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Ausgabe:

1950

Spalte:

313-320

Autor/Hrsg.:

Heiler, Friedrich

Titel/Untertitel:

Söderblom als Religionshistoriker 1950

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Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 4/5

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von ihnen bietet ungebrochene Ubertragungsmöglichkeiteu1.
Darüber hinaus gar heidnische Sitten und. Gebräuche „christlich
zu taufen", das Habit des heidnischen Menschen anzulegen
oder den Nomos seines Volkes als Schöpfungsordnung
zu nehmen, ist ein Nichternstnehmen der Dämonie des natürlichen
Menschen, das in der Geschichte der Mission hundertfach
zum Versagen geführt hat. Mag die Mission sich selbst
in christlichen Kreisen dem Vorwurf der Verständnislosigkeit
und Intoleranz aussetzen — sie kann zum und vom Menschen
nur sprechen, indem sie von und in Christus spricht.

Die Mission wird drittens gehalten sein, die Religionen
nicht zum Gegenstand ihrer Diskussion mit deren Anhängern
zu machen, Irrtümer zu widerlegen, Wahrheiten zu beweisen
oder Überzeugungen zu bewirken. Eni evangelisch-theologisches
Studium der Fremdreligionen wird ihr die Größe und
den Grund der Fehlschläge offenbaren, die sie auf diesem Wege
— am sichtbarsten durch den Islam — erlitten hat. Daß ihr
Auftrag, die Wirklichkeit Gottes und sein Heilsangebot zu bekennen
, sie nicht davon frei spricht, sich mit der religiösen
Wirklichkeit des von ihr Angesprochenen vertraut zu machen,
und zwar bis in ihre letzten Winkel hinein, bedingt wiederum
die Notwendigkeit jenes Studiums für sie. Damit ist nicht gesagt
, daß nicht auch der Missionar, wie der Theologe daheim,
der Religionswissenschaft Dienste leisten könnte; was beide
ihr bisher gegeben haben, ist kaum zu überschätzen, und die
Religionswissenschaft wird auch künftig gerade auf den Forschungsbeitrag
der Missionare nicht verzichten können. Aber
das ist ein Dienst, der am Rande der Mission geschieht, und
kein Grund für sie, ihre Zweckmäßigkeit damit zu beweisen.
Die Religionswissenschaft aber lerne es anders als eine Inkonsequenz
verstehen, wenn ein Theologe wie Rudolf Otto am
Abend seines au religionsgeschichtlichen Verdiensten wahrlich
reichen Lebens bekannte, ,,er habe immer gehört, Christus sei
die Krone des Hinduismus; aber auf seiner letzten Indienreise
hätten ihm Aussprachen mit führenden Hindus immer wieder
das Gegenteil gezeigt. Der Hindu muß mit seiner ganzen bisherigen
religiösen Erfahrung brechen, um den Weg zum Gekreuzigten
zu finden"2.

') Vgl. H. Huppenbauer und H. Wyder, Gottes Wort in heidnischer
Sprache. Stuttgart-Basel 1937.

2) M. Schiunk, Von den Höhen des Ölberges. Stuttgart-Basel 1928. S. 93.

Ein Letztes sei aufgezeigt, das der Mission aus einem
evangelisch-theologischen Studium heraus zu notwendiger
Hilfe werden und sie vor Überraschungen bewahren kann
wie sie sie vor 60 Jahren erlebte, als G. Warneck die Entstehung
von Volkskirchen auf den Missionsfeldern feststellte, und. wie
sie sie heute am Vorhandensein einer Weltkirche erlebt. Alle
nichtchristliche Religiosität ist individualistisch, auch dort,
wo sie in Kollektivformen — Mönchsorden, Konsensus- und
Volksgemeinschaften — auftritt. Die evangelische Mission hat
bis heute zu einseitig nach der Losung gehandelt die ihr
Zinzendorf mitgegeben hat: „Einige Seelen für das Lamm gewinnen
"; dazu kam und kommt auch noch heute ein Gesellschaf
tindividualismus, der zu sehr an seinen Missionsfeldern
seinen Missionaren, seinen Getauften und Gemeinden interessiert
war. Es ist in der gesamten Missionswelt deutlich geworden
, daß es Gott nicht um der einzelnen Seele Seligkeit,
sondern um sein Gottesreich geht, um ein eschatologisches Faktum
, das sich in dem ,,halb verstandenen, halb geglaubten"!
Faktum der Kirche darstellt. Von der christlichen Kirche kann
die Religionswissenschaft nur aussagen, daß sie phänomenologisch
nicht ihresgleichen hat; die Theologie verkündet sie als
den Leib Christi, und die Mission wird sich als die Aufgabe
der Kirche erkennen, die aus deren Katholizität, d h Allgenügsamkeit
"2, erwächst. Als diese Aufgabe wird die Mission
ihrer Bestimmung nur gerecht, wenn sie auf das Ganze gerichtet
ist, dessen Plaupt Christus ist, wie anderseits die Kirche
nur dann ihrem Wesen treu bleibt, wenn sie durch die Erfüllung
ihres göttlichen Auftrags zur Mission dem Wachsen jenes Organismus
dient. Beide aber mögen sich von der Theologie immer
neu an ihre Ausrichtung auf das Ende erinnern lassen und aus
einem evangelisch-theologischen Studium der Fremdreligionen
die Erkenntnis gewinnen, daß, wo Kirche entsteht, ein reli-
gionsgeschichtlich nicht faßbares „Anderes, in der Summe
der Mitglieder nicht Gegebenes ist, das ein neues Organon
schafft. Und dieses Andere ist das Erste und Letzte, das Wesen
und der Urgrund aller Dinge"3.

