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Ausgabe:

1950

Spalte:

307-314

Autor/Hrsg.:

Rosenkranz, Gerhard

Titel/Untertitel:

Die Notwendigkeit evangelisch-theologischen Studiums der Fremdreligionen um der Mission willen 1950

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307

Theologische Literaturzeitung 1950 Nr. 4/5

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„Einem Professor der Religionsgeschichte erklärte ein stud. theol., man
könne religionsgeschichtliche Vorlesungen deswegen nicht hören, weil sie gefährlich
seien! Zweifelsohne war die Kritik am Begriff der Religion, die mit
der dialektischen Theologie begonnen hat, richtig, und wir werden nicht mehr
hinter sie zurückgehen können. Wenn aber dadurch lediglich erreicht wird, daß
der Begriff der Religion nun in der Theologie überhaupt nicht mehr vorkommt,
oder daß Theologen mit Phänomenen der Religion nichts mehr anfangen, sie
nicht mehr deuten können, dann ist der Rückschritt größer als der Gewinn .. •
Gewiß ist der christliche Glaube damit nicht begriffen, daß er sich als Frömmigkeit
versteht. Aber ist damit irgend etwas Wesentliches über die außerchristlichen
Religionen ausgesagt ? Ja, ist damit bestritten, daß auf der Welt auch das
Christentum eben als .Religion' existiert und daß, so wahr das Evangelium
von Gott ist und das Christentum irdisch, doch die Phänomene dieser Religion
auch einer theologischen Interpretation bedürfen?"

Die Notwendigkeit evangelisch-theologischen Studiums der Fremdreligionen um der Mission willen

Von Gerhard Rosenkranz, Tübingen

,,Um der Mission willen" — dieser Zusatz zum Thema
lenkt unsere Erörterung der Notwendigkeit evangelisch-theologischen
Studiums der Fremdreligionen in eine bestimmte
Richtung, ohne dadurch unseren Blick vom Gesamtbereich
evangelischer Theologie abzulenken; denn jede theologische
Disziplin stößt in ihrer Arbeit auf das Vorhandensein von
Fremdreligionen in der Umwelt des Christentums. Je ernster
eine theologische Fakultät diese Tatsache nimmt, je ernster
sie überdies in Forschung und Lehre sich von der Erkenntnis
leiten läßt, daß das Christentum nicht nur eine unter anderen
Weltreligionen, sondern die Missionsreligion ist, desto unausweichlicher
steht sie vor der Frage nach einer Stellungnahme
zu den Religionen und vor der Forderung, sich auch übet das
Christentum selbst als Religion Rechenschaft zu geben, ja,
desto beunruhigter wird sie darüber sein, wenn sie ihre Studenten
zu religionsgeschichtlichen Studien allein an die philosophische
Fakultät verweisen muß, und wenn sie den Eifer
beachtet, mit dem sich heute die katholischen Fakultäten
dem theologischen Studium der Religionen um der Mission
willen widmen.

,,Um der Mission willen" — das trifft also die Theologie
als Ganzes, es sei denn, sie kapsele sich gegenüber der missionarischen
Dynamik der christlichen Verkündigung und ihrer
neutestamentlichen Urkunden ab oder sie lehre und forsche
abseits der missionarischen Situation, in der sich die Kirche
zu allen Zeiten befand und heute bedrängender denn je befindet
.

„Um der Mission willen" — das trifft unmittelbar diejenige
Disziplin, die sich mit der christlichen Mission als geschichtlichem
und immer neu geschehendem Ereignis zu beschäftigen
, ihre Grundlagen zu erforschen, ihre Gestalt kritischer
Betrachtung zu unterziehen hat. Es läßt sich erwägen,
ob nicht dem theologischen Studium der Fremdreligionen angesichts
seiner umfassenden Bedeutung für alle Disziplinen
eine selbständige Stellung in einer theologischen Fakultät zuzuweisen
ist; daß es aus der Missionswissenschaft nicht fortzudenken
ist, läßt sich nicht bestreiten.

Bevor wir seine Notwendigkeit erörtern, haben wir die
Einwände zu hören, denen es begegnet. Sie kommen sowohl
aus der profanen Religionswissenschaft wie aus der christlichen
Kirche und Theologie. Für die Religionswissenschaft hat
G. Mensching sie ausgesprochen. Es werde, so schreibt er1

„noch heute von gewisser theologischer Seite der Religionswissenschaft ihre
Selbständigkeit bestritten und sie allein im Range einer ,Hilfswissenschaft'
der Theologie, als eine Art moderne ancilla theologiae, gelten gelassen. Religionswissenschaft
ist nach dieser Anschauung überhaupt sinnvoll nur, wenn
sie theologisch interpretiert wird."

Da Mensching als Beispiel dafür eine meiner Veröffentlichungen
anführt, sei gesagt, daß mir eine solche Entrechtung
seiner Wissenschaft ganz fern liegt. Wir denken nicht daran,
die Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit religionswissenschaftlicher
Forschung durch unsere Forderung eines evangelisch
-theologischen Studiums der Religionen auch nur im geringsten
anzutasten. Wir sehen in der Religionswissenschaft
keineswegs nur eine ancilla theologiae, sondern bedürfen ihrer
selbständigen historisch-kritischen und phänomenologischen
Arbeit und wünschen nichts lebhafter, als daß es ihr gelingen
möge, frei von unbewußter und bewußter Voreingenommenheit
, ganz der Sache hingegeben, das Wesen der Religionen
und ihre Erscheinung immer gültiger herauszuarbeiten. Aber
wir nehmen allerdings das Recht für uns in Anspruch, vom
Evangelium aus — dem Kriterium aller, auch unserer eigenen
Religion — das von der Religionswissenschaft erarbeitete Bild
der Religionen zu beurteilen. Sollte uns versagt sein, die Ergebnisse
der Religionswissenschaft in einem Licht zu sehen,
das ihnen, wie uns dünkt, angemessener ist als die künstliche
Beleuchtung, in der die Psychologie C. G. Jungs und die Philosophie
von K. Jaspers sie ihren Zwecken dienstbar machen ?

