
besprochen und die großen Festlandsblöcke der Erde als „Menschheitsburgen"
aufgeteilt. Natur, Geschichte und Weltblick Europas — Europa nur als Ge-
schichts- und Raumbegriff — wird behandelt, das im hohen Mittelalter als von
einer Ideenwelt germanisch-christlicher Observanz „umkränzt" erscheint. (Wie
anders hat doch vor mehr denn 10 Jahren August Winnig die konstitutiven
Elemente Europas dargestellt!). Schließlich: Charakter, Probleme und Perspektiven
des „globalen Zeitalters" unter der Devise: „Die Morgenröte menschlicher
Größe bricht eben erst an". Dazu die kommende „Weltplanting" auf
Erden zur Sicherung des Friedens und zur Förderung des Wohlstandes bei
allen Völkern. — Als Christen sehen wir dies alles völlig anders und werden
durch solche Ausführungen in unserer biblisch begründeten und theologisch
durchgearbeiteten Geschichtsdeutung nur bestärkt. Aber wir lassen uns gern
darauf hinweisen, welche anderen Gesichtspunkte in der Entwicklung jeweils
eine Rolle spielen können, — um selber vor aller kurzschlüssigen und einseitigen
Beurteilung bewahrt zu bleiben.

') Nachtwey, Hermann Josef: Christliche Entscheidung heute.

Recklinghausen: Bitter [1946J. 64 S. kl. 8°. DM2.20.

2) Sander, Erich: Das Schicksal der Menschheit. Essen: v. cha-

mier [1948]. 98 S. 8°= Schriftenreihe „Zeit und Leben im Geiste des Ganzen
". Kart. DM2.60.

Zur Lilurgiewissenschaft

Von Leonhard Fendt, Bad Liebenzell

Die moderne katholische Theologie hat seit langem eine
Liturgiewissenschaft ausgebildet, welche die Erforschung
der Liturgien a) historisch, b) systematisch (d.h. prinzipiell),
c) pastoral (d. h. nach der praktischen Bedeutung für die
Gegenwart) betreibt. Demgemäß erforscht diese Liturgiewissenschaft
a) die Geschichte der Liturgien, b) das Wesen der
Liturgie, c) den Ort der Liturgie in der Seelsorge1. Im Hintergrund
dieser katholischen Liturgiewissenschaft (im folgenden:
LW) liegt die Tatsache, daß für die katholische Theologie Objekt
die in „weitmaschiger" Biblizität gesehene Kirche ist;
zu dieser Kirche gehört die Liturgie wesentlich. Darum tendiert
die LW im Katholizismus auf eine selbständige theologische
Disziplin inmitten der anderen theologischen Fächer im
Rahmen der theologischen Fakultät.

Auf evangelischer Seite ist aber Objekt der Theologie die
Bibel, gesehen in „engmaschiger" Biblizität. Was kirchliche
Praxis ist, das erforscht hier die Praktische Theologie (Pr.Th.);
und weil die Pr.Th. die Kirche und ihre Praxis an der Bibel
zu messen hat, fällt der Pr.Th. nun die evangelische LW zu;
denn zur kirchlichen Praxis gehört zweifellos auch das, was
die katholische LW unter Liturgie meint. Auf evangelischer
Seite ist also die LW ein Teil der Pr.Th.! Das pflegt eigentümliche
Schwierigkeiten zu haben: schließlich verlangt die
LW ein ganzes Leben, und nicht jeder Professor der Pr.Th.
ist gewillt und geeignet zur Forschung in der LW. So dienten
der LW auch Männer der Kirchen- und Dogmengeschichte wie
Hans Lietzmann; aber auch die Vertreter der KG und DG
sind nur in Ausnahme gewillt und fähig zur LW2.

') Die neuere Entwicklung dieser Liturgiewissenschaft spiegelt das „Jahrbuch
für Liturgiewissenschaft", 1921—1941 (15 Bände). Vgl. besonders: Romano
Guardini JLW I, 97ff. und Athanasius Wintersig JLW IV, 153ff. Dazu
O. Casel in RGG2 III, 1689ff. und K. Mohlberg, Ziele und Aufgaben der
liturgiegeschichtlichen Forschung, 1919. Seit 1950 wird das JLW abgelöst von
dem „Archiv für Liturgiewissenschaft" ed. Emonds (Verlag Pustet, Regensburg).

2) Sämtliche Namen (Pr.Th. KG., DG.) der evang. LW-Forscher bei

Nun hat sich aber auch in der evangelischen Theologie
die Theorie aufgetan (Lohmeyer, Cullmann), daß das NT
wesentliche liturgische Züge aufweist1. Ist evangelische Theologie
auf die Bibel gewiesen, so gehört auch die LW in diese
Theologie, und zwar als selbständiges Fach, so gut wie die
Systematik oder KG und DG. Dem Dilettantismus des „Ich
denke mir das so" muß abgeholfen werden durch eine evangelische
LW selbständiger Art — wie der willkürlichen Auslegung
der Bibel durch eine solide exegetische Wissenschaft der
Garaus gemacht wird. Freilich steht dem entgegen: „Eigentlich
" ist recht evangelisch bloß die „Lehre" und die Diskussion
um die „Lehre", der Kampf um das Bekenntnis — hingegen
das Gebet, insonderheit das Gebet der Gemeinde, gilt doch
hintergründig als ein „Rest" aus der katholischen Vergangenheit
, nie ganz hoffähig, Sache von „Leuten am Rande", fiij
Sv, gründlicher Reformation bedürftig usw. usw. Aber wenn
nun das Gebet, speziell auch das in der Gemeinde, und der
Gemeindecharakter des Gebetes („Liturgie"), zum „Wesen"
des Christentums gehört, laut dem NT ?

Inzwischen macht sich die katholische LW keine solchen
Schwierigkeiten, sondern arbeitet. Arbeitet mit aller Akribie
— und fördert Resultate zutage, die alle Christenheit interessieren
können. Einige solche Werke liegen uns vor.

Da ist vor allem ein Heft, nicht starken Umfangs, aber
starken Inhalts: Theodor Klausers Bericht über die Wandlungen
der Liturgie und über die neuesten Erkenntnisse der
LW2. Das konnte nur Klauser leisten — auf etwa 30 Seiten

Glaue, RGG2 III, 1691 ff. Bis 1947 reiches Material (kath. und ev.) im Namen-
Index bei G. Kunze, Die gottesdienstliche Schriftlesung I, 1947 (S. 211 ff.).

!) Ernst Lohmeyer, Kultus und Evangelium, 1942. — Oskar Cullmann,
Urchristentum und Gottesdienst, 1944, 2. Aufl. 1950. Siehe aber schon Adolf
Schlatter, Geschichte der ersten Christenheit, 1926.

2) Klauser, Theodor, Prof. Dr.: Abendländische Liturgiegeschichte
. Forschungsbericht und Besinnung. Als Manuskript gedruckt.
Bonn: Hanstein 1949. 31 S. 8°= Abdruck aus „Eleutheria. Bonner theolog.
Blätter für kriegsgefangene Studenten" H. I. DM 1.—.