') O. van der Leeuw, Phänomenologie der Religion. S. 539.
*) Ebendort S. 248.
3) Ebendort S. 249.

Eröffnung der Aussprache:

An den theologischen Fakultäten muß auch Religions- [
Wissenschaft getrieben werden. Aus drei Gründen. I. Um der
theologischen Aufgabe willen. Die Theologie hat als dogmatische
die Aufgabe, die „Welt" in das Licht des Evangeliums
zu rücken und dadurch im Glauben zu „überwinden" (1. Joh.
5. 4). Zu der Welt gehören nicht zuletzt die Religionen. Die
Gewißheit des Glaubens um Jesus Christus als den einzigen
Weg zum Vater muß in theologischer Kritik aller Religion
durchgeführt werden. Die dogmatische Konzentration der
Theologie im letzten Menschenalter hat diese Aufgabe sehr zu
kurz kommen lassen. Das ist nicht gesund. Alles Blut sitzt am
Herzen, es soll aber zum Blutkreislauf in die „Extremitäten"
kommen. 2. Dessen bedarf die missionierende Kirche.
Sie kann angesichts des modernen Relativismus und der Unzugänglichkeit
einiger Hochreligiouen für das Evangelium
leicht müde, durch heimlichen Zweifel gelähmt werden. Theologische
Religionskritik muß ihr das gute, klare Gewissen
geben helfen. 3. Theologische Religionswissenschaft ist nötig
für die außertheologische Religionswissenschaft.
Diese will die Religionen verstehen von einem neutralen
Standorte aus. Selbstverständlich danken wir ihr Großes für
die Kenntnis der Religionen. Aber das entscheidende Ver-

I stehen ist ihr versagt. Denn sie sieht die Religionen gleichsam
„pazifistisch", im Nebeneinander. Aber die Religionen
selber stehen im Kampfe miteinander — und hier erst, z. B.
in dem Ereignis der „Bekehrung" von einer Religion zum
Evangelium, erschließt sich ihr Wesen ganz. So aber will Theologische
Religionswissenschaft die Religionen sehen. Ihre
wichtigste Erkenntnisquelle ist die missionarische, also
kämpfende Begegnung des Evangeliums mit den Religionen.
Die allgemeine Religionswissenschaft, wie sie in den philosophischen
Fakultäten gepflegt wird, bedarf dessen, daß
neben ihr und ihr gegenüber eine theologische Religionsforschung
steht, die sie an die Grenzen ihrer Betrachtung der
Religionen erinnert.

Solche theologische Religionswissenschaft ist in der deutschen
evangelischen Theologie von einigen Dogmatikern ansatzweise
versucht worden. Aber die Aufgabe ist viel zu groß
und weit, als daß sie von der Dogmatik nebenher mit gelöst
werden könnte. Wir bedürfen eigener Professuren für sie.
Es ist zu erwägen, ob man dabei nicht die Religionswissenschaft
mit der Missionswissenschaft verbinden könnte.

Erlangen Paul Althaus

Söderblom als Religionshistoriker1

Von Friedrich Heiler

Die oft geäußerte Behauptung, daß die Religionsge-
schichte eine für Glaube und Kirche „gefährliche Wissenschaft
" sei, findet ihre beste Widerlegung in der Tatsache, daß

') Ausführlicher mit näheren Literaturangaben in meinem Aufsatz: Erz-
bischof Nathan Söderblom, Religionsforscher und Herold christlicher Einheit
in: „ökumenische Einheit, Fortsetzung der ,Eiche' und ,Einen heiligen
Kirche'", München (Ernst Reinhardt Verlag) 1948, 69—110. Die wichtigsten
monographischen Darstellungen von Söderbloms religionsgeschichtlichem Werk
sind: Tor Andrae, Nathan Söderblom som religionshistoriker in: Nathan
Söderblom in memoriam, Stockholm (Svenska Kyrkans Diakonistyrelses Bok-

der Manu, dessen Name in die Annalen der Kirchengeschichte
unseres Jahrhunderts eingezeichnet ist, der Primas der schwedischen
lutherischen Kirche und größte Träger der ökuine-

förlag) 1931, 25—62. Folke Holmström, Uppenbarelsereligion och mystik,
En undersökningav N. Söderbloms tcologi. Stockholm (Sv. K. Diakonistyrelses
B.) 1937. Hanna Wolff, Der lebendige Gott, N. Söderbloms Beitrag zur
Offenbarungsfrage. Emstetten (Lechte) 1938. J. M. van Veen, Nathan Söderblom
, Ieven en denken van een godsdiensthistoricus. Amsterdam (H. J.Paris)
1940. Erland Ehnmark, Rellgionsproblemet hos Nathan Söderblom. Lund
(Gleerups Förlag) 1949.