Auf den Widerstand aus Kirche und Theologie gegen
eine Beschäftigung mit den Religionen, ohne die allerdings
ihr theologisches Studium undenkbar ist, hat W. Trillhaas unlängst
in einem Aufsatz2 hingewiesen. Es handelt sich dabei
um ein theologisch-kirchliches Mißverstehen, für das der von
ihm angeführte Fall so bezeichnend ist, daß ich ihn mit seinen
Worten wiedergebe:

J) Gustav Mensching, Geschichte der Religionswissenschaft. Bonn 1948.

S. 63.

') Deutsches Pfarrerblatt, Jg. 1950, Nr. 1.

Diesen Sätzen ist nichts hinzuzufügen. Das Problem, das sie
anrühren, verliert auch dadurch nichts von seiner Dringlichkeit
, daß heute aus Weltreligionen, wie dem Buddhismus,
Stimmen laut werden, sie seien tote Religionen oder — wie es
auf der Tagung der Kirchen Ostasiens in Bangkok im letzten
Dezember zum Ausdruck kam — die soziale Kraft des kulturellen
und damit religiösen Erbes Asiens sei durch den Einbruch
der westlichen Ideen zersetzt und wirkungslos geworden.
Wir haben immer wieder mit dem Erwachen alter Religionen
in der Umwelt des christlichen Glaubens und mit dem Aufbruch
neuer Religionen in seinem Raum selbst zu rechnen.

Dem steht die Tatsache gegenüber, daß sich die evangelische
Mission in einer inneren Krisis befindet. Daran trägt
einerseits der Umstand Schuld, daß die Kirche noch immer
dahin neigt, sie zwar als eines ihrer Liebeswerke anzuerkennen
und zu fördern, nicht aber in ihr ihr Lebenswerk, ja, den Prüfstein
ihrer Lebensmacht zu sehen. Daß der Deutsche Evangelische
Missionsrat auf eine sachgemäße Umgestaltung des
Paragraphen im Entwurf der Grundordnung der EKiD
dringen mußte, der sich mit der Mission beschäftigt, ist dafür
ebenso bezeichnend wie das unverkennbare Abgleiten der
Ökumene, kaum daß sie zustande gekommen ist, aus missionarischer
Dynamik in kirchliche Statik. Anderseits ist darauf
hinzuweisen, „daß die epochemachenden Ereignisse der letzten
30 Jahre, besonders die biblische Neubesinnung und die theologische
Erneuerung kaum in das missionarische Denken eingedrungen
sind"; wenn „in der Praxis die Kategorien des
missionarischen Denkens einem radikalen Wandel unterlegen
sind", so „läßt sich kaum bestreiten, daß dies stärker unter
dem Einfluß geschichtlicher Umwälzungen geschehen ist,
denen die Kirche gegenüberstand, als durch ein Neuerfassen
der Grundlagen missionarischer Arbeit"1. Zweifellos sind
Theologie und Kirche heute einander näher gekommen; aber
die Mission steht immer noch in weiten christlichen Kreisen
abseits der Kirche und der Theologie. Ausdruck dieser Krisis
und zugleich ein Versuch, sie zu wenden, ist der jetzt vom
Internationalen Missionsrat vorgelegte Studienplan mit dem
Ziel, ,,to restate the universal missionary Obligation of the
Church (1) as grounded in the eternal Gospel, and (2) in rela-
tion to the present historical Situation"2. Hier vermag ein
evangelisch-theologisches Studium der Fremdreligionen an
einem entscheidenden Punkt mitzuwirken, obschon es nur ein
Teilgebiet der „gegenwärtigen geschichtlichen Lage" betrifft.

Es ist keine Abschweifung, sondern fördert unser Bemühen
, Klarheit über seine Aufgabe zu gewinnen, wenn wir
nach der Stellung der katholischen Theologie zu den
Fremdreligionen fragen. Die Antwort ist einfach: Ihre Norm
ist auch darin Thomas von Aquin. Pius XII. erklärte im
September 1946 vor Abgesandten des Predigerordens, es gebe
nach der Uberzeugung der Kirche keinen anderen Weg,
„sicher zur Erkenntnis und Festigung der Wahrheit fortzuschreiten
", als „das Gebäude, das der hl. Thomas von Aquin
aus jenseits und über aller Zeit liegenden Elementen, die in
eines gesammelt und zusammengefügt sind und die die christlichen
Weisheitslehrer aller Zeiten dargeboten hatten, erbaut
hat"3. Das gilt auch für das katholische Studium der Religionen
und die katholische Missionswissenschaft. In der Tat
hat sich, um nur zwei Beispiele zu nennen, de Nobili für sein

J. C. Hoekendijk, The evangelisation of man in modern mass society
(in „The ecumenical Review", Bd. II, Nr. 2, S. 133f.).

2) International Missionary Council: A new study of the missionary Obligation
of the Church, Aim I.

3) „Missionswissenschaft und Religionswissenschaft", Münster, Jg. 1949,
Heft 3, S. 173.